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Faded Duet 1 - Faded - Dieser eine Moment

Page 28

by Julie Johnson


  Was Schwachsinn ist, wenn man bedenkt, was ich für diese kleinen weißen Scheißdinger bezahlt habe.

  Gegen drei Uhr stolpern Linc und ich durch die Tür ins dunkle Loft hinein. Ich versuche, dafür zu sorgen, dass er leise ist, während ich ihn in sein Schafzimmer verfrachte. Doch er lacht wie eine verdammte Hyäne. Ich bin mir fast sicher, dass er Felicity aufwecken wird. Aber als ich in unser Schlafzimmer gehe, liegt sie vollkommen still und mit dem Rücken zur Tür da. Ihre Atemzüge sind tief und gleichmäßig.

  Ich ziehe mich nackt aus und krieche zu ihr ins Bett. Dabei spüre ich, wie sich das Zimmer um mich herum dreht. Es war ein mieser Tag voller endloser Besprechungen, die sich alle um das Album drehten. Und die Nacht war sogar noch mieser, weil ich mit in diesen Club musste, um auf Linc und Aiden aufzupassen, während sie eine Linie Kokain nach der anderen schnupften.

  Ich ziehe Felicity in meine Arme und spüre, wie meine Welt langsam wieder ins Gleichgewicht kommt.

  Solange ich sie habe und zu ihr nach Hause kommen kann, spielt alles andere keine Rolle.

  28. KAPITEL

  Felicity

  »Hallo, Leute! Falls ihr gerade erst einschaltet: Hier ist Joel Kay von KLAX 102.3. Heute Morgen habe ich Felicity Wilde, die Leadsängerin der Band Wildwood, zu Gast. Selbst wenn ihr im vergangenen Monat nur einmal kurz das Radio eingeschaltet habt, bin ich sicher, dass ihr ihre neue Single »Faded« gehört habt. Sie beherrscht seit Wochen die Charts!« Joel zwinkert mir in der Aufnahmekabine zu. »Felicity, wie geht es dir?«

  »Ich bin ein wenig müde, Joel – mein Kaffee hat seine Wirkung noch nicht entfaltet!« Ich schenke ihm mein bestes falsches Lächeln.

  »Oh, warst du gestern Abend in der Stadt unterwegs und hast ordentlich gefeiert?«

  »Nein, wir sind einfach so sehr mit der Arbeit für das neue Album beschäftigt, dass wir in letzter Zeit nicht besonders viel Schlaf bekommen.«

  »Das ergibt Sinn!«, verkündet Joel. »Wie gefällt dir L. A. bislang?«

  »Tja, es ist ganz anders als Nashville, aber Ryder und ich sind hier sehr glücklich.« Ich beiße die Zähne zusammen, sobald ich die Lüge ausgesprochen habe.

  »Da wir gerade von Ryder sprechen – ja, ich meine Ryder Woods, für diejenigen von euch, die gerade erst eingeschaltet haben –, wo ist er heute Morgen?«

  »Leider ist er mit einer leichten Kehlkopfentzündung aufgewacht. Er war wohl gestern ein paar Stunden zu lange im Aufnahmestudio!« Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er so verkatert war, dass er kaum die Augen öffnen und mich anschauen konnte, als ich vor zwei Stunden versuchte, ihn zu wecken. Er war eindeutig nicht in der Lage, ein Interview zu führen. Die bloße Erinnerung daran erfüllt mich mit Wut, aber ich erhalte mein Lächeln tapfer aufrecht und mache weiter. Mir bleibt nichts anderes übrig. »Er braucht nur ein wenig Ruhe, dann wird das schon wieder.«

  »All diese langen Stunden im Studio – bedeutet das, dass wir bald mit einem Album rechnen können?«

  »Ach, Joel, du weißt doch, dass ich dir das nicht verraten kann!«, sage ich und spiele das Spiel mit.

  Natürlich kennt er alle Antworten auf seine Fragen, lange bevor er sie stellt – eine Gefälligkeit des Pressepakets, das ihm Francesca letzte Woche zugeschickt hat. Darin befand sich auch eine Liste mit genehmigten und verbotenen Themen sowie Informationen über den Hintergrund unserer Band. Jede meiner Antworten wurde sorgfältig geprobt wie bei einem Skript.

  Bleib entspannt.

  Mach Werbung für das Album.

  Erzähl die Geschichte.

