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Rabentod (Rabenblut Serie 2) (German Edition)

Page 18

by Nikola Hotel


  »Das Beste wird sein, wir bringen erst einmal Mareks Wagen zurück.«

  »Und was dann?« Meine Stimme bekam einen kieksenden Tonfall. Die bekam sie immer, wenn sich meine Gedanken überschlugen und sich Panik in mir ausbreitete. Und gerade waren meine Gedanken ein einziges Schneetreiben. »Was sollen wir denn jetzt machen? Nikolaus’ Vater bei der Polizei anzeigen? Und was machen wir mit der Waffe? Diese verfluchte Waffe!« Mir schossen Tränen der Angst in die Augen. »Ich kann nicht glauben, dass ich hier wirklich eine geladene Waffe von diesen Mördern im Kofferraum durch die Gegend kutschiere. Die kann man schlecht einfach bei der Polizei abgeben, oder?«

  Inzwischen hatten wir den Ortsausgang passiert. Die nächste Ampel stand auf Grün, und der Wagen schlingerte über die Kreuzung hinweg. Rechts und links der Fahrbahn wichen die Häuser vereinzelten Feldern und Waldstücken. Meine Hände zitterten unkontrolliert. Die Anspannung der letzten Minuten brach sich nun bahn, schlug über mir zusammen wie eine Monsterwelle. Keuchend holte ich Luft.

  »Fahr mal bitte rechts ran«, sagte Alexej.

  »Wo soll ich denn hier ranfahren?«, schluchzte ich. »Hier gibt es nicht einmal eine Parkbucht. Es ist verboten, einfach so auf der Straße anzuhalten, wenn man keine Panne hat. Außerdem muss man eine Warnweste anziehen, und ich weiß nicht einmal, ob Marek eine ins Auto gelegt hat. Aber das spielt auch keine Rolle, weil ich sowieso nicht den Kofferraum aufmachen werde. Da ist eine geladene Waffe im Kofferraum!«, wiederholte ich immer wieder. Ich hatte mich in eine fette Hysterie hineingeschaukelt.

  »Stell dir nur vor, der Polizist hätte sie entdeckt! Dann säßen wir jetzt in Untersuchungshaft. Ganz sicher hätten sie von uns dreien genug DNA-Spuren gefunden, um uns für den Rest unseres Lebens einzusperren.« Meine Finger umkrampften das Lenkrad.

  »Isabeau«, sagte Alexej entschieden. »Du fährst jetzt da vorne rechts ran, da ist ein Seitenstreifen.«

  »Das ändert doch auch nichts daran, dass wir eine verdammte Pistole in unserem Kofferraum haben!« Tränen rannen mir über das Gesicht.

  Da platzte Sergius der Kragen. »Halt endlich die Klappe!« Er packte mich von hinten an den Schultern und rüttelte mich, wobei ich mich vor Schreck verschluckte und fast das Lenkrad verrissen hätte.

  Alexej griff dazwischen. »Sergius! Lass sie sofort los.« Seine Stimme war immer noch ruhig, aber der drohende Tonfall war unüberhörbar und vergleichbar mit Eis, das in ein Glas klirrte.

  Sergius zog seine Hände zurück. »Sie fährt uns gleich noch an einen Baum«, stieß er aufgebracht hervor.

  »Es tut mir leid«, jammerte ich. »Es tut mir leid.« Die Straße verschwamm mir vor den Augen, und stotternd kam der Wagen zum Stehen. Hilflos wollte ich meinen Kopf auf dem Lenkrad abstützen und hemmungslos losheulen, aber Sergius hatte den Griff am Sitz hochgezogen und drückte mich nach vorn.

  »Steig aus, verdammt!«

  Mit wackeligen Beinen stieg ich aus dem Wagen, und Sergius kletterte mir fluchend hinterher. Während ich ihm mit verheultem Gesicht zusah, wie er zum Kofferraum marschierte, spürte ich Alexej an meiner Seite. Ich war ihm dankbar, dass er mich nicht umarmte, denn dann wäre ich endgültig zusammengeklappt. Doch seine Hand, die meine festhielt, sorgte dafür, dass ich wieder ruhiger atmen konnte.

  Sergius warf den Rucksack auf den Boden und zog den Reißverschluss auf. Mit zusammengebissenen Zähnen zerrte er die SIG-Sauer heraus, holte aus und schleuderte sie in den Wald.

