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Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment

Page 23

by Julie Johnson


  »Was zum Teufel machst du hier? Ich dachte, du hättest irgendeinen tollen Plattenvertrag unterschrieben und wärst nach L. A. gezogen.« Er verzieht die Lippen. »Oder läuft es zwischen dir und Lacey nicht mehr so gut?«

  Ich ignoriere ihn. »Wo ist sie?«

  »Wer? Lacey? Woher zum Teufel soll ich das wissen? Sie geht mich seit Monaten nichts mehr an. Dafür hast du gesorgt, als du es mit ihr getrieben hast.«

  »Nicht Lacey«, schnauze ich. Sein verletzter Stolz könnte mir nicht gleichgültiger sein. »Felicity.«

  In Adams Augen blitzt Verstehen auf. »Ernsthaft? Gibt es in dieser Stadt noch jemanden, den du nicht flachgelegt hast? Ich werde das als Frage bei unseren Vorstellungsgesprächen hinzufügen, wenn ich neue Kellnerinnen einstelle. Ryder Woods’ Huren brauchen sich nicht zu bewerben.«

  Ich mache einen Schritt in seine Richtung, bevor ich mich davon abhalten kann, und balle die Hände zu wütenden Fäusten. Als es mir schließlich gelingt zu sprechen, ist meine Stimme eiskalt, weil ich mich enorm zusammenreiße. »Ich werde jetzt mal so tun, als hättest du das nicht gesagt. Dieses eine Mal. Aber wenn du in meiner Anwesenheit je wieder so über Felicity redest, werde ich dir deine verdammte Zunge herausreißen und sie dir in den Hintern schieben.«

  »Du bist ja ganz schön reizbar.« Adams Grinsen ist unbekümmert, als er sich auf seinem Stuhl zurücklehnt und die Beine auf den Schreibtisch übereinanderlegt. Ich kämpfe gegen den Drang an, sie auf den Boden zu schlagen. »Mir war nicht klar, dass es dir mit dem neuen Mädchen so ernst ist. Aber ich schätze, ich kann verstehen, was du an ihr findest. Sie siehst in ihrer Arbeitskleidung wirklich zum Anbeißen aus.«

  Ich beiße die Zähne zusammen.

  »Sag mir einfach, wo sie ist. Sie ist nicht oben, und ihre Sachen sind weg.«

  »Gut beobachtet, Sherlock.«

  »Adam, so wahr mir Gott helfe.« Ich mache drei weitere Schritte auf ihn zu. »Offenbar verspürst du das dringende Bedürfnis, dein eigenes Arschloch zu schmecken, denn ich bin etwa zwei Sekunden davon entfernt, meine Drohung von gerade eben wahr zu machen. Warum ersparst du uns beiden nicht diese unangenehme Erfahrung und sagst mir, wo zum Teufel sie ist?«

  Mein Brüllen ist so laut, dass er zurückzuckt und die Füße auf den Boden stellt. Ich hole bebend Luft, um mich davon abzuhalten, die Antwort aus ihm rauszuprügeln.

  In seinen Augen liegt ein hämischer Ausdruck, als er sie auf mich richtet. »Weg.«

  Ich erstarre. »Was?«

  »Felicity. Sie ist weg.« Seine Lippen zucken. Der Mistkerl genießt jede Sekunde dieser Unterhaltung. »Isaac zufolge hat sie ihr Zimmer geräumt und ist irgendwann heute Nachmittag abgereist.«

  »Warum?« Meine Stimme ist angespannt. »Hast du sie gefeuert?«

  »Nein«, knurrt er. »Aber jetzt, da ich weiß, dass du so wild auf sie bist, wünschte ich, ich hätte es getan.«

  »Sag mir, wo sie hingefahren ist. Sofort.«

  Adam steht auf. »Hör zu, es ist nicht meine Aufgabe, den Müll im Blick zu behalten, den du wegwirfst …«

  Er erhält keine Gelegenheit, den Satz zu beenden, weil ich ihn am Kragen seines Hemds packe und seinen Körper gegen die nächstbeste Wand ramme. Die Aktenschränke rappeln unheilvoll. Ein Bilderrahmen fällt klirrend zu Boden.

