Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)

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Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition) Page 29

by Engel, Kathinka


  »Und Mommy?«, fragt Maya vorsichtig.

  »Mommy malen wir auch«, sage ich. Ich gehe um den Tisch herum, male eine Schokoladen-Wolke und setze einen Schokoladen-Engel darauf. Maya strahlt und nickt zufrieden.

  »Und jetzt, ihr Lieben«, beschließe ich mit einem Blick auf die Sauerei, die wir um unser Kunstwerk herum angerichtet haben, »geht’s in die Badewanne.« Maya klatscht in die Hände und will schon ins Haus gehen, doch ich halte sie zurück. »Stopp, Madame«, sage ich mit Blick auf ihre schokoladigen Füße. »Ihr beide wartet hier, ich lasse euch das Bad ein. Und dann trage ich euch nach drinnen.«

  Zehn Minuten später habe ich erst Weston, dann Maya in die Badewanne gesetzt, ohne dass sie drinnen noch etwas hätten mit Schokolade überziehen können. Sie sitzen vergnügt in der Wanne, haben beide eine neue Portion Eis – unter der Bedingung, dass sie sie nicht ins Badewasser kippen. Ich sitze auf einem Hocker daneben, lese aus dem Grüffelo vor und gönne mir ebenfalls ab und zu einen Löffel Eiscreme. Und auf einmal weiß ich, dass das die größte Hürde war. Ab jetzt ist alles, was noch kommt, ein Kinderspiel. Oder, besser gesagt: einfacher als ein Kinderspiel. Denn was, bitte sehr, ist ein Schokoladen-Gemälde, wenn nicht ein Kinderspiel?

  43 – Bonnie

  Heute

  Links Stimme schallt für die letzte Zugabe des Abends durch den Raum des Cat’s Cradle, Arme fliegen in die Luft, Körper wiegen sich im Takt. Curtis’ Rhythmus lullt mich auf diese definierte, scharfe, sanfte Weise ein, und ich lasse mich treiben. Mit der Musik, mit der Vibration meines Basses, die sich auf meinen gesamten Körper ausdehnt. Meine Finger klettern über das Griffbrett, kräftig und doch flink. Sie kennen jeden Millimeter der dicken Saiten, liegen niemals daneben.

  Sal setzt zu einem Trompetensolo an, und wir fahren die laute, leidenschaftliche Musik etwas runter, sind jetzt nur noch Hintergrund zu seiner Melodie, die langsam und ruhig anfängt, sich mit der Zeit aber zu etwas Mächtigem aufbaut. Ich lausche ihm, zupfe vereinzelte Töne dazu, konzentriere mich jedoch vor allem auf eines: den Anblick von Jaspers Hinterkopf.

  Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ihn anzustarren und sich dabei wohlzufühlen, nicht schuldig. Nicht, als könnte man jeden Moment bei etwas Verbotenem ertappt werden. Ich lasse meinen Blick über seinen schlanken, sehnigen Nacken wandern, hoch zu seinem Haaransatz. Ich weiß nun, wie sich die kurzen dunkelbraunen Haare unter meinen Fingern anfühlen, und kann es kaum erwarten, meine Hände wieder hindurchfahren zu lassen. Es ist schwer zu glauben, dass all das jetzt zu einer Möglichkeit geworden ist, die mehr ist als eine verschämte Sehnsucht. Eine Sehnsucht, die ich mir selbst kaum eingestehen konnte. Eine Sehnsucht, die Schwäche bedeutete. Eine Sehnsucht, die mein Kopf unterdrückte, während mein Herz sich verzehrte.

  Sal kommt zum Abschluss und übergibt an Jasper. Und nun betrachte ich ihn noch eingehender, sehe ihn an, versuche, in ihn hineinzusehen. In seinen wunderschönen Kopf, in sein Herz, von dem ich mir so sehr gewünscht habe, es möge auch ein klein wenig für mich schlagen. Und mich danach sofort für diesen Gedanken verflucht habe. Dass dieser Wunsch eines Tages Wirklichkeit werden könnte, lag jenseits meiner Vorstellungskraft.

  Jaspers lange, schlanke Finger tanzen über die Tasten, spielen eine neckische Melodie, erst leise, dann etwas lauter, dann um eine Terz, eine Quint versetzt. Für einen kurzen Moment wendet er den Kopf, und unsere Blicke treffen sich. Und jetzt weiß ich, er spielt in diesem Augenblick für mich. Für uns. Ohne dass es irgendjemand außer mir wahrnehmen könnte. Die Wärme, die durch meinen Körper wallt, macht, dass ich mich beinahe am Hals meines Basses festhalten muss, so bewegt bin ich von unserer Verbundenheit durch die Musik und durch – so erstaunlich es auch klingen mag – unsere Gefühle.

