Jaspers Melodie ist einerseits verspielt, andererseits klingt sie melancholisch, beinahe schwermütig. Sie erinnert mich an das leise Tröpfeln von Wasserperlen, die in der Sonne glitzern. Dieses Stück ist von einer Sehnsucht, wie ich sie in meinen schlimmsten Momenten fühle. Es ist wie das Nach-Hause-Kommen nach einer langen Reise, wie der erste Kuss nach einer langen Zeit der Trennung. Es ist Verheißung und süße Zerstörung in einem. Ebenso wie der Mann, der es spielt.
Kurz wäge ich meine Optionen ab. Ich könnte hier liegen bleiben, bis Jasper ins Bett geht, und mich dann hinausschleichen. Doch die Gefahr, dass ich wieder einschlafe und das nächste Mal morgen früh erwache, ist groß. Ich könnte mich in den Sessel neben das Bett setzen und abwarten. Aber den Bildern, die Jaspers Melodie in meinem Kopf erweckt, halte ich auf die Dauer nicht stand. Ich treffe eine Entscheidung: Jasper begrüßen. Ihm sagen, dass ich eingeschlafen bin und nun nach Hause gehe. Abhauen.
Vorsichtig schäle ich mich aus Mayas Bett, binde mir meine Braids wieder zu einem Zopf zusammen. Ich strecke mich und trete an die Tür. Für einen kurzen Moment unterbricht Jasper sein Klavierspiel, dann beginnt er das Stück von Neuem.
Ganz behutsam öffne ich die Tür des Kinderzimmers. Sofort sind die Klavierklänge lauter und nicht mehr durch die Tür gedämpft. Es sind klare Töne, die sich beinahe erfrischend für meine Ohren anfühlen. Ebenso lautlos, wie ich sie geöffnet habe, ziehe ich die Tür wieder zu und schleiche mich auf Zehenspitzen den Flur entlang zum Wohnzimmer. Erst jetzt fällt mir auf, dass Jasper in vollkommener Dunkelheit sitzt. Das Mondlicht erhellt den Raum so weit, dass ich seine Bewegungen und, ja, nach einer Weile sogar sein Gesicht erkennen kann. Er hat die Augen geschlossen und wiegt sich genau wie in meiner Vorstellung zu der wunderschönen Melodie hin und her. Für ein paar Sekunden verharre ich in meiner Position. Ich kann meinen Blick nicht von seiner Schönheit abwenden.
»Hi, Bonnie«, sagt er leise, ohne sich umzublicken oder das Stück zu unterbrechen.
Woher weiß er … »Hi«, sage ich, meine Stimme noch etwas heiser.
»Passiert mir auch oft.«
»Was meinst du?«, frage ich.
»Dass ich beim Vorlesen einschlafe.« Ich höre das Lächeln in seiner Stimme. »Ich habe einen Blick ins Kinderzimmer geworfen, als ich nach Hause gekommen bin, und dich schlafend neben Maya gesehen.«
In diesem Augenblick fühle ich mich seltsam verletzlich. Jasper hat mich schlafend gesehen. Hat mich wahrgenommen. Während ich keine Ahnung hatte.
»Link lässt dir Grüße ausrichten«, fährt Jasper fort, als wäre nichts gewesen. Und für ihn hat dieser Abend natürlich auch keine große Bedeutung.
»Hat er gesagt, wie es Con geht?«, frage ich und bemühe mich, beiläufig zu klingen.
»Er ist in ein paar Tagen wieder auf den Beinen. Ist nicht der erste Hexenschuss.« Jaspers Finger werden langsamer. Noch einmal spielt er die Melodie, diesmal in halbem Tempo. »War mit den Kindern alles gut?«
»Ja«, erwidere ich und will gerade ansetzen zu sagen, dass ich mich jetzt auf den Weg mache, da fällt mir ein, dass ich ihm unbedingt von Maya erzählen muss. Auf einmal bin ich ganz aufgeregt. »Stell dir vor, Maya hat mit mir geredet!«
Er unterbricht sofort sein Spiel und dreht sich zu mir um. Das Weiß seiner Augen hebt sich von der Dunkelheit ab. »Was?«
»Sie hat mit mir geredet.« Ich kann nicht anders, als breit zu lächeln.
»Was hat sie gesagt?« Jaspers Stimme klingt aufgekratzt.
