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[Ophelia Scale Serie 01] • Die Welt wird brennen

Page 21

by Kiefer, Lena


  Das war grausam. Und genial. »Wie haben sie das gemacht?«

  »Ihr tragt EyeLinks. Es war nicht schwer, die Gesichter auszutauschen.«

  »Aber die Links waren gar nicht aktiviert«, sagte ich. »Sie wurden auch nicht kalibriert.« Ich klammerte mich an die winzige Chance, dass Knox doch dort gewesen war.

  »Das müssen sie nicht bei jedem Einsatz«, sagte Lucien.

  »Er war also nicht da«, murmelte ich tonlos. Die Wahrheit fraß sich in meinen Verstand und setzte die Hoffnung schachmatt.

  »Nein, war er nicht. Es tut mir ehrlich leid, Ophelia.«

  Ich presste die Lippen aufeinander und nickte. Auch das glaubte ich ihm.

  »Ist egal«, sagte ich bitter, »ich werde bald ohnehin nichts mehr davon wissen.«

  »Ach, Unsinn.« Lucien nahm wieder meine Hand, seine Finger wärmten meine. Es beruhigte mich.

  »Sie haben mich getestet und ich bin durchgefallen. Wie gut sind da wohl meine Chancen, hierzubleiben?«

  »Die sind bestens. Weil du nicht durchfallen wirst.« Lucien lächelte. »Es gibt noch einen zweiten Teil bei dem ganzen Spaß. Gleich kommen Claesson und Dufort hierher und befragen dich zu dem Angriff. Wenn du ihnen beweist, dass du alles im Griff hattest, bleibst du im Rennen.«

  »Und wie soll ich das machen? Ich liege mit einer Schein-Schussverletzung in einem Bett im … was ist das hier überhaupt?«

  »Medical Department C«, informierte mich Lucien, als wäre er ein Auskunftsterminal.

  »Genau«, sagte ich. »Nach einer miesen Woche und einem miesen Auftritt bei der heutigen Show. Ich kann rechnen, Lucien.«

  »Es geht nicht darum, dass du in eine Kugel gelaufen bist«, beharrte er. »Es geht nur darum, wie abgelenkt du warst. Was du trotzdem gesehen hast.«

  »Eben gar nichts!« Langsam bekam ich wieder Angst. Lucien drückte meine Hand.

  »Ich weiß, dass du das glaubst«, sagte er, »deswegen bin ich hier.« Er ließ meine Hand los, schob seinen Ärmel hoch und schaltete ein Pad an seinem Arm ein, das so ähnlich aussah wie das von Ferro. Der Holo-Erzeuger ließ eine Zeichnung des Areals am See erscheinen. Einzelne Punkte leuchteten auf.

  »Es waren zwölf Leute«, begann Lucien. »Acht Männer, vier Frauen. Sie hatten schwarze Kleidung an, aber es waren keine Uniformen. Die meisten von ihnen trugen Radicals-Abzeichen am rechten unteren Saum und –«

  »Was machst du da?«, unterbrach ich ihn.

  »Ich informiere dich.«

  »Das darfst du nicht!« Ich schüttelte heftig den Kopf. »Wenn die rausfinden, dass du mir geholfen hast, dann –«

  »Bist du auf deinen hübschen Schädel gefallen?« Er fragte es so freundlich, als würde er mit einer Geisteskranken sprechen.

  »Nein? Aber du kannst nicht –«

  »Natürlich kann ich«, unterbrach er mich erneut. »Ich weiß nicht, ob das PXI dir das Hirn vernebelt hat, aber ich war bei dem Briefing heute Morgen dabei. Du hattest eine schlechte Woche, und Dufort macht sich Sorgen, dass du dem Druck nicht gewachsen bist. Das bedeutet im Klartext: Wenn du denen keine Details nennen kannst, bist du draußen. Willst du das?«

  »Nein, aber –«

  »Dann sei still und pass auf.« Es war ein Befehl.

  Ich klappte den Mund zu.

  Lucien zeigte auf die Projektion. »Wir sind von dieser Seite auf euch zugekommen und haben das Feuer eröffnet. Die meisten Leute sind zu den Bäumen gelaufen, einige zum Bootshaus. Du warst hinter der Kletterwand und hast Bayarri davor bewahrt, erschossen zu werden.« Drei Punkte leuchteten auf. »Dann hast du die Kids vom Ufer weggeholt.« Die Punkte bewegten sich.