  Es ist keine Verliebtheit, die alles in Brand setzt. Über dieses Stadium bin ich längst hinaus. Es ist kein Kribbeln, das durch Mark und Bein geht. Es ist viel mehr als das. Reicht viel tiefer. Von hier bis zur Unendlichkeit. In beide Richtungen des Zeitstrahls. Unendliche Vergangenheit und unendliche Zukunft. Und dazwischen, in genau diesem Augenblick, wir beide. Ohne dass es mehr bräuchte. Wir beide, der Klang unserer Instrumente, der zu einem Ganzen wird, so, wie wir zu einem Ganzen werden.

  Links Gesang setzt mit dem Refrain erneut ein. Und nun finden wir alle zusammen, sind wieder eine vollständige Band. Fünf Musiker, fünf Freunde im absoluten Einklang.

  »Wir sind After Hours«, ruft Link, nachdem er die letzten Zeilen noch einmal leiser wiederholt hat. »Danke, dass ihr heute Abend da wart!«

  Die Menge klatscht und jubelt. Link lässt den letzten Akkord ausklingen und stellt dann seine Gitarre ab. Er springt von der Bühne, um mit dem Hut herumzugehen. Ich lege vorsichtig mein Instrument auf den Boden und wische mir mit dem Handrücken über die Stirn. Es ist warm unter den Scheinwerfern, obwohl die Bar klimatisiert ist.

  Nur für diesen einen Moment wende ich mich von Jasper ab. Doch sofort muss ich ihn wieder betrachten. In seiner ganzen Schönheit. Seiner Unwirklichkeit. Denn das ist er seit Neuestem für mich. Seit ich weiß, dass meine Gefühle okay sind. Und nicht nur das, sie sind sogar richtig.

  Er nimmt einen Schluck aus seiner Wasserflasche und blickt dann ebenfalls erneut zu mir. Auf seinen Lippen liegt ein sanftes, leichtes Lächeln, das mehr sagt als jegliche Worte dieser Welt. Es ist verheißungsvoller als alles, was ich mir in meinen kühnsten Träumen hätte ausmalen können. Und jagt einen Schauder über meinen Rücken. Die feinen Härchen auf meinen Armen richten sich auf, so aufgeregt macht mich seine Anwesenheit. Trotz der Hitze in mir und um mich herum.

  »Junge, Junge«, sagt auf einmal eine Stimme vor der Bühne. Ein alter Mann in einem etwas zerknitterten Hemd reckt seinen Daumen in die Höhe.

  Ich habe ihn zwar erst einmal vor ein paar Monaten gesehen, aber ich weiß, dass es sich um Hugo, Jaspers Großvater, handelt. Er strahlt, und ich freue mich für Jasper, dass jemand aus seiner Familie da ist. Auch wenn ich diesen Blick gerne noch einen Moment länger auf mir gewusst hätte.

  »Kaum zu glauben, aber ihr werdet immer noch besser. Jedes Mal, wenn ich euch zuhöre, habe ich das Gefühl, ihr findet noch mehr zu euch selbst. Das, was ihr da habt, ist wirklich was ganz Besonderes.«

  »Danke«, sagt Jasper. Er lässt sich von der Bühne gleiten und stellt sich neben seinen Großvater. »Freut mich, dass es dir gefallen hat.«

  Die Bar leert sich innerhalb der nächsten Minuten schnell. Die meisten der Gäste machen sich auf den Weg ins Bett, die übrigen suchen sich einen Club, in dem es noch Musik zu hören gibt.

  »Dein Solo am Ende? Potz Blitz! Das hat mich echt umgehauen«, sagt Hugo gerade.

  Ich lächle in mich hinein. Hugo hat es also auch gehört.

  An der Bar steht inzwischen nur noch eine Handvoll Leute. Einer von ihnen ist Link, der gerade von Mikey ein Bier bekommt.

  »Und weißt du, wen es noch umgehauen hat?«, fragt Hugo nun, während Link zurückkehrt und jedem von uns ein Bündel Scheine aushändigt. »Ah, Lincoln, gut, dass du da bist. Denn ich glaube, ihr kennt euch schon.« Hugo blickt sich kurz suchend um, und in diesem Moment sehe ich ihn. Al Avril, der Besitzer des Palace of Sound, lehnt ganz am Ende des Tresens. Als er Hugos hektisches Winken bemerkt, kommt er auf uns zu. Ich kann kaum glauben, dass er uns noch einmal zugehört hat, nachdem wir ihn vor über einem halben Jahr derart haben hängen lassen.

