Rabentod (Rabenblut Serie 2) (German Edition)
Page 19
Ich hielt Isabeau einfach nur fest, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Was hätte ich ihr auch sagen können? Alles wird wieder gut? Damit würde ich nicht nur sie, sondern auch mich selbst belügen. Nichts würde gut werden, solange Wassilij noch lebte und uns Raben ausrotten wollte. Gar nichts würde gut. In mir kochte Kampfgeist hoch. Sollten wir weiterhin nur darauf warten, dass er uns angriff? Was mich bisher zurückgehalten hatte, war nicht nur meine Abscheu vor Gewalt, sondern vor allem die Tatsache, dass Nikolaus zwischen Wassilij und mir stand. Wie könnte ich das meinem besten Freund antun, der mir eigentlich mehr noch ein Bruder war? Nikolaus war meine Familie gewesen in den Jahren in Wien, und er war der Einzige, der sich keinen Deut darum geschert hatte, was ich wirklich war. Für ihn war ich keine Missgeburt, kein Monster.
Meine Hand strich über Isabeaus Rücken. Ihr Körper wurde von Schluchzern geschüttelt, dann von einer Welle der Übelkeit. Sie stieß mich weg und erbrach sich direkt vor ihre Füße. Ich hielt ihr das Haar aus dem Gesicht. Das Haar, das von Blut genässt war, ohne dass sie es bemerkt hatte.
Dieses Zimmer war ein wahrgewordener Albtraum. Und die Frau, die ich liebte, in dieser Kulisse zu sehen, die aus Blut und verbrannten Federn bestand, hatte mich entsetzt. Was für ein kranker Geist dachte sich ein solches Bühnenbild für seine Drohung aus? Denn nichts anderes war es. Eine Drohung für mich. Ich hatte in den wenigen Sekunden nicht erkennen können, was alles auf den Fotos zu sehen war, die an die Wand gepinnt worden waren, aber ich hatte mich selbst darauf erkannt. Wäre ich doch nur energischer gewesen und hätte Isabeau sofort nach draußen gezerrt. Ich war unendlich wütend auf mich selbst und fühlte mich hilflos, weil ich ihr diese Bilder nie würde nehmen können.
»Sind es Raben?« Isabeau holte keuchend Luft. Inzwischen war es auch hier draußen zu dunkel, um ihr in die Augen sehen zu können. Sie klammerte sich an mich und presste ihr Gesicht an meine Schulter. »Die Vögel an der Wand, sind es Raben oder Krähen?«, wimmerte sie. Vielleicht hatte sie die Fotos gar nicht gesehen? Das erleichterte mich, obwohl es eigentlich keine Rolle spielte.
»Krähen. Es sind bloß Krähen.« Ich fing vor Kälte an zu zittern. »Gibt es etwas aus deiner Hütte, was du dringend brauchst«, fragte ich sie und ergänzte im Stillen: Etwas, das nicht blutbesudelt ist. Aber dieser Satz stand ohnehin zwischen den Zeilen.
»Du willst doch wohl nicht wieder da reingehen?«
»Ich könnte mir etwas Schöneres vorstellen. Eine Fahrt auf der Geisterbahn zum Beispiel«, scherzte ich, dann senkte ich meine Stimme. »Was ist mit deinem Computer? Deiner Kleidung? Hast du Wertgegenstände im Haus?«
»Nur meinen Laptop«, krächzte sie. Nach einem Räuspern hob sie den Kopf. »Und meine Bücher. Aber … die sind auch nicht so wichtig«, schloss sie. »Es tut mir leid. Normalerweise bin ich nicht so empfindlich, ehrlich.«
Empfindlich? Halleluja! Ich konnte froh sein, wenn Isabeau mich nicht in der nächsten Sekunde zum Teufel wünschte. »Du bist wirklich die ungewöhnlichste Frau, die ich je kennenlernen durfte. Und wenn du mich nach alldem nicht hasst, bist du auch noch die unvernünftigste.«
»Manchmal zweifle ich selbst an meinem Verstand«, sagte sie mit einem Anflug von Humor, der angesichts der Umstände eher Galgenhumor war. Sie hob ihre Schultern an und schüttelte sich. »Ich … ich muss mich duschen gehen. Bitte lass mich Marek und Lara alles erklären.«
»Alles?«, fragte ich. Die Hoffnung, dass sie mit »alles« nicht mein Rabenwesen einschloss, hegte ich gar nicht erst. Und obwohl mir bei dem Gedanken daran, die beiden einzuweihen, nicht wohl war, wusste ich nicht, wie ich Isabeau diesen Wunsch abschlagen sollte.