  »Was ich verraten kann, ist, dass sich das Warten lohnen wird«, necke ich. »Wir haben acht Lieder aufgenommen, und die letzten zwei sollten auch in Kürze fertig sein!«

  »Das ist so aufregend. Erzähl mir, worauf du dich bei der Veröffentlichung am meisten freust.«

  »Ich würde ja gerne sagen, dass es die tolle Präsentationsparty ist, die Route 66 veranstaltet … Aber ich denke, dass ich mich noch mehr auf die kleine Auszeit freue, die ich dann haben werde. Wir sind letzten Monat nach L. A. gekommen, aber ich habe das Gefühl, dass ich die Stadt noch gar nicht richtig erkundet habe. Hier gibt es so viel zu erleben!«

  Der Rest des Interviews verläuft vollkommen unspektakulär. Joel hält sich so genau an die Vorgaben, dass ich seine Fragen vermutlich im Schlaf beantworten könnte. Als er »Faded« laufen lässt und unsere Mikros auf stumm schaltet, lehne ich mich zurück, höre mir das Lied an und versuche möglichst, nicht zu weinen.

  ’Cause love don’t burn out, even though you’re gone

  And hate don’t come just ’cause you write it in a song …

  Ryders Stimme dröhnt aus den dicken Kopfhörern, die meine Ohren bedecken. Ich schließe die Augen und höre zu.

  Einst war ich der Meinung, dass seine Stimme wie ein träger Sonntagmorgen wäre. Ich lag falsch. Seine Stimme ist wie Sex. Sie ist wie eine durchgemachte Nacht, die zu dieser langsamen Morgendämmerung zwischen den Laken führt. Wie ein durchdringender, nervenzerfetzender Stoß aus Klang, der so tief in einen hineindringt, dass man schon halb verloren ist, bevor einem bewusst wird, was passiert ist.

  Ich könnte ihm ewig beim Singen zuhören.

  Sure it’s sad but it isn’t complicated …

  You’re my only memory that never faded …

  Ich fühle mich taub, als ich den Radiosender nach dem Interview verlasse und wieder auf den Rücksitz des Autos steige, das Route 66 gemietet hat, um mich damit herumfahren zu lassen. Während der Fahrt weine ich mir die Augen aus.

  Als ich ins Loft zurückkehre, ist Ryder immer noch im Bett. Ich werfe meine Tasche mit genug Wucht auf den Boden, um ihn aufzuwecken.

  »Hey, Baby«, sagt er und blinzelt mich mit schlaftrunkenen Augen an. »Warum bist du angezogen?«

  Ich starre ihn an.

  Dann wird ihm plötzlich klar, was los ist. Er setzt sich ruckartig auf, sodass die Laken zu allen Seiten geschleudert werden. »Mist! Verdammt! Das Interview.« Er verzieht das Gesicht zu einer entschuldigenden Miene. »Baby … Es tut mir so leid. So, so leid. Linc hat dafür gesorgt, dass ich viel länger unterwegs war, als ich es wollte. Als wir nach Hause kamen, war es schon drei Uhr. Ich weiß, dass das keine Entschuldigung dafür ist, dass ich Mist gebaut habe. Ich bin nur … Verdammt, es tut mir so leid, Felicity.«

  Er klingt so zerknirscht – so sehr wie der Ryder, an den ich mich erinnere, der Ryder, in den ich mich verliebt habe –, dass ein Teil meiner Wut verraucht. Trotzdem stehe ich mit vor der Brust verschränkten Armen da und beobachte ihn misstrauisch.

  »Baby …«

  »Du weißt, dass ich während Interviews nervös werde«, sage ich nach einer langen Pause. Ich hasse es, dass meine Stimme so schwach klingt.

  »Ich weiß. Gott, ich bin so ein Idiot.« Er fährt mit einer Hand durch sein Haar und wirkt vollkommen aufgelöst. »Ich habe einfach die Zeit aus den Augen verloren …«

  »Ist schon gut.« Ich zucke leicht mit den Schultern und versuche, die Steifheit abzuschütteln, die meine Gelenke verkrampft. »Ich habe dir ein Alibi verschafft. Ich habe gesagt, dass du eine Kehlkopfentzündung hättest. Also würde ich dir empfehlen, nicht mit voller Lautstärke vor Leuten herumzubrüllen, die Snapchat-Videos machen, wenn du später unterwegs bist.«

  Er starrt mich an, und in seinen blau-braunen Augen schimmert Reue. »Komm her«, fleht er mit sanfter Stimme.