  »Waren die alle eingeweiht?«, fragte ich. Die Angst der Leute war mir so real vorgekommen.

  »Es ist die Schauspieltruppe vom Theater aus Zone B«, sagte Lucien. »Aber sie wussten nicht alles. Es sollte echt wirken.«

  Das war ihnen gelungen.

  »Wir haben uns neu formiert und sind in zwei Gruppen auf Bootshaus und Ufer zugekommen«, erklärte Lucien weiter. »Das war der Moment, als du Gaia entdeckt hast. Weißt du noch, wo die Radicals zu dem Zeitpunkt waren?«

  Ich schilderte Lucien alles, was ich mitbekommen hatte. Einige Sachen wusste ich noch, aber vieles auch nicht. Meine Erinnerungen hatten sich mit Knox’ Auftauchen zu einem wirren Knäuel verknotet. Lucien half mir, es wieder zu entwirren.

  »Dann kam der Typ, der mich beinahe erwürgt hat.«

  »Du hast ihn mit voller Breitseite umgerannt.« Lucien grinste anerkennend. »Das bringt dir auf jeden Fall Punkte ein.«

  »Es war dumm.« Ich verzog das Gesicht.

  »Es war mutig. Außerdem sollte der Idiot dich nicht so stark würgen. Wahrscheinlich hat er dir den Tritt in die Eier übel genommen. Ich musste ihn von dir runterziehen.«

  »Du warst das?«

  »Ich habe auf den EarLinks dafür sofort einen Anschiss von Dufort bekommen.« Lucien verdrehte die Augen. »Aber im Ernst, hätte ich darauf warten sollen, dass du erstickst?«

  »Ich dachte, Troy hätte …«

  »Rankin? Nein. Der stand nur daneben. Entweder hatte er keine Ahnung, was er tun soll – oder er mag dich nicht.«

  »Eher Letzteres.« Da tat Troy so, als wäre er der Retter der Nation, und dann hatte er nur alibimäßig an meinem Arm gezogen. Was für ein Arsch. »Schmeißen sie ihn dafür raus?«

  Lucien schüttelte den Kopf. »Nein, er ist ganz oben auf der Liste. Da muss schon mehr passieren.«

  Verdammt.

  »Jedenfalls hast du dann deinen Freund entdeckt.«

  Ich verspannte mich. Lucien bemerkte es. »Keine Sorge. Es war sicher krass für dich, aber es hat nicht so ausgesehen.«

  »Ich bin wie eine Wahnsinnige hinter ihm hergerannt.«

  »Du bist zu einer Gruppe Radicals gelaufen, die versucht hat, Zivilisten umzubringen – und auf dem Weg hast du zwei von denen ordentlich vermöbelt. Außerdem weißt du eines nicht.« Er zeigte mir einen kleinen roten Punkt. »Da war ein Junge in ihrer Nähe, direkt an den Büschen. Du hast ihn nicht bemerkt, aber davon ahnt Dufort nichts.«

  »Und was sage ich, wenn sie nach Kno… Nicholas fragen?«

  »Das werden sie nicht. Falls doch, erzählst du ihnen, dass du irritiert warst, weil einer von den Angreifern so aussah. Aber dann wusstest du, dass die Zivilisten Vorrang haben, blabla. Dufort mag dich, also musst du gut darin sein, Leuten etwas vorzumachen. Du kriegst das schon hin.« Er lächelte und schaltete das Pad ab.

  Ich griff nach seiner Hand, bevor er sich abwenden konnte.

  »Wieso tust du das?«, fragte ich. »Es muss ein Risiko sein, mir zu helfen.«

  »Das Risiko hält sich in Grenzen. Wobei, vielleicht gibt mir Leopold ja Hausarrest, oder ich muss ohne Essen ins Bett.« Er machte ein erschrockenes Gesicht.

  »Lucien …« Ich wollte keine Witze hören.

  Er senkte den Blick und strich flüchtig über meine Finger. Ein Kribbeln wanderte meinen Arm hinauf. »Ich fand es fair.«

  »Fair?«

  »Deine Kollegen haben irgendjemanden bei den Zivilisten erkannt – die Oma, den kleinen Bruder oder den besten Freund. Aber keiner von ihnen hat unter den Angreifern jemanden gesehen, der ihre große Liebe war.« Er schob seine Finger unter meine. »Ich sorge nur für Gerechtigkeit.«

  Ich sah auf die Bettdecke. »Trotzdem hättest du es nicht tun müssen.«

  »Nun, für einen hässlichen Kerl hätte ich es wahrscheinlich auch nicht getan.« Er grinste. Ich erwiderte es und sah auf unsere verschränkten Hände.

