Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)
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»Sollen wir uns mal an die Büsche machen?«, fragt Hugo an Weston gewandt.
In Plastikeimern warten mehrere größere Pflanzen darauf, in ihr neues Beet gepflanzt zu werden.
»Weiß nicht, ob ich stark genug bin«, sagt Weston. »Vielleicht sollte Dad dir helfen?«
»Papperlapapp«, erwidert Hugo. »Deinen Dad lassen wir in Ruhe lesen.«
»Was höre ich da von wegen ›nicht stark genug‹?« Link hat im Haus geduscht und tritt in diesem Moment nach draußen.
»Kannst du uns helfen?«, fragt Weston.
»Nicht, dass du meine Hilfe nötig hättest, aber klar. Ich will auch mitmachen.«
Maya streckt ihre Hand nach ihm aus. »Du bist auch stark genug, hab ich recht?«
Sie nickt.
»Dann wollen wir mal«, sagt Hugo. Er hat bereits das erste Loch gegraben und weist Weston und Link an, den ersten Busch aus dem Eimer zu ziehen. Maya hält einen der äußeren dünnen Äste.
Mit vereinten Kräften tragen sie ihn zu der Stelle, die Hugo vorgesehen hat, und lassen ihn vorsichtig in das Loch sinken.
»Maya, kannst du das Loch zuschaufeln?«, fragt Hugo, und sie macht sich sofort begeistert daran.
Es ist schön zu sehen, wie gut es den beiden geht. Dass es auch mir selbst gut geht. Dass sich der Kampf, den wir viel zu lange täglich kämpfen mussten, auszahlt. Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden. Und so wenig ich daran glaubte, so offensichtlich ist es jetzt. Nicht, dass unsere Wunden alle geheilt wären. Aber sie werden überlagert von metaphorischen Verbänden und Pflastern. Von neuen Erfahrungen, schönen Tagen, die zu Erinnerungen werden. Von Freunden und Familie – auch wenn es keine normale Familie ist. Jeder von uns trägt täglich dazu bei, dass es besser wird. Vollständiger. Weniger leise und weniger traurig. Und tatsächlich ist inzwischen die Traurigkeit selbst so leise, dass ich sie oft gar nicht mehr wahrnehme. Was bleibt, ist das Schöne, das Wertvolle, das ich in meinem Kopf abgespeichert habe. Dankbarkeit für alles, was wir hatten. Für das, was ich danach mit viel Hilfe daraus gemacht habe. Und für die Hilfe selbst natürlich.
Hugo lässt den Stamm los, und alle klatschen. Der Busch hat ein neues Zuhause gefunden und steht in meiner Vorstellung für so viel mehr. Es fühlt sich an wie der Beginn von etwas Großem. Ein Neuanfang für den Garten und ein Neuanfang für uns. Wir machen keinen Cut, wir sprechen es nicht einmal aus. Aber die Tatsache, dass Hugo nun in unserem Leben ist, dass unser Garten wieder zu einem Ort wird, an dem man sich gerne aufhält, dass mein bester Freund und Schwager jetzt bei uns wohnt, all das gibt mir das Gefühl von einem frischen Wind, der hier weht.
Die letzten Jahre waren hart. So hart, dass ich an manchen Morgen nicht wusste, wie ich es schaffen sollte, aufzustehen. Ich funktionierte für die Kinder, doch für mich selbst funktionierte nichts. Ganz, ganz langsam gelang es mir, nicht mehr nur zu funktionieren, sondern auch wieder vorsichtig zu leben. Musik zu machen. Musik zu schreiben. Ein Ventil zu finden für meine Traurigkeit. Und mit jedem Song, mit jedem Gig, mit jeder Tonfolge, die meine Finger spielten, wurde es ein bisschen besser. Mit jedem Wort, das Maya zu mir sagt, mit jedem Lächeln, das Weston mir schenkt. Mit jedem Tag, der vergeht.
Während meiner Grübeleien haben Link und Weston mit Mayas tatkräftiger Unterstützung auch den zweiten Busch eingepflanzt. Man erkennt den Garten jetzt schon kaum wieder, obwohl noch nichts blüht. Allein die Tatsache, dass die Mühe sichtbar ist, macht bereits einen enormen Unterschied.
