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Love is Loud – Ich höre nur dich

Page 30

by Engel, Kathinka


  »Jasper!« Ich hebe abwehrend die Hände, schiebe ihn erneut weg. »Mann!« Und wieder stößt er mich zurück. Immer heftiger schubsen wir uns. Er vor Wut, ich vor allem, um ihn zur Vernunft zu bringen, aber auch, um mich zu schützen. Er taumelt kurz, anscheinend ist er überrascht davon, wie heftig ich mich wehre. Dann ist er wieder vor mir. Wir ringen miteinander. Seine Fingernägel schneiden in meine Schulter ein. Er ist stark, aber ich bin stärker und dränge ihn zurück.

  »Ich habe es für dich gemacht«, bringe ich unter größter Anstrengung hervor. »Für dich und die Kinder. Damit ihr trotz der Schulden von Blythes Krankenhausrechnungen in eurem Haus bleiben könnt. Ich wusste keine andere Möglichkeit, du Idiot.«

  In diesem Moment dämmert mir, dass ich genau das Falsche gesagt habe. Wie vom Donner gerührt steht er vor mir. Dann holt er aus. Seine Faust fliegt wie in Zeitlupe auf mich zu, und ich weiche nicht einmal zurück, versuche nicht, mich zu schützen. Der Schlag trifft mich vorbereitet, und dennoch erschrecke ich über die Wucht und das knackende Geräusch, das aus meinem Gesicht zu stammen scheint.

  Bonnie schreit. Ich stolpere, falle der Länge nach rückwärts um. Ich gehe einfach zu Boden und schlage mir den Kopf an der Mauer. Curtis macht einen Satz nach vorne, um Jasper davon abzuhalten, noch mal zuzuschlagen. Doch dieser hebt die Hände. Er ist fertig mit mir.

  »Wie kannst du es wagen«, sagt er mit einer Kälte, die mich zusammenzucken lässt. »Bin ich so ein Versager in deinen Augen, dass ich es nicht alleine schaffe, meine Kinder zu versorgen? Bin ich so ein schlechter Vater, dass du mir heimlich Almosen unterschieben musst?«

  Ich versuche mich aufzurichten, aber es gelingt mir nicht. In meinem Mund schmeckt es metallisch, und ich spucke aus. »Nein, Jasper, du bist ein toller …«

  »Fick dich, Link. Du hattest kein Recht! KEIN RECHT , HÖRST DU ?«

  Ich halte mir mein schmerzendes Gesicht, vollkommen überfordert von der Situation. Jasper, mein Schwager, mein bester Freund, hasst mich. Aus meiner Nase läuft Blut, und meine Lippe scheint aufgeplatzt zu sein. Doch ich spüre es kaum. Ich fühle nichts als den wummernden Herzschlag und die Schmerzen, die er in meiner Brust verursacht.

  »Jasper«, sagt Bonnie vorsichtig, als er an ihr und den anderen vorbeigeht.

  »Ihr seid für mich gestorben«, sagt er bitter. Dann ist er verschwunden.

  41

  Franzi

  Link so zusammengekauert auf seinem Bett zu sehen verursacht mir Übelkeit. Seine linke Gesichtshälfte ist angeschwollen und lila verfärbt. Ich knie vor ihm und desinfiziere die Wunden mit abgelaufenen Medikamenten aus Hugos Erste-Hilfe-Kasten.

  »Immerhin ist die Nase nicht gebrochen«, sage ich und tupfe vorsichtig mit einem Tuch auf seine aufgeplatzte Lippe. Jasper hat wirklich ganze Arbeit geleistet.

  Link saugt die Luft ein.

  »Tut das weh?«, frage ich.

  »Geht schon«, nuschelt er.

  »Ich verstehe nicht, wie er dir das antun konnte«, sage ich.

  Link zuckt mit den Schultern. »Ich habe ihn angelogen.«

  »Aber das ist doch kein Grund …«

  »Vielleicht nicht.«

  »Also verstehst du es selbst nicht?«, frage ich. Er zieht mich an sich und vergräbt sein Gesicht an meinem Bauch. Er weint nicht, aber ich bin mir sicher, er würde es tun, hätte er nicht das Gefühl, vor mir stark sein zu müssen.