  »Herrgott!« Er atmet hektisch, und in seinen Augen liegt Furcht. »Das ist alles, was ich weiß, das schwöre ich bei Gott!«

  Ich mache mir nicht mal die Mühe, ihn zu schlagen, bevor ich auf dem Absatz kehrtmache und sein Büro verlasse. Er ist den Aufwand nicht wert. Mein Verstand ist mit wichtigeren Dingen beschäftigt.

  Sie ist weg.

  Sie ist verdammt noch mal weg.

  Ich fühle mich hohl, als ich das Nightingale verlasse, wie ein Mann, der ohne Sinn und Ziel umhertreibt. Ich bin nicht nur wegen Felicity hierher zurückgekommen, aber ich würde mir selbst etwas vormachen, wenn ich so tun würde, als hätte sie bei meiner Entscheidung keine Rolle gespielt. Als ich mir dieses Szenario in meinem Kopf ausgemalt habe, ist es vollkommen anders abgelaufen. Ich dachte, dass ich an ihre Tür klopfen, sie in meine Arme ziehen und ihr …

  Was genau sagen würde?

  Dass ich sie so sehr vermisst habe, dass mir jeder Atemzug wehtat, während ich fort war?

  Dass ich mich nie wieder einem Leben ohne sie stellen will?

  Dass ich denke, dass ich mich vielleicht … dass ich sie tatsächlich …

  Ich schüttle den Kopf. Was ich ihr sagen würde, spielt keine Rolle.

  Nicht mehr.

  Ich habe es verbockt, als ich nach L. A. geflogen bin.

  Ich habe zu lange gebraucht, um zurückzukommen.

  Jetzt habe ich sie tatsächlich verloren.

  »Du«, knurrt Linc und versperrt mir den Zugang zum Loft. In seinen Augen liegt ein misstrauischer Ausdruck. »Was zum Teufel machst du hier, Ryder?«

  »Mich entschuldigen«, murmle ich. »Zumindest versuche ich es. Ich habe darin nicht besonders viel Übung.«

  Seine steinerne Miene verändert sich nicht, aber er zieht die Tür ein wenig weiter auf, als Aiden neben ihn tritt.

  »Ihr müsst mich nicht reinlassen«, sage ich. »Hört mir einfach nur zu. Zwei Minuten. Dann werde ich gehen, und ich verspreche, dass ich nie wieder zurückkommen werde.«

  Linc spannt den Kiefer an. »Keine Chance, du Mistke…«

  »Lass ihn rein«, fällt Aiden ihm ins Wort. Sein Blick ist ein wenig milder als Lincs, aber auch nicht gerade einladend, als wir in eisigem Schweigen ins Loft hineingehen.

  Sie lassen sich auf die Couch sinken, und ich setze mich auf den Sessel. Lincs Haltung verrät mir, dass er seine Faust gerne noch mal in mein Gesicht rammen würde.

  »Die zwei Minuten haben vor vierzig Sekunden angefangen«, erinnert mich Aiden, als die Stille andauert.

  »Klar.« Ich räuspere mich und versuche herauszufinden, was zum Teufel ich sagen soll. Ich hatte einen kompletten Flug lang Zeit, um mir zu überlegen, wie genau ich dieses Szenario angehen würde. Ich hatte mir eine Million unterschiedliche Möglichkeiten ausgedacht, um ihnen meinen Plan zu erklären und ihnen klarzumachen, dass ich vorhatte, sie zu einem Teil des Vertrags zu machen, sobald ich eine Gelegenheit finden würde, persönlich mit Clay zu reden. Doch irgendwie finde ich jetzt keine Worte, während ich den beiden Jungs gegenüberstehe, die ich mal als meine besten Freunde bezeichnet habe. Mir läuft die Zeit davon, also überspringe ich die Ausreden und entscheide mich stattdessen für einfache, brutale Ehrlichkeit. »Ich war ein Idiot.«

  »Ein Idiot?«, Linc schnaubt. »Ich würde eher sagen, dass du ein verräterischer Mistkerl warst, aber das geht wohl nur mir so.«

  »Du hast recht.« Ich schlucke schwer. »Du hattest mit allem recht. Ich hätte nie mit Lacey gehen sollen. Ich hätte Clay sagen sollen, dass er sich verpissen kann, sobald er vorschlug, dass ich den Vertrag ohne euch abschließe.«

  »Stimmt«, pflichtet mir Aiden bei.