»Wie sieht die nächste Woche aus?«, fragt Link und lässt sich auf einen der Plastikstühle neben mich fallen. »Kann ich dir unter die Arme greifen?«
Manchmal denke ich, Link glaubt, er hätte etwas wiedergutzumachen. Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir einen ziemlich üblen Streit. Er hatte mich seit Blythes Tod hintergangen, lebte illegal in leer stehenden Warehouses, um mir heimlich seinen Anteil unserer Gage unterzujubeln. Doch wir versöhnten uns und haben nun ein Arrangement: Er wohnt in dem alten Wohnwagen in unserem Garten und darf drinnen im Haus Küche und Bad benutzen, und dafür zahlt er Miete. Erst wollte ich nicht einmal das annehmen. Schließlich hatte er in den letzten Jahren genug für mich und die Kinder getan. Aber er rechnete mir in aller Ruhe vor, dass ich es mir nicht leisten konnte, auf die zusätzlichen Einnahmen zu verzichten. Mit dem Klavierunterricht unter der Woche und den Gigs am Abend kommen wir zwar gerade so über die Runden, allerdings habe ich seit Blythes Tod einen Schuldenberg abzustottern, der größer ist als alles, was ich mir bis dahin vorstellen konnte. Nicht einmal das Sterben ist in diesem Land umsonst.
»Es steht nichts Besonderes an«, sage ich.
»Kommen die beiden mit zum Gig?«, fragt Link.
»Ich hoffe, sie können bei Phoenix schlafen«, sage ich. »Wenn nicht, muss ich sie mitnehmen.« Das ist ein Punkt, an dem ich bald etwas ändern möchte. Wenn ich keinen Babysitter finde und die Zeit nicht reicht, um Weston und Maya zu ihren Großeltern zu bringen, schlafen die beiden im Lager vom Cat’s Cradle, während wir spielen. Sie dann aufzuwecken und in ein Taxi zu verfrachten, bricht mir jedes Mal das Herz. Es ist kein Zustand für Kinder, in Hinterräumen von Kneipen zu schlafen, während ihr Vater Musik macht. Aber manchmal gibt es keine andere Lösung.
»Jasper, hör auf, dir deswegen Sorgen zu machen. Den beiden geht’s gut.« Er nickt in Richtung meiner Kinder, die gerade ihren Urgroßvater mit Erde bewerfen und lachen.
Ich schlucke. »Ja, oder?«
»Das Leben ist kein Bilderbuch, es ist ein Abenteuer. Deins, meins, Westons, Mayas …«
»Manchmal denke ich eben, ich enttäusche sie.«
»Du meinst Blythe, oder?«
»Ja.« Ich fixiere einen Brandfleck auf dem verblichenen weißen Plastiktisch, den Curtis dort hinterlassen hat.
»Sie war die Königin der Improvisation«, sagt Link. »Und du bist ein würdiger Nachfolger.«
Ich lächle. »Ja … vermutlich hast du recht.«
»Glaubst du, die beiden würden sich einen anderen Vater wünschen? Denkst du, es gibt für die zwei einen besseren Dad als dich?«
»Vermutlich nicht, oder?«
»Sehr richtig.« Er klopft mir auf die Schulter. »Aber wenn es dich wirklich so wurmt, warum fragst du nicht Hugo, ob er ab und zu einspringt?«
Ich blicke wieder zu den dreien. Hugo ist es gelungen, sich Maya unter den Arm zu klemmen. Sie kreischt und quietscht.
»Dafür ist es noch zu früh. In ein paar Monaten vielleicht. Wir haben ihn gerade erst kennengelernt. Ich will sichergehen, dass er bleibt.« Es ist merkwürdig, das auszusprechen. So konkret habe ich noch nie darüber nachgedacht. Aber es stimmt wohl. Ich kann mir noch nicht zu hundert Prozent sicher sein.
»Oh, glaub mir, er bleibt«, sagt Link grinsend. »So, ich mache mich auf ins French Quarter.«
»Straßenmusik?«, frage ich.
»Die Miete zahlt sich nicht von allein.«
Nachdem er gegangen ist, schlage ich mein Buch wieder auf. Mit halbem Ohr höre ich auf das Gejohle der Kinder, um eingreifen zu können, falls es zu toll wird. Doch Hugo scheint alles im Griff zu haben. Und ich merke, wie sich erst mein Körper und dann mein Geist langsam, aber sicher entspannen.
5 – Bonnie
Heute
»Lula?« Ich klopfe an ihre Zimmertür. »Lula, du musst aufwachen. Sie kommen gleich.«
Ich lausche, doch drinnen regt sich nichts. Bestimmt ist sie erst in den frühen Morgenstunden nach Hause gekommen. Freitags und samstags arbeitet sie meistens, bis der Nachtclub schließt.