  »Es tut mir leid, dass ich heute Morgen so ätzend zu dir war.«

  »Ist okay«, antwortete er leichthin. »Ich hatte das verdient.«

  »Nein, hast du nicht.«

  »Ich habe dir nicht gesagt, wer ich bin. Das war nicht in Ordnung. Ich hätte mir denken können, dass du das nicht gut aufnimmst.«

  »Das ist die Untertreibung des Jahres.« Es hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Aber jetzt musste ich feststellen, dass es okay war. Er war okay. Mehr als das.

  »Glaubst du mir, dass ich niemandem von diesem Treffen in der Ruine erzählt habe?« Lucien sah mich an.

&nb
sp; Ich zögerte nicht. »Ja.«

  »Gut. Denn das habe ich nicht. Ich glaube, ich wollte nur nicht, dass du mich so ansiehst.«

  »Wie denn?«

  Er hob die Schultern. »Der Blick vieler Leute verändert sich, wenn sie herausfinden, wer ich bin. Und die meisten werden unehrlich, weil sie mir wegen Leopold in den Hintern kriechen wollen.«

  »Ach, echt? Kann ich mir gar nicht vorstellen.« Ich grinste. »Habe ich dir heute schon gesagt, wie umwerfend du aussiehst?«

  Lucien lachte.

  »Nein, Schätzchen, aber das ist nicht nötig. Ich weiß, dass ich ein heißer Typ bin.« Er nickte gönnerhaft und streckte die Hand aus. »Also, fangen wir noch mal von vorne an: Ich bin Lucien de Marais. Freunde sagen Luc.«

  »Ophelia Scale, aber das wusstest du scho–«

  Ein Signal an seinem Pad unterbrach mich. Sofort stand Lucien auf.

  »Das ist der Annäherungsalarm. Ich muss gehen.« Er ließ meine Hand los. »Die Überwachung im Zimmer war aus, solange ich bei dir war. Es wird wie ein Defekt aussehen.« Er öffnete die Tür.

  »Lucien?« Er drehte sich um. Ich lächelte. »Danke. Du hast mir das Leben gerettet.«

  »Immer wieder gerne. Wir sehen uns, Stunt-Girl.« Die Tür schnappte hinter ihm zu. Nur eine halbe Minute später öffnete sie sich wieder für Echo und Dufort.

  »Hi, Ophelia. Wie geht es dir?« Sie trugen beide nun normale Sachen, aber ich war sicher, dass auch Dufort unter den Angreifern gewesen war.

  »Schon besser, danke.« Ich lächelte.

  »Wärst du bereit, uns ein paar Fragen zu beantworten?«

  »Ja, natürlich.«

  Dank Lucien war ich bereit wie nie. Aber er selbst blieb ein Rätsel. Er war der Bruder des Königs, er war angeblich Diplomat, aber er war auch bei diesem Angriff dabei gewesen.

  Wer war Lucien de Marais wirklich?

  Und was bedeutete das für mich?

  23

  Die Lichtung lag still da, als ich ankam. Die Bäume standen an dieser Stelle des Waldes weit auseinander, Felsbrocken waren wie gefallene Würfel über den Boden verteilt. Ich setzte mich auf einen der Steine und tat so, als würde ich eine Pause einlegen.

  Die Wärme des Tages kühlte sich langsam ab und Wind kam auf. Die Baumkronen raschelten leise über mir. Ich sah hoch. Seit ich die TransUnit am See verlassen hatte und in den Wald gelaufen war, fühlte ich mich beobachtet. Der Grenzzaun wurde mit Bio-Scannern und DNA-Trackern kontrolliert, aber auch mit altmodischer Kameratechnik. Nicht, dass es so etwas gebraucht hätte, um mich zu orten. Mein WrInk übertrug ein glasklares Signal, wo immer ich mich aufhielt.

  Was die Schakale anging, lag ich gut im Rennen. Luciens Hilfe hatte mich unter die Top fünf gebracht und seitdem war ich besser denn je. Hatte ich wegen seiner Hilfe ein schlechtes Gewissen? Nein. Es war unfair gewesen, mir ausgerechnet Knox über die EyeLinks einzuspielen. Außerdem ging es um die Mission. Mein Durchhänger hätte mich fast drei Jahre Clearing und ReVerse eine einmalige Chance gekostet. Das durfte nicht noch einmal passieren.