  »Ist doch auch egal«, sagt er erstickt. »Er ist fertig mit mir. Mit uns. Und ich bin fertig mit ihm.«

  Ich weiß, dass er das nicht ernst meinen kann. Hier geht es schließlich nicht nur um die Freundschaft zwischen ihm und Jasper, nicht nur um die Band. Weston und Maya spielen auch eine Rolle. Aber im Moment ist Link zu aufgebracht, um das zu verstehen. Morgen, wenn er das Ganze wieder rationaler sieht, wird es ihm klar werden.

  »Das glaube ich nicht«, sage ich ruhig, einfach nur, um etwas zu sagen. »Sieh dich doch um, was du alles für Jasper aufgegeben hast. Er wird es schon merken. Da bin ich mir sicher.«

  »Vielleicht will ich das ja gar nicht mehr«, sagt er und fährt mit seinen Händen unter mein T-Shirt. »Vielleicht ist es dann zu spät.«

  Im matten Schein seiner Nachttischlampe, die aus wenig anderem als einem Holzbrett und einer nackten Glühbirne besteht, halte ich ihn. Halte ihn einfach fest. Ich fahre mit der Hand über seinen Rücken, seinen Hinterkopf. Versuche ihm Sicherheit zu geben und Stabilität. In diesem Moment muss ich die Starke von uns beiden sein. Die Optimistin.

  »Alles wird gut«, murmle ich mit den Lippen an seinem Haar. »Alles wird gut. Ich verspreche es.«

  »Wie passend, dass du diejenige bist, die sich mit der Zukunft auskennt«, sagt Link. Wahrscheinlich soll es ein Witz sein, aber es klingt ein bisschen bitter.

  »Vielleicht nicht«, erwidere ich leise, während ich seinen warmen Atem an meinem Bauch spüre. »Aber ich weiß, dass ein Streit nicht alles zerstört.«

  Er lacht. Erst erstickt. Dann etwas lauter. »Du hast keine Ahnung«, sagt er.

  Vermutlich stimmt das. Ich kann mir nicht ausmalen, dass man derart wütend auf jemanden ist und ihm deshalb mit der Faust ins Gesicht schlägt. Und ich kann mir nicht vorstellen, was es mit einem macht, wenn der beste Freund einem mit der Faust ins Gesicht schlägt.

  »Es ist vorbei, Frenzy«, sagt er. »Der Gig im Palace of Sound, alles. «

  »Bist du sicher?«, frage ich.

  Doch Link schüttelt den Kopf. »Glaub mir, das war’s. Bonnie und Curtis wissen es auch. Unsere große Chance.«

  »Und wenn ihr ohne Jasper …«

  Ein bitteres Lachen entfährt ihm. »Nein, Frenzy. Du warst nicht dabei. Hast nicht in ihre Augen gesehen. Die Band ist Geschichte.«

  Ich weigere mich, das zu glauben. Aber natürlich hat Link recht. Ich war nicht dabei.

  »Okay«, sage ich, »vielleicht stimmt es. Aber selbst wenn. Das ist ein Rückschlag, klar. Das ist schlimm. Aber für dich ist es nicht vorbei.«

  »Was soll das denn heißen?«, fragt er und löst sich von mir.

  »Du bist so gut! Gut genug, um es überall zu schaffen.«

  »Überall?« Er runzelt die Stirn. »Was redest du?«

  »Ich meine ja nur. Du bist nicht abhängig von After Hours oder von New Orleans. Du kannst machen, was du willst!«

  Er sieht mich ungläubig an und schüttelt langsam den Kopf. Ich kann seine Reaktion nicht deuten. Gefällt ihm, was ich sage?

  »Du könntest es solo schaffen.«

  Er weicht noch ein Stück von mir zurück. Denkt er nach?

  »Du musst nicht illegal in leer stehenden Warehouses wohnen. Du kannst dir etwas Richtiges aufbauen. Es ist nicht vorbei.«

  Ich will seine Hand nehmen, doch er zieht sie weg. Sein Gesichtsausdruck hat von Ungläubigkeit zu etwas anderem gewechselt. Ist es Schrecken?

  »Ich meine ja nur, du hast Möglichkeiten.«

  »Was willst du damit sagen?«, fragt er. Sein ganzer Körper suggeriert Alarmbereitschaft. Was ist hier los? »Denkst du, ich bin unter meinen Möglichkeiten? Denkst du, ich bin besser als das hier? «

  Ich verstehe sein Problem nicht. Deswegen sage ich: »Ja, natürlich!«

  Er schnaubt. Durch seine lädierte Nase klingt es schrecklich, und im nächsten Moment stöhnt er vor Schmerz auf. »War ja klar.«

  »Was? Was war klar?«

  »Du bist keinen Deut besser als all die anderen.«

  »Keinen Deut? … Was redest du da?«

  »Geht es dir darum, ja?« Er klingt gleichzeitig wütend und verzweifelt.