  »Avril ist wieder hier?«, raunt Sal neben mir. »Was hat das zu bedeuten?«

  Ich zucke mit den Schultern. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Gibt er uns noch eine Chance? Haben wir ihn noch mal überzeugt? Ich wage es kaum, diese Gedanken zuzulassen. Und doch – warum sollte er hier sein und sich eine Band anhören, an der er kein Interesse hat?

  »Lincoln, Jasper«, sagt er mit seiner heiseren Raucherstimme und streckt den beiden die Hand hin. Dann nickt er Curtis, Sal und mir zu. Wie automatisch bewegen wir uns an den Rand der Bühne, um auch ja mitzubekommen, was gesprochen wird. »Ihr seid so ungefähr die größten Pfeifen, die mir je untergekommen sind«, sagt er, und mein Herz sackt nach unten. »Wisst ihr, wer Al Avril das letzte Mal hat hängen lassen? Nein? Ich auch nicht, denn nieman
d kennt sie.« Er macht eine Pause, hustet leise, räuspert sich. Keiner von uns wagt es, auch nur laut zu atmen. »Hört zu, Kinder. Ich mache das nicht oft.« Er blickt von Link zu Jasper, dann hoch auf die Bühne zu Curtis, Sal und mir. »Und ich mache es nicht gerne.« Sein Gesichtsausdruck lässt keinen Zweifel an der Wahrheit seiner Worte zu. »Aber ihr seid gut genug, um eine Ausnahme zu verdienen.« Er hustet wieder. »Ich habe gerade nichts in Aussicht, aber sobald sich eine Möglichkeit auftut, würde ich euch gerne noch mal die Chance geben, im Palace of Sound zu spielen. Sofern« – er hebt den Zeigefinger – »ihr mir garantiert, dass ich mich auf euch verlassen kann.«

  »Sir«, sagt Link und klingt beinahe ungläubig, »Sie können sich zu hundert Prozent auf uns verlassen.«

  Al Avril schnaubt. »Sag nicht ›zu hundert Prozent‹, Junge, das ist unrealistisch und beleidigt meine Intelligenz.« Nun wendet er sich Jasper zu. »Und du bist der arme Tropf, der mit diesem Wahnsinnigen verwandt ist?« Er klopft ihm auf die Schulter. »Mein Beileid«, sagt er grinsend und präsentiert uns seine gelben Raucherzähne. »Pass gut auf ihn auf, das hat er nötig.«

  »Deine Mutter hat das nötig«, entgegnet Hugo und flüstert dann so laut, dass wir alle es hören können: »Sagt man das so?«

  Ich merke, wie sich ein beinahe hysterisches Lachen den Weg nach draußen bahnen will, halte mich allerdings gerade so im Zaum.

  Al Avril zieht eine Zigarillo-Packung aus seiner Hosentasche und steckt sich einen in den Mund. »Hugo, hat mich gefreut, altes Haus.« Dann blickt er uns einen nach dem anderen an. »Man sieht sich, Kinder. In nicht allzu ferner Zukunft«, schiebt er noch hinterher. Dann geht er nach draußen.

  Für einen Moment sagt keiner von uns ein Wort. Was ist hier gerade passiert? Curtis ist der Erste, der sich fängt. Er beginnt, laut zu lachen.

  »Was zur Hölle, Leute! Ist das zu fassen? Wer kriegt denn bitte zweimal im Leben so eine Chance!«

  Link hat sich die Hände in Ungläubigkeit vor den Mund geschlagen, und selbst Sal grinst breit übers ganze Gesicht.

  »Warst du das, Hugo?«, fragt Link, als er die Sprache wiedergefunden hat. »Haben wir dir das zu verdanken?«

  »Ich habe meinen Anteil daran, sicher«, sagt er, legt dann jedoch seine Hand auf Jaspers Rücken. »Aber, ehrlich gesagt, habt ihr es zu einem Großteil Jasper zu verdanken, ohne den ich Al vermutlich gar nicht angerufen hätte.« Er zuckt mit den Schultern. »Außerdem hätte ich ohne ihn nicht diese hervorragende Wette am Laufen.«

  »Wette?«, fragt Link. Jasper stöhnt.

  »Ich habe gewettet, dass Al es nicht bereuen wird. Und …«

  Aber der Rest seiner Ausführungen geht im allgemeinen Tumult unter. Wir lachen und jubeln, und auf einmal hält mich nichts mehr auf der Bühne. Mit einem Satz lande ich in Jaspers Armen. Ich schlinge meine Arme um ihn, und es ist mir vollkommen egal, ob es jemand sieht, ob wir bereit sind, mit anderen zu teilen, was sich zwischen uns entwickelt. Ich muss ihn spüren und gleichzeitig ihn spüren lassen, wie glücklich ich bin. Er hält mich ganz fest.