  »Und jetzt krieg dich endlich wieder ein, Isa!«, sagte er. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt, und er sah aus, als hätte er gute Lust, mich übers Knie zu legen. Oder Ähnliches. Seine Entspannung, die er sich in der letzten Nacht sicher mühsam erarbeitet hatte, schien wie weggeblasen.

  »Und was ist, wenn die jemand findet?«, fauchte ich. »Was, wenn zum Beispiel spielende Kinder die Waffe in die Finger bekommen? Das ist lebensgefährlich, sie –«

  »Spinnst du? Hier spielen verflucht noch mal keine Kinder! Das ist eine Schnellstraße. Sollte eine Mutter ihre Kinder hier spielen lassen, dann tickt sie nicht ganz sauber.«

  »Sergius hat recht.« Mit einem Lächeln, das unendlich müde aussah, hob Alexej den Rucksack auf und stellte ihn zurück ins Auto. »Es wäre toll, wenn ihr euch jetzt beide mal beruhigen könntet. Außerdem komme ich um vor Hunger. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das jemals sagen würde, aber für eine Portion Fritten würde ich nackt auf der Straße tanzen.«

  Sergius zog eine Grimasse. »Du kannst es ja mal versuchen.« Demonstrativ ließ er den Blick an Alexejs Körper herunterwandern. »Kann mir aber nicht vorstellen, dass jemand dafür einen Heller abdrücken würde. Vielleicht wenn Isa …« Er ließ den Satz unbeendet.

  »Okay.« Tief Luft holend wischte ich mir die Tränenspuren vom Gesicht und schaffte es tatsächlich, nicht auf Sergius’ Provokation einzugehen. »Ich habe noch ein paar Energieriegel in der Reisetasche. Und Beef Jerky«, fügte ich schnell hinzu, weil keiner von beiden in Begeisterung ausbrach. »Das hat Marek selbst gemacht. Er legt das Fleisch vor dem Trocknen tagelang in irgendeine Spezialmarinade ein, deren Zusammenstellung er hütet, als wäre es die Coca-Cola-Rezeptur. Er wird mich umbringen, wenn er sieht, dass ich seinen Vorrat geplündert habe.«

  »Beef Jerky«, wiederholte Alexej und bekam glänzende Augen dabei. »Gott, ich liebe dich!« Er umrundete das Auto, umfasste mein Gesicht und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Ob er Gott für das Beef Jerky liebte oder mich, war mir gerade völlig egal. Ich war einfach nur erleichtert, dass wir die Waffe los waren und Alexej unverletzt und lebendig vor mir stand. Sergius hingegen schien tatsächlich der Pistole hinterherzutrauern.

  »Es ist ein Jammer«, sagte er. »Die hätten wir bestimmt noch gut gebrauchen können.«

  BLUTGERUCH

  ISABEAU

  »Du hast einen Käsekuchen bei mir gut«, sagte ich zu Sergius, als wir den Wagen abgestellt hatten und er direkt im Wald verschwinden wollte.

  Sergius starrte auf meine ausgestreckte Hand, als hielte ich ihm eine Giftschlange vor die Nase. »Wenn das der Dank dafür sein soll, dass ich dir den Arsch gerettet habe, dann kann ich nur sagen …« Er machte eine Pause, und auf seinem Gesicht bildete sich dieses Apfelspalten-Lächeln, das für seine Verhältnisse viel zu freundlich aussah. »… dass es das wert war«, ergänzte er und schlug ein. Es war ein komisches Gefühl, mich bei ihm auf diese Art zu bedanken. Vor allem, da mir eine Sache bewusst wurde, die sich von einem Moment auf den anderen zwischen uns verändert hatte:

  Ich hatte keine Angst mehr vor ihm.

  Eigentlich sollte mich diese Tatsache erst recht alarmieren. Vor Sergius Angst zu haben, ihn mit Misstrauen zu betrachten, war in meinen Augen bisher überlebenswichtig gewesen. Vielleicht war es Dummheit, vielleicht war das nur wieder irgendein Trick von ihm, andere mit seiner rauen Art einzulullen. Sich so schlecht zu benehmen, widerlich zu sein, nur damit einen jede kleinste Freundlichkeit in Verzückung versetzte. Ich traute ihm durchaus zu, dass er das berechnet hatte. Er war vielleicht ungebildet, aber er war kein Dummkopf. Wenn er etwas zu tun verstand, dann ganz sicher, wie man andere manipulierte, denn das hatte ich bereits genossen, als der Söldner, der das Hunderudel führte, Alexej im Wald angeschossen hatte. Hätte Sergius mich nicht bedrängt und provoziert, ich hätte nie gesagt, dass der Mann den Tod verdiente. Und Sergius hätte ihn vielleicht nicht umgebracht. Noch heute quälte mich die Erinnerung daran, wie der Mann gestorben war. Das Bild, wie sich der schwarze Rabenteppich über seinen Leichnam ausbreitete, hatte sich auf ewig in mein Gedächtnis gebrannt.

