Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)
Page 32
»Jasper«, sage ich kopfschüttelnd und auf die Gefahr hin, dass er danach wieder der Souveräne wird, »ich bin seit dreizehn Jahren in dich verliebt. Ich glaube nicht, dass das weggeht.«
Er lächelt mich dankbar an. Dann schluckt er. »Punkt eins auf der Liste: Ich bin hoch verschuldet.« Er sieht mich an, aber mein Gesicht regt sich nicht. »Sehr hoch. Das solltest du wissen. Eine gute Partie bin ich nicht.« Die Freude ist aus seinem Lächeln gewichen.
»Ich doch auch nicht«, sage ich.
»Ja, aber ich bin eine schlechte Partie, wenn man es so nennen will. Das Haus ist mit Hypotheken belastet, jeder Cent, den wir nicht zum Überleben brauchen, wandert an die Bank. Und damit zahle ich nicht einmal den Schuldenberg ab, sondern einfach nur Zinsen.« Seine Stimme wird ganz leise.
»Aber das weiß ich doch«, sage ich ruhig, obwohl ich mir auch schon Gedanken über das tatsächliche Ausmaß seiner Schulden gemacht habe. Doch es spielt keine Rolle. »Ich weiß das alles, Jasper.«
»Kann schon sein.« Jetzt hat er sich wieder im Griff. »Aber mit mir gibt es keine Urlaube, keinen Luxus, kein nichts. Mit mir gibt es hundertfünfunddreißigtausend Dollar Schulden und das hier.« Er zeigt auf den Garten, auf das Haus.
»Und das«, sage ich und zeige auf ihn. Denn er ist alles, was ich je wollte. Alles. »Ich habe noch nie Urlaub gemacht. Ich bin wirklich nicht sehr anspruchsvoll.«
»Ich wünschte, du wärst es«, sagt er. »Du hast es verdient.«
»Lass den Quatsch«, erwidere ich. »Deine Schulden schrecken mich nicht ab.« Unsere Schulden, denke ich im Stillen. Aber dafür ist es noch zu früh.
Wir nehmen beide einen Schluck von unserem Bier. Dann blickt Jasper wieder auf seine Liste.
»Punkt zwei: Ich bin Witwer«, sagt er.
»Ach?«, frage ich im Scherz, doch als ich sehe, dass sich zwischen seinen dunklen Augenbrauen die kleine Falte gebildet hat, werde ich wieder ernst.
»Blythe war meine erste große Liebe«, fährt er fort. »Sie wird immer Teil von mir und meinem Leben sein. Das heißt nicht, dass du nicht hundert Prozent von mir bekommst … als Partner. Als …« Er schluckt. »… Liebhaber?« Er formuliert es als Frage, und wir müssen beide leise lachen. »Klingt komisch, aber so ist es doch, oder?«
Ich nicke und beiße mir grinsend auf die Unterlippe.
»Also was ich damit sagen will: Die erste große Liebe hatte ich schon. Und sie hat mich ein bisschen zerstört. Ich bin bereit für einen Neuanfang. Bereit zu lieben. Bereit für dich …«
Mein ganzer Körper vibriert. Ich kann kaum atmen, weil der Glücksballon in mir meine Lunge quetscht.
»Aber Blythe …«
»Ich weiß«, unterbreche ich ihn. »Sie ist auch für immer Teil meines Lebens. Sie bleibt für immer. Ich würde es nicht anders wollen.«
»O Gott, Bonnie«, sagt Jasper, und das Geräusch, das darauf folgt, ist eine Mischung aus erleichtertem Lachen und Schluchzen. Es geht mir durch Mark und Bein, so erschüttert bin ich über seinen plötzlichen Gefühlsausbruch.
»Hey, hey, ist doch alles gut.« Ich bin unschlüssig, ob ich aufstehen, ihn in den Arm nehmen soll. Ob ihm wegen Blythe oder meinetwegen eine Träne über die Wange kullert. Das ist vermutlich genau das, was er meint. Aber wir werden uns schon eingrooven. Ich habe keinen Zweifel. »Blythe ist Teil von uns beiden. Next!« Ich lache aufmunternd, obwohl seine Liste mich ein bisschen nervös macht, und er fährt sich mit der Hand über die Wange und schluckt.
»Okay. Sorry. Das ist alles so … neu. Dass ich mich fühle, als wäre ich am Leben. Es ist etwas überwältigend.«
Also war es meinetwegen. Ich jauchze innerlich.