  »Wovon redest du?«, frage ich und will seine Hand nehmen, aber er entzieht sie mir.

  »Du willst mich optimieren. Jemanden aus mir machen, der ich nicht bin.«

  »Das ist doch Unsinn«, versuche ich ihn zu beruhigen, ohne Erfolg.

  »Das ist es, was Hugo gemeint hat. Ich bin dein Abenteuer. Es ist wie bei all den anderen Tussis. Mit dem Unterschied, dass ich es da vorher weiß.« Er klingt jetzt beinahe verächtlich.

  Die Tatsache, dass er im Präsens spricht, versetzt mir einen Stich. Noch immer habe ich keine Ahnung, wovon er redet. Und was hat Hugo damit zu tun?

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nbsp; »Du willst mich retten. Willst den armen, verlorenen Link retten. Hübsch genug ist er ja, denkst du dir. Und mit ein bisschen Politur hier und da kann aus ihm etwas werden.«

  »Was? Nein!«

  »Lass mich dir eins sagen, Franziska.« Es ist das erste Mal, dass er mich bei meinem vollen Namen nennt. Und es tut weh. »Ich muss nicht gerettet werden. Das ist mein Leben. Es ist das, was ich mir ausgesucht habe. Ich möchte nichts weiter. Brauche nichts weiter. Nichts und niemanden, verstehst du? «

  Ich bin wie erstarrt. Das war überhaupt nicht das, was ich meinte. Ich wollte ihm eine Perspektive geben. Aber offenbar war das falsch. Anscheinend habe ich einen wunden Punkt getroffen. Ich weiß, dass er all diese Dinge vermutlich nicht so gemeint hat. Er ist aufgebracht, verzweifelt. Er denkt nicht rational.

  »Ich glaube«, sage ich, während mir eine Träne die Wange hinunterkullert, »ich glaube, ich sollte besser gehen. Lass uns morgen sprechen. Bevor Dinge gesagt werden, die wirklich etwas kaputt machen.«

  »Zu spät«, sagt Link und dreht sich zur Wand.

  Auf dem Heimweg kämpfe ich gegen die Tränen an. Es gelingt mir für die ersten zweihundert Meter, dann beginne ich zu schluchzen. Es ist spät in der Nacht, ich bin ganz allein in einem ziemlich verlassenen Viertel in einer Stadt, in der es gefährliche Gegenden gibt. Und trotzdem gilt meine größte Sorge Link. Wir haben uns gestritten, ja, aber das ist nichts, was man nicht wieder hinbiegen könnte. Morgen oder übermorgen. Wenn er sich beruhigt hat. Ihn allein zu lassen in seiner Wut und seiner Traurigkeit, bricht mir beinahe das Herz. Doch es ist besser so. Heute Nacht ist es besser so.

  Ich bin froh, als ich endlich an der Haltestelle des Streetcars ankomme, das mich nach Hause bringt. Ich muss nicht einmal lange warten. Während der gesamten Fahrt habe ich Links lädiertes Gesicht vor Augen. Die Verzweiflung, die aus seinem Blick sprach. Und wieder werde ich von einem Weinkrampf durchgeschüttelt.

  »Ist alles in Ordnung, junge Dame?«, fragt mich ein betrunkener alter Afroamerikaner.

  »Danke, es geht schon«, bringe ich mit Mühe hervor.

  »Keine gute Nacht gehabt?«

  »Wirklich nicht. «

  »Na, na«, sagt er und reicht mir ein Taschentuch. »In der Dunkelheit ist alles immer schlimmer als bei Tag. Hat meine Ma immer gesagt.«

  »Meine auch!« Ich muss lächeln, während ich mich ins Taschentuch schnäuze.

  »Und Mütter wissen es meistens am besten, hab ich recht?«

  Ich nicke und sehne mich auf einmal nach einem Frühstück mit meiner Mutter und Adrian.

  Am nächsten Morgen werde ich vom Klingeln meines Handys geweckt. Ich taste noch leicht verschlafen nach meinem Smartphone und erwarte, auf dem Display Links Namen zu sehen. Er hat sich abgeregt und weiß, dass er mit dem, was er letzte Nacht gesagt hat, unrecht hat. Doch es ist meine Mutter. Kurz bin ich enttäuscht, aber dann denke ich an den alten Mann im Streetcar und die Weisheiten unserer Mütter.

