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Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm

Page 39

by Peter Singewald


  Er hatte sein Ges verkauft, sich neue Kleidung besorgt, aus seinem Fundus eine blonde Perücke gezogen und sich aus einigen Haaren, die er aus ihr herausschnitt, einen Bart geklebt. Mit guter aber etwas schäbigen Kleidung und ein wenig Schminke, um die Falten zu betonen, wirkte er wie ein Kaufmann, der in letzter Zeit etwas Pech gehabt hatte. Für seine Habe hatte er eine alte Reisekiste besorgt. So verkleidet hatte er sich einer Karawane angeschlossen. Zwei Tage hatte er mit den Vorbereitungen verloren. Einen weiteren hatte er noch auf die Karawane warten müssen. Schließlich 22 weitere auf der Straße, nicht unbequem, für seinen Geschmack jedoch zu langsam.

  Nun war er hier und er wusste genau, an wen er sich wenden musste. Er war ein käuflicher Mörder, auch wenn er es nicht mehr sein wollte. Aber er war es und war es seit vielen Jahren. Man lernte viele Menschen kennen und es war von größter Bedeutung, dass man sich so viel wie möglich einprägte. Man achtete allerdings auch darauf, dass die Menschen einen selbst nicht kennen lernten. Sie lernten vielleicht Meister Infam kennen, oder Ramsan oder auch den psychotischen Folterer, aber Enk selbst hatte nur seine Frau kennen gelernt. Selbst den Mörder Gach-Ensh kannten die meisten nur dem Namen nach. Selten sprach er mit einem Auftraggeber, außer, es war sicher, dass dieser nicht einmal erahnen konnte, dass er der Gach Ensh war. Überraschenderweise kam dies öfter vor, als man glauben mochte, denn die Kenntnis des Auftraggebers sagte meist auch etwas über das Opfer aus. Auf diese Weise hatte er vor sechs Jahren die Dame Debnita aus dem Haus Upajano kennen gelernt. Es hatte einen kleinen Handelskrieg gegeben. Für Imanahm nichts Ungewöhnliches. Es gab Straßenkämpfe zwischen den Anhängern der beteiligten Häuser, in den Tempeln mied man sich oder strafte einander mit Missachtung und im Stillen vergiftete man den einen oder anderen. Wenn jedoch ein Gegner zu gefährlich wurde und unangreifbar, dann hatte man keine andere Wahl. Enk kannte die Geistesverfassung der Handelsfamilien. Sie hatte ihm viel Geld eingebracht. Und auch ein paar Nächte mit der Dame Upajano. Es war ein Erlebnis, von dem er Breka nie etwas erzählt hatte. Es war aber auch eine Erfahrung, die er nicht missen mochte. Debnita war eine erfahrene Frau, keine Schönheit, obwohl sie früher einmal adrett gewesen sein musste. Aber ihre Haltung, ihr Selbstvertrauen und ihre Leidenschaft überstrahlten ihr Aussehen, so dass Enk so manchen Mann ihre Schönheit hatte preisen hören. Enk, oder vielmehr Teshan Theaminor aus der Stadt Se-Ela, einem kleinem Ort, sehr weit im Norden und ohne größere Bedeutung, war als Auszubildender in das Haus Upajano gekommen, zwei Monate, bevor der Gach-Ensh den Auftrag von der Dame erhielt. Zufälligerweise hatte ihr Cousin den Gach-Ensh angeheuert, um den Sohn eines entfernten Verwandten zu beseitigen. Enk hatte sich, wie es seine Art war, über den jungen Mann informiert und herausgefunden, dass er eine kleine Laus war, deren einziger Lebensinhalt darin bestand, seiner Verwandtschaft auf der Tasche zu liegen. Er hatte leider den Fehler begangen, seinen Onkel zu beleidigen, und der damalige Handelskrieg zwischen Familien hatte die ideale Gelegenheit geboten, ihn endlich loszuwerden. Ein vorsichtigeres Vorgehen war Enk damals als angemessen erschienen, denn Aufträge innerhalb von Familien waren immer eine unschöne Angelegenheit und hatten bereits mehr als einen Auftragsmörder das Leben gekostet. Der Druck, die Identität des Auftraggebers geheim zu halten, war so viel größer, wenn die eigenen Verbündeten etwas gegen den Mord einzuwenden hatten.

  Er hatte in dieser Zeit fünfzehn Menschen getötet, alle im Auftrag des einen oder anderen Kaufmanns, alle für eine sehr gute Entlohnung. Manche fielen ihren eigenen Familien zum Opfer, andere waren Feinde. Ein halbes Jahr, in dem er vorgegeben hatte, ein Lehrling zu sein. Es war die einträglichste Zeit seines Lebens gewesen.