»Punkt drei.« Er setzt sich wieder aufrecht hin. »Ich habe zwei kleine Kinder.«
»Ist jetzt auch keine richtige Überraschung«, sage ich.
»Nein, das nicht. Aber du musst wissen, was auf dich zukommt. Ich verlange nichts von dir, außer Ehrlichkeit, wenn es um die beiden geht. Sie kommen an erster Stelle. Immer.«
»Ich weiß«, sage ich. »Das ist doch selbstverständlich.«
»Für mich, ja. Für dich …«
»… ist es auch selbstverständlich. Ich will dich, ich kriege deine Familie. Du machst mir keine Angst.« Und ich meine es genau so. Nichts von alledem macht mir Angst.
»Vielleicht macht dir Punkt vier Angst«, entgegnet er. »Ich habe heute mit Jacob geredet. Phoenix’ Lebenspartner.«
»Ich kenne Jacob.«
»Er hat die Vermutung geäußert, dass Maya in letzter Zeit mehr spricht, weil sie … in dir eine Art Mutterersatz sieht.«
»Wow«, sage ich, denn das trifft mich tatsächlich unvorbereitet. Bin ich bereit, ein Mutterersatz zu sein? Sollte ich ein Mutterersatz sein? Hätte ich mir früher Gedanken machen sollen?
»Ich will, dass du weißt, ich erwarte nichts von dir. Du musst ihnen keine Mutter sein, aber …«
»… eine Freundin«, beende ich seinen Satz voller Selbstvertrauen. »Ich will ihre beste Freundin sein.« Genau, wie Blythe es geschrieben hat.
»Was?« Ich habe den Eindruck, als würde er gleich richtig in Tränen ausbrechen, aber dann hat er sich wieder unter Kontrolle.
»Sie haben eine Mutter. Hatten eine Mutter. Niemand kommt da jemals ran. Aber für sie da sein, das kann ich.«
»Bist du dir sicher? Sie sind nicht immer süß …«
»Ich bin mir sicher.« War mir selten sicherer.
Jasper sieht mich einen Moment lang an. Sieht mich einfach an, und was ich in seinem Blick lese, berührt mich so tief, dass ich meinen nächsten Atemzug langsam durch meine Lippen entweichen lasse. Der sehnsuchtsvolle Druck, der sich in mir aufbaut, findet kein anderes Ventil. Er ist so voller Liebe, voller Dankbarkeit, dass ich meine, nun selbst in Tränen ausbrechen zu müssen.
»Ich habe noch einen letzten Punkt«, sagt er leise. »Wenn du bereit bist.«
»Ich bin bereit.« Bin es seit dreizehn Jahren.
»Ich habe keine Ahnung mehr von irgendwas, das mit … Zwischenmenschlichem … zu tun hat. Und wenn ich ›Zwischenmenschliches‹ sage, meine ich … eine Beziehung zu einer Frau.« Er räuspert sich. »Ich weiß nicht, was dir gefällt. Weiß nicht mal, warum ich dir gefalle. Ich habe keine Ahnung, ob meine Unterwäsche sexy genug ist. Ob ich mir meine Brust rasieren sollte. Das ist alles völlig neu, und ich bin, ehrlich gesagt, ziemlich überfordert damit.« Er lacht leise, fast verschämt.
»Also«, beginne ich, »das weiß man vor einer neuen Beziehung ja nie. Also, was der andere mag. Ich habe auch keine Ahnung, was du gut findest.«
»Dich!«, sagt er wie aus der Pistole geschossen. »Ich finde dich gut. Ich mag alles an dir. Alles. Du bist perfekt.«
»In meinen Augen bist du perfekt«, sage ich. »Mir ist es vollkommen egal, was du für Unterwäsche trägst. Ob du deine Brust rasierst.« Ich lächle ihn an. »Halt, nein. Bitte rasier sie nicht.«
»Ist notiert«, erwidert er.
»Auf einer Liste?«, frage ich, und wir müssen beide laut lachen. Dann sage ich leise: »Und bei allem anderen müssen wir einfach mal sehen, oder? Ich glaube, das ist vielleicht kein Tischgespräch.«
Er schmunzelt. Dann blickt er auf seine Armbanduhr. »Bevor es gleich was zu essen gibt, muss ich kurz den Kindern Gute Nacht sagen. Hab’s ihnen versprochen.«
»Kann ich mitkommen?«, frage ich, denn ich möchte keine Zeit verlieren. Ich will sofort Teil des Ganzen sein.
