Love is Loud – Ich höre nur dich
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Ich drehe mich zu ihm um. Er lehnt mit nacktem Oberkörper in halb sitzender Position an der Ziegelwand, die Gitarre auf seinem Schoß. Als er merkt, dass ich wach bin, lächelt er und macht Anstalten, die Gitarre neben sich zu legen.
»Nein, spiel weiter«, sage ich mit noch etwas rauer Stimme.
Link haucht mir einen Kuss auf die Stirn, dann widmet er sich wieder seinem Instrument. Ich kuschle mich zurück ins Bett und sehe ihn an, höre ihm zu.
»Hier, das könnte dir gefallen. Ein neuer Song, an dem wir arbeiten.« Er räuspert sich, dann beginnt er .
Die Melodie, die er nun zupft, ist anders als die Songs, die er sonst spielt. Irgendwie feiner, verträumter. Einfach, aber zugleich voller Gefühl. Er summt die Hauptstimme und begleitet sich mit ein paar Akkorden, die er mal auseinanderzieht, dann wieder als ein Ganzes spielt. Dadurch wird der Song rhythmischer, und gleichzeitig klingt er wie Wellen, die sanft über mich rollen.
»Das ist schön«, sage ich.
»Es ist seltsam. Die Melodie ist mir plötzlich eingefallen, und sie ist nicht wieder gegangen. Normalerweise vergesse ich Melodien, die nicht zu uns passen, gleich wieder. Aber das hier ist geblieben. Und die anderen finden, wir sollten einen Song draus machen. Daran arbeite ich gerade.«
»Es klingt … leicht und trotzdem schwer«, sage ich.
»Ich glaube, es ist der Versuch, Ernsthaftigkeit und Verspieltheit in einen Song zu stecken.«
Vernunft und Impulsivität, denke ich, sage es aber nicht laut.
Wenig später trinken wir abwechselnd Kaffee aus einem Emaillebecher. Er schmeckt bitter, aber ich genieße trotzdem jeden Schluck.
»Willst du dich duschen?«, fragt Link.
»Hast du denn eine Dusche?« Sofort kommt es mir schäbig vor, so zu reagieren, denn Link sieht immer gepflegt aus.
»Keine herkömmliche«, erwidert er. »Aber ich würde dir Wasser kochen, damit du nicht kalt duschen musst.«
»Ach was, das ist doch nicht nötig«, sage ich. »Das macht mir nichts.«
»Und wenn ich es gern möchte?« Er küsst mich auf den Handrücken.
»Du darfst alles, was du möchtest«, sage ich.
Im Zwischengeschoss gibt es eine Toilette, die ich gestern Abend schon besucht habe. Daneben befindet sich ein gesprungenes Waschbecken, doch eine Dusche kann ich nicht ausmachen.
Link, der einen Eimer mit kochend heißem Wasser trägt, betritt hinter mir den Raum.
»Wie …«, beginne ich.
»Da«, sagt er und zeigt in eine Ecke. »Ich habe improvisiert.« An einem schweren Eisenhaken hängt ein weiterer Eimer über einem Abfluss im Boden. »Mithilfe des Seils kippe ich den Eimer dann so weit, dass vorne Wasser herausläuft.«
»Du bist erstaunlich«, entfährt es mir, aber ich meine es auf die positivste Art.
»Ich helfe dir«, bietet Link an und entledigt sich seiner Boxershorts. Er befüllt den Eimer mit einer Mischung aus heißem und kaltem Wasser. »Richtig warm ist es nicht, aber wenigstens musst du nicht frieren.«
Auch ich ziehe mich aus. Die Klamotten lege ich auf die Fensterbank, damit sie nicht nass werden. Wie selbstverständlich ich in Links Gegenwart nackt sein kann, erstaunt mich beinahe. Ich weiß nicht, ob mich schon mal jemand bewusst in meiner ganzen Nacktheit angesehen hat. Bislang habe ich auf Dunkelheit und auf unter der Decke bestanden, sodass man höchstens mit den Händen sehen konnte. Jetzt sehe ich mit allem, was ich habe, und möchte gleichzeitig mit allem gesehen werden.
»Komm«, sagt Link und zieht mich an der Hand zu sich unter den Eimer, den er an den Haken gehängt hat.