Sie nickte. »Wenn sie nicht Bescheid wissen, dann können sie sich nicht schützen. Diese Wilderer sind hier einfach so aufgetaucht. Wassilij könnte jederzeit neue Söldner schicken. Getarnt als Jäger oder harmlose Touristen. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie das Risiko eingehen, aber Marek muss das wissen!« Bei den letzten Worten war ihre Stimme immer kräftiger geworden und ihre Hand hatte meinen Arm gedrückt.
Nun lief sie zum Haupthaus, und ich blieb wie erstarrt stehen. Wieder einmal war ich an einem Punkt angelangt, an dem mein Rabenherz mir nur »Flucht« signalisierte, der Mensch in mir aber nicht entkommen konnte. Dabei wäre es so viel einfacher, nur als Rabe zu leben. Nichts würde mich hier festhalten. Ich wäre wirklich frei und könnte allein meiner Natur nachgeben. Dem Rabenblut, das mich drängte, und meinen Instinkten. Der Gedanke war verlockend.
Aber Isabeau.
Sie war der Grund, warum ich mich nicht mit dem Schwarm davonmachte. Und wie egoistisch war es eigentlich von mir, es nicht zu tun? Darüber dachte ich nach, während ich mit schwerem Herzen die Stufen wieder nach oben stieg.
Das Zimmer war hell erleuchtet. Die Glühlampe, eine moderne Sparglühbirne, entfaltete ihre volle Leuchtkraft erst nach und nach, und jetzt kam mir das Licht beinahe grell vor. Es ließ das Blut vor meinen Augen hell aufleuchten, dabei fing es bereits an zu trocknen und nahm eine braune Farbe an. Das Bett war über und über besprenkelt, und am Kopfende hatte sich die Matratze vollgesogen. An dieser Stelle mussten sie die Herzen herausgeschnitten haben. Diese spickten die Wand wie Zapfen eine Tanne. Wassilij hatte die Vögel gepfählt. Mit ausgestreckten Flügeln waren sie an die Wand genagelt worden und bildeten einen ganzen Schwarm von Krähen im Totentanz. Das mutete so grotesk an, dass ich seine Kreativität fast bewundern musste. Allein die Kälte hatte dafür gesorgt, dass Isabeau das Blut nicht sofort gerochen hatte. Die Kälte und die verbrannten Federn, die auf dem Bett verteilt waren wie Rosenblüten in einem Brautbett. Totenbraut. Das Wort kam mir in den Sinn und fraß sich in meinem Kopf fest.
Isabeau war diese Totenbraut.
Ich unterdrückte einen Schauer und hielt mir den Arm vors Gesicht, als ich mich dem Bett näherte, steckte meine Nase in die Armbeuge, um diesen Gestank nicht an mich heranzulassen, aber er kroch mir bereits in alle Sinne. Wie grellgelbe Nebelschwaden sah ich ihn vor meinen Augen flimmern. War Isabeaus Geruchssinn nicht besonders ausgeprägt, meiner war es leider über alle Maßen, und ich roch nicht nur das Eisen im Blut, sondern auch den Geruch, der den Männern angehaftet hatte, die dieses Gruselkabinett geschaffen hatten und die ich als moosgrüne Sprenkel wahrnahm.
