Love is Loud – Ich höre nur dich
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»Setz dich, Faye.«
»Was ist los?«, fragt sie und massiert ihre Füße durch die dünne Seidenstrumpfhose.
»Du kennst doch Victor«, beginnt Hugo, und wäre die Angelegenheit nicht so dramatisch, müsste ich wohl lachen, so albern ist seine Einleitung.
»Meinen Mann? Ja, den kenne ich.«
»Und auch wenn du es mir gegenüber nie zugeben würdest, weißt du tief in dir drin, dass er ein Drecksack ist, stimmt’s?«
»Hugo!« Faye klingt genervt.
»Ganz ehrlich, Faye? Wenn das jetzt eine Überraschung für dich ist, wird es nur noch schmerzhafter. Deswegen ist es besser, du kramst in den Tiefen deines Unbewussten.«
»Was ist denn los?«, fragt sie nun an mich gewandt.
»Wir …« Ich bringe es nicht übers Herz, ihr zu erzählen, was wir entdeckt haben. Andererseits weiß ich, dass es keine andere Möglichkeit gibt. »Hugo, zeig ihr den Vertrag.«
Er zieht das Dokument hervor und reicht es ihr. »Drecksack, sag ich ja.«
»Woher habt ihr das?«, fragt Faye, nachdem sie das Dokument überflogen hat, und blickt hektisch von Hugo zu mir. Ihre Stimme klingt noch höher als sonst.
»Spielt das eine Rolle?«, fragt Hugo, und Faye schüttelt langsam den Kopf .
»Mehr Wein?« Ich habe das dringende Gefühl, irgendetwas tun zu müssen.
»Ja, bitte. Und … vielleicht einen Schnaps?«
»Gute Idee!« Hugo ist sofort aufgesprungen. Aus Victors Büro holt er eine Flasche mit teuer aussehendem Whiskey. Mit Sicherheit kann sein eigener Geheimvorrat im Schuppen damit nicht mithalten. Die Tür lässt er offen.
»Was hast du jetzt vor?«, frage ich und streiche ihr mit der Hand einmal fest über den Rücken, so wie es meine Mutter bei mir macht, wenn es mir schlecht geht. Es hat etwas Tröstliches, diese physische Vergewisserung, dass man nicht allein ist.
»Ich werde mit ihm reden. Herausfinden, was das soll. Ihm sagen, dass ich ihm mein Haus nicht überschreibe. Und dann werden wir ja sehen.« Während sie spricht, wird ihre Stimme immer dünner. Sie schluckt. »Und ich werde versuchen, nicht zu weinen. Das kann ich später immer noch tun.«
»Willst du, dass ich dabei bin?«, fragt Hugo und greift über den Tisch nach Fayes Hand.
»Danke, Hugo«, erwidert sie. »Das ist wirklich nett von dir. Aber ich glaube, es ist besser, wenn ich ihn allein damit konfrontiere.«
»Schade. Ich würde zu gern sein Gesicht sehen.«
»Hugo!«, sagen Faye und ich wie aus einem Mund.
»Wo habt ihr das gefunden?« Mit dem Fuß zeigt Faye beinahe verächtlich auf den Vertrag.
»Zwischen anderen Dokumenten in einer Mappe«, sagt Hugo.
»Aber wir wussten, wonach wir suchen«, ergänze ich schnell. »Es ist nicht so, als wären wir einfach in Victors Büro eingedrungen und hätten alle Dokumente angesehen.«
»Und selbst wenn, Franzi. Und selbst wenn«, sagt sie müde .
Hugo und ich sitzen wie zwei Kinder auf der obersten Treppenstufe und halten den Atem an. Victor ist gerade nach Hause gekommen, und Faye hat ihn ins Wohnzimmer gebeten. Ich wollte eigentlich in meinem Zimmer bleiben, aber Hugo bestand darauf, dass ich mich neben ihn setze.
»Wenn ich schon nicht dabei sein kann, will ich wenigstens mitbekommen, was geredet wird. Außerdem weiß sie, dass wir lauschen. Deswegen spricht sie so leise«, flüstert er, als gedämpfte Stimmen zu uns heraufdringen. »Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis er anfängt zu brüllen.«
»Wir sollten wirklich nicht …«, sage ich, doch Hugo bedeutet mir zu schweigen.