  Sergius war durchtrieben. Andererseits hatte er uns geholfen. Ohne seine forsche Art hätte uns die Polizei vermutlich in die Mangel genommen.

  Alexej nahm Sergius nun kumpelhaft in den Arm, was dieser nur widerwillig geschehen ließ und sich schnellstmöglich von ihm befreite.

  »Wo willst du jetzt hin?«, erkundigte sich Alexej. »Isabeau hat gesagt, dass deine Kopfverletzung nicht ungefährlich ist. Du solltest nichts riskieren.« Er sprach es zwar nicht aus, aber es war klar, dass er ihn so nicht wegschicken wollte.

  Sergius zuckte mit den Schultern. Er tastete über seine
Schläfe und zog mit einem Ruck das Pflaster herunter. Das ratschende Geräusch verursachte mir eine Gänsehaut. Grinsend betrachtete er die Kompresse. »Blutet jedenfalls nicht mehr. Ich fliege zum Schwarm. Und ihr solltet auch nicht hierbleiben.«

  Damit hatte er natürlich recht, aber es wunderte mich trotzdem, dass er es sagte. So als würde er sich wirklich dafür interessieren, was mit uns passierte.

  »Ich habe noch Urlaub«, sagte ich. »Wir packen ein paar Sachen zusammen, dann fahren wir mit dem Zug nach Orlík.« Alexej und ich hatten das während der Fahrt besprochen, als Sergius sich schnarchend auf der Rückbank zusammengerollt hatte. Hier konnte Alexej nicht bleiben. Nicht solange wir nicht wussten, was Wassilij im Schilde führte. Und auch in Orlík würde es auf Dauer zu unsicher sein. Die Reise zu seiner Großmutter würde ein Abschied werden. Ein Abschied, von dem er nicht wissen konnte, wie lange er andauern würde. Vielleicht für immer.

  »Urlaub.« Sergius lachte albern, als wäre es idiotisch, so etwas Normales wie Urlaub in den Mund zu nehmen, nachdem man es mit ein paar Söldnern zu tun gehabt hatte, die einen umbringen wollten. Das war es auch, musste ich zugeben, aber woran sollte ich mich denn sonst klammern, wenn nicht an die Regeln, die mir mein Leben vorgegeben hatte, bevor ich überhaupt wusste, dass es die Raben gab?

  Ohne eine Vorwarnung schrumpfte Sergius vor meinen Augen zusammen. Über seine Schnelligkeit war ich jedes Mal erschrocken. Von einer Sekunde auf die andere flatterte er als Rabe vor unseren Füßen. Seine Verletzung sah gar nicht gut aus: Dort, wo ich ihm die Haare abrasiert hatte, klaffte eine kahle Stelle, als hätte ihm jemand die Federn mit einer Pinzette herausgerissen. Um die verkrustete Wunde leuchtete die Haut in einem satten Lila. Alexej bückte sich und hob Sergius’ Kleidung auf, als dieser sich vom Boden abstieß. Nur wenige Meter stieg der Rabe auf, dann trudelte sein Körper zu Boden.

  Auweia.

  »So kann er nicht fliegen.« Ich warf Alexej einen fragenden Blick zu und war froh, dass von Lara und Marek nichts zu sehen war. Ich wähnte sie an ihrem Schreibtisch, und Marek war sicher bei Michala in der Küche, überlegte ich mit einem Blick auf die Uhr.

  »Schaffen wir ihn ins Haus.« Er drückte mir Sergius’ Sachen in den Arm und war mit wenigen Schritten bei dem Vogel angelangt. Doch Sergius machte es ihm nicht leicht, ihn einzufangen. Mit halb erstickten Krählauten kreiselte er auf der Stelle und versuchte immer wieder, sich vom Boden abzustoßen.