»Lula!« Ich hämmere ein bisschen fester gegen die Tür. »Aufwachen!«
Natürlich könnte ich sie auch weiterschlafen lassen. Laut meiner Mom ist es uns selbst überlassen, ob wir an ihrem monatlichen Gemeindebrunch nach dem Gottesdienst teilnehmen, aber Lula und ich wissen beide ganz genau, dass es ihr wichtig ist. Und keine von uns will herausfinden, wie wichtig. Deswegen haben wir einen Deal. Obwohl ich jeden vierten Samstag im Monat selbst spät nach Hause komme, weil ich mit einer Veteranenband im Vape spiele, bereite ich den Brunch vor und lasse Lula so lange wie möglich schlafen, dafür kümmert sie sich später um den Abwasch.r />
Hinter der Tür erklingt ein genervtes Grunzen. »Bnwch«, krächzt sie.
Unten duftet es nach Speck und Pancakes. Der Esstisch im Wohnzimmer ächzt unter den Massen an gefüllten Schüsseln und Tellern. Eigentlich ist unser Haus zu klein für Einladungen dieser Größenordnung. Glücklicherweise ist es ein schöner Tag, und so werden sich die meisten Gäste wohl ohnehin auf der Veranda und im Vorgarten tummeln.
»Alison würde sich sicher freuen, wenn du sie mal wieder besuchst«, sagt Mrs Withers gerade. »Sie und Kenny sind einfach Zucker!« Sie zückt ihren Geldbeutel, um mir ein Hochzeitsfoto der beiden zu zeigen.
Alison und ich saßen in der Grundschule nebeneinander, Freundinnen waren wir allerdings nie wirklich. Dennoch sehe ich mir natürlich die Fotos an.
»Nichts macht einen fröhlicher als junges Glück«, fährt Mrs Withers fort. »Aber keine Sorge, du findest bestimmt auch bald den Richtigen.«
»Ja, sicher«, erwidere ich, denn es hat keinen Zweck, Mrs Withers zu erklären, dass nicht jeder Lebensplan einen Mann und Kinder vorsieht. Dafür ist in ihrer Vorstellung kein Platz.
»Vielleicht ist er ja sogar heute hier!«
Ich nicke mechanisch. Sie ist nicht die Einzige, mit der Lula und ich diese Art von Gesprächen führen. Die meisten Freundinnen unserer Mom sehen es als unsere Aufgabe auf dieser Welt an, uns zu vermählen und zu reproduzieren. Je früher, desto besser. Dass ich mich mit meinen dreiundzwanzig Jahren und in meiner Position als Langzeit-Single bisher nicht unbedingt intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, behalte ich für mich. Lula ist da anders. Lula fragt jedes Mal direkt, ob sie Mann und Kinder dann mit in den Nachtclub nehmen sollte. Daraufhin sind die meisten Leute still. Aber ich will meine Mom nicht vor den Kopf stoßen, indem ich während eines ihrer Brunchs eine Diskussion lostrete.
»Sie kaufen gerade ein Haus hier in der Gegend. Das wäre doch auch etwas für dich. Ein kleines Häuschen in der Nähe deiner Familie …«
Das ist meine Privatangelegenheit, würde ich gern sagen. Stattdessen erwidere ich: »Ja, das wäre sicher schön.«
»Emmy, Liebes, ich habe Bonnie gerade erzählt, dass Alison und Kenny sich ein Haus kaufen. Und dass ihr Traummann vielleicht näher ist, als sie denkt.« Mrs Withers zwinkert mir zu.
»Bestimmt, Süße«, sagt meine Tante Emmy. »Oft passiert es ja, wenn man es am wenigsten erwartet.«
Ich habe echt kein Interesse an einem eurer Junggesellen, würde ich gern sagen. Stattdessen drehe ich den Kopf zur Seite, damit niemand meinen inzwischen genervten Gesichtsausdruck bemerkt. Meine Erleichterung kennt keine Grenzen, als ich sehe, dass Amory in diesem Moment das Gartentor öffnet. Im Schlepptau hat sie Link und seine Freundin Franzi.
»Ich muss kurz meine Freunde begrüßen«, sage ich entschuldigend und bahne mir entschlossen den Weg durch, wie es scheint, die gesamte Nachbarschaft.
