by L.J. Shen
Val hatte sich die letzten Jahre vor mir versteckt, weil sie meinen Zorn fürchtete.
Jordan besaß viermal so viele Anteile an Vision Heights Holdings wie ich, trotzdem konnte er sich keinen Millimeter bewegen, ohne dass er meinen Atem im Nacken spürte.
Infolgedessen war ich vorbereitet, als ich am nächsten Tag in der Firma erschien.
Amandas Hauptaufgabe war nicht die Suche nach Val gewesen. Stattdessen lieferte sie mir in höchstem Maße das, was ich auf meinem Speicherstick gesichert hatte: jede Menge schmutziger Informationen über Jordan Van Der Zee.
Darum fühlte ich mich völlig entspannt dabei, als ich mich an diesem Morgen als Erstes in seinen Stuhl setzte, meine typische Haltung einnahm – Beine auf dem Schreibtisch, Hände hinter dem Kopf verschränkt – und auf ihn wartete.
Punkt acht betrat Jordan sein Büro, als wäre nichts geschehen. Als hätte er es nicht zu seiner Mission erklärt, mein Leben zu zerstören. Als wüssten seine anderen Partner nicht, dass er ein verlogener, hinterfotziger Drecksack war. An der Türschwelle blieb er abrupt stehen und stierte mich an. Seine unwillkommene Überraschung – ich – starrte mit solch hasserfülltem Blick zu ihm zurück, dass er eigentlich geblendet werden musste.
Er griff in seine Sakkotasche, wohl um den Sicherheitsdienst zu verständigen, hielt jedoch inne, als ich mir lachend einen Joint ansteckte.
»Was zum Henker bilden Sie sich eigentlich ein?«, fragte er zähneknirschend und kam einen Schritt näher. Ich tippte mir ans Kinn, tat, als würde ich nachdenken.
»Ich mache es mir bequem. Schließlich wird dieses Zimmer schon bald mein neues Büro sein.«
»Es ist verboten, hier drinnen zu rauchen«, wies er mich hin, ohne auf meine dreiste Feststellung einzugehen.
»Witzig, das gerade aus Ihrem Mund zu hören, Jordan. Gesetze zu brechen scheint doch Ihr bevorzugtes Hobby zu sein.« Ich erhob mich aus seinem Chefsessel und schlenderte mit dem süffisantesten Grinsen, das ich auf Lager hatte, auf ihn zu.
»Wovon reden Sie, Rexroth?« Er versuchte, die Panik in seiner Stimme mit Verärgerung zu übertünchen.
Immerhin ein Fortschritt, dachte ich. Aber es genügt noch nicht. Ich wollte blankes Entsetzen aus ihm herauskitzeln, ihm das Atmen so schwer machen, dass es wehtat. Denn so würde ich mich fühlen, wenn man mir Luna wegnähme.
Dicht vor ihm blieb ich stehen, ich überragte ihn um mehrere Zentimeter. »Setzen Sie sich, Mr Van Der Zee.«
»Sagen Sie mir nicht, was ich zu tun habe«, blaffte er, machte jedoch gleichzeitig Anstalten zu gehorchen. Dies war die Art von Sieg, die ich am meisten genoss. Wenn ich bekam, was ich wollte, während mein Gegner in die Knie ging. Er war drauf und dran, hinter seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, als ich missbilligend mit der Zunge schnalzte.
»Das können Sie vergessen, Jordi. Dort, wo Sie hingehen, gibt es nicht nur keine Chefsessel, sondern auch beschissene Matratzen, wie ich mir habe sagen lassen.« Ich wies mit dem Kinn zu der Sitzbank neben seiner Eichenbar. Er glotzte mich an. Als er begriff, dass ich nicht scherzte, lenkte er seine Schritte argwöhnisch grummelnd dorthin. Er brannte darauf zu erfahren, wie viel ich wusste. Die Antwort war einfach.
Ich wusste alles.
Amanda hatte mir dabei geholfen, das Beweismaterial zusammenzutragen. Darüber war so viel Zeit vergangen, dass sich unterdessen zwischen Edie und mir eine Beziehung entwickelt hatte, und ich ihm deshalb nicht das Handwerk hatte legen können.
Doch der gestrige Tag hatte alles verändert. Ich hatte meine Freunde zu Edie geschickt und war auf direktem Weg zu Amanda gefahren. Ich hatte die Welt aus dem Lot gebracht, mit den Wellen gekämpft. Und war nicht ertrunken.
Ich würde niemals ertrinken, solange ich mein Kind über Wasser halten musste.