  »Ist das alles?«, will Linc wissen. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass deine zwei Minuten vorbei sind.«

  »Hört zu, ich werde keine Ausreden erfinden, weil es an dem, was ich getan habe, nichts ändern wird. Ich bin nur hergekommen, um euch zu sagen, dass ich den Vertrag nicht unterschrieben habe.«

  »Was?«, zischt Lincoln mit ungläubiger Miene.

  Aiden schweigt, aber in seinem Blick liegt ein Hauch von Neugier.

  »Ich habe den Vertrag angestarrt und über das ganze Geld nachgedacht, das auf dem Spiel stand … Und auch darüber, wie es wäre, alles zu bekommen, von dem ich dachte, dass ich es wollte.« Ich streiche mit einer Hand über meinen Bart. Er wird allmählich lang – ich habe mich seit über einer Woche nicht mehr rasiert. »Wie sich herausgestellt hat, bin ich ein sogar noch selbstsüchtigeres Arschloch, als du dachtest, Linc, denn ich konnte das verdammte Dokument nicht unterschreiben. Ich konnte ihnen nicht die Texte zur Verfügung stellen und zulassen, dass Lacey daraus den gleichen Mist macht, bei dem wir das Gesicht verziehen, wenn wir ihn im Radio
hören. Also bin ich gegangen.«

  »Du bist gegangen.« Lincoln blinzelt langsam. »Du hast auf den Vertrag mit Red Machine verzichtet.«

  Ich nicke.

  »Warum zum Teufel solltest du das tun?«

  »Weil ich offensichtlich lieber mit euch beiden in heruntergekommenen Spelunken spielen würde, als mir eine extrem lukrative Karriere mit Lacey aufzubauen. Ich habe nur eine Weile gebraucht, um das zu begreifen.«

  »Du bist ein Idiot.« Linc schüttelt den Kopf. »Ein gottverdammter, elender Idiot. Das ist dir doch klar, oder?«

  »Tja.« Ich zucke mit den Schultern und stehe auf. »Ich habe nie behauptet, ein Genie zu sein. Ich dachte nur, dass ihr das wissen solltet.«

  Ich gehe zur Tür. Ich drücke bereits die Klinke herunter, als Aiden schließlich ein Wort von sich gibt.

  »Ry.«

  Ich schaue zurück und ziehe die Augenbrauen hoch.

  »Hast du heute Abend schon was vor?«

  »Ihr meint, jetzt, da ich einen Plattenvertrag abgelehnt, meinen Job, mein Mädchen und meine Familie verloren habe und aus meiner Wohnung geworfen worden bin?« Ich atme geräuschvoll aus. »Nein, ich habe keine Termine.«

  Linc schnaubt.

  »Bleib hier.« Aiden grinst breit, als er sein Handy aus der Hosentasche zieht. Er wählt und geht dabei in Richtung seines Schlafzimmers. »Ich muss schnell jemanden anrufen.«

  Ich schaue Lincoln fragend an.

  »Frag mich nicht. Ich habe die halbe Zeit über keinen Schimmer, was im Kopf dieses verschwiegenen Spinners vor sich geht. Und ich weiß schon gar nicht, was für einen verrückten Mist er als Nächstes verzapfen wird. Er lässt sich nicht in die Karten schauen. Er hat seine Berufung verfehlt, denn er hätte professioneller Pokerspieler werden können.«

  »In der Tat.«

  »Willst du ein Bier?«, fragt er und geht zum Kühlschrank. Ich denke, dass das seine Art ist, mir zu sagen: »Ich vergebe dir.« In Lincs Welt ist das praktisch ein Friedensangebot.

  »Ja. Ich hätte sehr gerne ein Bier.«

  Wir sitzen schweigend da, trinken aus unseren Flaschen und warten darauf, dass Aiden zurückkehrt. Nach ein paar Minuten angespannter Stille lacht Linc leise. »Gott, ich hätte alles gegeben, um Laceys Gesicht zu sehen, als du ihr gesagt hast, dass du aus dem Vertrag aussteigst.«

  Ich grinse. »Erinnerst du dich noch daran, wie sie ausgeflippt ist, weil dieser Kerl letztes Frühjahr während des Offenen-Mikro-Abends versehentlich sein Bier auf ihr Lieblingsoberteil gekippt hat?«

  Er nickt amüsiert.

  »Es war genauso, nur dass dieses Mal ich der Kerl war und das Oberteil fünfhunderttausend Dollar waren. Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass sie nicht schon wieder versucht hat, mir die Augen auszukratzen.«

  Wir grinsen beide, und ich spüre, wie das Eis zwischen uns ein wenig schmilzt.

