Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)

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Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition) Page 30

by Engel, Kathinka


  »Keine Sorge, das haben wir schon längst durch.«

  »Schon längst durch? Das klingt ja überaus romantisch«, necke ich sie.

  »Fang du nicht auch noch damit an.« Sie stöhnt.

  Und langsam dämmert mir, was das Problem sein könnte. »Bist du Joe nicht romantisch genug?«, frage ich grinsend. »Ist es das? Setzt er dich ›romantisch‹ unter Druck?«

  »Mach dich nicht lustig«, erwidert Bonnie. »Es ist eben nicht so leicht. Nur, weil du und Blythe …«

  »Was ist mit mir und Blythe?«, frage ich.

  »Bei euch ist alles immer perfekt. Ihr seid viel zu süß. Das vermittelt einem ein unrealistisches Bild von Liebe.«

  »Perfekt?« Ich bin völlig perplex. »Du glaubst, bei uns ist alles perfekt? Ist es perfekt, wenn man seine siebzehnjährige Freundin schwängert? Von zu Hause rausfliegt? In einem winzigen Loch lebt, weil man sich nichts anderes leisten kann?« Beinahe muss ich laut lachen, so absurd finde ich Bonnies Aussage.

  »Ja, okay, das alles vielleicht nicht. Aber ihr zusammen. Ihr seid perfekt miteinander. Eure Liebe ist perfekt.«

  Einen Moment lang fällt mir nichts Schlagfertiges ein, was ich darauf erwidern könnte. Dann sage ich leise: »Und Joes und deine nicht?«

  »Das ist es ja gerade.« Sie senkt den Blick. »Leon – der Profi?«

  Ich schüttle den Kopf, da das Gespräch noch längst nicht vorbei ist. »Was ist es ja gerade?«

  »Joe hat … er hat gesagt, dass er mich liebt.«

  »Und du hast es nicht zurückgesagt?«

  »Du hast es erfasst.«

  »Weil du es nicht sagen kannst?«

  Sie zuckt mit den Schultern. »Vielleicht …«

  Ich nicke verständnisvoll, und weil ich sehe, dass es Bonnie wirklich nicht gut geht, lege ich beruhigend meine Hand auf ihr Knie. »Weißt du, es ist auch nicht leicht, es zu sagen. Man macht sich sehr verletzlich.«

  »Ja …«

  »Aber man kann es üben. Es gibt schließlich verschiedene Ausprägungen von Liebe«, sage ich, da ich unbedingt will, dass sie aufhört, sich schlecht zu fühlen.

  Wieder zuckt sie mit den Schultern.

  »Schau, ich liebe Blythe auf die eine Weise. Weston auf eine andere. Aber die ist nicht weniger bedeutsam. Ich liebe Link. Ich liebe Curtis – wenn auch ein bisschen weniger.« Sie lacht. »Ich liebe dich …«

  Als sich unsere Blicke treffen, sehe ich in ihren dunklen Augen einen Schmerz, der noch viel tiefer ist als bisher. Diese Sache setzt ihr mehr zu, als sie zugeben möchte.

  »Du liebst Blythe und Link und Curtis. Und deine Mom und Lula.«

  »Lula etwas weniger«, sagt sie mit einem bedrückten Kichern.

  »Ich wette, du könntest allen sagen, dass du sie liebst. Vermutlich könntest du mir sagen, dass du mich liebst. Hier und jetzt.«

  Sie starrt mich entsetzt an.

  »Probier’s mal. Es ist ganz leicht, schau. Du bist eine großartige Freundin. Für Blythe und mich. Du bist eine tolle Bassistin. Du bist für die Band so verflucht wertvoll. Und dafür liebe ich dich, Bonnie.«

  45 – Bonnie

  Vor acht Jahren

  Er zuckt mit den Schultern, als wäre es das Einfachste auf der Welt. Als hätte er nicht gerade meine ganze Welt zum Einstürzen gebracht. Als könne er hier hereinspazieren und mir sagen, dass er mich liebt, ohne dass mein Herz entzweibricht. Was für ein Desaster.

  »Na komm, versuch’s mal«, sagt er, blickt mich mit seinen verflucht schönen Augen an. Zwischen seinen Brauen hat sich diese Falte gebildet, die immer dann auftaucht, wenn er sich Sorgen macht oder nachdenkt. Manchmal wäre ich gern diese Falte.

  »Ich …«, stammle ich, denn mir fällt nicht ein, wie ich mich aus dieser Sache wieder hinauslavieren könnte. »Leon – der Profi?«, schlage ich zum gefühlt hundertsten Mal vor.