Den Joint noch immer in den Fingern verschränkte ich die Hände auf dem Rücken und schritt gemächlich im Zimmer auf und ab. »Wissen Sie, was ich nie verstanden habe, Jordi? Wie kann es sein, dass Sie so erfolgreich sind, obwohl jedes Unternehmen, in das Sie vor siebenundneunzig investiert haben, kläglich scheiterte und Konkurs anmeldete? Es war, als wären Sie finanztechnisch Gift. Alles, was Sie anfassten, war zum Scheitern verurteilt. Die wachsende Liste der von Ihnen gegründeten Firmen, für die Sie schließlich Insolvenz beantragten, war das erste Warnsignal. Das ist uns nicht verborgen geblieben, aber angesichts Ihrer soliden Erfolgsbilanz nach zweitausenddrei entschieden meine Freunde, darüber hinwegzusehen. Tja.« Ich zuckte die Achseln, zog an dem Joint und ließ lächelnd den Rauch entweichen. »Für mich galt das nicht.«
Ursprünglich war ich davon ausgegangen, dass Jordan sich nur den üblichen Mist hatte zuschulden kommen lassen wie Geldwäsche oder Steuerhinterziehung. Selbst seine Affären hatten nicht wirklich mein Interesse geweckt. Immerhin versuchte er noch nicht mal, sie zu vertuschen. Doch dann war ich auf mehr gestoßen. Auf sehr viel mehr.
Jordan knirschte so fest mit den Zähnen, dass ich es quer durch das Zimmer hörte. Seine Miene hingegen war unbewegt, er versuchte, sich einen Rest von Würde zu bewahren.
»Ich wandte mich an eine Privatermittlerin und beauftragte sie, jedes Detail der sagenhaften Erfolgsgeschichte, für die Jordan Van Der Zee steht, ans Licht zu bringen. Das Erste, was ich herausfand, war, dass Sie als Stipendiat in Harvard studiert haben, allerdings war dieses Stipendium nicht ganz koscher, oder? Jemand hat nach dem ersten Jahr die Kosten für Ihre Ausbildung übernommen. Für den armen holländischen Jungen, der sich nicht einmal Brot und Butter leisten konnte – Ihre Worte, nicht meine. Ich fragte mich, wer Ihnen mit solch hohen Beträgen unter die Arme hätte greifen können, und dann stieß ich auf den Namen. Kaine Caulfield – ein undurchsichtiger, auf den Britischen Jungferninseln ansässiger Typ. Caulfield ist ein höchst ungewöhnlicher Name. Hört sich sehr nach Fänger im Roggen an. Besser gesagt … fiktiv. Ich beschloss, tiefer zu graben, nicht zuletzt, weil ich mich wunderte, woher Sie jemanden auf den Britischen Jungferninseln kannten. Es sei denn, es ginge um …« Ich klemmte mir den Joint zwischen die Lippen, zog ein Dokument aus meiner hinteren Hosentasche und warf es ihm vor die Nase. »Geldwäsche.«
»Das ist grotesk«, murmelte er und versuchte aufzustehen, aber ich stieß ihn mit meiner Schuhspitze zurück auf seinen Platz.
»Setzen Sie sich«, befahl ich. »Dann sind also Drogen im Spiel.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.« Sichtlich erschüttert warf er die Arme in die Luft. Er verlor die Fassung, und ich wollte verdammt sein, wenn das nicht eine Sternstunde war.
Ich schüttelte lachend den Kopf. »Das würde vermutlich erklären, wie Sie es mit Ihrer ersten Firma überhaupt so weit gebracht haben. Oder warum Sie es sich leisten konnten, Investorengelder abzulehnen, als Sie diese gerade mal drei Jahre nach Ihrem Studium gründeten.«
»Das sind Gerüchte, und falls Sie in diesem Tenor fortfahren, werde ich meinen Anwalt kontaktieren müssen.« Er machte wieder Anstalten aufzustehen, und ich schubste ihn erneut zurück.
Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, trat ich an seine Hausbar. »Endlich sind wir einmal einer Meinung. Sie sollten unbedingt Ihren Anwalt hinzuziehen, wenn auch noch nicht jetzt gleich. Damit würden Sie die Überraschung verderben.«
Ich schenkte mir drei Fingerbreit Scotch ein und kippte ihn vor dem deckenhohen Fenster in mich hinein, bevor ich mich wieder zu Jordan umwandte. Sein Leben zu zerstören erfüllte mich mit tiefer Zufriedenheit. Die Einzige, um deren Gefühle ich mir Sorgen machte, war Edie. Sie und ihr Vater würden von nun an getrennte Wege gehen, aber sie brauchte ihn sowieso nicht, und ich tat ihr einen Gefallen, indem ich ihn ins Gefängnis brachte.