Ganz vorsichtig zieht er an dem Seil, und aus dem Eimer fließt Wasser auf meinen Kopf. Lauwarmes, angenehmes Wasser. Ich neige meinen Kopf nach links und rechts, damit es überall hinkommt. Drehe mich um die eigene Achse.
»Darf ich?«, fragt Link mit einem Seifenstück in der Hand, als er das Seil losgelassen hat.
Ich nicke, und er beginnt, erst meine Haare, dann meinen Körper einzuseifen. Ebenso wie ich ihn vor ein paar Tagen eingeseift habe. Ich schließe die Augen, nehme das Gefühl seiner Hände auf meiner Haut umso stärker wahr. Seine Finger gleiten über meine Schultern, Arme und Brüste. Meinen Nacken und Rücken entlang. Über meinen Hintern und zwischen meine Beine. Dort verharrt er einen Moment und beugt sich vor, um mich zu küssen.
»Danke«, sagt er leise.
»Wofür?«, frage ich und öffne die Augen wieder.
»Dafür, dass du hier bist. Bei mir. Mit mir.«
Seine Finger gleiten in mich, während er gleichzeitig Wasser über mich laufen lässt.
38
Lincoln
Frenzy und ich verbringen so viel Zeit miteinander wie nur irgend möglich. Sie übernachtet bei mir, wann immer es ihre Arbeitszeiten zulassen – allerdings haben Hugo und sie sich auf Freiraum geeinigt. Meistens steht sie dennoch früh auf und ist zu Hause, ehe Faye zur Arbeit aufbricht. Denn Faye weiß nichts von der Abmachung.
Mit After Hours läuft es großartig. Wir arbeiten an einigen neuen Ideen – unter anderem an meinem Song. Lediglich über einen Text habe ich noch nicht nachgedacht, aber auch der wird kommen, wenn die Zeit reif ist.
Überschattet wird dieses unwahrscheinliche Glück durch mein schlechtes Gewissen, weil ich Jasper nichts von meiner Entdeckung erzählt habe. Ich möchte keine alten Wunden aufreißen, ihn in seiner Situation nicht mit Dingen belasten, die besser nicht angetastet werden. Es fühlt sich nicht gut an, auch dieses Geheimnis mit mir herumzutragen, aber Glück ist ein hauchzartes Gebilde, das man festhalten muss, solange man es hat.
Frenzy kommt inzwischen zu all unseren Gigs im Cat’s Cradle. So ist auch heute ihr Gesicht dasjenige, das ich ansehe, während wir spielen. Sie ist es, für die ich singe. Und ich habe das Gefühl, als würde ich besser, je mehr von ihr ich in meinem Leben habe.
Vielleicht ist das zweite Set heute Abend das beste unserer gemeinsamen Geschichte. Die Menge tobt, und wir auf der Bühne gehen mit. Jeder Einzelne von uns ist in seinem Element, und so schaffen wir gemeinsam unser Element, in dem alles zusammengehört und ein großes Ganzes wird.
Bevor wir Blythe’s Song als erste Zugabe spielen, raunt Jasper mir zu: »Hast du gesehen, wer an der Bar lehnt?«
Natürlich habe ich es nicht gesehen, denn ich habe nur Augen für einen einzigen Menschen auf dieser Welt. »Wer?«
»Al Avril!«
Während unseres letzten Songs des Abends suchen meine Blicke die Bar ab. Und tatsächlich, dort steht Al Avril und nickt im Takt. Ich versuche, nicht nervös zu werden, und konzentriere mich wieder auf Frenzy. Allerdings ist es in dem Bewusstsein, dass der Besitzer eines der größten und renommiertesten Musikclubs der ganzen Stadt deinem Gig lauscht, schwer, die Lässigkeit aufrechtzuerhalten. Dennoch johlt die Menge, als wir geendet haben.
»Was will er hier?«, fragt Bonnie und legt ihren Kontrabass vorsichtig auf den Boden. »Meint ihr, er ist unseretwegen gekommen?«
»Vielleicht will er die Konkurrenz abchecken«, sagt Curtis.
»Als wären wir Konkurrenz …« Ich kann mir nicht vorstellen, dass Als Besuch im Cat’s Cradle irgendetwas mit uns zu tun hat.
»Lincoln Hughes?«, erklingt auf einmal eine kratzige Stimme in meinem Rücken. Alle Köpfe wenden sich zu ihm um. »Mein Name ist Al Avril.«
»Sir, jeder weiß, wer Sie sind«, sage ich und schüttle seine ausgestreckte Hand.