  Ich hatte mich zurück auf Kurs gebracht: Zusatztraining, Erhöhung des Lernpensums, keine Rücksicht mehr auf Verluste. Ich machte mir immer noch Sorgen, aber sie lähmten mich nicht mehr. Wo immer Knox war, ich konnte ihm momentan nicht helfen.

  Ein neues Treffen mit ReVerse zu vereinbaren, war einfacher gewesen als gedacht. Da wir jetzt an unsere Familien und Freunde schreiben durften, hatte ich Liora einen Brief mit einer codierten Nachricht zukommen lassen. Beim ersten Mal hatte Ferro diktiert, wann und wo es stattfinden sollte. Diesmal hatte ich darüber bestimmt. Die Stelle hoch am Hang, wo die Mauer nur ein Zaun war, schien ideal. Hoffentlich befolgte er auch die anderen Instruktionen.

  Ein Ast knackte, dann noch einer. Schließlich hörte ich Schritte. Ich ging zum Zaun, aber nicht zu nah heran. Der Bio-Scanner setzte jeden außer Gefecht, der die Grenze übertreten wollte – egal, von welcher Seite.

  Jemand von großer Statur schob sich durch die Bäume, eindeutig nicht Ferro. Es war ein bärtiger Mann in Phobe-Kleidung, dem eine Frau und zwei Kinder in gleichem Aufzug folgten. Der Junge schlug mit einem Ast gegen die Stämme der Bäume, das Mädchen klammerte sich an die Hand seiner Mutter. Keinen von ihnen kannte ich. Unwillkürlich machte ich einen Schritt zurück.

  »Hallo«, sprach mich der Mann an. Als er näher kam, erkannte ich über dem struppigen Bart vertraute blaue Augen. Ich vergaß fast, der Kamera den Rücken zuzudrehen.

  »Julius?« Er nickte kaum merklich. »Warum du?« Ich deutete im Schutz meines Oberkörpers in die Richtung der Überwachung. Er neigte den Kopf.

  »Ferro wurde aufgehalten.« Also war Julius jetzt in die obere Riege aufgestiegen, wie es schien. »Da habe ich mich freiwillig gemeldet.«

  »Seid ihr wahnsinnig?«, fragte ich. »Wenn die deinen WrInk tracken und die Verbindung zu mir herstellen …«

  »Ich trage nicht meinen eigenen WrInk.« Julius bewegte den Arm und ich sah eine Beule unter dem Ärmel. Mein Magen drehte sich um. Ich wusste, wie eine solche Transplantation ablief: Man verpflanzte das fremde Gewebe mit, um die DNA-Koppelung zu erhalten. Es war ekelhaft – und gefährlich. Da man damit nicht zu einer MedStation gehen konnte, entzündete sich oft der ganze Arm und starb ab.

  »Wie lange haben wir?«, fragte Julius mich.

  »Fünf Minuten, dann wird die Kavallerie losgeschickt.« Ich presste die Hand auf den Mund. »Julius, dein Arm –«

  »Dafür haben wir keine Zeit. Ich komme klar.«

  »Wer sind die?« Ich deutete in Richtung der Frau und ihrer Kinder, die ein paar Meter entfernt an einem Baum standen. Meine Idee war gewesen, dass Ferro sich als wanderfreudiger Phobe ausgab, den ich am Zaun traf und wegschickte. Von einer ganzen Familie im Gepäck war nicht die Rede gewesen.

  »ReVerse-Anhänger. Sie machen das freiwillig. Wir dachten, es wäre authentischer.«

  Da musste ich ihm widerwillig zustimmen. Das Sicherheitssystem war undurchdringlich. Die optische Überwachung deckte jeden Meter der Grenze ab, die Scanner verhinderten, dass etwas den Zaun überqueren konnte. Also blieb nur eine Show für die Kameras. Sie zeichneten keinen Ton auf und konnten nicht hören, was wir sagten.

  Ich machte eine auffällige Geste in die Richtung, aus der Julius gekommen war. »Das hier ist Sperrgebiet«, sagte ich so, dass die Kamera meine Lippenbewegungen erfassen konnte. »Sie müssen gehen.«

  Julius spielte mit. »Wir wollten uns nur umsehen«, sagte er und nuschelte ein undeutliches »Wie ist dein Status?« hinterher. Keine Frage, wie es mir ging oder ob ich zurechtkam. Nur die nach meinem Status.