»Gott, bin ich froh, euch zu sehen!« Ich falle allen drei um den Hals. Gleichzeitig.
Link grinst. »Mrs Withers?«, fragt er.
»In Kombination mit Emmy.«
»Dann sind wir ja keine Sekunde zu spät.«
Franzi blickt fragend von Link zu mir. Sie ist heute zum ersten Mal bei unserem Gemeindebrunch.
»Nachbarschaftstratsch«, erklärt Amory. »Lasst uns was zu essen holen.«
Drinnen hat meine Mom ihre Haarschneide-Station aufgebaut. Sie war früher Friseurin in einem Salon, bevor er dichtmachte. Seither kommen die Leute zu ihr nach Hause. Während des Brunchs schneidet sie die Haare von Bedürftigen umsonst.
»Heute entkommst du mir nicht«, sagt sie, als sie Link erblickt. »Deine Haare müssen ab!«
Sie unterbricht ihre Arbeit an dem Jungenkopf, ermahnt den kleinen Kerl jedoch, sitzen zu bleiben. Dann wackelt sie auf uns zu.
»Amory!« Sie drückt sie fest an sich. Daraufhin wendet sie sich Link zu. »Mein Junge«, sagt sie und schließt Link in ihre mächtigen Arme.
»Annabella, das ist meine Freundin Frenzy«, stellt er seine Begleitung vor.
»Franzi«, korrigiert Franzi.
»Willkommen in der Familie«, sagt meine Mom und drückt sie ebenfalls an sich. »Wurde auch Zeit, dass unser Link mal jemanden mit nach Hause bringt. Zu uns nach Hause«, fügt sie noch hinzu.
Sie wackelt zu dem Jungen zurück, der vollkommen starr sitzen geblieben ist. Es ist schön zu sehen, wie groß der Respekt ist, den meine Mom hier genießt. Sie ist einer der Bausteine, der diese Community am Laufen hält. Jeder hilft jedem, man rückt zusammen. Man kennt sich, man mag sich mal mehr, mal weniger, aber niemals würde man einander hängen lassen.
Am späten Nachmittag haben sich die meisten Gäste verabschiedet. Auf dem Haarschneide-Stuhl sitzt inzwischen Lula, deren Kurzhaarfrisur schnell nachkorrigiert ist. Die Seiten ganz kurz, oben ein kleiner Afro.
Meine Haare sind glücklicherweise nicht so wartungsintensiv. Ich trage sie in langen, dicken Box Braids mit hineingeflochtenen weißen Strähnen, die ein paar Monate halten.
»So, Lula, fertig«, sagt meine Mom und gibt ihr einen Klaps auf die Schulter. »Link, du bist dran. Man sieht ja dein hübsches Gesicht kaum noch.«
Er streicht sich seine dunkelblonden Haare aus der Stirn und grinst. »Also gut, weil du es bist.« Er setzt sich auf den Stuhl und lässt sich von meiner Mom in den schwarzen Umhang hüllen.
Ich nehme Amory und Franzi mit nach draußen. Franzi will Lula erst mit dem Abwasch helfen, aber zu meiner Überraschung lehnt meine Schwester das Angebot ab. »Das schaff ich schon allein«, versichert sie.
»Danke für die Einladung«, sagt Franzi, als wir uns im Garten auf den alten Plastikstühlen niedergelassen haben. »Es ist schön, zu sehen, wie Links Freunde wohnen. Teil davon zu sein.«
Amory und ich werfen uns einen Blick der stillen Übereinkunft zu. Franzi ist Links Freundin. Sie hat bewiesen, dass sie Link glücklich macht, indem sie aus Deutschland nach New Orleans ausgewandert ist, nur um bei ihm sein zu können. Und wenn er sie liebt, werden wir es auf eine freundschaftliche Art auch tun.
»Für ihn ist es toll, dass du dabei bist«, sage ich. Denn es stimmt. Ich habe ihn noch nie so glücklich und gelöst erlebt. Nicht einmal früher, als alles noch in Ordnung war. Seine Familie noch vollständig.
»Wir sollten mal was zu dritt machen«, schlägt Amory vor, und ich nicke ihr dankbar zu. »Einen Filmabend oder so. Bei mir in der WG .«
Franzi lächelt. »Sehr gern.« Dann: »Deine Schwester wirkt sehr nett.«
»Haha, ja«, erwidere ich. »Sie ist interessant.«
»Man würde kaum glauben, dass ihr Zwillinge seid. Sie ist so …«
»Freizügig?«, bietet Amory lachend an.