»Also, erst hat sie irgendeinen Satz wiederholt, den ich zu Link gesagt habe. Dass er zu Con gehen soll oder so.«
»Einfach wiederholt?«, fragt er beinahe atemlos.
»Ja. Link hat es auch gehört. Wir waren völlig perplex.«
»Wow«, haucht er und jagt mir damit einen Schauder über den Rücken. »Was noch?«
»Dann habe ich zwei Sachen falsch gemacht. Erst wollte ich mich zum Vorlesen in den Sessel setzen. Da hat sie gefragt: ›Kannst du hier lesen?‹, und als ich danach aufstehen wollte, bat sie mich, noch zu bleiben.«
»Die kleine Quasselstrippe«, sagt Jasper, und die Rührung in seiner Stimme ist kaum zu überhören. »Danke, dass du es mir erzählt hast.«
»Ist doch klar«, entgegne ich. Als unsere Blicke sich treffen, fällt mir ein, dass ich eigentlich schleunigst nach Hause wollte. »Also dann …«
»Willst du schon gehen?«, fragt er.
»Es ist spät.«
Ich stoße mich vom Türrahmen ab und mache einen Schritt, da fragt er: »Hast du Lust auf Trash-TV und Bier? Wobei vermutlich nichts mehr läuft …«
Nichts lieber als das, würde ich sagen, wenn ich nicht wüsste, dass es mein dämliches Herz noch schwerer machte. »Ich glaube, ich sollte wirklich …«
»Bitte?«, fragt er.
Und wieder sehen wir uns an. Ich seufze. Das hier ist Jasper. Der Vater von Weston und Maya. Blythes Mann. Früher. Wir sind Freunde, und ich habe ihm gerade erzählt, dass seine kleine Tochter mit mir gesprochen hat. Natürlich möchte er, dass ich noch bleibe.
Er räuspert sich. »Ich glaube, Bonnie«, sagt er leise, »ich schätze, ich bin in letzter Zeit ein bisschen einsam gewesen. Deswegen würde ich mich freuen, wenn du …«
»Okay«, sage ich, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, was ich mir selbst damit antue. Doch das Lächeln, das sich auf Jaspers Gesicht breitmacht, ist es absolut wert.
Im Wohnzimmer schalte ich das Licht ein und setze mich aufs Sofa, auf dem ich vor einigen Stunden noch mit Link und den Kindern Wrestling geschaut habe, und versuche mein dummes, dummes Herz zum Schweigen zu bringen, während es Anstalten macht, mir aus der Brust und Jasper vor die Füße zu springen – dabei hält er es ja bereits ohne sein Wissen fest in der Hand.
Kurz darauf tritt Jasper mit zwei Bierflaschen in den Raum. Er schraubt einen der Verschlüsse ab und reicht mir die Flasche. Dann lässt er sich neben mich auf die Couch fallen.
»Cheers.«
Wir lassen die grünen Flaschen aneinanderklirren. Der Fernseher bleibt aus.
»Wie war dein Abend?«, frage ich, um etwas zu sagen.
»Nett. Echt nett.« Er blickt auf. »Mir ist aufgefallen, dass ich meine Kollegen gar nicht wirklich kenne. Ich arbeite seit Jahren in der Musikschule, und abgesehen von oberflächlichem Small Talk, hatte ich bis heute keine direkten Berührungspunkte mit ihnen.«
»Du hast ja auch viel um die Ohren«, sage ich und halte seinem Blick stand. Sehe ihm direkt in seine grünbraunen Augen, zwischen denen sich eine Furche gebildet hat.
»Ja, aber ich glaube, das entbindet mich nicht davon, darauf zu achten, dass ich ab und zu mal rauskomme. Etwas für mich tue.«
Ich nicke vorsichtig, weil ich nicht weiß, was er mir sagen will. Mit den Fingernägeln kratze ich am Etikett meiner Flasche.
Jasper lacht leise.
»Was?«, frage ich.
»Ach, nichts.«
»Sag schon.« In einem unbedachten Moment boxe ich ihn sanft in den Oberschenkel. Danach werde ich das Gefühl an meinen Fingerknöcheln nicht mehr los.
»Ich habe neulich genauso an meinem Etikett herumgedoktert. Und Link … konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen.«
Ich sehe ihn mit nach oben gezogenen Augenbrauen an.