  Ich mache ein paar Schritte auf ihn zu, achte aber sorgfältig darauf, außerhalb seiner Reichweite zu bleiben.

  »Näher«, bettelt er.

  Ich mache einen weiteren Schritt.

  »Noch näher, Baby.« Er grinst und sieht im Licht des Vormittags so gut aus. Seine nackte gebräunte Haut bildet einen hübschen Kontrast zu den schneeweißen Laken.

  Ich spüre, wie das Eis in meinem Venen schmilzt, während ich einen weiteren Schritt auf das Bett zumache. Bevor ich ihm ausweichen kann, setzt er sich blitzschnell in Bewegung. Er springt von der Matratze, legt einen Arm um meine Taille und zerrt mich mit einem
spielerischen Brüllen auf die Kissen.

  Ich lache und schlage gegen seine Schulter. »Runter von mir, du Barbar!«

  Er kitzelt meine Seiten, zieht den unteren Saum meines Oberteils hoch und bläst lautstark mit den Lippen auf meinen Bauch.

  Ich schreie vor Lachen, und Tränen sammeln sich in meinen Augen.

  »Aufhören!«, keuche ich. »Ich ergebe mich! Ich ergebe mich!«

  Er rutscht hoch, um mir ins Gesicht zu schauen. Seine Augen sind blutunterlaufen, aber voller träger Wärme.

  »Verzeihst du mir?«, fragt er und streicht mit seinen Lippen über meine.

  »Immer«, murmle ich und recke den Hals, um ihn fester, leidenschaftlicher und länger zu küssen.

  Ich wünschte, dieses Wort würde sich nicht so sehr wie eine Lüge anfühlen.

  Als ein paar Wochen später die Präsentationsparty für das Album ansteht, ist die brodelnde Anspannung in mir schließlich doch übergekocht. Ich bin die ganze Zeit über nervös und weiß nicht mal genau, warum. Im Grunde genommen ist alles in Ordnung. Und doch zucke ich ständig zusammen, weil ich die ganze Zeit über damit rechne, dass jeden Moment eine Hiobsbotschaft über mich hereinbrechen und mein Leben aus der Bahn werfen wird.

  Ich bin im Bad und mache mich fertig, um zu dem glamourösen Veranstaltungsort zu fahren, den Route 66 für die Präsentationsparty für das Wildwood-Album reserviert hat. Sorgfältig verpasse ich meinem Make-up den letzten Schliff. Ryder hat mir gnädigerweise das große Bad überlassen und macht sich in Aidens und Lincs Badezimmer fertig, damit ich mehr Platz habe, um mich auszubreiten.

  Ich bin noch nie auf einer solchen Veranstaltung gewesen. Ich war nicht mal auf dem Abschlussball meiner Highschool. Ich bin mir nicht sicher, was mich erwartet oder ob ich angemessen gekleidet bin oder was in aller Welt ich in die winzige, zum meinem Outfit passende Clutch-Handtasche tun soll, die mir die Frau im Laden unbedingt andrehen wollte, als ich letzte Woche mein Kleid kaufte.

  Mein nicht vorhandenes Handy? Schlüssel für das Auto, das ich nicht habe?

  Carly wüsste es.

  Wenn sie hier wäre, würde sie ihre Nummer als meine spirituelle Führerin abziehen und mir genau sagen, was mich erwartet, während es ihr irgendwie gelingen würde, mir meine ganze Nervosität zu nehmen. Ich vermisse sie in letzter Zeit immer mehr. Vor allem wenn ich versuche, mit Francesca zu reden, die zwar sehr nett ist, aber auch etwas Steifes und Roboterhaftes an sich hat, weswegen ich mich noch nicht richtig mit ihr anfreunden konnte.

  Als ich versuche, meine tränenförmigen Ohrringe anzulegen, zittern meine Hände vor lauter Nervosität so heftig, dass ich das Schmuckstück schließlich fallen lasse. Der Ohrring landet mit einem leisen Klimpern auf dem Boden und rollt unter den Waschtisch, wo er verschwindet. Ich seufze schwer und ziehe mein Kleid hoch, damit es nicht über den Boden schleift, während ich mich bücke, um den Ohrring hervorzuholen.