  „Ist die Dame Debnita im Haus?“

  „Mein Herr, die Dame Debnita ruht. Wollt ihr eine Nachricht hinterlassen?“

  „Das würde ich sehr gerne, Mildren. Aber willst du nicht einen alten Lehrjungen des Hauses Upajano hereinlassen, auf dass er sich von der langen Reise erholen kann?“

  Die Hausdienerin war bei seinem ersten Aufenthalt in diesem Haus bereits alt gewesen, sie hielt sich aber auch sechs Jahre später noch aufrecht wie eh und je. Nur ihre Augen schienen nachgelassen zu haben. Sie musterte ihn misstrauisch von Kopf bis Fuß und machte einen vorsichtigen Schritt zurück.

  „Erinnert ihr euch nicht mehr an mich, Mildren? Der dumme Teshan, der nicht rechnen konnte? Der tollpatschige Teshan, dem ein halbes Regal auf den Kopf gefallen ist?“

  „Der junge Herr Theaminor.“ Sie schlug die Hände vor den Mund. Ein langsamer Schritt auf ihn zu und sie griff mit ihren dürren Händen in sein Gesicht, um seine Linien zu ertasten. „Ihr seid es, junger Herr. Oder vielleicht sollte ich das nicht mehr sagen. Ihr seid erwachsen geworden.“ Sie machte einen Schritt zur Seite. „Natürlich kommt ihr herein. Verzeiht mir.“ Enk drehte sich um und nahm seine Kiste auf. „Oh, verzeiht, ich rufe sofort nach einem Diener.“

  „Lasst es gut sein, Mildren. Ich stell‘ sie nur hinter die Tür. Schließlich will ich nicht lange verweilen.“ Was gelogen war, aber natürlich musste er den Schein wahren.

  Wenig später fand er sich in der großen Empfangshallte wieder, einem reichgeschmückten Saal, von kostbaren Marmorsäulen gestützt, mit bunten Fliesen ausgelegt und mit einem alten Röhrensystem beheizt. Enk wusste, dass das Röhrensystem in einen Keller führte, wo bis zu zehn Sklaven unter den scheußlichsten Bedingungen schwitzten, arbeiteten und oft genug vor Erschöpfung starben. Enk kannte sich ausgesprochen gut in dem Haus aus, besser als jedes Mitglied des Haushalts, gleichgültig ob Angestellter oder Familie, vielleicht mit der Ausnahme von zwei Kindern, die von ihren Eltern in den Kellern versteckt worden waren. Vermutlich waren sie inzwischen in den Haushalt eingeführt und hatten eine erstaunliche Kenntnis des Hauses bewiesen. Es war wahrscheinlich, dass Teshan sie treffen und sie ihn wiedererkennen würden. Sie hatten ihn „erwischt“, wie er sich die Keller angesehen hatten. Aber sie hatten sich angefreundet. Sie hatten ihn damals nicht verraten und würden es jetzt auch nicht tun.

  Hier in der Empfangshalle hatte er Zeit, sich zu sammeln. Er atmete durch und konzentrierte sich auf seine Umgebung. Er rief sich seine Erinnerungen an die Zeit in dieser Stadt zurück. Die Gerüche, die Muster an den Wänden, die Wege, die er genommen hatte und die nicht mehr alle gangbar sein würden, Zahlen, Rechnungsbücher, Handelskontakte, Formalien. Er versuchte, sich die Lager vorzustellen, in denen die Waren gelagert wurden und unterdrückte ein Lächeln, als er daran denken musste, dass dieser Saal gelegentlich mit Kisten, Säcken und Körben gefüllt wurde, wenn die Lager nicht mehr ausreichten.

  Er stand auf und tat so, als würde er unruhig auf und ab gehen. Teshan war nervös gewesen, Immer übereifrig, aber auch intelligent und höflich. Er hatte es damals nicht darauf angelegt, mit der Dame anzubandeln, als sich jedoch die Gelegenheit ergeben hatte, wäre er dumm gewesen, sie nicht zu ergreifen. Er hatte immer Sheka geliebt, aber bis zu dem Augenblick, als er sie aus ihrer Heimat entführt hatte, hätte er niemals geglaubt, dass er wieder mit ihr zusammen kommen würde.

  Nachdem er den Raum zum zweiten Mal abgeschritten hatte, erschien die Dame Debnita auf dem Aufgang, der zu den Privatgemächern im ersten Stock führte.