  »Jetzt halt doch mal still!« Als Alexej ihn zu fassen bekam, stieß Sergius mit dem Schnabel nach ihm. Fluchend ließ er den Raben los. »Wenn du unbedingt meinst, dann flieg. Aber du wirst so nicht weit kommen.« Er rieb sich über die schmerzende Stelle an seiner Hand, an der Sergius ihn erwischt hatte. »Und für den Schwarm bist du nur eine Belastung. Sollen sie dich auch noch versorgen? Es reicht doch wohl, dass sie deinen Nachwuchs für dich päppeln.« Er sah wütend aus. Und das merkte man Alexej nur in den seltensten Fällen an. Normalerweise verbarg er geschickt seine Gefühle, außer er wollte, dass man sie ihm ansah. Und dass Sergius sich nicht um seinen Nachwuchs kümmerte, auch wenn es sich dabei nur um einen Vogel handelte, nahm Alexej ihm übel.

  Doch es war nie gut, Sergius zu provozieren. Wie sehr mich das anspannte, merkte ich daran, wie ich seine Klamotten in den Händen zu einem festen Ball knetete.

  »Klärt das unter euch, ich gehe schon mal ins Haus.« Keine Ahnung, ob die beiden sich auf diese Art überhaupt richtig verständigen konnten. Das sollte ich Alexej unbedingt mal fragen. Schließlich krächzte der eine wie ein Rabe und der andere fluchte wie ein Rohrspatz, dachte ich mit einem Grinsen, während ich die Haustür aufschloss.

  Da draußen bereits die Sonne unterging, war es in meiner Hütte dämmrig und die Möbelstücke warfen skurrile Schatten an die Wand und den Fußboden. Mir fiel nichts Ungewöhnliches auf. Es roch nach kalter Asche, aber so roch es in meinem Zimmer immer. Nach kalter Asche und Rauch, weil ich diesen mittelalterlichen Kanonenofen als Heizung nutzen musste. Ich warf die Klamotten auf meinen Schreibtisch und stellte die Reisetasche ab, dann ließ ich mich im Halbdunklen rücklings auf mein Bett fallen. Ich hätte direkt einschlafen können, wäre das Zimmer zum einen nicht viel zu kalt gewesen und hätte zum anderen da nicht noch ein anderer Geruch in der Luft gelegen. Ein seltsamer Geruch, den ich nicht einordnen konnte, der mich aber nur kurz irritierte, dann reckte ich meine Arme über den Kopf und gähnte. Die ganze Aufregung war einfach zu viel gewesen, und ich hätte alles für ein wenig gepflegte Langeweile gegeben: ein paar Stunden auf dem Bett lümmeln und lesen zum Beispiel. Unter meinem Bett stapelten sich noch etliche ungelesene Bücher und auch einige, die ich immer wieder in die Hand nahm und die bereits regelrecht zerfleddert aussahen, weil ich Sätze darin angestrichen, Eselsohren in die Seiten geknickt und ihnen außerdem den Rücken gebrochen hatte, wenn ich sie mit der aufgeschlagenen Seite nach unten ablegte. Doch heute war ich zu erschöpft und gleichzeitig zu aufgewühlt, um zu lesen. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, jemals wieder zu lesen. Jemals wieder Ruhe und Stille in mir zu spüren, die mich abtauchen ließ.

  Ich rollte mich auf die Seite. Etwas kitzelte mich, und ich rubbelte mir durchs Gesicht, weil ein Niesreiz in meiner Nase prickelte.

  Dieser Geruch.

  Er war mir vertraut, ich roch ihn nicht das erste Mal, und er weckte eine unangenehme Erinnerung ganz hinten in meinem Kopf. In einer Schublade, die ich fest verschlossen hielt und offenbar auch nicht beschriftet hatte, denn ich konnte nicht sagen, wie alt diese Erinnerung war. Sie hätte erst Wochen, aber auch schon Jahre dort vor sich hin schlummern können.

  Vor der Tür hörte ich Alexejs Schritte. Bei dem Gedanken an ihn lächelte ich. Jetzt, wo ich ihn in Sicherheit wusste, schien alles andere unwichtig. Ich seufzte und holte tief Luft, da kitzelte es wieder in meiner Nase. Vielleicht ein paar Federn, die aus meinem Kopfkissen herausgeflutscht waren? Meine Hand wischte über das Kissen. Es fühlte sich feucht und klamm an. Ich sollte mich aufraffen und als Erstes den Ofen einheizen.

  Als Alexej die Tür öffnete, erkannte ich nur seine Silhouette. Ich richtete mich auf und strich mir das Haar glatt. Bestimmt sah ich aus wie eine Vogelscheuche. Seltsam, dass sich meine Haare am Hinterkopf so feucht anfühlten.