Ich werde ihr Theo schenken.
»Wissen Sie was? Ich denke, ich werde mir tatsächlich Ihr Büro aneignen. Es bietet jede Menge Platz. Luna kann hier spielen, wenn sie mich dienstags besucht«, sinnierte ich und strich mit den Fingern über das riesige Gemälde an der Wand. Es stammte von einem holländischen Maler. Noch so ein Van Der Schießmichtot. Wellen, die sich am Ufer brachen.
Edie.
»Sie w
erden die Firma verlassen, Rexroth«, sagte er matt, aber er meinte es nicht ernst. Nicht wirklich. Ich sah sie in seinen Augen, die Niederlage. Sie hatte eine Farbe, einen Geruch, einen Geschmack. Sie zeichnete sich in seinen Zügen ab, hatte sich in dem ganzen Raum niedergeschlagen.
»Ersparen Sie mir den Quatsch. Zeit ist Geld, das wissen Sie so gut wie ich.« Ich haute den letzten Schluck Scotch weg und versenkte den Rest des Joints in dem teuren Glas. »Also Drogen. Damit haben Sie sich Ihr Studium finanziert. Schön für Sie. Als meine Privatermittlerin mit dieser Information zu mir kam, war ich gelinde gesagt überrascht. Ein Mann wie Sie, dem so viel an Glanz und Glamour liegt, würde doch niemals Geschäfte mit Cracksüchtigen und Drogendealern machen? Nein. Das wäre unter Ihrer Würde, Jordi. Deshalb haben Sie eine Vereinbarung mit MNE Pharmaceuticals getroffen. Das Unternehmen versorgt Sie mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Und das nun schon seit zwanzig Jahren. Oxycodon. Ambien. Vicodin. Xanax. Valium. Codein. Ich könnte endlos fortfahren, aber ich denke, Sie wissen, wovon ich rede. Sie haben das Zeug über Heerscharen sorgsam ausgewählter und ausgebildeter Mittelsmänner vertickt und das Geld anschließend über Firmen im Ausland gewaschen. Auf diese Weise konnten Sie in neue Unternehmen investieren und zu dem Mogul werden, der Sie heute sind. Aber das Leben fremder Menschen kaputtzumachen hat Ihnen nicht genügt, nicht wahr, Jordan?«
Sein Gesicht war kalkweiß, er schien einer Ohnmacht nahe. Ich half ihm nicht, als seine Beine unter ihm nachgaben und er auf dem Boden landete. Das Einzige, was er aus seiner Position sehen konnte, waren meine Schuhe vor seinem Gesicht.
»Ich habe sogar noch tiefer gebohrt«, fuhr ich fort.
»Hören Sie auf«, presste er so erstickt hervor, dass Speichel aus seinem Mund sprühte. Ich wählte exakt diesen Moment, um die Unterlagen, die ich vorher bereitgelegt hatte, von seinem Schreibtisch zu wischen, sodass Berichte und Bilder, die ihn dabei zeigten, wie er sich mit dem Geschäftsführer von MNE traf und bis oben mit Medikamenten beladene Lastwagen kontrollierte, auf ihn niederregneten.
»Ich habe mir Gedanken über Ihre hübsche Ehefrau gemacht.« Meine Stimme war weich wie Samt. »Edie muss ihre Schönheit ja irgendwo herhaben, und von Ihnen hat sie sie ganz bestimmt nicht. Meine Ermittlerin hat mir erzählt, dass Ihre bessere Hälfte kaum noch das Haus verlässt, was nicht nur traurig, sondern auch sehr suspekt ist. Und Ihnen verdammt gelegen kommt.«
Er rappelte sich auf seine Knie hoch und kroch auf mich zu. Das Ganze hatte sich so rapide zugespitzt, dass ich Mühe hatte, ernst zu bleiben. Andererseits konnte ich ihn schlecht auslachen. Das hier war kein Witz.
»Nein, nein, nein. Sie haben keine Beweise«, wiederholte er gebetsmühlenartig und umklammerte meine Beine. Abgestoßen von seinem befremdlichen Verhalten wich ich einen Schritt zurück.