»Was man sollte und was man nicht sollte, ist in so einem Fall egal. Wenn Victor beschließt, dass es an der Zeit ist, Vasen zu werfen, will ich bereit sein.«
Von der Seite habe ich das Ganze noch gar nicht gesehen. Victor mag zwar ein berechnendes, arrogantes Arschloch sein, aber würde er Faye etwas antun? Ich komme nicht weit mit meinen Gedanken, denn die Stimmen werden nun lauter.
»… in meinen Sachen zu suchen?«
»… nicht der Punkt, Victor.« Faye klingt stark. Entschlossen.
»… steuerliche Vorteile … keine Sorgen machen.«
»Lüg mich nicht an.« Überraschenderweise ist es ihre Stimme, die lauter wird.
»Das ist ja wohl nicht dein Ernst. Erst durchwühlst du meine Sachen, und dann bezichtigst du mich der Lüge? Was ist nur aus dir geworden!«
»Siehst du«, flüstert Hugo und lächelt mich halb triumphierend, halb traurig an. »Man versteht jedes Wort.«
»Ich will«, sagt Faye nun langsam und überdeutlich, »nein, ich verlange, dass du dich hier hinsetzt und mir ganz genau erklärst, was es damit auf sich hat. Warum der Vertrag von dir und von einem Notar bereits unterschrieben ist. Wann du vorhattest, ihn mir unterzujubeln. Und dass du mir genau erklärst, für wie dumm du mich eigentlich hältst.«
»Sie ist großartig«, flüstere ich.
»Das ist sie.« In Hugos Stimme schwingt beinahe so etwas wie Stolz mit.
Victor spricht jetzt leiser, besänftigend. Wir verstehen nur noch die Hälfte. Aber ich kann mir vorstellen, wie er versucht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
»… dann machst du dich lächerlich«, schließt er seine Ausführungen.
»Nein, Victor, diesmal bist du es, der sich lächerlich macht. Dass du nicht einmal den Anstand hast, mir die Wahrheit zu sagen!«
»Und was würde die Wahrheit dir bringen, Schatz?« Er spuckt die Worte geradezu aus.
»Ich wüsste, dass das, was wir hatten, unsere gesamte Ehe, kein Witz für dich gewesen ist.«
»Hier hast du die Wahrheit, Faye: Ja, ich will dieses Haus. Weil es mir zusteht. Weil ich dich gerettet habe.«
»Du? Mich gerettet?«
Ich sehe fragend zu Hugo, doch er scheint auch keine Ahnung zu haben, wovon Victor spricht.
»Ohne mich wärst du immer noch das eingeschüchterte Mauerblümchen, das von niemandem ernst genommen wird. Vermutlich wärst du wirklich Lehrerin geworden. Vermutlich eine alte Jungfer.«
Faye lacht schrill. »Und wäre das so schlimm? Verglichen mit diesem hier klingt es für mich wie der Himmel auf Erden.«
»Offensichtlich, Faye, habe ich einen Fehler gemacht. Und das tut mir leid. Ich dachte, du wärst vernünftig. Ich dachte, aus dir könnte eine Partnerin auf Augenhöhe werden. Aber ich habe mich geirrt. Du bist naiv, störrisch und dumm. Und wenn das dein letztes Wort ist, dann kann ich dir nicht mehr helfen.«
Hugo krallt die Finger in seinen Oberschenkel. Und auch mir fällt es schwer, den Streit mitanzuhören. Es schmerzt beinahe körperlich, Victor so sprechen zu hören.
»Ich will, dass du aus meinem Haus verschwindest. Pack deine Sachen und geh«, sagt Faye ruhig, aber bestimmt.
»Yesss!«, macht Hugo neben mir.
»Das meinst du nicht ernst.« Es ist nicht zu überhören, dass Victor langsam in Panik gerät.
»Verschwinde«, sagt Faye noch mal. Dann: » ICH HABE GESAGT , DU SOLLST AUS MEINEM HAUS VERSCHWINDEN !« Im nächsten Moment hört man, wie etwas klirrend an der Wand zerschellt.
Ich will schon aufspringen, um Faye zu Hilfe zu eilen, doch Hugo hält mich zurück. »Das war sie «, sagt er beinahe ehrfürchtig.
Einen Augenblick später wird die Wohnzimmertür geöffnet, und Hugo und ich springen wie von der Tarantel gestochen auf und in mein Zimmer, weil es der Treppe am nächsten ist. Wir hören von unten hektische Bewegungen, dann wird die Haustür zugeknallt. Kurz danach quietschen draußen Reifen. Victor ist weg.