»Das wäre …« Wieder bricht Jaspers Stimme. »Verdammt noch mal!«, sagt er dann. »Das ist echt heftig. Du mit meinen Kindern. Ich weiß nicht, ob es was gibt, das mich blöder aussehen lässt.«
Diesmal bin ich diejenige, die seine Hand nimmt. Ich führe sie an meine Wange und lasse für einen Moment zu, dass ich vollkommen im Gefühl seiner Haut auf meiner Haut aufgehe. Ich spüre, dass ich nirgendwo anders sein will als hier mit ihm. Als in seiner Hand.
»Kurze Vorwarnung«, sagt Jasper, als wir uns erheben und gemeinsam nach drinnen gehen, »Hugo liest ihnen was vor.«
Aber Hugo weiß Bescheid. Alle wissen Bescheid. Nach meinem spontanen Gefühlsausbruch im Cat’s Cradle hatte es keinen Sinn mehr, es weiter geheim h
alten zu wollen. Uns weiter geheim halten zu wollen.
Jasper klopft leise an die Tür und schiebt sie auf.
»Na, ihr Mäuse?«, fragt er mit einem Lächeln in der Stimme, und mein Herz springt völlig unkontrolliert in meiner Brust herum.
»Dad!« Weston stöhnt. »Du kannst Maya so nennen. Aber nicht mich.« Er liegt im oberen Bett. Auf den ersten Blick sehe ich, dass er in Volume 1 der Runaways liest. »Hi, Bonnie«, fügt er hinzu. »Ich bin schon fast bei der Hälfte.« Wie zum Beweis hebt er den Band hoch und zeigt mir, wie weit er bereits ist.
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass du Pride & Joy noch nicht kanntest«, sage ich grinsend. Kurz erwarte ich, ich sollte mich ein wenig unwohl fühlen. Wie ein Fremdkörper in dieser intimen Szene. Doch nichts dergleichen geschieht. Es passt.
Im unteren Bett erblicke ich Maya und Hugo. Sie hat ihren Kopf in seinen Arm gekuschelt, und er liest ihr aus dem Grüffelo vor, so, wie ich es vor ein paar Wochen getan habe. Es fühlt sich an wie ein anderes Leben. Ein Leben, in dem so vieles noch nicht möglich war. Ein Leben aus Fassade und Filtern, ein Leben aus Verstecken und Scham.
»Gute Nacht, Großer«, sagt Jasper jetzt, tritt auf die unterste Sprosse der Leiter und beugt sich zu seinem Sohn. Er küsst ihn auf den Scheitel. Dann beugt er sich zu Maya. »Gute Nacht, Maus.«
»Gute Nacht«, sagt sie leise, und ich sehe, wie das Lächeln auf Jaspers Gesicht noch tiefer, noch breiter wird. Und dann geschieht etwas, das bewirkt, dass ich meine, vor Glück zu platzen. Maya richtet sich auf, streckt ihre Arme aus und sagt: »Gute Nacht, Bonnie.«
Hinter meinem Rücken vernehme ich nur ein ersticktes, ungläubiges »Wow«.
Hugo lacht.
»Gute Nacht, Maya«, sage ich, beuge mich zu ihr hinunter und drücke sie fest an mich.
»Und was ist mit mir?«, fragt Hugo, als ich mich wieder von ihr löse.
»Gute Nacht, Hugo«, sage ich und klopfe ihm auf die Schulter. »Sonst noch jemand?«
»Okay«, nuschelt Weston von oben.
»Gute Nacht, Weston«, sage ich und umarme auch ihn fest. Ich nehme wahr, wie Jasper aus dem Zimmer poltert, irgendetwas vor sich hin murmelnd, das klingt wie »zuvielfürmich«.
»Tut nichts, was ich nicht auch tun würde«, sagt Hugo glucksend aus dem unteren Bett und scheucht mich aus dem Zimmer.
Ich schließe leise die Tür hinter mir, und im nächsten Moment ist Jasper da. Vor mir, über mir, auf mir. Er zieht mich so eng an sich, dass ich fast keine Luft mehr bekomme, aber ich wäre ohnehin nicht in der Lage zu atmen, selbst wenn ich wollte. Selbst wenn ich es noch müsste. Aber mit Jasper brauche ich keine Luft zum Atmen. Ich brauche seine Lippen auf meinen, seine Hände auf meinem Körper. Seinen Duft um mich herum, sein tiefes Stöhnen, als seine Zunge sich ihren Weg in meinen Mund bahnt.