Lula ist bis auf ihr Gesicht tatsächlich das ziemliche Gegenteil von mir. Abgesehen von den kurzen Haaren, zeigt sie außerdem gern so viel wie möglich von ihrer perfekten Figur und ihrer tätowierten Haut. Das war schon so, bevor sie anfing, in aufreizender Wäsche für Touristen zu tanzen. Vermutlich ist es deswegen ihr Traumjob. Sie liebt es einfach, sich zu zeigen. Und keiner kann es ihr verdenken. Ich im Gegensatz trage seit jenem Abend vor über vier Jahren nichts anderes als weite Jeans, in die ich weite T-Shirts stecke. Ich besitze nicht ein einziges Set hübsche Unterwäsche, sondern verstecke mich mithilfe von Sport-BH s und schlichten, schwarzen Baumwollpants.
Kurz ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass es schön wäre, wenigstens mit Amory über die Gründe für meinen Kleidungsstil sprechen zu können. Abgesehen von Link, wusste und weiß niemand Bescheid. Schließlich war meine beste Freundin mit dem Objekt meiner verbotenen Gedanken und Gefühle verheiratet. Und Link weiß es auch nur, weil er in mich hineinsieht wie sonst niemand. Eines Tages kam er zu mir und sagte: »Du bist in Jasper verliebt, oder?« Eine Woche sprachen wir nicht miteinander. Dann erzählte ich ihm alles.
»Sollen wir zurückgehen? Sichergehen, dass meine Mom Link keinen militärischen Kurzhaarschnitt verpasst?«, frage ich, bevor meine Gedanken sich verselbstständigen.
Franzi sieht alarmiert aus.
»Keine Sorge, sie macht nur Witze«, sagt Amory. »Annabella ist eine Künstlerin.«
Tatsächli
ch sieht Link – sofern das überhaupt möglich ist – mit etwas kürzeren Haaren noch besser aus. Sie fallen ihm immer noch in die Stirn, aber längst nicht mehr so tief. Er wirkt reifer, ernsthafter. Und an Franzis Gesichtsausdruck erkenne ich, dass sie auch mehr als zufrieden mit dem Ergebnis ist.
»Alter«, sagt Lula, »wärst du nicht so blass, hätte deine Freundin ein Problem.« Sie grinst anzüglich, während sie die spärlichen Reste des Brunchs auf einen Teller lädt.
»Dazu gehören immer noch zwei, Lula«, erwidert Link und wuschelt sich durch die neue Frisur.
»Als könntest du mir widerstehen.« Sie zwinkert ihm zu und leckt sich über die Lippen.
»Du bist wie eine Schwester für mich.« Link verzieht das Gesicht.
»Es wäre wirklich supereklig«, pflichte ich ihm bei.
»Ich mach nur Spaß«, sagt Lula und wirft erst ihm, dann Franzi eine Kusshand zu. »Keine Sorge.«
Kurz durchzuckt mich ein Stich, weil mir auf einmal schmerzhaft bewusst wird, dass das Glück, das Link und Franzi haben, für mich nicht bestimmt ist. Meistens komme ich mit dieser Tatsache zurecht. Aber in Momenten wie diesen, in denen ansonsten alles perfekt ist, die durch ihre Friedlichkeit und Seligkeit beinahe schmerzhaft schön sind, erschüttert mich der Gedanke daran. Dann ist es, als würde mein Herz trotz der dicken Mauern drum herum brechen. Für ein paar Sekunden bleibt mir die Luft weg, und ich muss die Augen schließen, um mich zurückzubesinnen. Jaspers Gesicht flackert kurz hinter meinen geschlossenen Lidern auf, doch ich vertreibe es mit aller Macht.
Als ich wieder in die Runde blicke, ist der stechende Anflug vorbei, und ich bin wieder da. Mit den Händen in den Hosentaschen meiner weiten Boyfriendjeans.
6 – Jasper
Heute
Phoenix lebt in einem kreolischen Cottage, das unserem nicht unähnlich ist. Der Hauptunterschied ist wohl die Buntheit hier. Am Gartenzaun hängen Hunderte von Perlenketten, die mit jedem Mardi Gras mehr werden. Auf der Veranda stehen bemalte Blumentöpfe dicht an dicht. Statt Gardinen sind bunte gebatikte Tücher in den Fenstern angebracht.