Auf einmal ist mir ganz elend zumute. So schrecklich Victor auch ist, das ist das Ende von Fayes Ehe. Das Ende der Liebe zu dem Mann, mit dem sie die letzten Jahre verbracht hat. Sie muss am Boden zerstört sein.
»Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende«, sagt Hugo neben mir, der offensichtlich die gleichen Gedanken hat.
An meiner Tür klopft es zaghaft.
»Komm rein«, sage ich. »Wie geht’s dir?« Ich will auf Faye zugehen und sie in den Arm nehmen, doch Hugo ist schneller. Er zieht sie in eine feste Umarmung.
»Ich bin so stolz auf dich, Faye«, sagt er.
»Du hast das Richtige getan. «
»Danke«, sagt sie und klingt dabei erstaunlich gefasst. »Es war leichter, als ich gedacht hätte. Die ganzen Streitereien der letzten Monate … Irgendwie fühlte es sich an wie die logische Konsequenz.«
Hugo lässt sie los und räuspert sich. »Gibst du mir noch ein paar Wochen? Ich versuche, mir so schnell wie möglich etwas anderes zu suchen. Dann hast du dein Haus wieder für dich.«
»Nein, Hugo«, sagt Faye bestimmt, und es scheint beinahe, als hätte sie ihre Tonlage gefunden. Immer noch hoch und mädchenhaft, aber deutlich gefestigter und lauter als vorher.
»Nein?«
»Ich meine, nein, Hugo, du sollst dir nichts anderes suchen. Ich hätte dich gern hier. Wenn du willst.«
»Das ist … wirklich sehr … großzügig«, murmelt er. »Aber …«
»Kein Aber. Wenn du bleiben willst, bleib. Wenn du gehen willst, halte ich dich nicht auf. Aber ich würde dich vermissen.«
»Papperlapapp«, sagt er, doch seine Stimme klingt merkwürdig gequetscht. Im nächsten Moment stolpert er ungelenk aus dem Zimmer, um sich geräuschvoll die Nase zu putzen.
»Das ist vermutlich noch nicht alles, oder?«, frage ich ein bisschen besorgt. »Ich meine, er wird wiederkommen, oder?«
»Zumindest, um seine Sachen zu holen«, bestätigt Faye. »Und ich mache mir vorsichtshalber mal einen Termin bei meiner Therapeutin. Man weiß ja nie, was noch alles so rauskommt.« Sie lächelt, aber auf einmal sieht sie ganz müde aus. »Ich glaube, ich gehe ins Bett. Diagonal. So schlafe ich am besten.«
»Gute Nacht, Faye«, sage ich und umarme sie fest.
»Gute Nacht, Franzi. Und danke. «
»Wofür denn?«, frage ich etwas verwirrt.
»Dafür, dass du diesen ganzen Irrsinn mitmachst und immer noch da bist. Andere wären längst abgehauen. Oder hätten mich verurteilt.«
»Ich finde, du kannst sehr stolz auf dich sein«, sage ich und denke daran, wie es damals für meine Mutter war, als ihr Mann sie sitzen ließ. Wie sie sich an ihn klammerte, ihn nicht gehen lassen wollte. Wie sie trotzdem alles schaffte. Und wie mutig Faye heute war.
40
Lincoln
Obwohl Frenzy heute nicht bei unserem Auftritt war, weil sie Faye mit irgendeiner Angelegenheit helfen wollte, waren wir großartig. Seit wir einen Vertrag mit Al Avril abgeschlossen haben, ist es, als würden wir musikalisch auf Wolken gehen. Wir waren noch nie so motiviert, alles aus uns rauszuholen, wie in der letzten Zeit. Mit jedem Gig kommen wir näher an das heran, was ich Perfektion nennen würde. Es ist ein großes Wort, aber ich glaube fest daran, dass wir es schaffen werden, in einer Woche das beste Set unseres Lebens zu spielen. Heute sind für jeden von uns über hundert Dollar im Hut, was für einen Gig unter der Woche herausragend ist.
Gerade als ich jedem sein Bündel Scheine in die Hand gedrückt habe, erblicke ich sie. Esmé. Sie steht in der Nähe der Tür und beobachtet mich. Ich habe sie seit unserem Streit nicht mehr gesehen und hebe eine Hand zum Gruß. Das Leben ist zu kurz, um sich von unguten Gefühlen leiten zu lassen.
»Kannst du mir einen Gefallen tun?«, fragt sie, als sie näher kommt. »Ich weiß, die Sache zwischen uns ist ein bisschen eskaliert, aber …«
»Was ist los?«
»Ich weiß nicht, wen ich sonst fragen soll«, sagt sie.