  „Es ist tatsächlich wahr. Der Schüler ist in die Schule zurückgekehrt.“ Ihre Stimme klang streng, aber das hatte sie immer getan. Nur in ihren gemeinsamen Nächten war sie freundlicher gewesen. Enk machte sich nichts daraus, auch wenn sie einer der härtesten Menschen war, den er jemals kennen gelernt hatte. Teshan hingegen zeigte sich gebührend eingeschüchtert.

  „Meine hohe Dame! Ich freue mich so, euch wieder zu sehen.“ Er beugte sein linkes Knie, bis er den Boden mit dem anderen berührte und senkte dazu den Kopf. Für seine Verkleidung hatte er auf einen Hut verzichtet, sonst hätte er auch diesen gezogen.

  Die Dame Debnita war älter geworden, aber so aufrecht wie ehedem. Enk verharrte in seiner Position, bis sie den Fuß der Treppe erreicht hatte und ihm die Hand reichte, die er ehrerbietig mit der Stirn berührte. Erst als er wieder aufgestanden war, blickte er ihr ins Gesicht. „Ihr seid so liebreizend, wie ich euch in Erinnerung hatte, hohe Dame.�
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  Die Schmeichelei kam ihm überzeugend über die Lippen und die Dame nahm sie huldvoll entgegen, auch wenn sie wusste, dass die Jahre nicht spurlos an ihr vorbei gegangen waren. Unauffällig musterte er sie, wie sie ihn ebenfalls aus den Augenwinkeln abschätzte. Ihre Kleidung war nüchterner geworden, aber das schwarze Kleid mit der weißen Spitze an Kragen, Rocksaum und Ärmeln betonte immer noch eine schlanke Gestalt. Nein, nicht schlank, hager war das bessere Wort.

  „Immer noch aufmerksam. Wie ich sehe. Und ich sehe auch, dass wir beide wohl schon bessere Zeiten gesehen haben.“

  „Hohe Dame, ihr sprecht von mir, gewiss, aber nicht von euch.“

  „Deine Schmeicheleien sind nicht unangenehm, aber wir wissen beide, dass die letzten sechs Jahre auch an mir nicht spurlos vorbei gegangen sind.“ Sie sah ihn prüfend an. „Aber das soll dich nicht davon abhalten, mir weiterhin zu schmeicheln.“ Enk täuschte Bestürzung vor, was Debnita ein wohlwollendes Lächeln entlockte.

  „Mildren erzählte, dass dies nur ein kurzer Besuch sein soll. Wo bist du abgestiegen?“

  „Ich muss mir noch eine Herberge suchen.“

  „Dann bleibst du selbstverständlich hier.“ Und mit einem zweideutigen Schmunzeln fügte sie hinzu: „Dein altes Bett ist immer noch frei.“

  *

  28 Tage gegen den Strom des Großen Jahm – oder nicht einmal halb so viele Tage Stromabwärts – von Imanahm entfernt, banden die Chuor den ersten Teil der vereinbarten Lieferung zusammen. Sie hatten Übung darin, denn es war nicht das erste Mal, dass sie auf diese Weise lieferten. Nur die Menge war neu, wie auch die Bezahlung. Nachdem der Priester und der falsche Aleneshi den Vertrag mit ihren Ältesten geschlossen hatten, waren die ersten Boten ausgesandt worden. Nicht nur zu den Chuorrudeln entlang des Stroms, sondern auch weiter ins Landesinnere und auf die andere Seite, in die Welt der Menschen. Es war nicht ganz ungefährlich für Chuor im Norden, auch wenn viele Menschen gutes von den Wolfsmenschen gehört hatten. Der schlechte Leumund, den der Wolf selbst besaß, mit dem man sie immer in Verbindung bringen würde, ließ viele vor ihnen zurückschrecken, fliehen und manchmal auch angreifen. Nicht die idealen Bedingungen, um als Boten Gehör zu finden. Trotzdem hatten sie auch diesen Teil des Auftrags angenommen, denn die Chuorältesten, allen voran Vuch-Habh, der erste, der den Vertrag markiert hatte, hatten die Dringlichkeit in ihrem Plan gespürt. Ein kühner Plan, der auch die Chuor befreien konnte. Die Chuor liebten die Freiheit. Sie bildeten sich oft ein, frei zu sein. Sie liefen durch Wälder und Steppen und nur die Ältesten gaben ihnen ihre Weisungen. Sie jagten, sie befuhren den Fluss, sie trieben Handel. Sie lebten ein Leben, wie sie glaubten, dass es Chuor führen sollten. Bis zu den Momenten, wenn die Priester kamen, und im Namen der Drachen Abgaben einforderten oder auch ihre Kinder für Frondienste mit sich fortführten. Es kam vor, dass Chuor, die den Fluss hinunter fuhren, um in den Städten ihre Wahren anzubieten, nicht zurückkehrten und ihr Rudel erfuhr erst Jahre danach, dass sie nicht Schiffbruch erlitten hatten, sondern in einem der Kerker der Priester verhungert waren. Nach allem, was sie hörten, wegen Nichtigkeiten, wie einer falschen Aussprache oder einer nicht angemessenen Anrede.