  Warum konnten wir nicht einfach einen Film schauen? Warum musste Joe das dämliche Liebes-Thema ausgerechnet heute wieder aufwärmen? Warum kann er es nicht gut sein lassen? Warum war ich nicht in der Lage, vor Jasper eine Lüge zu erfinden? Warum ist Weston ausgerechnet heute krank?

  »Dir fällt das ja wirklich schwer«, sagt Jasper und klingt beinahe verwundert.

  Nein, es ist ganz leicht. Ich liebe dich, könnte ich natürlich sagen. Dann wäre das Thema schnell vorbei, wir würden endlich Leon – der Profi schauen, er würde seine Klappe halten und ich neben ihm vor Sehnsucht vergehen. Stattdessen druckse ich herum, winde mich, gebe ihm jeden Grund, weiterzubohren.

  »Okay, sprich mir nach. Ganz ohne Bedeutung. Einfach nur, damit wir wissen, dass du physisch dazu in der Lage bist.« Ich höre ein leicht amüsiertes Glucksen aus seiner Stimme heraus. »Auf drei. Eins, zwei, drei, ich liebe dich.«

  Jasper ist der Einzige, der spricht. Jetzt hat er es zum zweiten Mal gesagt. Zum zweiten Mal zu mir. Ohne dass es etwas bedeutet. Für ihn.

  »Weißt du, was das Problem ist?«, fragt er jetzt. »Hat es was mit deinen Eltern zu tun? Weil sie nicht mehr zusammen sind?«

  Fast will ich laut auflachen. Nein, du Esel, würde ich gern sagen. Ich will nicht, dass unser erstes »Ich liebe dich« eine Lüge ist. Obwohl kein Laut über meine Lippen kam, schlage ich mir die Hände vor den Mund. Unser erstes »Ich liebe dich«. So etwas darf ich nicht einmal denken.

  »Hey«, sagt er sanft und zieht meine Hände von meinem Gesicht. Meine Wangen glühen. »Kein Grund, sich schlecht zu fühlen.«

  Er legt seine Hand auf meine Schulter und drückt sanft zu. Ich muss mich zwingen, das Gefühl seiner Berührung nicht zu sehr zu genießen. Nicht der Wärme nachzuspüren, die sich von meiner Schulter in den Rest meines Körpers ausdehnt. Nicht seufzend einzuatmen, weil das Gefühl der Schmetterlinge in meinem Bauch langsam, aber sicher überhandnimmt. Es fühlt sich ekelhaft gut an. Ekelhaft richtig. Und gleichzeitig ekelhaft falsch.

  Mein Blick fällt erneut sehnsüchtig auf die DVD von Leon – der Profi. Es hätte ein lustiger Abend werden sollen. Mit meiner besten Freundin und ihrem Freund, meiner großen Liebe. Und mit Joe. Der nicht meine große Liebe ist. Ich weiß, dass es unfair ist. Dass ich nicht ehrlich zu Joe bin. Und ich mag ihn. Mag ihn echt. Er hat das nicht verdient. Ich habe ihn nicht verdient. Aber manchmal denke ich, hoffe ich, dass es vielleicht einfach nur Zeit braucht. Dass ich ihn lieben könnte. Ich muss es nur lernen. Und ich bin wirklich, wirklich bereit, es zu lernen. Doch wenn dann Jasper neben mir auf diesem blöden Sofa sitzt, so wunderbar aussieht, wie er nun mal aussieht, so gut duftet, wie er nun mal duftet, und mich dazu bringen will, ihm zu sagen, dass ich ihn liebe, dann erscheint es mir ziemlich unmöglich, jemals jemand anderen lieben zu können.

  »Glaubst du«, frage ich ein bisschen unsicher, weil die Situation wirklich extrem unangenehm ist, »dass es okay ist, jemandem zu sagen, dass man ihn liebt, auch wenn man es nicht so meint?«

  »Okay, das ist eine andere Frage«, sagt Jasper. »Aber du dürfest es heute Abend zu mir sagen, auch ohne es zu meinen.« Er lacht.

  Natürlich bezieht er es auf sich und denkt, ich würde einen Witz machen. Das ist alles dermaßen verkehrt! Ich soll bei Jasper üben, »Ich liebe dich« zu sagen, obwohl ich es doch absolut so meinen würde, während ich Joe anlügen müsste. Aber genau das will Jasper von mir. Dass ich ihm ein »Ich liebe dich« vorlüge, damit ich es dann bei Joe ernst meinen kann. Verquere Welt.