  »Danke«, flüstere ich in sein Ohr. Sein perfektes, wunderschönes Ohr. Ich fühle, wie sich seine Brust lachend hebt und senkt. Und dann sind es nicht mehr nur Jasper und ich, sondern wir alle in einer großen glücklichen Umarmung. Beinahe scheint es, als wäre dies zugleich die Zustimmung der anderen zu uns, obwohl sie davon natürlich nichts wissen. Und dann wissen sie es plötzlich doch, denn ehe ich michs versehe, liegt meine Stirn an Jaspers Stirn, meine Nase an seiner Wange, meine Lippen auf seinen Lippen. Sie sind heiß, schmecken leicht salzig. Sie sind alles, was ich immer wollte, und mehr. Sie sind Vollkommenheit, und genau das spüre ich in diesem Moment in jedem Herzschlag, jedem Atemzug, jeder Bewegung. Wir sind Vollkommenheit.

  44 – Jasper

  Vor acht Jahren

  Wir sind schon zu spät dran. Vor einer Viertelstunde hätten wir losgehen müssen, um pünktlich zu sein. Doch Weston hört nicht auf zu weinen. Er hat leicht erhöhte Temperatur. In diesem Zustand können wir ihn unmöglich mit zu Bonnie nehmen.

  »Es hat keinen Sinn«, sage ich. »Ich bleibe zu Hause, du gehst allein auf unser Doppeldate.« Ich streiche ihr einmal über den Rücken.

  »Das geht nicht«, erwidert Blythe und blickt mich etwas unglücklich an. »Ich kann ihn nicht allein lassen.« Sie wiegt ihn sanft in ihren Armen auf und ab, doch nichts beruhigt ihn.

  »Wir kriegen das schon hin«, versichere ich ihr. »Du hast dich so auf diesen Abend gefreut.«

  »Es kommt nicht infrage, dass ich mich den ganzen Abend lang amüsiere, während mein Sohn krank ist«, sagt sie mit Nachdruck in der Stimme.

  »Okay, dann sagen wir ab.« Ich greife nach meinem Handy, um Bonnie anzurufen.

  »Nein, das ist unhöflich. Das macht man nicht, so kurzfristig.«

  »Unser Kind ist krank, Blythe. Bonnie wird es uns nicht übel nehmen.«

  »Aber du kannst hier ohnehin nichts ausrichten. Geh, mach dir einen schönen Abend. Wir legen uns gleich ins Bett und kuscheln. Das geht wunderbar zu zweit.«

  »Ich weiß nicht …«

  »Ohne Witz, Jasper, es wäre mir lieber, du würdest einfach gehen. Dann kann ich mich ganz auf Weston konzentrieren, und Bonnie ist nicht enttäuscht.«

  »Aber …«, setze ich an.

  »Diese Diskussion gerade ist das Anstrengendste an der ganzen Sache, glaub mir.«

  Ich verstehe, dass Blythe einfach eine gute Mom sein will. Sie ist so jung, gerade achtzehn, und hat Sorge, Dinge falsch zu machen. Aber genau deswegen sind wir zu zweit. Weil zwei Menschen zusammen stärker sind als einer allein. Andererseits ist unser Apartment winzig. So winzig, dass ich ihren Wunsch nach Ruhe nachvollziehen kann.

  Ich sehe sie an, forsche, ob sie es ernst meint. Weston hat sich gerade etwas beruhigt. Eins muss ich ihr lassen, ihre Körperwärme ist tatsächlich das Einzige, was ihm in dieser Situation zu helfen scheint.

  Sie nickt in Richtung Tür, formt mit den Lippen ein lautloses »Geh schon!«, gefolgt von einem Lächeln.

  Ich drücke ihr einen Kuss auf den Scheitel. Dann streiche ich Weston über seinen weichen Kopf. »Okay«, sage ich leise, um ihn nicht wieder aufzuregen. »Aber sobald was ist, rufst du mich an. Ich kann in zwanzig Minuten zurück sein. Wenn ich renne.«

  Sie lacht leise. »Bitte renne nicht«, sagt sie. »Und wenn doch, dann dusch dich, bevor du nachher ins Bett kommst.«

  Ich weiß jetzt schon, dass ich mich nachher auf die Couch legen werde. Blythe und Weston kriegen heute Nacht das Bett. Aber ich sage nichts, denn das hätte mit Sicherheit eine neue Diskussion zur Folge.