  »Guten Morgen«, sage ich so gut gelaunt, wie mir möglich ist, ins Telefon.

  »Hallo, Schatz«, erwidert meine Mutter, und an ihrer Stimme höre ich sofort, dass etwas nicht stimmt.

  »Mama?«, frage ich. »Was ist los?«

  »Ich … ich bin im Krankenhaus«, sagt sie.

  Ich setze mich kerzengerade auf. Mein Herz rast. Mir wird heiß und kalt zugleich. Im Krankenhaus. »Was ist los?«

  »Ich hatte einen Unfall«, sagt sie.

  »Einen Unfall?« Meine Stimme ist hoch und panisch.

  »Mir geht’s gut. Keine Sorge.«

  »Warum bist du dann im Krankenhaus?« Ich werde immer schriller.

  »Ein paar Knochenbrüche und geprellte Rippen. Nichts, was man nicht wieder hinkriegen könnte.«

  »Ich komme nach Hause«, sage ich, ohne zu überlegen .

  »Schatz, das musst du nicht. Adrian kann sich um mich kümmern.«

  Ich schnaube. Innerlich, denn ich will sie nicht aufregen. Aber als könnte Adrian sich um meine Mutter kümmern. Adrian kann nicht einmal ein Ei braten. Ich erinnere mich daran, wie ich ihn dabei überraschte, wie er Eier samt Schale in die Pfanne legte, in der Hoffnung, es würden Spiegeleier daraus.

  »Ich komme nach Hause«, sage ich noch mal. Diesmal mit mehr Überzeugung. »Und wie ist das überhaupt passiert?«

  »Ein unvorsichtiger Autofahrer. Ist einfach abgebogen, ohne auf die Fahrradfahrer zu achten. Er hat mein Vorderrad erwischt, und ich bin zwei Meter durch die Luft geflogen.«

  Mir entfährt ein Keuchen. »Um Himmels willen!«

  »Ich hatte den Helm auf, den du mir zu Weihnachten geschenkt hast. Du hast mir sozusagen das Leben gerettet.«

  Ich kriege Schweißausbrüche. »O Gott, Mama«, sage ich. Hinter meinen Augen brennt es, aber ich habe alle Tränen letzte Nacht schon geweint. Manchmal lohnt es sich eben doch, vernünftig zu sein. An Sicherheit zu denken. An die Zukunft. Manchmal liege ich richtig.

  »Natürlich musst du nach Hause fliegen«, sagt Faye.

  »Ich weiß aber nicht, für wie lange.«

  »Das ist doch kein Problem. Hugo und ich kommen jetzt auch ohne dich zurecht. Mach dir keine Sorgen.« Sie stellt ihren Kaffeebecher auf die Anrichte und schließt mich fest in die Arme, sodass mir beinahe schon wieder nach Weinen zumute ist. Was für ein Chaos! »Such dir einfach den nächsten Flug raus. Nimm meine Kreditkarte.«

  »Das kann ich nicht …«

  »Keine Widerrede«, sagt Faye und lächelt mir aufmunternd zu. »Und wenn du irgendwann wiederkommen willst, haben wir noch ein paar Monate offen.«

  42

  Lincoln

  Mein Kopf vibriert. Nein, das ist eine Untertreibung. Er wummert. Kurz bin ich vollkommen orientierungslos. Ich taste neben mich, aber da ist niemand. Stimmt, Frenzy ist gegangen. Wir haben uns gestritten. Als ich die Augen öffne und versuche mich umzudrehen, stöhne ich vor Schmerz auf. Meinem Kopf geht es ganz und gar nicht gut. Ich befühle meine geschwollene Lippe von innen mit der Zunge. Sie schmeckt metallisch, nach Blut. Jasper. Der Schlag seiner Faust in mein Gesicht. Der Sturz. Mein Kopf, der gegen die Mauer schlägt. Die Bilder von letzter Nacht brechen über mich herein wie ein Sommergewitter an einem besonders schwülen Tag. Allerdings bergen sie keine Erleichterung, sondern nur noch mehr Schmerz. Bonnies entsetztes Gesicht. Curtis’ Enttäuschung. Sal. Keine Ahnung, was in seinem Kopf vor sich ging. Aber jemand wie Sal hat auf diese Art von Drama keine Lust.