  Und manchmal sahen sie zum Himmel auf und konnten Drachen über ihren Revieren kreisen sehen. Doch manchmal kreisten sie nicht nur, sondern stießen hinab. Jede Generation erfuhr von einer Siedlung, die von den Drachen zerstört worden war. Als Warnung, weil die Chuor etwas falsch gemacht hatten, von dem nur die Ältesten eine leise Ahnung über die Jahre bekommen hatten. Nun war es gerade der falsche Aleneshi gewesen, der ihnen den wichtigsten Hinweis gegeben hatte. Jener kleine, friedfertige, wenn auch seltsame und ungestüme Mann, der niemals still zu sitzen schien. Auch bei den Chuor gab es Legenden über ein Wesen, dass nicht das war, was es zu sein schien, der die Gestalt eines Chuors annehmen konnte, aber auch als Mensch auftrat. Nur am Geruch, hieß es, konnte man ihn immer erkennen. Menschen konnten sich kaum vorstellen, dass man die Erinnerung an einen Geruch von Generation zu Generation weitergeben konnte. Aber mit der richtigen Sprache und einem Vergleichssystem, welches feinste Abstufungen verschiedenster Geruchsnuancen berücksichtigte, war es möglich, jemanden zu beschreiben, so dass man ihn mit der Nase auch Jahrhunderte später wiedererkennen konnte. Alle Mitglieder des Rudels, die die Geschichte von dem unsterblichen Gestaltwandler gehört hatten, hatten ihn an seinem Geruch erkannt, auch wenn es etwas gedauert hatte, bis das einzigartige Aroma von Haaren, Alter, Kraft und Wind unter dem Mief aus Schweiß, Dreck und Aleneshi hervorgekrochen war.

  Die Geschichten, die zu diesem Geruch gehörten waren jedoch nicht besonders aufregend, denn, gleichgültig, wie Aufgeregt sie auch erzählt wurden, er schien niemals etwas aufregendes zu tun. Der Gestaltwandler – Bharch in der Sprache der Chuor – konnte Jagen wie ein Chuor, laufen wie ein Chuor und beißen wie ein Chuor, das war es, was die Geschichten sagten. Aber darum ging es nie, sondern nur darum, dass er die Chuor besuchte und ihnen Ratschläge gab, mal gute, mal schlechte.

  Diesmal schien es ein guter zu sein. Deswegen führten sie auch den dritten Auftrag aus, der den jungen Kriegern entgegenkam, den Alten, Frauen und Kindern jedoch so unsinnig erschien, zumal sie die Kraft der Männer gut für die anderen beiden hätten gebrauchen können. Die Worte des Bharch waren jedoch einleuchtend gewesen: „Ist euch aufgefallen, dass die Drachen euch angreifen, wenn ihr keinen Krieg führt?“ Eine schlichte Frage, ohne weitere Ausführungen, die die Ältesten jedoch dazu gebracht hatte, über ihre Vergangenheit und vor allem über ihre Raubzüge gegen die Karakas nachzudenken. Wenig später hatten sie die Krieger auf neue Raubzüge ausgeschickt, zur Überraschung aller. Die Krieger hatten sich voller Freude auf diese Aufgabe gestürzt, die Friedfertigeren hatten entsetzt geheult. Die starken, jungen Leute würden fehlen. Aber nur auf diese Weise konnten die ältesten sicher sein, dass die Drachen nicht die Dörfer überflogen und herausfanden, was die Chuor planten.