»Hi, Esmé«, sagt Jasper und stellt sich neben mich. »Lange nicht gesehen. «
»Große Tragik«, murmelt Bonnie von hinten, doch Esmé hat sie glücklicherweise nicht gehört.
»Es ist mir ein bisschen unangenehm. Ich weiß, ihr seid nicht gut auf mich zu sprechen. Aber mein Chef hat irgendwie Mist gebaut und mir meinen Lohn diesen Monat nicht ausgezahlt. Und das heute sah nach einem lukrativen Abend aus. Und da habe ich mich gefragt …«
Ich schlucke.
»… ob du mir vielleicht fünfzig Dollar leihen kannst?«
Mit dem Handrücken wische ich mir Schweiß von der Stirn.
»Da hast du Glück«, sagt Jasper neben mir und klopft mir auf den Rücken. »Es war wirklich ein lukrativer Abend.«
Mir wird heiß und kalt zugleich. Vor allem spüre ich Jaspers Blick auf mir.
»Äh«, sage ich.
»Bitte, Link?«
»Wir können fifty-fifty machen«, sagt Jasper. Er ist einfach zu gut für diese Welt. Aber ich habe nicht einmal fünfundzwanzig Dollar in meinem Geldbeutel. Mein Anteil ist komplett in Jaspers Hosentasche verschwunden.
»Na klar«, sage ich hohl, weil meine Hirnwindungen wie gelähmt sind und mir nicht einfällt, wie ich mich aus dieser Situation befreien kann.
Jasper kramt in seiner Tasche und reicht ihr fünfundzwanzig Dollar.
»Ich … warte …« Ich ziehe wie mechanisch meinen Geldbeutel aus der Hosentasche. Mein Gehirn schreit: »Lauf!«, doch ich bin wie erstarrt.
Da ich mich nicht rühre, nimmt Esmé mir den Geldbeutel aus der Hand. Panik breitet sich in mir aus.
»Jasper? Kannst du kurz …« Aber mir fällt nicht ein, was Jasper kurz tun könnte. Mein Kopf ist vollkommen leer. Mein Ma gen ist gefühlt ein paar Meter nach unten gesackt, und in meinen Ohren dröhnt die Angst.
»Link, da ist nichts drin«, sagt Esmé und hält zwei Fünfdollarnoten hoch. »Das ist alles?« Sie sieht verwirrt aus, und mein ganzer Körper wird taub.
»Link?«, sagt nun auch Jasper und legt seine Hand auf meine Schulter.
Ich springe von der Bühne, ohne mich umzudrehen, und gehe zwischen den Gästen des Cat’s Cradle hindurch und an der Bar vorbei. Ich will ins Lager, einen Moment lang nachdenken, ehe ich mit Jasper spreche.
»Link!«, ruft er hinter mir. »Mann, bleib stehen!«
Gerade als ich die Tür öffnen will, hat er mich eingeholt. Neben meinem Kopf drückt er seine Hand gegen die Tür und hält sie zu. »Rede mit mir«, sagt er.
»Fuck«, sage ich leise zu mir selbst.
»Steckst du in Schwierigkeiten? Was ist los mit dir?«
»Es ist … nichts«, stottere ich und wische meine feuchten Hände an meiner Hose ab. Ich wage es nicht, ihn anzusehen.
»Link«, sagt jetzt auch Bonnie, die uns nachgeeilt ist, »vielleicht ist es Zeit.«
Das ist das Letzte, was ich brauchen kann. Jemand, der Jasper suggeriert, ich hätte tatsächlich ein Geheimnis vor ihm. Was ich zwar habe, aber aus gutem Grund!
»Zeit wofür? Was wird hier gespielt?«, fragt Jasper und klingt langsam so panisch, wie ich mich fühle.
»Es ist nichts«, murmle ich noch einmal.
»Lincoln Hughes«, sagt er streng, »hör auf, mich anzulügen!«
»Ich …« Ich will ihn nicht anlügen. Das wollte ich nie. Aber ich habe es Blythe versprochen.
»Du machst mir Angst. Weißt du, wer dauernd gelogen hat? Meine Familie. Ständig. Jetzt bist du meine Familie. Und ich dachte, wir sind ehrlich zueinander. Du kannst mir alles erzählen. Das weißt du.«
»Sag es ihm«, fleht Bonnie.