  »Ich mache dir einen Vorschlag«, sagt er. »Du sagst es einmal laut, und dann schauen wir Leon – der Profi und sprechen nie wieder darüber. Wenn es beim nächsten Mal mit Joe klappt, kannst du kurz an mich denken und dich daran erinnern, dass ich dein Held bin.« Er grinst, weil er natürlich nicht ahnt, dass ich bei jedem »Ich liebe dich« an ihn denken muss.

  Ich seufze. Er wird nicht lockerlassen. Es ist absolut pervers. »Okay«, sage ich leise. Meine Stimme zittert nervigerweise auch noch. »Jasper …« Ich schlucke. Einmal. Zweimal. Mein Atem geht viel zu schnell, und ich muss mich darauf konzentrieren, leise Luft zu holen, damit Jasper nichts merkt. Ich sehe ihn nicht an. Zwinge mich, auf das Cover der DVD zu schauen. »… Jasper …«

  Ich räuspere mich. Warum ist es so schwer? Warum kann ich nicht ei
nfach so tun, als wäre es eine Lüge? Eine Lüge als Fassade, mit der ich die Wahrheit verschleiere. So muss ich es machen.

  »… Jasper …« Ich hebe den Blick, um zu zeigen, dass es mir nichts ausmacht. Dass es ganz einfach ist. Dass es eine Lüge ist. Ich … liebe … dich, würde ich sagen, wenn ich ehrlich wäre. Doch weil ein Schweigen verräterischer ist als die Wahrheit, die er für eine Lüge hält, sage ich: »Jasper, ich liebe dich«, die Augen fest auf seine gerichtet. Mein Gesicht regungslos, mein Atem so flach wie möglich. Mein Herz rast, und mir ist ein bisschen schlecht. Ich habe gerade dem Mann, den ich liebe, gesagt, dass ich ihn liebe.

  »Na, siehst du«, sagt er. »So schwer ist es gar nicht, wenn man sich mal überwunden hat.« Er lächelt, und die Übelkeit wird stärker. Verdammt.

  »Ich muss mal kurz auf die Toilette. Hände waschen«, sage ich und zwinge mich zu einem sorglosen Tonfall. »Legst du die DVD schon mal ein?«

  Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er nickt, aber da bin ich bereits auf dem Weg nach oben. Unten haben wir zwar auch eine Toilette, aber Jasper stellt glücklicherweise nicht infrage, wo ich meine Hände waschen will. Doch statt ins Bad abzubiegen, gehe ich in mein Zimmer. Auf meinem Schreibtisch finde ich einen abgerissenen Zettel, auf dem, abgesehen von ein paar hingekritzelten Blumen, nichts geschrieben steht.

  Ich nehme mir einen Stift aus meinem Mäppchen und schreibe »Jasper, ich liebe dich« darauf. Dann falte ich den Zettel ganz klein und stecke ihn in ein Einweckglas. Ich versuche, alles, was gerade unten vorgefallen ist, angefangen bei unserer Umarmung zur Begrüßung bis hin zu meinem etwas hektischen Abgang, noch mal vor meinem inneren Auge in Zeitraffer abzuspielen. Danach stelle ich mir vor, wie all das aus meinem Kopf hinaus- und in das Glas hineinwandert. Als der Gedankenstrom schließlich vorbei ist, schraube ich das Glas fest zu. So fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervortreten. Ich stehe auf und stelle es zu den anderen in mein Regal. Zwischen Lulas und meinen zehnten Geburtstag und den Besuch im Zoo mit unserem Dad.

  Als ich wieder nach unten gehen will, sehe ich, dass der Computer in Lulas Zimmer an ist. Sie hat mal wieder vergessen, ihn herunterzufahren. Also kümmere ich mich darum. Doch bevor ich ihn ausschalte, gebe ich einen Begriff in die Suchmaschine ein. Verliebtheit. Chemisches Feuerwerk, lese ich. Der Botenstoff Dopamin überschwemmt das Gehirn. Das Kuschelhormon Oxytocin wurde bei Verliebten erhöht nachgewiesen. Adrenalin lässt das Herz schneller schlagen.

  Ich atme einmal tief ein. Dopamin, Oxytocin, Adrenalin. Mehr ist es nicht. Es ist ein chemisches Ungleichgewicht. Und als solches werde ich es ab jetzt behandeln. Ich straffe meine Schultern, fahre den Computer herunter und gehe zurück nach unten.

  Jasper wendet sich um, sobald er meine Schritte auf der Treppe vernimmt.

  »Der Film ist bereit«, sagt er und wedelt mit der Fernbedienung.