Mein Blick huschte von einem Foto zum nächsten. Sie waren in der Galerie aufgenommen worden. Eins nach dem anderen zeigte nur mich. Wie ich am Klavier saß, auf meinem Rücken das Rabenbildnis, das sich wohlig ausstreckte. Wie ich auf der Pritsche lag und der Arzt sich über mich beugte – ein Unbeteiligter hätte ihn für einen aufopferungsvollen Mann gehalten, der sich rührend um mich kümmerte. Doch auf keinem war mein Gesicht zu erkennen. Auf dem nächsten Foto mein Oberkörper von hinten auf der Treppe zur Galerie, in den Händen hielt ich den durchsichtigen Infusionsschlauch – da hatte der Rabe zwischen meinen Schulterblättern die Federn über den Augen drohend aufgestellt.
Aber dort war keine Kamera gewesen. Ich hatte den Raum genau in Augenschein genommen. Die Kameras hatten sich nicht auf die Treppe gerichtet. Und trotzdem gab es dieses Bild. Ich riss den Arm herunter und zerrte das nächste Foto mit beiden Händen von der Wand. Darauf war zu sehen, wie ich den Doktor würgte. Er hatte die Augen aufgerissen und versuchte, anstatt sich gegen mich zu wehren, den Schlauch zu packen. Angewidert von mir selbst ließ ich es fallen. Es segelte langsam hinab und landete mit dem Gesicht auf der blutbefleckten Decke. Die letzte Fotografie zeigte das Gesicht des Doktors wenige Minuten später. Ich musste kein Gerichtsmediziner sein, um erkennen zu können, dass der Mann auf dem Foto tot war. Seine Lippen waren blau angelaufen und die Augen aus den Höhlen getreten. Die breite Zunge hing ihm grotesk aus dem Mund.
Das Herz hämmerte mir gegen die Brust. Meine Gedanken jagten: Als ich den Doktor verlassen hatte, lebte er noch. Ich hatte den Schlauch entfernt und den Mann vorsichtig auf dem Boden abgelegt. Ich wollte ihn nicht töten. Er war bewusstlos gewesen, ja, aber lebendig! Sein Herz hatte ruhig geschlagen. Der kurze Sauerstoffmangel hatte ihn doch nur ohnmächtig werden lassen!
Was war in den wenigen Minuten nach unserem Verschwinden und vor dem Auft
auchen der Polizei geschehen? Der Alarm hatte Schaulustige angelockt – Wassilij konnte das doch unmöglich alles geheim halten. Irgendeiner von ihnen musste sein Handy ausgepackt und die Galerie gefilmt haben, den zerstörten Eingang, den bewusstlosen Mann am Boden. Irgendjemand musste ihn noch lebend gesehen haben, nachdem ich fort war.
Doch wenn nicht, dann hatte Wassilij aus mir einen Mörder gemacht. Mörder.
Ich presste meine Finger gegen die Schläfen, weil dieses krude Vorgehen mir nicht einleuchten wollte. Hatte er das alles geplant? Meine Flucht war viel zu leicht gewesen. Keine Wachmänner an den Türen, kein Wassilij, keine Spur von den Jägern. Nur der Arzt, der ohnehin viel zu viel wusste, und an jeder Ecke des Raumes eine installierte Kamera. Nicht zu vergessen der Kofferraum des Geländewagens mit der Leiche und einer Flut meiner DNA-Spuren. Ich war ein solcher Idiot!
Und erst im nächsten Atemzug wurde mir klar, was das wirklich für mich bedeutete: Damit war ich gezwungen, den Mann in mir für immer wegzuschließen. Das, was mich quälte, die Entscheidung, die ich nicht treffen wollte – Wassilij hatte sie mir abgenommen. Unmöglich konnte ich als Mensch weiterleben, wenn ich als Mörder gebrandmarkt war. Unmöglich, mit Isabeau als Mensch zu leben. Ich war nicht mehr frei wie ein Vogel.