»Und ob ich die habe!« Ich schob ein Bild, auf dem er neben einem Lieferwagen an einem Pier stand, mit der Schuhspitze in seine Richtung. »Sie sind nicht der Einzige, der weiß, wie man einen verdammten Drucker benutzt.«
»Lydia … sie hat nie …«
»Sie haben ihr Drogen verabreicht und ihre Rezepte manipuliert, oder etwa nicht?«, sagte ich tonlos. Er schüttelte den Kopf. Lügner. Ich betrachtete ihn, wie er da unter mir kauerte, und zum ersten Mal wurde mein Blick nicht von Hass getrübt. Ich sah den Jungen vor mir, der es weit bringen wollte und nicht wusste, wie er es anstellen sollte. Dann sah ich die Gier. Die Maßlosigkeit. All das, was Edies Leben ruiniert hatte. Ich sah es und wusste ohne den geringsten Zweifel, dass ich sie, unabhängig von dem, was zwischen uns war – oder nicht war –, vor ihrem Vater und seiner skrupellosen Geliebten beschützen musste. Mehr noch, ich wollte, dass sie ein für alle Mal von der Bildfläche verschwanden.
»Sie haben sie ihrem Tee beigemengt«, fauchte ich. »Herrgott, Sie sind ein kranker Psychopath, Jordan.«
»Ich kann nicht ins Gefängnis gehen.« Seine Stimme klang tränenerstickt. »Ich kann nicht …«
»Sie können nicht? Nun, das ist der Knackpunkt: Die Polizei wartet unten auf Sie. Herrje. Habe ich ›Polizei‹ gesagt? Ich meinte das FBI. Nein, eine Sekunde. Ich denke, sowohl – als auch. Aber bevor ich Sie gehen lasse, werden Sie drei Dokumente unterzeichnen. Mit dem ersten übertragen Sie uns alle Ihre Anteile an Vision Heights Holdings. Mit dem zweiten geben Sie das Sorgerecht für Theo auf. Und mit dem dritten versichern Sie, dass Sie mir sämtliches Material meine Tochter betreffend aushändigen beziehungsweise es vernichten werden. Um Ihre kleine Freundin Val werde ich mich gesondert kümmern. Und jetzt waschen Sie sich das Gesicht, Arschloch. Da wartet eine Menge Arbeit auf Sie. Wird’s bald.«
Ich beobachtete, wie er zu den wartenden Autos geführt wurde. Zu den Männern mit Sonnenbrillen. Der Person, die ihm seine Rechte vorlas.
Die Hände auf dem Rücken gefesselt, verfrachteten sie ihn gerade in einen Streifenwagen, als wie aufs Stichwort dahinter Val aus einem Taxi stieg. Ihr blieb kaum die Zeit, ihr blutrotes Leg-mich-flach-Kleid und ihr Film-noir-Lächeln zurechtzurücken, als ich mich ihr näherte.
»W-was ist passiert?«, stammelte sie und packte mich am Ärmel. Sie sah mich an, flehte mit den Augen um eine Erklärung. Ich erkannte Luna in ihren Zügen wieder. Ich wünschte, es wäre nicht so gewesen, weil es die Dinge um einiges einfacher gemacht hätte. Im Grunde genommen war Val ein Kind. Das stellte sie mit ihrer unermüdlichen Suche nach einem reichen Kerl, der sie unter seine Fittiche nahm, immer wieder unter Beweis.
Es war schon paradox, dass die Menschen Edie allein aufgrund ihres Alters als Kind abstempelten, obwohl sie ihr ganzes bisheriges Leben wie eine Löwin gekämpft hatte.
»Dein Freund wurde verhaftet.« Ich schüttelte sie ab und damit auch den Bann, den ihre Luna-Augen auf mich ausübten.
»Weswegen?« Sie folgte mir auf ihren unfassbar laut klappernden Absätzen.
»Such es dir aus. Los, komm mit.« Ich ging zurück zum Oracle-Gebäude, und sie stolperte hinter mir her, hatte Mühe, mit mir Schritt zu halten.
»Wozu?«
»Um die Papiere zu unterschreiben, mit denen ich das alleinige Sorgerecht für Luna beantragen kann.«
»Wieso sollte ich sie dir überlassen?« Sie versuchte zu lachen. Es gelang ihr jedoch nicht.