Doch ich weiß, dass es nicht so einfach ist. Dass Lügen für Jasper ein rotes Tuch sind. Dass die Ehrlichkeit, die bei uns geherrscht hat, für ihn ein Grund war, mit seiner Familie zu brechen. Jetzt bist du meine Familie. Und ich habe ihn belogen.
»Wieso hast du nach einem Gig kein Geld in deinem Geldbeutel, während wir anderen mit zweihundert Dollar nach Hause gehen?«, fragt Jasper.
»Hundert Dollar«, korrigiert Bonnie.
»Was?«
»Was?«, frage auch ich, denn ich fasse nicht, dass sie mich tatsächlich verrät.
»Entschuldige, Link, aber es ist vorbei«, sagt sie. »Das war es. Es hat keinen Sinn zu lügen.«
Vielleicht hat sie recht. Doch es ist verdammt noch mal nicht ihre Entscheidung.
»Link gibt dir seinen Anteil«, sagt sie, und das Rauschen in meinen Ohren übertönt beinahe Jaspers Keuchen.
»Sag mir, dass das nicht stimmt. Sag mir, dass sie lügt!«
»Sie … nein, es stimmt«, sage ich leise.
»Seit wann?« Jaspers Stimme überschlägt sich fast. »Sag mir, seit wann, Link!« Er geht einen Schritt auf mich zu.
»Seit Blythe tot ist.«
»Was?
« Beinahe schreit er nun. »WAS ?« Er tritt drohend noch einen Schritt näher an mich heran, sodass ich wie automatisch meine Hände zum Schutz hebe. »SAG , DASS DAS NICHT WAHR IST !«, brüllt er. »SAG , DASS DAS NICHT WAHR IST !«
»Jasper!«, ruft Bonnie. Sie klingt flehend.
»Wie konntest du!« Jaspers Stimme hört sich ungläubig an, geradezu verzweifelt .
»Leute«, mischt sich Mikey nun ein, »was auch immer hier los ist, klärt das gefälligst draußen.«
»Da gibt es nichts zu klären«, sagt Bonnie. »Es ist alles in Ordnung.«
»Ja, Link, lass es uns draußen klären«, sagt Jasper und marschiert zielstrebig Richtung Tür. Ich folge ihm, ignoriere Bonnies Bitten.
Jasper biegt neben dem Gebäude nach rechts in den Hinterhof ab. Im trüben Licht der Straßenlaternen sieht er noch wütender aus. Noch verzweifelter.
»Erklär es mir«, sagt er und geht wieder einen Schritt auf mich zu. Er ist größer als ich, und seine Körperhaltung wirkt drohend.
»Ich wollte nur helfen«, gebe ich kleinlaut zu. »Deine Situation … Ich kenne doch die Probleme.«
»Meine …? Du hast doch keine Ahnung von meinen Problemen. Du taumelst von einer Affäre zur nächsten, genießt dein Leben in vollen Zügen. Du kannst dir nicht mal im Entferntesten vorstellen, wie es mir geht!«
»Das ist unfair, und das weißt du«, sage ich vorsichtig, obwohl seine Worte mich treffen.
Aber Jasper hört mir gar nicht mehr zu. »Der moralisch ach so überlegene Link, der sich für alle aufopfert. Egal, ob sie es wollen oder nicht. Du widerst mich an.« Ich sehe, dass eine Vene an seinem Hals pulsiert. Er steht nun ganz dicht vor mir. So dicht, dass ich versuche, ihn sanft von mir zu schieben.
»Es tut mir leid«, sage ich, obwohl ich nicht einmal das Gefühl habe, dass ich mich entschuldigen sollte. »Ich wollte nicht …«
Inzwischen sind uns Bonnie, Curtis und Sal nach draußen gefolgt. Doch keiner von ihnen traut sich, einzugreifen.
»Du bist ein selbstgerechtes Arschloch, Lincoln. Du glaubst, du weißt, was für die Menschen um dich herum das Beste ist. Aber das tust du nicht. Du hast keinen blassen Schimmer.«
Erneut macht er einen Schritt auf mich zu, sodass wir fast mit den Nasen aneinanderstoßen. Und wieder schiebe ich ihn weg. Etwas fester diesmal. Als Antwort versetzt Jasper mir einen Stoß. Doch das lasse ich mir nicht gefallen. Ich schubse ihn noch fester. Der nächste Stoß, der mich trifft, ist so stark, dass ich nach hinten stolpere und mich gerade noch an der Mauer abfangen kann.