»Glückwunsch zu eurem Gig.«
Ich sehe von ihm zu Jasper, der neben mir steht, und wieder zurück.
»Vielen Dank, Sir. «
»Ich bin auf der Suche nach einer Vorband für einen großen Act in zwei Monaten«, sagt er. »Ich möchte den Slot lokal besetzen.«
Niemand von uns sagt ein Wort. Ich glaube, ich halte die Luft an. Und es würde mich nicht wundern, wenn es den anderen ebenso geht.
»Ihr habt mich heute Abend überzeugt. Das habt ihr letzte Woche auch schon, aber heute … Das ist genau das, was ich suche.« Er wird von einem ungesund klingenden Raucherhusten durchgeschüttelt, was uns Zeit gibt, uns einen Moment zu sammeln.
Bonnie stupst mich leicht an. »Sir«, sag
e ich, »es wäre uns eine Ehre.«
»Ehre. So ein Quatsch. Es ist ein Geschäft. Ich will euch, ihr wollt einen Gig. Mit Ehre hat das nichts zu tun. Ich will nur eure Leidenschaft.«
»Und die ist Ihnen sicher, Sir!«, sagt Jasper.
»Wer ist denn der Main Act?«, fragt Bonnie.
»Chick Corea.«
Ich sehe, dass Sals Lippen den Namen lautlos nachsprechen.
»Sir, ist das Ihr Ernst?«, fragt Bonnie. »Bieten Sie uns gerade wirklich an, als Vorband von Chick Corea aufzutreten? In Ihrem Club?« Ihre Stimme überschlägt sich fast.
Al Avrils Mund verzieht sich zu einem Grinsen und gibt den Blick auf seine dunkelgelben Zähne frei. »Wenn ihr wollt, habt ihr den Gig.«
»Wir wollen!«, ruft Bonnie, und Jasper und Curtis nicken eifrig.
»Hier ist meine Karte«, sagt Al und reicht mir seine Visitenkarte. »Ruft mich morgen zwischen zwei und drei Uhr nachmittags an. Nicht früher. Nicht später. Dann verhandeln wir die Konditionen. «
»Sie können sich auf uns verlassen, Sir«, sagt Jasper, doch Al Avril hat sich bereits abgewendet und steuert die Tür an, in der Hand ein Päckchen Zigarillos.
Es dauert ein paar Sekunden, dann fangen wir alle an zu kreischen und zu jubeln. Es ist uns vollkommen egal, dass die verbleibenden Gäste des Cat’s Cradle uns für bescheuert halten müssen. Oder dass Sal unsere Umarmungen nicht erwidert. Oder dass Mikey uns mit Gesten darauf hinweist, jetzt besser zusammenzupacken, weil wir ohnehin schon überzogen haben. In diesem Moment ist die Welt perfekt. Und dann wird sie noch perfekter, weil Frenzy neben mir auftaucht und ebenfalls anfängt zu jubeln, als ich ihr atemlos berichte, was soeben vorgefallen ist.
»Mikey, hast du das gehört?«, ruft Curtis. »Wir sind der Opening Act für Chick Corea!«
»Ich weiß«, sagt Mikey und räumt unsere Wasserflaschen von der Bühne. »Al hat vorher bei mir angeklopft. Gefragt, ob ihr zuverlässig seid. Ob man mit euch arbeiten kann. Hab ein gutes Wort für euch eingelegt. Nicht, dass ihr es nötig gehabt hättet.«
»Du bist unglaublich!«, ruft Bonnie und fällt Mikey um den Hals. »Danke!« Sie küsst ihn auf die Wange, und es bleibt uns nicht verborgen, dass Mikey danach ein bisschen abwesend ist.
»Du würdest die Bar gern zumachen, oder?«, frage ich.
»Wenn ihr noch feiern wollt, bin ich gern dabei«, sagt Mikey. »Ich muss nur die anderen Gäste loswerden und Feierabend machen.«
Nachdem die letzten Gäste gegangen sind, schließt Mikey die Tür ab. Übrig sind nur wir fünf, Frenzy, Amory und Mikey. Wir setzen uns an die Bar, bekommen Bier aufs Haus. Ich fühle mich, als würde ich schweben. Vor Glück, vor Ausgelassenheit .