Ich war vogelfrei.
Meine Faust krachte gegen die Wand. Einen Wutschrei ausstoßend riss ich die erste Krähenleiche ab, dann eine nach der anderen. Wie leicht sich die kleinen Körper anfühlten. So leicht und unbedeutend, als wögen sie nichts, zählten nichts, bedeuteten nichts.
Ich bückte mich und zerrte Isabeaus Bücher unter dem Bett hervor. Stapelweise warf ich sie auf die Matratze. Überall in dieser Hütte waren meine Spuren. Spuren, die Isabeau in all das mit hineinzogen. Sie zu meiner Verbündeten machten, meiner Komplizin. Zur Helferin eines Mörders.
Meine Gedanken klärten sich wenigstens so weit, dass ich daran dachte, den Rucksack des Söldners aus Mareks Auto zu holen. Ihn warf ich ebenfalls auf das Bett. Dann riss ich Isabeaus Reisetasche auf und ließ das Fahrtenbuch dem Rucksack folgen. Aus dem Schrank zerrte ich wahllos Kleidung heraus und stopfte sie in die Tasche. Ich schlüpfte in einen warmen Pullover, Strümpfe, schwarze Stiefel, schnappte mir meine Jacke, die Isabeau sorgsam aufbewahrt hatte, wie alles, was mir gehörte. Als ich mir sicher war, dass ich alles Wichtige eingepackt hatte, schob ich Isabeaus Laptop in die Tasche und zog den Reißverschluss zu. Dafür hatte sich Wassilij nicht interessiert. Weder für ihren Computer noch für ihre persönlichen Gegenstände. Was er wollte, war lediglich, mir zu zeigen, wozu er imstande war. Er wollte mich dazu bringen, mich selbst aufzugeben, und ich musste mir eingestehen, dass seine Wünsche dabei waren, sich zu erfüllen.
Mit zusammengebissenen Zähnen nahm ich die Kaminanzünder aus der Schachtel neben dem Ofen. Ich zündete mehrere der spiritusgetränkten Stücke an und warf sie auf das Bett. Die Bücher fingen sofort Feuer. Ich erlaubte mir zuzuschauen, wie die Flammen daran fraßen, dann wurde mir bewusst, wie abscheulich es war, was ich hier tat. Bücher durften niemals brennen, und unter diesem Haufen befand sich auch das Buch, aus dem Isabeau mir vorgelesen hatte in der Nacht, als wir uns das erste Mal geliebt hatten.
Fluchend schoss ich nach vorn und zog die Bände auseinander. Irgendwo in diesem Wust musste es sein. Ein gebundenes Buch in rotem Leinen.
»Zatracenej!«, schimpfte ich, als ich mir die Finger verbrannte. Dann hatte ich es gefunden. Das Buch, das vom deutschen Heldenblute erzählte und Isabeau in dieser Nacht so glücklich gemacht hatte. Noch jetzt hatte ich ihr Kichern im Ohr, das durch das Fenster gedrungen war, als ich daran geklopft hatte.
Ich schob den Band in meine Jackentasche. Die Hitze, die es ausstrahlte, spürte ich an meiner Brust. Dann machte ich mich daran, das Feuer zu nähren. Ich warf den Schreibtischstuhl auf das Bett, den Nachttisch. Riss noch ein Foto davon herunter, bevor die Flammen daran hochzüngeln konnten. Es zeigte Isabeau mit ihrer Familie, Vater, Mutter und ihren Bruder Timo in einem Vorgarten. Mit einem Klirren schlug meine Faust das Glas zu Bruch, und ich zerrte das Foto heraus.
Der Rauch brannte mir bereits in den Augen, und hustend schob ich den Schreibtisch in die Nähe des Bettes. Das Feuer durfte nicht ausgehen, bevor nicht alles verbrannt war, das an mich erinnern konnte. Wenn ich Pech hatte, würden Marek und Lara es zu früh bemerken und die Feuerwehr rufen. Wenn ich Glück hatte, dann waren sie so sehr mit Isabeaus Enthüllungen beschäftigt, dass die ganze Hütte restlos ausgebrannt wäre.