Ich bin noch nie auf diese Weise geküsst worden. So hungrig, so verlangend. So drängend, als wäre auf einmal ich die Luft, die eingesogen wird. Unsere Zähne stoßen aneinander, beißen in unsere Lippen, während unsere Zungen beinahe grob miteinander ringen. Jaspers Schnaufen, sein gieriger Atem paart sich mit dem leisen Schmatzen unserer Küsse. Mein gesamter Körper verliert seine Spannung, will einfach unter mir wegsacken. Meine Beine zittern, meine Arme, die ich um Jaspers Nacken geschlungen habe, beben. Ich lasse mich von ihm gegen die Wand drängen, es ist der einzige Halt, den wir noch haben.
Seine raue Oberlippe reibt über meine Haut, und ich wünschte, ich könnte einfach in ihm verschwinden. In Jasper aufgehen. Und dann fällt mir auf, dass ich das schon tue, mit jeder Faser meines Körpers. Auf einmal mischt sich zu dem leichten Geschmack nach frischem Bier und Jasper etwas Salziges. Im nächsten Moment löst er sich von mir.
»Scheiße«, sagt er lachend und wischt sich mit der Hand wieder über die Augen. »Ich hab mich gleich im Griff. Für den Rest des Abends. Ich weiß auch nicht, was das immer soll. Ich habe seit Ewigkeiten nicht geweint.«
»Ist okay«, sage ich, weil ich ein bisschen hilflos bin. Zu sehen, wie überwältigt Jasper von alldem hier ist, setzt mein Gehirn außer Kraft. Eigentlich bin ich diejenige, die vor Glück heulen sollte. Die sich nicht im Griff haben sollte.
»Es ist nur … Ich … Darf ich was extrem Kitschiges sagen, ohne dass du mich auslachst?«
Ich nicke.
»Ich wusste nicht, dass ich noch mal so glücklich sein würde. Das ist gerade wohl einfach ein bisschen viel.«
48 – Jasper
Heute
Mein Herz kommt mir auf einmal ganz groß vor, ganz frei. Als wäre es in den letzten Jahren zusammengeschrumpelt, unter der Last der Trauer und der Einsamkeit verkümmert. Doch jetzt ist es zurück. Und es schlägt. Schnell und laut. Es wummert gegen meinen Brustkorb, während ich die Platten mit Amorys kulinarischen Wunderwerken aus der Küche hole.
»Hast du das gemacht?«, fragt Bonnie mit einem Blick auf all die verschiedenen Speisen, die nun auf zwei großen Tellern zwischen uns stehen.
»Das hätte ich vielleicht auch noch auf die Liste setzen sollen«, erwidere ich. »Ich bin kein sonderlich guter Koch. Ich kann die Basics, aber so etwas würde ich nicht hinkriegen. Als Amory davon Wind bekommen hat, dass ich Pizza bestellen wollte, ist sie eingeschritten und hat das hier« – ich zeige auf all die feinen Dinge zwischen uns – »gezaubert. Der Nachtisch war allerdings meine Idee. Es gibt Lucky Charms.«
Bonnie lacht. »Im Ernst? Daran erinnerst du dich noch?«
»Ich habe bei Lula nachgefragt«, gebe ich zu.
»Ich glaube, wir haben ganz schön gute Freunde«, sagt Bonnie, und ich kann ihr nur beipflichten.
»Hattest du Angst, sie würden gegen uns sein?«, frage ich, denn eine Sache liegt mir noch auf der Seele. Ich weiß allerdings nicht, wie ich mich daran annähern soll. Bin unsicher, ob ich Angst vor der Antwort habe, Angst vor einer Wahrheit, die wehtut.
»Hm …« Bonnie denkt einen Moment nach. »Ich glaube, eigentlich nicht.«
»Gar nicht?« Ich nehme mir etwas Kartoffelsalat, drei verschiedene Frischkäseaufstriche und Brot.
»Links Meinung zu diesem hier –« Sie zeigt von mir auf sich und wieder zurück. »– kannte ich schon. Und seine wäre wohl die einzige gewesen, vor der ich Angst hätte haben müssen.« Sie zuckt mit den Schultern und studiert die verschiedenen Speisen vor sich.
»Wie meinst du das?«, frage ich etwas irritiert.
»Na ja.« Sie schlägt die Augen nieder. »Er weiß schon länger von meinen … Gefühlen für dich.«
Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Es ist ganz und gar bezaubernd, dass sie sich immer noch windet, über ihre Gefühle zu sprechen.