»Das könnte der Durchbruch sein, Leute«, sagt Bonnie. »Der Durchbruch, versteht ihr?«
»Könnte?«, fragt Curtis. »Das ist der Durchbruch. Wisst ihr, wer im Palace of Sound entdeckt wurde?« Er zählt eine Reihe großer Namen auf, doch ich höre nur mit halbem Ohr hin. Ich bin zu aufgedreht und konzentriere mich stattdessen auf das Rauschen meines Bluts in meinen Adern, auf meinen Herzschlag. Auf das Gefühl der absoluten Losgelöstheit. In diesem Augenblick läuft alles zusammen. Alles, wofür wir in den letzten Jahren so hart gearbeitet haben. Alles, was wir durchgemacht haben. Alles, was wir füreinander sind.
»Es war nur eine Frage der Zeit«, sagt Mikey. »Ihr seid schon seit zwei Jahren bereit.« Er schaltet seine Musikanlage ein. Rhythmischer Jazz erschallt. Die Musik dieser Stadt. Die Musik, die uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind.
Bonnie stellt sich in die Mitte des Raums und beginnt langsam zu tanzen. Mit geschlossenen Augen, den Plastikbecher voller Bier in der Hand. Meine beste Freundin, mit der ich so viel erlebt habe. Die mir in so vielen Momenten den Arsch gerettet hat, wenn ich selbst nicht mehr weiterwusste. Die mehr als wir alle Liebe verdient hat und sie doch nicht bekommt.
Curtis hat seine Hand unter Amorys Paillettenoberteil geschoben. Die beiden wären perfekt miteinander. Sie ist die Erste, die es geschafft hat, Curtis ein bisschen Sicherheit zu geben. Seit sie in sein Leben getreten ist, rastet er viel weniger aus. Manchmal frage ich mich, was passiert, wenn sie einen Mann kennenlernt, der ihr mehr gibt, als Curtis es kann. Aber diese Gedanken schiebe ich beiseite.
Jasper spricht mit Sal über Möglichkeiten und die Erfüllung von Träumen. Selbst Sal wirkt ausgelassen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn vor heute Abend schon einmal so viel lächeln gesehen habe. Doch dieser Moment macht alles möglich.
Amory löst sich von Curtis und schließt sich Bonnie auf der Tanzfläche an. Ich ziehe Frenzy hinter mir her, und eng umschlungen wiegen wir uns im Takt. Nach und nach kommen auch die anderen dazu, bis wir wie in Trance alle gemeinsam die Musik fühlen. Die Musik und das Glück. Wir werden eins in unserer seligen Trunkenheit, alles scheint erreichbar. Jede Schwierigkeit meisterbar. Jeder Gipfel überwindbar. In diesem Augenblick sind wir unbesiegbar.
39
Franzi
»Hier ist nichts.« Hugo schüttelt den Kopf. »Nichts, das Victor in irgendeiner Weise kompromittieren könnte. Ich verstehe es nicht.«
»Vielleicht ging es doch einfach nur darum, dass jemand in seinem Zimmer war?«, schlage ich vor. Ich lehne in der Tür. Weiter habe ich mich nicht in den Raum hineingewagt. Alles darin schreit nach Patriarchat und Überheblichkeit.
»Nein, das kann nicht sein. Glaub mir, er hatte Angst.«
Hugo zieht einen Stapel Fotos aus der Schublade. »Ach Gott, sieh mal, mein Enkelsohn.« Er reicht mir das Bild von einem deutlich jüngeren Jasper.
In dem Gefühlschaos der letzten Wochen bin ich noch nicht dazu gekommen, mit Hugo über Links Entdeckung zu sprechen. Wir haben uns kaum gesehen, und meistens war Faye dabei.
»Hattet ihr ein gutes Verhältnis?«, frage ich.
»Wir hatten nicht den Hauch eines Verhältnisses«, gibt Hugo zurück. »Die Gelegenheiten, zu denen ich ihn gesehen habe, kann ich an einer Hand abzählen. Wohlerzogen, zum Klavierspielen gedrillt. Ich glaube nicht, dass er viel Spaß hatte als Kind. Umso witziger fand ich es, als ich erfahren habe, dass er abgehauen ist.«
»Abgehauen?«, frage ich, denn die Geschichte, die Link mir erzählt hat, ist eine andere .