Die Tür zum Badezimmer ließ ich geöffnet und zog dort gleich das Fenster auf, um dem Feuer mehr Luft zu geben. Mir sprang der Mülleimer ins Blickfeld, in dem sich die Kompressen befanden, mit denen Isabeau meine Verletzung durch den Habicht verarztet hatte, und ich packte ihn, um ihn über den Flammen auszukippen. Es zischte. Und bereits jetzt breitete sich der Gestank nach verbrannten Federn im Zimmer aus. Als ich mich vergewissert hatte, dass die Flammen von allein keinesfalls mehr ausgehen konnten, trat ich mit tränenden Augen ins Freie. Es musste der Rauch sein, der mich so in die Augäpfel biss, aber sicher war ich mir nicht. Es war durchaus möglich, dass es meine Zukunft war, die mir in den Augen brannte.
Ich hatte mich dem Haupthaus kaum auf zehn Meter genähert, als die Tür aufschwang und Marek heraussprang. Fluchend ließ ich die Tasche fallen und stellte mich ihm entgegen.
Marek war völlig aufgelöst, von seiner sonst so besonnenen Art war nicht mehr viel übrig. Im Laufen zog er sein Handy aus der Tasche. »Das Haus!« Er wollte an mir vorbeihasten, doch ich konnte ihn noch am Ärmel herumreißen.
»Es ist zu spät, Marek. Lass es!«
Seine Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. »Bist du irre?« Er versuchte, sich mit einer Schulterdrehung von mir loszureißen, und tippte dabei wie verrückt auf seinem Mobiltelefon herum. »Wir müssen die Feuerwehr rufen.«
»Müssen wir nicht!«
»Was?« Sein verständnisloser Blick wanderte von mir zu dem flackernden Fleck in der Dunkelheit, wo das Feuer gerade seine Arbeit verrichtete, und wieder zurück.
»Ich sagte, das müssen wir NICHT!« Grob stieß ich ihn vor die Brust, um ihm zu zeigen, wie ernst es mir war. Doch schon in der nächsten Sekunde hatte er meine Hand von seinem Ärmel abgeschüttelt. Überrascht sah ich, wie er ausholte. Seine Faust landete in meinem Magen, und mir blieb die Luft weg. Mit einem Schmerzenslaut krümmte ich mich und rang keuchend nach Luft.
»Du bist ja völlig durchgedreht«, sagte er wie zu sich selbst. »Durchgedreht.«
Verflucht, Marek! Ich richtete mich auf und hielt mir den Magen. »Lass es brennen, verdammt!« Ich schlug seinen Arm, der das Handy hielt, nach oben. Das Telefon flog durch die Luft und landete knirschend im Schotter. »Denkst du, ich mache das zum Spaß? Hat Isa euch nicht gesagt, was die Männer in ihrer Hütte angerichtet haben? Ihre Sachen, die Möbel, Klamotten, alles ist blutbesudelt. Marek, glaub mir, du hättest dasselbe getan.«
»Vogelblut, mein Gott!« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und knirschte mit den Zähnen. »Ja, es ist ekelhaft und grausam, aber Gott im Himmel, es ist Vogelblut!«
Das sagte mir so viel mehr, als er sich das vielleicht dachte. Ja, stimmte ich ihm innerlich zu, und mit einem Mal drohte jeglicher Kampfgeist in mir zu verpuffen. Es war bloß Vogelblut. Nichts weiter. Bloß Vogelblut.
»Deshalb fackelt man doch nicht einfach so ein Haus ab!«, fuhr er fort. »Und Isas Sachen –«
»Alles, was ihr wichtig ist, habe ich hier.«
Das hinderte Marek nicht daran, laut hovno zu brüllen. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, stieß er mehrmals hervor und bückte sich nach seinem Handy. »Warum hast du das gemacht?« Als er das Gerät endlich erwischt hatte, fuhr sein Kopf hoch. Im dämmrigen Licht der Straßenlaterne sah ich, wie er mit sich rang. »Warum verflucht noch mal hast du das gemacht?«, wiederholte er.