  Für einen Moment taste ich blind unter dem Waschtisch herum, bis meine Finger schließlich etwas streifen. Ich runzle die Stirn und ziehe einen mir unbekannten schwarzen Kulturbeutel hervor. Er muss Ryder gehören – die anderen Jungs haben ihr eigenes Bad auf der anderen Seite des Lofts. Vermutlich ist er ihm heruntergefallen. Ich stelle den Kulturbeutel auf den Rand des Waschtischs und beuge mich erneut nach unten, um die Suche nach meinem verschollenen Ohrring fortzusetzen.

  Während ich mich weiter fertig mache, vergesse ich den Kulturbeutel schnell wieder. Ich trage mehrere Schichten Wimperntusche auf und betone meine Wangen mit Rouge und Bronzer. Normalerweise bin ich kein Fan von zu viel Make-up, aber ich vermute, dass diese Gelegenheit danach verlangt. Francesca hat mir versichert, dass auf der Party viele Vertreter der Presse sein werden. Route 66 hat das Album wie verrückt beworben, um die Welt auf die morgige digitale Veröffentlichung vorzubereiten.

  Als mein Make-up fertig ist, betrachte ich mich in dem großen Spiegel.

  Gar nicht mal schlecht für ein Mädchen, das in einem Mobilheim aufgewachsen ist, denke ich und grinse mein Spiegelbild an.

  Das blaue Kleid ist der Hammer – eine Designerversion meiner fließenden Sommerkleider. Die durchsichtigen Stoffbahnen sind kunstvoll um meine Schultern drapiert und verlaufen an den Armen nach unten, wodurch sie wie ein Umhang wirken. Aber das Mieder liegt eng an und ist deutlich gewagter als alles, was ich normalerweise trage.

  Mein Haar ist zu einem modischen Pferdeschwanz zusammengebunden, der bis zur Hälfte meines Rückens hinunterfällt. Zwei dunkle Strähnen rahmen mein Gesicht ein, um es zu betonen. Meine Augen sehen durch den schimmernden Lidschatten, den ich aufgetragen habe, aus, als wären sie aus purem Gold, vor allem in Kombination mit der schwarzen Wimperntusche und dem Eyeliner. Meine Wangen und meine Stirn werden durch den Bronzer und das Rouge betont. Mein Mund sieht dank einer großzügigen Schicht Lippenstift voller als je zuvor aus – knallrot natürlich, um die unverkennbare Lippenstiftfarbe meiner Großmutter zu ehren.

  Durch den ganzen Aufwand ist eine deutlich elegantere Version von mir entstanden, wie ich sie so noch nie gesehen habe.

  Ich sehe älter aus. Ich sehe attraktiver aus.

  Ich sehe nicht unbedingt wie ich selbst aus.

  »Verdammt«, sagt eine warme Männerstimme hinter mir. »Du bist absolut umwerfend.«

  Ich drehe mich um und entdecke Ryder, der in der Tür steht. Mir stockt der Atem. Ich habe ihn noch nie zuvor in einem Anzug gesehen und muss sagen, dass er ihm ausgezeichnet steht. Sein Gesicht ist zum ersten Mal seit über einem Monat glatt rasiert und sieht so scharfkantig aus, dass man damit Glas schneiden könnte. Seine Augen glühen vor Hitze, als er mich ebenfalls von Kopf bis Fuß mustert.

  »Du siehst aber auch nicht übel aus«, sage ich, gehe zu ihm und schlinge die Arme um seinen Hals. »Keine Krawatte?«

  »Ich bin einfach kein Krawattentyp, Baby.« Er senkt den Kopf und streift meinen Mund mit seinem. Sanft. Süß. »Bist du fertig?«

  »Ich muss nur noch in meine Schuhe schlüpfen, dann bin ich startklar. Sind die Jungs angezogen?«

  Meine Frage bleibt unbeantwortet. Ryder spannt sich plötzlich an. Als ich in sein Gesicht hochschaue, erschrecke ich, denn seine Miene ist vor Wut und Misstrauen ganz finster geworden. Der Wechsel von dem warmen Ausdruck, den er eben noch aufgesetzt hatte, ist so plötzlich vonstattengegangen, dass ich nicht begreifen kann, was ihn ausgelöst haben könnte.