  Sal wollte aussteigen. Und, ehrlich gesagt, waren Curtis und ich kurz davor, uns nach einer Alternative umzusehen. Das waren Bonnies Worte, als sie noch dachte, meine Beziehung zu Frenzy könnte etwas kaputt machen. Der Streit mit Jasper ist deutlich schlimmer. Wenn sie schlau sind, telefonieren sie bereits herum.

  Ich angle nach meinem Handy, doch ein Blick darauf verrät mir, dass der Akku leer ist. Das Ladekabel ist im Cat’s Cradle. Steckt hinter der Bar in einer Steckdose. Verdammt .

  Ich versuche mich aufzusetzen, und es gelingt mir einigermaßen. Mir ist leicht schwindelig, aber sonst geht es.

  Von der Straße dringen Geräusche zu mir herauf. Das Knallen von Autotüren. Ein metallisches Kreischen. Stimmen. Laute Stimmen. Sie werden immer lauter – und mir wird schlecht.

  Sie sind hier. Sie sind in meinem Warehouse. Sofort ist mein Kopf klar. Ich ignoriere das Stechen und Pochen. Mein Körper schaltet auf Autopilot. Es ist nicht das erste Mal, dass das passiert. Ich weiß, was ich zu tun habe. So leise, wie es mir möglich ist, mache ich mich daran, alle meine Sachen zu einem unordentlichen Haufen in der Ecke aufzutürmen. Wenn ich die Geräusche richtig zuordne, sind die Männer – denn ich höre nur Männerstimmen – unten. Bis sie im zweiten Stock angelangt sind, dauert es sicher ein paar Minuten. Falls sie hier hochkommen. Dann reiße ich die Plastikplane, die mir als Wand gedient hat, von der Decke und lege sie darüber. Ich hoffe inständig, dass sie meine Konstruktion als Schutthaufen identifizieren und unangetastet lassen. Als Letztes klettere ich aus dem Fenster. Hier ist ein kleiner Vorsprung, auf den man sich kauern kann. Man hat einen Blick auf den Fluss, der mir sonst in jeder Situation Trost gespendet hat. Aber nicht heute. Heute verachtet er mich. Die Welt schw
ankt etwas, und ich versuche mich festzuhalten. Doch zittrig, wie ich bin, gelingt es mir nicht, die Bewegungen meiner rechten Hand schnell genug zu koordinieren. Weil ich Angst habe zu fallen, stütze ich mich mit der linken Hand schnell auf, dabei entgleitet mir mein Handy, von dem ich ganz vergessen hatte, dass ich es noch in der Hand halte. Ich bin zu panisch. Und meine Bewegungen zu fahrig. Ich versuche noch das Telefon aufzufangen, aber es ist zu spät. Es rutscht immer weiter, bis es aus meinem Blickfeld verschwindet und kurz darauf mit einem sehr entfernten Knirschen ungefähr zehn Meter unter mir auf dem Kies landet. Ginge es mir nicht so beschissen und hätte ich keine Angst, entdeckt zu werden, würde ich mich maßlos über meine Unachtsamkeit aufregen. Aber in diesem Moment kann ich über nichts nachdenken. Nicht über meinen Streit mit Frenzy, nicht darüber, dass sich meine Band aufgelöst hat, nicht über ein kaputtes Telefon. Im Augenblick bin ich einfach nur erleichtert, dass ich es rechtzeitig rausgeschafft habe.

  Doch erst passiert eine ganze Zeit nichts. Ich weiß nicht, wie lange ich hier draußen mit klopfendem Herzen gekauert habe. Die Herbstsonne brennt auf meinen Kopf, und das Wummern wird wieder stärker. Ich fasse mir vorsichtig an den Hinterkopf, spüre eine gigantische Beule, vermutlich getrocknetes Blut. Vielleicht habe ich mir bei meinem Sturz gestern eine Gehirnerschütterung zugezogen.

  Dann höre ich auf einmal Schritte. Die Stimmen, die in den letzten Minuten noch weit weg waren, kommen näher. Und näher. Und noch näher. Mir ist so schlecht, dass ich mich am liebsten übergeben würde.

  »Und Sie kümmern sich darum, dass das Gebäude leer geräumt wird?«

  »Wir haben eine Firma, die das erledigt.«

  Die Stimme des zweiten Mannes ist ruhig, autoritär. Ich kriege eine Gänsehaut, obwohl mir der Schweiß auf der Stirn steht.

  »Ich denke, ich habe Sie lange genug hingehalten. Wir haben einen Deal.«

 

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