Ich blieb stehen und drehte mich zu ihr um. »Erinnerst du dich noch an unsere erste Begegnung? Du warst komplett zugekokst, und nachdem du mir das mit der Schwangerschaft enthüllt hattest, habe ich dich erst einmal in eine Entzugsklinik gebracht, damit du clean wurdest und meinem Kind von deinem Drogenkonsum nicht ein zweiter Kopf wachsen würde. Und das war lange, bevor ich herausfand, dass du schon damals nebenher eine Affäre mit einem Drogenbaron hattest. Wie wär’s mit einer Urinprobe, liebste Valenciana?«
Alle Farbe wich aus ihren Wangen, ihr Gesicht nahm einen furchtsamen Ausdruck an. Val war auf Droge, und Jordan versorgte sie damit. Sie schluckte hörbar. Ich trat zur Seite und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, in den Aufzug zu steigen.
»Ladies first.«
Sie gehorchte, wohlwissend, was sie erwartete, wenn wir erst in meinem Büro angekommen wären. »So ein Scheißspiel.«
KAPITEL 32
TRENT
»Ich liebe es, wenn Vicious’ Boshaftigkeit auf uns abfärbt.« Dean, der auf einer Polsterbank an Vicious’ gigantischem Pool lümmelte, zündete sich einen Joint an, blies das Streichholz aus und pfefferte es in Vicious’ Richtung. »Soll keine Beleidigung sein, Kumpel.«
»Haha, selten so gelacht.« Vicious warf sich eine Traube in den Mund, er erinnerte an einen närrischen, selbst ernannten König, wie er da auf seiner Sonnenliege thronte. »Aber ich muss zugeben, Vals Gesichtsausdruck war geradezu köstlich, als sie diese Papiere unterschrieb. Sie könnte einem fast leidtun, wäre da nicht der Umstand, dass sie sich mit keinem einzigen Wort nach Luna erkundigt hat. Ich wette, sie hat danach die erstbeste Bar angesteuert, um irgendeinen reichen alten Knacker abzuschleppen, noch ehe die Happy Hour rum war.«
Vicious blätterte durch die Dokumente, die wir Anfang der Woche zusammen mit dem Anwalt Eli Cole, Deans Vater,
geprüft hatten. Die letzten paar Tage waren von Hektik geprägt gewesen. Wir waren wie kopflose Hühner herumgelaufen, bestrebt, jeden einzelnen sinistren Plan, den Jordan Van Der Zee zu meinem Schaden ausgeheckt hatte, zu durchkreuzen. Meine Freunde standen mir zur Seite, sie waren für mich da, Jagdhunde, die Blut sehen wollten. »Deine Exfreundin hat dir den Arsch gerettet. Zum Glück ist sie nicht mehr minderjährig und kann vor Gericht über die Missetaten ihres Vaters auspacken.«
Das flaue Gefühl, das sich bei seinem letzten Satz in meinem Magen breitmachte, überspielte ich, indem ich meine Unterlippe zwischen den Fingern rollte. Ich saß an dem niedrigen Tisch und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass mein Herz beim Klang ihres Namens und der Vorstellung, dass sie mich reingelegt hatte, um Theo zu beschützen, zu einem Häufchen Asche verbrannt war. Ich hatte Dean, Vicious und Jaime mit der strikten Anweisung zu Edie geschickt, ihr ja nichts von Jordan und Val zu sagen. Weder wollte ich ihr Mitgefühl noch dass sie Krokodilstränen vergießend an meine Tür klopfte.
Auch wenn ich in jeder verfluchten Minute an ihre Tür hämmern wollte.
Es war schon weit nach Mitternacht. Luna schlief bei meinen Eltern – geschützt und behütet und mein. Doch trotz alledem spürte ich noch immer diese Leere in mir, dieses Loch in meinem Bauch, das alle meine Emotionen in sich hineinsaugte und sie als gefühllosen Klumpen wieder ausspuckte.
»Edie hat mit euch geredet?«, fragte ich.
Dean lachte auf. »Geredet? Sie hat gesungen wie ein Kanarienvogel und uns bis ins Kleinste geschildert, wie rücksichtslos er sich ihr und seinem Sohn gegenüber verhalten hat. Ja, Edie hat uns mit sämtlichen Informationen versorgt, die wir noch brauchten. Was glaubst du, wie Amanda es geschafft hat, all diese hieb- und stichfesten Beweise gegen ihn zusammenzutragen? Edie hat uns von dem seelischen Missbrauch, der Vernachlässigung, den Tätlichkeiten erzählt. Dann erwähnte sie, dass Jordan seiner Frau regelmäßig Tee gekocht hat, und da wurde der Junkie in mir hellhörig und zählte eins und eins zusammen. Er hat ihre Mutter unter Drogen gesetzt. Sie hat es bloß nicht mitgekriegt.«