  »Gute Nacht, ihr zwei«, sage ich leise. Dann mache ich mich auf den Weg zu unserem anderthalbfachen Date.

  »Der Arme, hoffentlich geht’s ihm morgen wieder gut«, sagt Bonnie, als ich ihr erzähle, warum ich Blythe nicht mitgebracht habe. »Ich schätze, dann sind es nur wir beide heute Abend.«

  »Was ist mit Joe?«, frage ich.

  »Ach«, sagt Bonnie und macht eine wegwerfende Handbewegung. »Möchtest du was trinken?« Sie ist bereits auf dem Weg in die Küche, und ich mache es mir auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem. Sie hat das ganze Wochenende sturmfrei, weswegen sie uns zu diesem Filmabend eingeladen hatte. »Soda?«, ruft sie aus der Küche.

  »Ja bitte.«

  Sie wirft mir eine kalte Dose zu. Perfekt synchron öffnen wir unsere Getränke mit diesem erfrischenden Zischen. Bonnie lässt sich neben mich fallen.

  »Wo sind eigentlich Annabella und Lula?«, frage ich.

  »Lula ist bei unserem Dad. So eine Art Experiment.« Bonnie rollt mit den Augen. »Und Mom ist übers Wochenende mit ihrer Kirchengruppe unterwegs. Irgendeine Gemeindefahrt. Also, was willst du nach Millionaire Matchmaker anschauen?« Sie zeigt auf eine DVD -Auswahl auf dem Couchtisch vor uns, während Patti im Hintergrund versucht, einen schmierigen Millionär an die Frau zu bringen. Doch ich ignoriere sie.

  »Und was genau ist mit Joe?«, frage ich stattdessen.

  Wieder verdreht sie die Augen. »Er ist ein Idiot.«

  Ich hebe fragend die Augenbrauen. »Ich fand ihn eigentlich immer ganz nett«, sage ich und lache leise.


  »Heute nicht.«

  »Und warum heute nicht?«

  Bonnie nimmt einen Schluck von ihrem Soda. Es ist offensichtlich, dass sie nicht darüber sprechen will. Aber es macht mir viel zu viel Spaß, sie zu ärgern. »Wir haben uns gestritten. Zufrieden?«

  Das macht mich ganz und gar nicht zufrieden. Ich will, dass es Bonnie gut geht. Dass sie glücklich ist. »Worüber?«, frage ich.

  »Über Dinge.« Sie beugt sich vor und greift nach einer DVD . »Requiem for a Dream?«

  »Viel zu deprimierend! Was für Dinge?«

  Sie stöhnt genervt auf. »Müssen wir darüber reden?«, fragt sie.

  »Mir wurde ein Doppeldate versprochen«, sage ich gespielt beleidigt.

  »Weil du deinen Teil des Doppels ja so bravourös eingehalten hast.« Bonnie lacht. »Der Pate?«

  »Zu lang. Wenigstens hast du einen Grund für Blythes Abwesenheit bekommen.«

  Bonnie setzt sich in den Schneidersitz, was dazu führt, dass sie noch kindlicher aussieht als ohnehin schon. Obwohl sie fast sechzehn ist und innerlich deutlich reifer wirkt. »Er hat mich unter Druck gesetzt«, sagt sie.

  »Wie bitte?« Das überrascht mich wirklich.

  »Ich bin noch nicht bereit, und er drängt mich.«

  Ich bin entsetzt. Ich hätte es Joe nie zugetraut, dass er … »Inwiefern? Ich meine, hat er körperlich …?«

  »Was? Nein, was redest du denn?«, fragt Bonnie und schüttelt beinahe amüsiert den Kopf. »Leon – der Profi?«

  »Können wir kurz mal beim Thema bleiben?«

  »Er hat mich nicht körperlich unter Druck gesetzt. Wie soll das denn aussehen?«, fragt sie und runzelt verwundert die Stirn.

  Jetzt bin ich vollends verwirrt. Bonnie ist nicht sonderlich groß. Joe ist ein Kerl. Er ist stark. »Na ja, wie das eben so aussieht, wenn ein Kerl versucht, sich das zu holen, was er will«, sage ich und werde ein bisschen rot.

  »Was?« Bonnie prustet. »Du dachtest, es geht um Sex?« Sie fängt an zu lachen.

  »Ich weiß zwar nicht, was daran so komisch ist, aber okay, lach ruhig«, sage ich, bin aber sehr erleichtert, dass es scheinbar um etwas anderes geht.

 

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