  Ich drehte den Kameras den Rücken zu. »Ich bin momentan unter den besten fünf. Wir sind noch fünfundzwanzig Anwärter, letzte Woche haben sie ein Drittel nach Hause geschickt.«

  »Wirst du es schaffen?«

  »Das werden wir sehen«, gab ich zurück.

  Julius’ Gesicht verhärtete sich. »Das reicht nicht. Der König lässt mehr Kontrollen durchführen, die Turncoats wurden verdoppelt und besser ausgestattet. Leute, die zum Clearing geschickt werden, verschwinden spurlos. Wie lange dauert das denn noch?«

  »Ich brauche Zeit, um an Leopold heranzukommen. Ferro hat gesagt, ich soll geplant vorgehen.« Ich hatte nicht gewusst, dass die Lage sich zugespitzt hatte. Aber deswegen konnte ich nicht zaubern.

  »Ferro hat seine Meinung geändert«, sagte Julius hart. »Je schneller wir es durchziehen, desto besser.«

  »Das soll er mir selbst sagen«, erwiderte ich stur.

  »Ich spreche für ihn.« Julius’ Augen funkelten fiebrig.

  »Und ich spreche für mich! Ich kann wohl kaum in die Festung spazieren und Leopold den Hals umdrehen!«

  »Es kann auch jemand anders tun, wenn wir eine Gelegenheit bekommen«, sagte Julius. Hinter ihm spielten die beiden Kinder Fangen. Die Frau sah mich an, als wäre ich der Feind.

  Ich schwieg. Einerseits wollte ich mir diese Sache nicht aus der Hand nehmen lassen, schließlich hatte ich hart dafür gearbeitet. Aber manchmal war da eine Stimme, die mich fragte, ob ich es im entscheidenden Moment überhaupt fertigbringen würde. Vielleicht wäre es einfache
r, den letzten Schritt nicht selbst tun zu müssen.

  »In drei Wochen findet ein Besuch des südamerikanischen Präsidenten statt«, sagte ich zögernd. »Der König will sie nicht in die Stadt lassen, also empfängt er sie außerhalb in der Villa Mare. Es ist eine kleine Basis an der italopäischen Küste, gut gesichert, aber nicht so wie hier. Man könnte jemanden hineinbringen.« Während ich es sagte, bereute ich es schon. Was sollte das werden, ein Angriff ohne Planung und Verstand? Ich holte Luft. »Ich habe eine Menge riskiert, um hier zu sein, und nun soll ich alles über den Haufen werfen? Julius, sei ehrlich. Was ist wirklich das Problem?«

  »Das sagte ich bereits«, antwortete er mit verkniffener Miene.

  Meine Uhr piepte. Es war Zeit, noch einmal für die Kameras eine Show abzuziehen. »Als Mitglied der königlichen Sicherheit muss ich Sie des Ortes verweisen. Sie dürfen sich hier nicht aufhalten.«

  Julius musterte mich, als würde er mich tatsächlich als Teil der Wachmannschaft sehen. Dann hob er die Hände und machte einen Schritt nach hinten.

  »Du sagtest, es wird enger«, hakte ich nach. »Aber das ist nicht die ganze Wahrheit.« Ich war auch vor Maraisville gut darin gewesen, Menschen zu analysieren – sogar mit HeadLock. Aber nach acht Wochen mit Dufort konnte ich sie lesen.

  Julius schien zu zögern.

  »Du schuldest mir mehr als Ferro«, sagte ich bestimmt.

  Er seufzte und gab nach. »Sie kommen ihm auf die Spur. Ferro war unvorsichtig und hat sich zu ein paar Racheaktionen hinreißen lassen.«

  »Gegen wen?«

  »Ehemalige Kollegen.«

  »Hat er sie getötet?«

  »Ja.«

  »Wie viele?«

  »Fünf oder sechs? Keine Ahnung.«

  »Und weiter?«

  »Sie haben angefangen, Jagd auf ihn zu machen. Sie wissen zwar nicht, wer er ist, aber es ist nur eine Frage der Zeit.«

  Mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Das Ziel von ReVerse war eine Welt ohne Abkehr. Dazu brauchte es genau einen Toten und das war der König. Wenn Ferro aus der Angelegenheit seinen persönlichen Rachefeldzug machte, war das sein Problem.

  »Dann soll er eben untertauchen und es aussitzen.« Die Revolution würde ihn nicht an vorderster Front brauchen. »Wenn er eine Weile stillhält, geben sie die Suche nach ihm auf.«

 

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