»Weil es besser ist, wenn nichts davon übrig bleibt.«
»Das ist ein Tatort!«
Meine Stimme war mit einem Mal völlig ruhig. »Das ist er.«
Wortlos starrten wir uns an, dann wich Mareks fassungsloser Blick einem plötzlichen Verständnis. »Du hast es nicht
wegen der Vögel getan«, stellte er fest. Und damit hatte er absolut recht.
»Marek, überall in dieser Hütte wimmelt es von meinen Fingerabdrücken. Alles hier ist mit mir in Berührung gekommen. Wenn die Polizei auftaucht und nach mir fahndet, dann wirst du beten, dass nichts, aber auch gar nichts von mir zu finden sein wird. Du wirst beten!«
FREIWILD
ALEXEJ
Ich war es, der betete. Dafür, dass Isabeau mir glaubte, ich hatte den Doktor nicht umgebracht. Dafür, dass wir heil aus dieser Situation herauskämen, und auch dafür, dass wir dieses schreckliche Szenario irgendwann würden vergessen können.
»Wo ist Isabeau?«, fragte ich Lara, die uns nach Mareks Klopfen die Tür geöffnet hatte. Sie senkte die Lider, als sie mich vorbeiließ, und auch ich war befangen, weil ich nicht wusste, wie viel Isabeau den beiden überhaupt schon erzählt hatte. Ob sie mich nun ablehnten, mit Misstrauen betrachteten oder vielleicht sogar verabscheuten? Und wie viel Zeit blieb mir überhaupt, bis Wassilij mir die Polizei auf den Hals hetzen würde?
Es war nun wirklich eine Ironie des Schicksals, dass Wassilij mich ins Gefängnis bringen wollte. Damals, als die Raben ihn im Stich gelassen hatten, war er wegen der Feigheit meines Vaters allein im Gefängnis gelandet. Ihm musste es nun wie ausgleichende Gerechtigkeit vorkommen. Aber ich hatte nicht vor, mich einfach so Fortuna und ihren Launen zu ergeben. Ich biss die Zähne zusammen und betrat die Küche, wo Marek, der vorangegangen war, eine Flasche Wodka aufschraubte und die klare Flüssigkeit in ein viel zu großes Glas schüttete.
»Ich glaube, sie duscht immer noch«, sagte Lara. Ihr Haar stand ihr wirr vom Kopf ab, als hätte sie sorgenvoll darin gewühlt. Ich konnte es ihr nicht verdenken. »Sie war völlig fertig.«
Marek kippte den Wodka in einem Zug hinunter. »Willst du auch einen?«, fragte er mich und hielt ein zweites Glas in die Höhe. »Ich kann jedenfalls noch einen vertragen.«
Er sollte doch wissen, dass ich besser nichts mehr in diesem Haus anfasste. Ich schüttelte den Kopf und blieb unschlüssig vor dem Tisch stehen. Da Marek neuerdings seine Lust am Kochen entdeckt hatte, fanden sich überall in der Küche Essenreste, als hätte hier eine Orgie stattgefunden, und mein Magen ließ mich spüren, dass er gerne daran teilgenommen hätte. Doch auch wenn das Hungergefühl in mir fast schon schmerzhaft war, so war ich eigentlich bereits auf der Flucht, ich hätte es nicht über mich gebracht, hier mit ihnen zu essen wie unter Freunden, weil ich nicht sicher war, ob ihre Freundschaft noch Gültigkeit besaß. Ich hatte ihnen meine nicht geschenkt, hatte ihnen nicht genug vertraut, um ihnen alles über mich zu erzählen. Doch bloß Angst als Grund anzugeben, erschien mir lächerlich.