»Und vor der Reaktion der Band hattest du auch keine Angst?«
»Du meinst, sie hätten sich Sorgen machen können, ich würde so eine Yoko-Ono-Nummer abziehen? Ich glaube, dafür kennen sie mich zu gut.« Sie grinst und nimmt sich von dem gebratenen Gemüse und den Fleischbällchen.
»Kann ich dich dann etwas fragen?«, will ich wissen und schiebe mir eine Gabel Kartoffelsalat in den Mund. Wie alles andere, das ich bereits probiert habe, schmeckt auch er himmlisch.
»Wir sind über den Punkt hinweg, an dem wir Geheimnisse voreinander haben, oder?«, fragt sie, und ich danke Hugo im Stillen für seine Idee.
»Also«, beginne ich. Denn überfallen will ich sie trotzdem nicht. »Du hast dich so dagegen gesträubt. Gegen uns. Obwohl du diese Gefühle für mich hattest.« Warum klinge ich auf einmal gequält?
Unsere Blicke treffen sich. Ihre Lippen sind leicht geöffnet, dann zucken die Mundwinkel kaum merklich nach oben.
»Kann ich’s dir zeigen?«, fragt sie, und ich nicke.
Sie erhebt sich, läuft ins Haus hinein. Ich sehe ihr etwas verdutzt hinterher, nehme einen Schluck von meinem Bier. Als sie wieder zurückkommt, hat sie eins ihrer Einweckgläser im Arm. Ein ziemlich großes.
»Das ist mein Blythe-Glas«, sagt sie. »Da sind ziemlich viele Erinnerungsstücke aus unserer Jugend drin. Mixtapes, Freundschaftsbändchen … All so Teenie-Kram. Und dann das hier.« Sie hat sich wieder mir gegenüber hingesetzt und zieht nun einen Brief aus dem Glas. »Blythe hat ihn mir geschrieben, bev
or sie gestorben ist.« Ich sehe, dass Bonnie schluckt.
»Es ist okay«, sage ich. »Wir können darüber reden, dass Blythe tot ist. Das sollte kein Tabu sein. Es ist traurig, aber aus Traurigem können schöne Dinge entstehen.« Ich greife über den Tisch und verwebe unsere Finger miteinander. Ihre Hand passt perfekt in meine, und ihre Haut fühlt sich so schön an meiner an.
Dankbar lächelt sie. »Ich habe mich nie getraut, diesen Brief zu lesen«, fährt sie fort. »Das war vielleicht feige, aber ich war einfach noch nicht so weit. Diese ganze Geschichte mit dir und mir … Ich habe mich immer schuldig gefühlt.«
»O Bonnie«, entfährt es mir, weil mir der Gedanke daran tatsächliche Schmerzen verursacht.
»Ist schon gut«, sagt sie. »Das hat sich in mir festgesetzt. Seit ich ein Teenager war. So etwas wird man nicht so schnell los.«
Ich glaube, ich weiß, was sie meint, wage es jedoch nicht, etwas zu sagen, weil ich möchte, dass sie weiterspricht. Unsere Hände liegen nach wie vor ineinander verknotet auf dem Tisch.
»Vielleicht war ich auch einfach nicht bereit. Man interpretiert ja ziemlich viel in Dinge hinein, wenn man spinnt.« Sie lacht leise. »Aber nach unserem Geheimnis-gegen-Geheimnis-Spiel –« Sie blickt auf. »– habe ich es gewagt. Und, na ja … ich glaube, du musst es selbst lesen.«
Sie reicht mir den Brief. Ich erkenne Blythes hübsche Handschrift auf dem Umschlag und auf den linierten Blättern, die ich herausziehe.
»Bist du sicher?«, frage ich, denn ich spüre, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet.
»Ganz sicher.«
Also beginne ich zu lesen.
»Natürlich hat sie nichts gegessen«, sage ich nach den ersten Zeilen mit einem erstickten Lachen. »Obwohl sie es mir jeden Abend versprochen hat.«
Bonnie drückt meine Hand ganz fest. Aus den Worten spricht Blythes Schmerz. Die Verzweiflung, uns alle alleinzulassen. Ich kann förmlich spüren, wie schwer es für sie war, diesen Brief an ihre beste Freundin zu schreiben.
»Sie mochte dich also immer etwas lieber als mich?«, frage ich mit einem leichten Glucksen, von dem ich nicht weiß, woher es kommt. »Ich kann es ihr nicht verübeln.« Ich sehe Bonnie an, diese wunderbare Frau, die hier mit mir in meinem Garten sitzt und ihr letztes Geheimnis mit mir teilt.