»Na, du weißt schon, was man sagt. Dass das ein Zeichen für sexuelle Frustration ist.« Er grinst und zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Links Worte, nicht meine.«
Mein Herz unternimmt einen weiteren Versuch, durch meinen Brustkorb zu springen. Es macht mich regelrecht wütend, dass ich nicht einfach hier sitzen und mit einem Freund ein Bier trinken kann, ohne dass mein Körper vollkommen durchdreht. Es ist frustrierend.
Hitze steigt mir in den Kopf. Und obwohl ich weiß, dass es eine dumme Idee ist, kann ich nicht anders. »Und?«, frage ich. »Glaubst du, da ist etwas dran?«
»In meinem Fall sicher«, sagt er, ohne mit der Wimper zu zucken, und langsam habe ich den Verdacht, mein Herz möchte in Jasper hineinspringen, sich direkt neben sein Herz setzen und dann dessen Rhythmus kopieren. Blödes Ding. »Bei dir ist es vermutlich ein Zeichen von Langeweile.« Er grinst.
r /> Im Gegenteil, würde ich gern sagen. Meine sexuelle Frustration übersteigt deine bei Weitem. Dann würde ich ihm am liebsten die Kleider vom Leib reißen und mich auf ihn stürzen. Meine Finger in seinen Haaren vergraben. Die Seine sein. Wenn auch nur für einen Augenblick. Stattdessen: »Na ja …« Mehr kommt mir nicht über die Lippen.
»Könnte sein, dass ich wirklich langsam wieder bereit bin, weißt du?«
Ich merke, wie ich innerlich erstarre. Sogar mein bescheuertes Herz hält für einen Moment in seinem Wahnsinn inne. »Etwas für dich zu tun?«, frage ich und hoffe, dass er mir nicht anhören kann, wie viel Mühe es mich kostet.
»Wenn du es so ausdrücken willst …« Sein Grinsen wird schelmischer. Und ich habe das Gefühl, dass ein Stück vom alten Jasper durchblitzt.
»Du hast es vorhin so ausgedrückt.« Ich schlucke und widerstehe dem Drang, erneut eine Ecke von meinem Etikett abzuziehen.
»Das war allgemeiner gesprochen«, sagt er.
In den letzten Jahren habe ich keinen Gedanken daran verschwendet, was mit mir passiert, wenn Jasper wieder anfängt zu daten. Natürlich wusste ich, dass er nicht für immer allein bleiben würde. Und dass ich nicht diejenige sein würde, die diese Rolle in seinem Leben einnehmen würde. Aber es jetzt aus seinem Mund zu hören schnürt mir die Kehle zu. Atmen wird auf einmal zu einer ungeheuren Anstrengung.
»Damit meinte ich beispielsweise auch uns«, fährt er fort.
Uns. Er hat keine Ahnung, was dieses Wort in mir auslöst. Was mein Herz für einen albernen Tanz aufführt. »Uns?«, frage ich, und meine Stimme klingt ganz piepsig.
»Unsere Freundschaft.«
Natürlich. Diese wunderschöne Grausamkeit, die die einzige Erfüllung ist, die mir zusteht. Ich würde zu gern irgendetwas treten.
»Weißt du«, fährt er in vollkommenem, himmlischem Unwissen fort, »es ging ja am Ende auch ohne dich. Aber du hattest es versprochen.« Er redet leise, ohne jeden Vorwurf in der Stimme. Und obwohl er nicht konkret wird, weiß ich doch sofort, wovon er spricht.
»Es tut mir so leid«, flüstere ich, weil mir meine Stimme nun den Dienst versagt. »Ich konnte nicht …« Die Erinnerung an unseren schrecklichen, schrecklichen Kuss kehrt in ihrer gesamten Grausamkeit zurück. Die Tatsache, dass wir nun zum ersten Mal seit damals gemeinsam auf diesem Sofa sitzen, schlägt mit aller Macht in mein Gewissen ein, hinterlässt einen tiefen Krater.
»Es ist okay. Inzwischen ist es okay. Du konntest es nicht, und das ist vollkommen in Ordnung.« Seine Worte klingen gefestigter.
Doch ich habe dennoch das Gefühl, mich entschuldigen, ja, verteidigen zu müssen. Obwohl ich nicht darüber reden möchte. Nie wieder. »Nach der Sache …« Mit uns, will ich sagen, aber es kommt mir nicht über die Lippen.
Er lacht leise. »Nicht so konkret, Bonnie.«
»Du weißt schon.«
»Nach Blythes Tod?«, fragt er. »Sprich es ruhig aus.«
Ich sehe ihn an, und in seinen Augen kann ich nichts lesen. Ist es möglich, dass er sich an unseren Kuss nicht erinnert? Dass er diesen schlimmsten Verrat verdrängt hat?