»Von einem Tag auf den anderen war er plötzlich weg. Das hat mir Victor gesagt, als er mich im Krankenhaus besucht hat.«
Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, aber Hugo verdient die Wahrheit, so viel ist sicher. »Äh, Hugo?«
»Äh, Franzi?«
»Ich glaube, du kennst nur Victors Version der Geschichte.«
Er sieht von der Schublade auf. »Wie meinst du das?«
»Jasper … er ist der Pianist in Links Band.«
Hugo bleibt der Mund offen stehen. »Wie bitte?«
»Das war der Grund, warum Link an diesem Nachmittag einfach gegangen ist. Er hatte entdeckt, dass Jasper Victors Sohn ist, und wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Jasper ist nicht abgehauen. Nicht, wenn man ihm glaubt.«
»Was ist passiert?«, fragt er.
»Jasper war mit Links Schwester zusammen, seit er siebzehn war. Dann wurde Blythe, so hieß sie, mit siebzehn schwanger. Daraufhin hat Victor ihn rausgeworfen.«
»Potz Blitz!«, sagt Hugo und runzelt die Stirn. Einen Augenblick lang sagt niemand ein Wort. Ich kann förmlich sehen, wie es in Hugos Kopf rattert. Erst glaube ich, er will noch etwas zu dem Thema sagen. Ringt er mit sich? Traut er sich nicht? Ich weiß es nicht. Doch dann besinnt er sich plötzlich wieder auf den Grund unserer Anwesenheit an diesem Ort. »Hilfst du mir nun?« Er steht auf und beginnt, Bücher aus dem Regal zu ziehen, um zwischen den Seiten nachzusehen.
»Ich fühle mich wirklich nicht wohl damit …«
»Ich fühle mich nicht wohl damit, dass wir nicht wissen, was mein Sohn verbirgt. Was soll denn passieren? Hast du Angst, deine DNA zu hinterlassen?«
Da kommt mir eine Idee. »Ich werde Link fragen, ob er noch etwas anderes in der Schublade gefunden hat. Dann wissen wir wenigstens, wonach wir suchen«, schlage ich vor.
»Braves Mädchen.«
Nach ein paar Minuten vibriert mein Handy. »Ja, da war noch etwas«, lese ich
laut vor. »Ein Vertrag oder so etwas Ähnliches, der besagt, dass das Eigentumsrecht des Hauses von Faye auf Victor übergeht.«
Ich blicke Hugo an und er mich.
»Das ist … das kann doch nicht … wie …« In Hugos Kopf scheint das gleiche Wirrwarr zu herrschen wie in meinem. »Dieser … Ich …«
»Ich wusste gar nicht, dass das Haus Faye gehört.«
»Victor hat es schon immer verstanden, in reiche Familien einzuheiraten. Jaspers Mutter hat er auch eine ganze Reihe Immobilien abgeluchst. Nichts so Prächtiges wie dieses Haus, aber das war der Anfang seines unternehmerischen Erfolgs.«
»Wo ist sie jetzt?«, frage ich. »Jaspers Mutter?«
»Am anderen Ende des Landes in irgendeinem Hippie-Ashram. Auf der Suche nach sich selbst. Sie ist wohl kurz nach der Sache mit Jaspers Auszug gegangen.«
»Wir müssen Faye warnen«, sage ich.
»Wir müssen diesen vermaledeiten Vertrag finden. Sonst glaubt sie uns kein Wort.«
Mit einem entschlossenen Schritt trete ich über die Schwelle und in Victors Reich. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter, aber das hier ist wichtiger als Regeln.
Pünktlich um halb sieben hören wir Fayes Schlüssel in der Tür. Ich hole drei Weingläser aus dem Schrank und schenke großzügig Weißwein ein.
»Du kannst Gedanken lesen«, sagt Faye und nimmt einen Schluck .
»Hattest du einen schlechten Tag?«, fragt Hugo, und ich kann in ihren Augen sehen, dass sein Interesse sie verwirrt.
»Ach, gerade ist jeder Tag irgendwie ein schlechter Tag.«
»Und dieser könnte noch ein bisschen schlechter werden«, sagt Hugo und bedeutet ihr, ihm zu folgen.
Ich trotte hinter den beiden ins Wohnzimmer und fühle mich seltsam fehl am Platz. Das hier ist eine Familienangelegenheit. Eigentlich geht es mich nichts an. Doch Hugo wollte davon nichts wissen, als ich meine Bedenken geäußert habe.