  »Also, was wirst du jetzt machen?«

  Ich seufze. »Mir einen Job suchen, schätze ich. Eine Wohnung finden. Herausfinden, was ich im Leben erreichen will, nun, da ich die eine Sache hinter mir gelassen habe, auf die ich die letzten acht Jahre lang jeden Tag hingearbeitet habe.«

  »Weißt du …« Er wirft mir einen spekulativen Blick zu. »Dein Zeug ist noch hier.«

  »Ich dachte, dass du alles in den Müllcontainer werfen wolltest.«

  »Das hätte ich auch noch getan. Irgendwann. Ich bin nur noch nicht dazu gekommen, es zusammenzupacken.« Er trommelt mit den Fingern auf der Flasche in seinen Händen herum. »Was ich damit sagen will: Wenn du dein Zimmer wiederhaben willst, solltest du es dir nehmen.«

  Ich habe plötzlich einen Kloß im Hals, also trinke ich einen großen Schluck Bier. »Danke, Mann.«

  »Jetzt werd mir hier bloß nicht sentimental.«

  Ich zeige ihm den Stinkefinger. »Besser?«

  »Sehr viel besser.«

  Aiden kommt zurück ins Wohnzimmer und grinst breit. »Also. Ich habe herausgefunden, was wir heute Abend unternehmen werden …«

  22. KAPITEL

  Felicity

  Auf den Straßen ist jede Menge los. Sie sind bis zum Bersten mit Leuten gefüllt, die den vierten Juli feiern. Sie tragen Rot, Weiß und Blau und sind unterwegs zum Fluss, um dort das Festival zu besuchen. Draußen ist es wunderschön – ein perfekter Sommertag. Musik erfüllt die Luft von allen Seiten, während ich in der sengenden Nachmittagshitze durch den belebten Stadtteil südlich des Broadways gehe. Hin und wieder steigt eine Flaschenrakete mit einem durchdringenden Pfeifen in den Himmel auf – ein Vorbote auf das offizielle Feuerwerk, das die Stadt in nur wenigen Stunden erleuchten wird.

  Ich werde dann allerdings nicht mehr hier sein, um es mir anzusehen.

  Um mich herum ist so viel los, dass ich das Auto, das langsam an der Bordsteinkante entlangfährt, erst bemerke, als ich ein gutes Stück von der Menge entfernt bin und mich von der Innenstadt wegbewege. Zuerst denke ich, dass ich einfach nur paranoid bin. Aber als ich schneller gehe und höre, wie als Reaktion darauf der Motor aufheult, weiß ich, dass die Gefahr real ist. Jemand folgt mir wie eine Spinne, die in ihrem Netz auf die gefangene Fliege zukrabbelt.

  Er ist hier.

  Vor meinem geistigen Auge kann ich mir bereits die Wut auf dem Gesicht meines Vaters vorstellen, wenn er mich mit seinem eisernen Griff packt. Panik macht sich in mir breit. In dieser leeren Seitenstraße ist niemand, den ich um Hilfe bitten kann, und ich kann nirgendwohin. Die Geschäfte um mich herum haben wegen des Feiertags alle geschlossen. Ich bin vollkommen auf mich gestellt.

  Ich bereite mich innerlich auf einen Sprint vor und werfe einen schnellen Blick über meine Schulter. Mein Körper wird schlaff, als mich Erleichterung überkommt. Anstelle des rostigen grünen Pick-ups, den ich erwartet habe … sehe ich ein vertrautes älteres Limousinenmodell, an dessen Steuer eine platinblonde Frau sitzt. Sie winkt mir fröhlich durch die Windschutzscheibe zu, als ich sie entdecke.

  »Carly!« Ich werfe ihr einen finsteren Blick zu, als sie neben mir anhält. »Was in aller Welt soll das? Du hast mich fast zu Tode erschreckt.«

  »Tut mir leid.« Sie sieht allerdings nicht aus, als würde es ihr leidtun, zumindest nicht, wenn man das Grinsen auf ihrem Gesicht bedenkt.

  »Was machst du hier?«

  »Ach, du weißt schon.« Sie zuckt mit den Schultern. »Ich mache nur eine kleine Spritztour.«

  Ich ziehe skeptisch die Augenbrauen hoch.