  So blieb die wichtigste Arbeit die meiste Zeit denjenigen überlassen, die sich bereits ihre Klauen an den Fellen ihrer Feinde abgewetzt hatten. Es war anstrengende Arbeit, da die Baumstämme aus den Lagern herangezerrt werden mussten. Aber die Chuor machten diese Arbeit nicht zum ersten Mal, wie sich schon daran zeigte, dass sie die Menge trockenen Holzes, die benötigt wurde, auf Lager hatten. Aber auch, dass sie Modons besaßen, die die schwerste Lasten ziehen konnten, war ein sicheres Zeichen für ihre langjährige Arbeit im Holzhandel. Der schwierigste Teil ihrer Arbeit bestand jedoch darin, die Stämme auf dem reißenden Fluss zu Flößen zu binden so dass sie auch wirklich bei ihrem Ziel ankommen würden. Es gab Buchten, in denen die Arbeit leichter zu verrichten war, um jedoch die ganz großen Flöße zusammenzubekommen, wurden mehrere kleinere aneinander gezurrt, was sie zu groß für die Buchten machte. Sobald jedoch die Teilflöße herausgestakt wurden, zog der Fluss an ihnen.

  Es war hektische Arbeit und jeder Handgriff musste sitzen. Natürlich verloren sie ein paar Stämme dabei, aber mit etwas Glück verfingen sie sich in irgendwelchen Felsen oder Böschungen und sie konnten später geborgen werden. Vermutlich würden einige gute Arbeiter verletzt werden, vielleicht sogar sterben bei dem wilden Ritt über die Stromschnellen und nur Sorgfalt beim Binden konnte die Sicherheit erhöhen.

  Aber der Preis war all die Gefahren und Opfer wert.

  *

  Vor vierzehn Tagen hatte sie noch mit Treureigen vor der Hütte gesessen. Inzwischen war sie so schwerfällig, dass sie ihr Lager nicht mehr verlassen konnte. Die Häufigkeit, mit der die Pilger vor ihrer Tür erschienen, die glücklicherweise abgeernteten Felder zertrampelten und sich zu Boden warfen, hatte nicht abgenommen. Dass sie sich nicht mehr zeigte, schien jedoch ihre Hoffnung angefacht zu haben und damit auch die Vehemenz ihrer Verehrung. Sie begnügten sich nicht mehr damit, vor der Tür zu warten. Sie spickten durch Ritzen, versuchten etwas durch die Fenster zu erkennen und klopften gelegentlich sogar an die Tür. Deswegen hatte sich Treureigen ein Bett in der Stube bereitet und wachte über ihre Freundin. In den letzten Tagen hatte sie dabei ihre bösartige Seite entdeckt, als sie begonnen hatte, Fenster aufzureißen, durch die geblinzelt wurde, oder mit Vehe
menz zur Tür hinauszustürzen, um beinahe zufällig auf die niedergeworfenen Gläubigen zu treten. Manchmal schrie sie die Pilger dann an, manchmal verschloss sie auch einfach wieder die Tür hinter sich und ging in den Stall, um so zu tun, als würde sie etwas dringendes zu erledigen haben, wobei die Nachbarn inzwischen eigentlich alle Arbeit übernommen hatten und es nicht mehr nur als selbstverständlichen Nachbarschaftsdienst für Ohnfeder ansahen, sondern als Ehre, da sie es für die Mutter der gottgesandten Kinder taten.

  Schon in den ersten Tagen nach ihrem Umzug in Ohnfeders Hütte, hatte Treureigen begonnen, die Pilger fast genauso sehr zu verabscheuen, wie es ihre Freundin tat. Gesteigert hatte sich dieses Empfinden jedoch noch, als die Gläubigen begonnen hatten, ihr zu folgen sobald sie sich zeigte. Manche hielten sie für Ohnfeder, bis sie mit einigen barschen Worten eines besseren belehrt wurden, für andere hatte ihre Nähe zur Bäuerin sie ebenfalls geheiligt. Es war zwar erhebend festzustellen, wie unfreundlich man sein konnte, wenn die angeschnauzten auf dem Ohr der Höflichkeit taub geworden waren. Trotzdem hatte Treureigen ihren Priester, Grünzweig Zweikirschen, zum Hof gebeten damit er die Störenfriede maßregeln und bestenfalls auf ihren Weg schicken konnte.

  Zweikirschen, ein überaus strengen Mann, von dem es hieß, er hätte mit seinem strengen Blick einen wütenden Galong, der den Pilgerpfad beschädigt hatte, auf die Knie gezwungen, war gekommen, und hatte tatsächlich einige vertrieben und alle in ihre Schranken gewiesen. Treureigen bezweifelte die Geschichten über Zweikirschen nicht, denn sie hätte geschworen, dass sie gesehen hatte, wie er einst eine Kerze mit einem wütenden Wort entflammt hatte. Deswegen war sie umso entsetzter, als selbst dieser gestrenge Mann sich der angeblichen Heiligkeit Ohnfeders nicht hatte entziehen können, und unterwürfig darum gebeten hatte die werdende Mutter besuchen zu dürfen.

 

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