  »Sergius ist fort.« Alexej klang nicht erfreut. Er tastete nach dem Lichtschalter. »Hoffentlich stürzt er nicht und bricht sich den Hals. Er wollte um keinen Preis bei uns bleiben. Wenn er sich wenigstens bemühen würde, sich im Schwarm zu integrieren. Aber es kümmert ihn überhaupt nicht, dass Milo ihn wegen seiner Eskapaden am liebsten umbringen würde.« Mit einem Klackern ging das Licht an, nur um in der nächsten Sekunde sofort wieder zu erlöschen.

  »Bože!«, stieß Alexej hervor und keuchte auf.

  »Was ist mit dem Licht?« Ich schwang die Beine aus dem Bett, was gar nicht so leicht war, denn sie fühlten sich so unbeweglich an wie ein Brett. »Ist die Sicherung raus?«

  »Komm bitte her.«

  Alexejs Tonfall verursachte mir eine Gänsehaut. Was auch immer los war, er war nicht der Typ dafür, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Alexej war normalerweise die Ruhe selbst. Unwillkürlich griff meine Hand erneut an meinen Hinterkopf. Mein Haar war nicht bloß klamm, es war richtiggehend durchnässt. Und das, obwohl es in den letzten Stunden durch die Lüftung im Auto vom Regen bereits getrocknet war.

  »Isabeau. Komm bitte her. Sofort.«

  Mir zitterten die Knie, als ich auf ihn zustakste. Kaum war ich bei ihm angekommen, zog er mich in seine Arme. Er hielt mich so fest umklammert, dass es mir die Luft raubte. Meinen Parka trug er nicht mehr, und so spürte ich seine überhitzte Haut an meinem Oberkörper. Sein angespanntes Kinn kratzte mich an der Wange. Er glühte regelrecht, und ich fragte mich, ob das diesmal nur von seiner Verwandlung herrührte oder ob er doch fieberte. Was hatte ihm Wassilij nur angetan?

  »Ich möchte, dass du zu Marek und Lara gehst. Jetzt sofort.« Er betonte jede einzelne Silbe so schwer, als würde mein Leben davon abhängen.

  »Die Sicherung ist gar nicht rausgesprungen, oder?«, fragte ich, und sogleich stellten sich mir sämtliche Härchen auf.

  Er hatte das
Licht ausgemacht.

  Irgendwas in diesem Zimmer hatte ihn so erschreckt, dass ich es nicht sehen sollte. Übelkeit stieg in mir auf. Ich spürte, wie Alexej langsam den Kopf schüttelte und sich sein Kiefer anspannte, als er mit den Lippen sanft mein Ohr streifte. »Geh jetzt bitte raus und sieh dich nicht um.«

  »Du machst mir Angst.« Meine Stimme war nur ein Wispern. Das, was meine Fantasie mir vorgaukelte, konnte nur schlimmer sein als die Wirklichkeit, da war ich mir sicher. Dieser Geruch! Es war etwas Verbranntes, oder? Wenn ich nicht sehen würde, woher dieser Geruch kam, dann würden meine Träume anschließend viel schlimmer sein. Meine Finger tasteten nach dem Lichtschalter an der Wand. Ich konnte nicht anders. Es war wie ein innerer Drang, der mich dazu zwang, und ich wünschte im Nachhinein wirklich, ich hätte auf Alexej gehört, wäre einfach nach draußen gegangen und hätte die Tür hinter mir zugezogen, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Hätte ich doch nur auf ihn gehört! Aber noch bevor Alexej meinen Arm zurückreißen konnte, hatten meine Finger den Lichtschalter erreicht.

  Es klackte.

  Der Raum wurde in gelbes Licht getaucht, dann sah ich nur noch rot.

  Rot und schwarz.

  Ich spürte Alexejs Hand, die sich mir auf den Mund presste, dabei war mir gar nicht bewusst, dass ich schrie. Er riss seinen anderen Arm hoch und verdeckte mir damit die Sicht, bevor er die Türklinke mit dem Ellbogen nach unten drückte und mich ins Freie zerrte.

  TOTENBRAUT

  ALEXEJ

  »Kannst du nicht einmal tun, was man dir sagt?«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Dabei war ich nicht wütend auf Isabeau, sondern vielmehr wütend auf mich selbst, weil ich nicht an die Möglichkeit gedacht hatte, dass Wassilij uns vielleicht zuvorkommen könnte.

 

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