  »Ryder, was ist los?«

  »Hast du meine Sachen durchwühlt?«

  »Was?« Ich weiche zurück, weil er wirklich wütend klingt. »Wovon redest du?«

  Er schaut mir ins Gesicht. Ich kann den Blick in seinen blau-braunen Augen nicht deuten. So habe ich ihn noch nie erlebt. Er ist immer charmant und beinahe jungenhaft gewesen. Doch jetzt … könnte ich schwören, dass ich einem völlig fremden Mann gegenüberstehe.

  »Ich rede von meinem Kulturbeutel, Felicity.« Er drängt sich an mir vorbei und schnappt sich die kleine Tasche vom Waschtisch, wo ich sie vorhin abgelegt habe. »Hiervon. Was hast du damit gemacht?«

  »Ich habe ihn unter dem Waschtisch gefunden«, sage ich und spüre, wie sich meine Nackenhaare aufstellen. Ich kann nicht glauben, dass er mich wegen eines Kulturbeutels anschreit. Wir haben uns zuvor noch nie gestritten. Das ergibt absolut keinen Sinn.

  Ich schlucke schwer und versuche, ruhig zu bleiben. Vermutlich ist er wegen der Präsentationsparty gestresst. Die letzten paar Wochen sind ziemlich verrückt gewesen – ständig irgendwelche Interviews, Treffen mit Francesca, um über die bevorstehende Veröffentlichung des Albums zu sprechen … Außerdem haben ihn Aiden und Linc immer öfter mit in die Stadt geschleppt. Sie haben in letzter Zeit alle etwas mitgenommen gewirkt – ständig sind sie mit blutunterlaufenen, trüben Augen durch die Wohnung geschlurft wie Zombies. Wenn ich es nicht besser wüsste …

  Nein.

  Ich verdränge diesen Gedanken, bevor er vollständig in meinen Verstand eindringen kann. Das hier ist nicht so wie das, was mit meinen Eltern passiert ist. Ich hätte es gemerkt, wenn ich wieder mit Junkies zusammenleben
würde. Ich hätte die Anzeichen erkannt – ich kenne sie in- und auswendig.

  Zum Beispiel das Verstecken von Gegenständen?, meldet sich eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf zu Wort. Heimlichtuerei? Die ganze Nacht unterwegs sein? Unangemessen wütend auf Kleinigkeiten reagieren, die keine Rolle spielen sollten?

  Ich schnappe hektisch nach Luft, da ich plötzlich das Gefühl habe, ein paar Meter unter der Oberfläche eines gewaltigen Ozeans aus Angst zu sein. Mein Tonfall ist überraschend ruhig, als ich spreche, doch in meinem Kopf dreht sich alles.

  »Ich dachte, dass sie dir runtergefallen wäre, also habe ich sie aufgehoben und auf den Waschtisch gestellt. Was ist so schlimm daran?«

  »Was so schlimm daran ist? Herrgott, Felicity, nur weil wir zusammenleben, bedeutet das nicht, dass du alles einfach so anfassen darfst.« Er umklammert den Kulturbeutel so fest, dass seine Knöchel weiß werden. Sein Gesicht ist eine Maske aus kaltem Zorn. Ich erkenne ihn nicht wieder.

  »Was ist in dem Beutel, Ryder?«, frage ich und mache einen Schritt auf ihn zu.

  Er beißt die Zähne zusammen. »Nichts.«

  »Mach ihn auf.«

  »Lass es gut sein, Felicity.«

  »Das werde ich. Sobald du ihn aufgemacht hast.«

  »Nein.« Seine Stimme ist tonlos. Emotionslos. »Das ist lächerlich. Du verhältst dich lächerlich.«

  Diese ganze Situation entgleitet mir so schnell, dass ich kaum Zeit habe, mich festzuhalten. Es fühlt sich an, als würde ich mich mit den Fingerspitzen an mein Leben klammern – an meine Liebe.

  »Ryder.« Meine Stimme bricht, als ich seinen Namen ausspreche. »Bitte.«

  In seinen Augen rührt sich etwas. Es sieht wie Angst aus. Er stellt den Kulturbeutel hinter sich auf den Waschtisch und macht einen Schritt auf mich zu. »Felicity, Baby. Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wir müssen los. Sonst kommen wir zu spät zu der Party.«

  »Die Party ist mir egal!«, brülle ich und reiße die Augen weit auf. »Mir geht es um den Kulturbeutel!«

 

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