  »Okay, ich dachte mir, dass du vielleicht eine Mitfahrgelegenheit brauchen könntest. Als ich im Nightingale ankam, erzählte mir Isaac, dass du schon unterwegs zum Busbahnhof wärst. Ich bin etwa zwanzig Minuten lang herumgefahren und habe nach dir gesucht.« Sie schüttelt den Kopf. »Komm schon, wirf dein Zeug in den Kofferraum, bevor du schmilzt.«

  »Aber …«

  »Leg dich nicht mit mir an.«

  Draußen ist es über dreißig Grad heiß. Ich habe mein Sommerkleid bereits durchgeschwitzt und noch nicht mal die Hälfte des Wegs hinter mich gebracht. Mit einem resignierten Grummeln werfe ich meinen Gitarrenkoffer auf den Rücksitz und lasse mich dann auf den Beifahrersitz gleiten. Die kühle Luft der Klimaanlage fühlt sich himmlisch an. Ich schließe die Augen und atme tief ein, während Carly losfährt.

  »Danke«, murmle ich nach ein paar Minuten, als ich nicht länger das Gefühl habe, jeden Moment einen Hitzschlag zu erleiden.

  »Vielleicht solltest du mir lieber noch nicht danken.« In ihrer Stimme liegt ein schelmischer Unterton.

  »Carly …« Ich öffne die Augen und sehe, dass wir nicht mal in der Nähe des Busbahnhofs sind. Stattdessen sind wir zum Fluss zurückgefahren. »Wo sind wir?«

  »Sei nicht sauer!«, fleht sie, parkt vor einem mir unbekannten Wohngebäude aus Ziegelsteinen und stellt den Motor ab. »Hör mir einfach zu.«

  Ich atme langsam aus. »Du hast dreißig Sekunden, um mir zu erklären, was das soll. Danach gehe ich zu Fuß weiter.«

  »Du bleibst für ein paar Tage bei mir.« Sie bringt ihren geschäftsmäßigsten Tonfall zu
m Einsatz – den, den sie auch immer bei kapriziösen Musikern anwendet, die in letzter Minute ihre Auftrittszeit ändern wollen. Ich muss sagen, dass er ziemlich effektiv ist.

  »Carly …«

  Sie lässt mich nicht ausreden. »Nein. Das steht nicht zur Debatte. Ich habe es entschieden.«

  »Das ist aber nicht deine Entscheidung. Es ist meine!«

  »Zwei Worte.« Sie hält zwei Finger hoch. »Spirituelle. Führerin.«

  Ich seufze tief. »Ich weiß es zu schätzen, dass du dich um mich kümmerst, aber wir haben doch schon gestern Abend darüber geredet …«

  »Ja. Und dann bin ich nach Hause gegangen, habe darüber geschlafen und erkannt, wie naiv du bist, wenn du denkst, dass ich es unterstützen werde, dass du einfach so abhaust. Du weißt doch gar nicht, wo du hinwillst. Außerdem hast du nur das Trinkgeld von ein paar Wochen Kellnern dabei, und dein gefälschter Ausweis ist der schlechteste, den die Welt je gesehen hat.«

  »Aber …«

  »Kein Aber. Ich habe das bereits mit meiner Mitbewohnerin besprochen, und sie hat nichts dagegen, dass du für ein paar Tage auf unserer Couch übernachtest, während wir uns einen Plan überlegen. Sie übernachtet ohnehin meistens bei ihrem Freund.«

  »Einen Plan?«, frage ich schwach.

  Sie nickt. »Ja. Das ist diese verrückte Sache, die Menschen machen, wenn sie über Optionen reden, das Für und Wider abwägen und sich auf den Rat ihrer Freunde verlassen, statt sofort loszurennen wie ein scheues Pferd … Das solltest du bei Gelegenheit mal versuchen.«

  »Du verstehst das nicht.« Ich atme tief ein. »Letztens kam während meiner Schicht ein Anruf für mich rein. Es war mein Vater.«

  »Dem Ausdruck auf deinem Gesicht nach zu urteilen, wollte er wohl nicht bloß mal nachfragen, wie es dir so geht.«

  »Sagen wir einfach, dass ich mein Zuhause nicht unter den besten Umständen verlassen habe, in Ordnung? Und wenn er weiß, wo ich arbeite …«

  »Du denkst, dass er dich aufspüren und verfolgen wird.«

 

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