  »Perfekt«, sage ich mit neu gewonnener Souveränität. Ich lasse mich wieder neben ihn auf dem Sofa nieder, ziehe meine Knie an die Brust und kralle mir eine Handvoll Popcorn. Alles ist normal. Nichts ist passiert. Hier bin ich mit Jasper. Dem Freund meiner besten Freundin. Dem Pianisten aus meiner Band. Einem guten Freund. Der dummerweise meine Hormone durcheinanderbringt.

  46 – Jasper

  Heute

  Am Freitag habe ich das Gefühl, als wäre jeder meiner Schüler über Nacht zu einem Konzertpianisten geworden. Auf einmal scheinen selbst die komplexesten Fingersätze machbar, ist der Klang der Tasten voller, die Kinder begeisterungsfähiger. Oder – und das ist wahrscheinlicher – ich bin es, der sich verändert hat und nun die Welt in einem anderen Licht sieht. Heller, strahlender, bunter, satter.

  Die letzte Klavierstunde kann gar nicht schnell genug vorübergehen. Sie zieht sich einerseits wie der Kaugummi, den Lexie mit offenem Mund kaut, sodass der ganze Raum erfüllt ist von dem nervtötenden Juicy-Fruit-Geruch, andererseits ist sie im Nullkommanichts um.

  »Tschüss, Jasper!«, sagt sie und schultert ihren Rucksack.

  Ich winke ihr und räume dann meinen Kram zusammen. Die Noten, mein Notizbuch, das Metronom, das ich vor allem für Lexie von zu Hause mitbringe. Denn sie versucht regelmäßig, ihre Stücke so schnell zu Ende zu spielen, dass mir ihre Fehler nicht auffallen. Natürlich höre ich trotzdem jeden einzelnen. Vor allem diejenigen, die ihr unterlaufen, weil sie schon im Laufe des Vorspiels ihr Tempo verdoppelt.

  Ich nehme mein leeres Wasserglas, schalte das Licht aus und schließe die Tür.

  »Jasper!«, sagt eine Stimme hinter mir, als ich gerade in die Küche abbiege.

  Ich drehe mich um und sehe Aurora, die in einem weiten, wallenden Batikkleid auf mich zukommt.

  »Schön, dass wir uns mal wiedersehen. Alles klar bei dir?«

  Alles klar ist die Untertreibung des Jahrhunderts, aber ich nicke. »Alles gut. Und bei dir?«

  »Ja. Du, ich wollte dich etwas fragen. Ähm …«

  Ich hebe die Augenbrauen und lächle ihr ermutigend zu. Wobei das Lächeln ohnehin der einzige Gesichtsausdruck ist, zu dem ich heute fähig bin. Als wären meine Mundwinkel schwerelos.

  »Hättest du … hättest du mal Lust, mit mir etwas trinken zu gehen?« Sie sieht mich mit ihren freundlichen Augen an. »Also nach der Arbeit oder so? Nichts Großes?«

  Ich fahre mir mit der Hand über den Nacken. Ist das nun eine Einladung zu einem Date? Ich bin schlecht darin, zwischen den Zeilen zu lesen. »Ähm«, mache jetzt auch ich. »Ich würde sehr gern mit dir etwas trinken gehen. Allerdings …« Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Es ist noch zu neu. Und bislang ist es ja auch noch gar nichts Offizielles. Oder? Ich setze es auf meine imaginäre Liste. »Also ich weiß nicht, ob du mich gerade zu einem Date einlädst. Für den Fall, dass dies so ist, muss ich leider ablehnen, denn ich … habe seit Kurzem eine Freundin.« Es fühlt sich komisch an, das laut auszusprechen. Gleichzeitig ist nichts dabei. Es ist absolut natürlich. »Wenn wir aber als Freunde ein Feierabendbier trinken wollen, dann liebend gern!«

  Sie lächelt. Ein bisschen enttäuscht zunächst, doch dann hellen sich auch ihre Augen wieder auf. »Alles klar, Jasper. Dann sehr gerne als Freunde.«

  Auf dem Weg zu Phoenix, wo wir Maya abholen, bin ich selbst neben meinem achtjährigen Sohn erstaunlich hibbelig. Ich gehe zu schnell, muss stehen bleiben, auf ihn warten. Er sieht mich erst fragend an. Beim nächsten Mal wissend. Beim dritten Mal beginnt er zu lachen.