Doch ich bin nicht in der Lage, mit ihm darüber zu reden. Kann die Erinnerung nicht wiederaufleben lassen. Deswegen nicke ich.
»Ich weiß«, sagt Jasper und klingt so sanft, so verständnisvoll. »Ich weiß, wie hart es für dich war.« Er fährt sich mit der Hand über sein Gesicht. Ich höre das Geräusch der Bartstoppeln unter seinen Fingern.
Wieder nicke ich nur. Ich merke, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis ich implodiere. Vor Dingen, die ich nie ausgesprochen habe. Vor unterdrückten Gefühlen. Vor Unwohlsein.
»Komm her«, sagt er, und ohne dass ich eine Chance habe, mich zu wehren, zieht er mich in eine Umarmung. »Wir hätten uns längst aussprechen sollen.«
Ich merke, wie sich hinter meinen Augen Tränen stauen. Über all das nachzudenken, an dem Ort, an dem es passiert ist, in der Umarmung des Mannes, mit dem es passiert ist, ist zu viel. Die Tatsache, dass er sich nicht zu erinnern scheint. Aber natürlich nicht. Für ihn war es Sehnsucht nach Trost. Für mich Sehnsucht nach ihm. Das ist wohl der Unterschied.
Kurz wage ich es aufzusehen. In sein wunderbares Gesicht.
»Es ist schon gut. Es ist ja alles gut.« Er zieht mich wieder an sich, und während mein Herz Freudentänze aufführt, leidet mein Kopf still. Irgendwie muss ich mich wieder in den Griff kriegen. Denn hier in Jaspers Nähe, umgeben von seinem Geruch, werde ich nicht lange überleben. Atmen. Ein und aus. Ein und aus. Er übt ganz leichten Druck mit seinen Armen aus. Doch ich spüre es so intensiv, als würde er mich erdrücken. Ein schönes, warmes, sanftes Erdrücken.
Jasper Brust hebt und senkt sich mit jedem Atemzug. Am liebsten würde ich mich fallen lassen. Mich an ihn lehnen. Für einen Moment vergessen, was war. Mein Gewissen ausschalten. Und dann – tue ich genau das. Lehne mich gegen seine Brust, lasse mich einhüllen von Wärme, Nähe, Duft. Es ist die süßeste Qual, der Himmel auf Erden. Während sein Herz einmal schlägt, klopft meins zweimal gegen meine Rippen.
20 – Jasper
Heute
Dies ist eine ganz andere Art von Nähe als die zufälligen Berührungen von Aurora. Bonnie ist mir so vertraut. Auch wenn sie sich in den letzten Jahren etwas zurückgezogen hatte. Sie ist seit über einer Dekade Teil meines Lebens. Wir waren so lange Freunde, enge Freunde, dass ich das Gefühl habe, sie in- und auswendig zu kennen.
Ich streiche ihr über den Rücken, über ihre schwarz-weißen Braids, die sich unter meinen Fingern fest und beinahe kühl anfühlen. Abgesehen von ihrem flachen Atem, regt Bonnie sich überhaupt nicht. Ihr Körper ist einfach an mich gepresst. Ihre Wärme geht auf mich über und umgekehrt. Trotz der Vertrautheit ist die Situation ungewohnt. Einerseits, weil sie in krassem Kontrast zu dem Abstand steht, den Bonnie eingehalten hat, andererseits, weil es Jahre her ist, dass ich eine Frau in meinem Arm hatte. Natürlich ist es nur Bonnie. Natürlich könnte es normal sein, seine gute Freundin und Bandkollegin zu umarmen. Und doch ist es das eben nicht.
Aber, wird mir auf einen Schlag bewusst, es ist schön. Es ist leicht. Es ist nicht beängstigend, fühlt sich nicht nach Grenzüberschreitung oder großem Schritt an.
Als sie sich langsam von mir löst, bin ich beinahe versucht, sie festzuhalten. Doch so bin ich nicht.
»Geht’s wieder?«, frage ich vorsichtig.
Sie nickt. »Alles gut.«
Sie angelt nach ihrer Bierflasche, die sie neben das Sofa auf den Boden gestellt hat, und nimmt einen Schluck und noch einen. Und noch einen und noch einen. Bis die Flasche leer ist.
»Okay, ich glaube, ich sollte dann echt mal. Wie spät ist es eigentlich?«
»Gleich zwei Uhr.«
»Oh, okay, dann wird es wirklich Zeit.«
»Für mich auch. Um sieben steht Maya bei mir im Zimmer.« Ich lächle beim Gedanken an die winzige Person, die jeden Morgen mit ihrem Stoffaffen in der Hand zu mir ins Bett kriecht.
»Um sieben? Jeden Morgen?« Bonnie sieht mich ungläubig an. »Entschuldige. Das ist ja eigentlich klar. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht.«
»Wenn ich Glück habe, kriege ich sie dazu, noch ein bisschen mit mir zu dösen.«
»Na, wie auch immer, ich mache mich auf die Socken. Danke für das Bier und … du weißt schon.« Sie fegt einen imaginären Fussel von ihrer Jeans.
»Ich danke dir fürs Babysitten.«
»Ach, ist doch klar«, sagt sie und macht eine wegwerfende Handbewegung.
»Nein, ist es nicht«, widerspreche ich. »Mir ist bewusst, dass du und Link euren Abend lieber mit etwas anderem verbracht hättet. Und das ist völlig okay. Man darf nicht anfangen, solche Dinge für selbstverständlich zu nehmen. Ich weiß, was ich für ein Glück habe mit euch. Mit meinem Sicherheitsnetz. Ohne euch wäre das alles nicht machbar.«
Ich sehe, dass sie schluckt. »Jederzeit, Jasper«, sagt sie. »Du kannst ab jetzt auf mich zählen.«
Gerade will ich aufstehen, um sie noch mal zu umarmen, da hebt sie die Hand zum Abschied. Und so tue ich es ihr nach.
»Gute Nacht, Jasper.«
»Gute Nacht, Bonnie«, sage ich. Da
nn macht sie sich auf den Heimweg.
Ich sammle die beiden Bierflaschen ein und spüle sie in der Küche kurz mit Wasser aus. Anschließend gehe ich ins Bad. Beim Zähneputzen sehe ich mich im Spiegel an. Ich wirke ein bisschen müde. Aber gleichzeitig entspannt. Könnte es sein, dass ich im Begriff bin, wieder glücklich zu werden? Während der letzten Jahre, besonders am Anfang, glaubte ich, dass es etwas Derartiges wie Glück auf dieser Welt nicht geben könne, so allumfassend war meine Traurigkeit. Eine Traurigkeit, die ich versuchte, für mich und in mir zu behalten, bis ich am Abend die Kinderzimmertür hinter mir zuzog. Erst dann konnte ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen.
Und jetzt – Blythe ist nicht aus meinen Gedanken verschwunden. Das wird sie nie. Aber sie ist so etwas wie eine wunderschöne Erinnerung. Ein Engel aus einer anderen Zeit. Manchmal, wenn ich Weston anblicke, sehe ich sie in ihm. Doch Dankbarkeit ist alles, was ich dabei in letzter Zeit empfinde. Tiefe Dankbarkeit statt Leere.
Mein Bett knarzt leise, als ich mich hineinfallen lasse. Die Matratze ist durchgelegen, und ich nehme mir vor, demnächst mal nach Angeboten zu sehen. Für einen Moment ertappe ich mich dabei, wie ich mich mitreißen lasse von einer Welle aus nostalgischer Sehnsucht. Auf dieser Matratze habe ich neben Blythe geschlafen. In unserer Hochzeitsnacht. Bei Mayas Zeugung. Aber schon damals war diese Matratze eine Zumutung. Da wir kein Geld hatten, haben wir auf eine eBay-Anzeige reagiert. Und weil wir jung waren, war uns egal, in welchem Zustand sie war. Jugend kennt keine Rückenschmerzen.
Ich ziehe die leichte Decke über mich, und auf einmal nehmen meine Gedanken eine andere Abzweigung. Sexuelle Frustration, schießt es mir durch den Kopf. Was für ein Blödsinn. Was für eine hirnrissige Wahrheit. Meine Hand findet wie automatisch den Weg zu meinen Boxershorts. Kurz halte ich inne. Sehr lange habe ich mich nicht getraut, mich selbst zu berühren. Seit einiger Zeit tue ich es wieder regelmäßig, doch so richtig entspannt bin ich dabei bislang immer noch nicht. Curtis, Phoenix und Link haben leicht reden.
Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition) Page 12