  »Du hast noch ein paar Stunden«, sagt er mit einem Blick auf seine Uhr. »Außerdem ist es nur Bonnie.«

  Nur Bonnie. Ich weiß nicht, ob ich ihm da zustimmen kann. Für ihn ist es leicht. Er kann mit ihr über die Runaways reden. Ich kann an nichts anderes denken, als sie zu berühren. Und sobald das passiert, wandert all das Blut, das normalerweise meinen Kopf mit Sauerstoff versorgt, in meine Hose. Das macht die Unterhaltung schwieriger. Außerdem habe ich keine Ahnung, was ich anziehen soll. Ob ich Parfüm auftragen soll. Vielleicht das von Emmy, denn das hat beim letzten Mal hervorragend funktioniert.

  »Da sind ja meine beiden Lieblingsmänner«, sagt Phoenix zehn Minuten später.

  »Das habe ich gehört!«, ruft Jacob, Phoenix’ Lebenspartner, von drinnen.

  »Kommt rein, kommt rein. Trinkt noch einen Tee mit uns.«

  Weston sieht mich grinsend an und blickt erneut auf seine Armbanduhr. »Du hast noch vier Stunden, Dad. Was meinst du?«

  »Erinnere mich dran, dass ich dir keine Uhren mehr schenke«, sage ich und streiche ihm durch die kurzen Haare.

  Drinnen begrüße ich meine Tochter, die mit einem Mädchen, das etwas jünger ist als sie, mit Lego spielt. Dann setze ich mich zu Jacob an den Tisch. Er legt das Psychologie-Magazin, in dem er eben noch gelesen hat, vor sich, setzt seine Lesebrille ab und massiert sich den Nasenrücken.

  »Maya war heute richtig redselig«, sagt er.

  Jacob ist Psychotherapeut und der unaufgeregteste Mensch, den ich kenne. Er war derjenige, der empfohlen hat, mit Mayas Sprachverweigerung locker umzugehen, ihr und uns keinen Druck zu machen. In Familien, die mit Traumabewältigung zu kämpfen haben, sagte er, sei so etwas nicht ungewöhnlich, nichts, was wir aufbauschen müssten. Die Leerstelle einer
fehlenden Mutter könne sie nur dann füllen, wenn wir ihr mit doppelt so viel Geduld und Liebe begegnen würden. Von mir bekommt sie die hundertfache Menge an Liebe und Geduld, solange sie glücklich ist. Und wie es aussieht, funktioniert es. Denn in letzter Zeit hat sie echt deutlich mehr gesprochen. Freiwillig, ohne dass man sie dazu gedrängt hätte.

  »Sie hat von ihrer Freundin Bonnie erzählt«, spricht Jacob weiter. »Und dass Bonnie heute Abend vorbeikommt.«

  »Ja …«, sage ich, weil ich in diesem Moment etwas überwältigt bin.

  »Das ist großartig, Jasper. Freundschaften zu schließen ist für sie ein großer Schritt.«

  »Darling«, mischt sich nun Phoenix ein, die auf ihrer Hand ein Tablett mit drei Tassen balanciert, »Bonnie ist kein Kind in Mayas Alter.«

  »Nicht?«, fragt Jacob. »Wer ist Bonnie?«

  »Sie ist die Bassistin in meiner Band«, sage ich und grinse in mich hinein. Der Gedanke an Bonnie verursacht so etwas wie einen automatischen Zuckerschock in meinem Körper.

  »Bonnie Bailey?«, fragt Jacob. »Das ist ja interessant.« Er fährt sich mit der Hand über seinen grau melierten rötlichen Bart.

  »Dad und Bonnie gehen aus«, sagt Weston und blickt kurz von seinem Comic auf, mit dem er es sich auf dem Sofa bequem gemacht hat.

  »Na, das sind mal Neuigkeiten!« Phoenix strahlt mich an. »Und das erklärt auch deine vollkommen veränderte Ausstrahlung.«

  Ich sehe sie fragend an.

  »Viel positiver, wärmer.« Sie streicht mir mit den Fingerknöcheln über die Wange. »Vielleicht solltest du dich noch rasieren«, schlägt sie vor.

  Jacob räuspert sich und lehnt sich näher zu mir. Mit gesenkter Stimme sagt er: »Sieht Maya in Bonnie einen Mutterersatz?«

  Darüber habe ich mir, ehrlich gesagt, noch keine Gedanken gemacht. Ihre Faszination für Bonnie fing schon an, bevor ich mich mit ihr verabredet habe. Ich habe nichts hineininterpretiert. Aber jetzt, da Jacob es sagt, frage ich mich, ob etwas dran sein könnte. Das verkompliziert die Sache etwas, und ich setze auch diesen Punkt auf die imaginäre Liste in meinem Kopf.

 

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