Midnight Chronicles 02 - Blutmagie
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Ich gehorchte und erkundigte mich anschließend nach den beiden Huntern, die gerade sein Büro verlassen hatten, in der Hoffnung, so noch etwas Zeit schinden und meine Gedanken sortieren zu können.
»Das waren Roxy Blake, eine freie Huntress, und Shaw, ein Hunteranwärter, aus dem Londoner Quartier. Du wirst die beiden sicherlich noch kennenlernen, sie werden eine Weile bei uns bleiben«, antwortete Grant und nippte an der Cola, die auf seinem Schreibtisch stand.
Deswegen auch die neuen Personalakten. Vermutlich hatten Roxy und Shaw gerade von Grant seine Willkommen-in-Edinburgh-Ansprache gehalten bekommen. Wardens Anwesenheit erklärte das allerdings nicht.
»Und warum bist du hier?«, fragt ich geradeheraus.
»Ich habe den beiden nur den Weg gezeigt«, antwortete Warden mit einem unschuldigen Lächeln, das ich ihm nicht abkaufte.
»Setz dich«, forderte Grant mich auf und deutete auf den freien Stuhl vor seinem Tisch.
Ich zögerte kurz, nahm aber schließlich Platz, da ich nicht kindisch wirken wollte.
Die beiden Stühle standen keine Armlänge voneinander entfernt. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich Warden das letzte Mal so nahe gewesen war. Seit dem Vorfall vor drei Jahren war er fast ununterbrochen auf der Suche nach Isaac, dem Vampirkönig, unterwegs. Er reiste um die ganze Welt. Und wenn er dann doch einmal im Quartier war, galt die ungeschriebene Regel, dass wir uns aus dem Weg gingen. Im letzten Jahr hatte ich ihn vielleicht eine Handvoll Male gesehen, und nun gleich zwei Tage hintereinander – das war zu viel!
»Du weißt sicherlich, warum ich dich habe rufen lassen«, sagte Grant.
Ich hielt es für das Beste, meine Vermutung erst mal für mich zu behalten. »Nein, um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht.«
Warden stieß ein abfälliges Schnauben aus. »Lügnerin.«
Grant verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch und sah mich eindringlich an.
Mein Blick fiel auf sein Huntertattoo, das er gut sichtbar auf seinem rechten Handrücken trug, mit einem Halbmond in der Mitte, der ihn als Grim Hunter auszeichnete. Das Tattoo stammte aus einer Zeit, in der nicht ständig alles überwacht, fotografiert und online geteilt worden war. Heute mussten wir Hunter unser Tattoo verdeckter tragen; meines befand sich auf der Innenseite meines linken Oberarms.
»Warden hat mir erzählt, dass du gestern allein auf Jagd warst. Stimmt das?«
Ich biss die Zähne zusammen. Natürlich hatte Warden mich verraten. Was hatte ich anderes erwartet? Diese einmalige Gelegenheit, mich bei Grant anzuschwärzen, hatte er sich selbstverständlich nicht entgehen lassen können.
»Nein, ich war nicht allein auf der Jagd«, erklärte ich, um einen ruhigen Tonfall bemüht, obwohl ich innerlich kochte. Ein Teil von mir wusste, dass Warden jedes Recht hatte, mich zu verraten, schließlich hatte ich wirklich gegen die Regeln verstoßen. Dennoch stieg Wut in mir auf, denn ich wusste, dass es ihm nicht um die Regeln ging. Die brach er schließlich selbst am laufenden Band. »Ich war auf unserer Halloweenparty und gerade auf dem Weg nach Hause, als ich einen Vampir bemerkt habe. Ich habe versucht, Jules zu erreichen, damit er mich unterstützt, aber er ist nicht an sein Handy gegangen. Daraufhin habe ich im Quartier angerufen. Die haben mir gesagt, dass Verstärkung frühestens in dreißig Minuten kommen kann. So lange hätte ich nicht warten können. Ich wollte verhindern, dass der Vampir Unschuldige tötet, also habe ich mich ihm im Alleingang gestellt.«
Grant nickte, seine Miene war jedoch undurchschaubar. »Hast du den Vampir vernichtet?«
»Ja.«
»Wurdest du dabei verletzt?«
»Nein.«
Grant ließ meine Worte auf sich wirken, dann stieß er ein Seufzen aus. »Du bist eine wirklich gute Jägerin, Cain. Und die Sache ist dieses Mal vielleicht glimpflich für dich ausgegangen, aber dir ist hoffentlich klar, dass du hättest sterben können. Es gibt einen Grund, aus dem ich so viel Wert auf diese Regel lege. Eure Sicherheit liegt mir am Herzen, mehr als alles andere. Du hattest Glück.«
Ich biss mir auf die Zunge und nickte, auch wenn ich nicht unbedingt glaubte, dass mein Überleben etwas mit Glück zu tun hatte, sondern viel mehr mit meinem Können.
»Es tut mir wirklich im Herzen weh, Cain, aber dein Regelverstoß muss Konsequenzen haben.« Grants Blick zuckte von mir zu Warden und wieder zu mir zurück. »Du bist für eine Woche vom aktiven Dienst suspendiert und wirst in dieser Zeit in der Waffenkammer aushelfen.«
»Was?! Das ist nicht fair!«, protestierte ich. »Ich war nicht allein auf der Jagd! Ich habe den Vampir gesehen und sofort meinen Partner angerufen und anschließend das Quartier. Genau wie es das Protokoll verlangt.«
»Aber du hast nicht auf Verstärkung gewartet.«
»Nein, aber das war auch nicht nötig. Die Gelegenheit zuzuschlagen war perfekt. Ich wollte nicht riskieren, dass mir der Vampir womöglich entkommt. Das hätte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren können. Aber ich war zu jeder Zeit vorsichtig.«
Grant erhob sich von seinem Platz, umrundete seinen Schreibtisch und lehnte sich dagegen, die Arme vor der Brust verschränkt. »Das verstehe ich, Cain, und ich halte dich für eine fantastische Huntress, das kann ich nicht oft genug betonen, aber du hast gegen eine unserer wichtigsten Vorschriften verstoßen. Ein Vergehen, das ich nicht unbestraft bleiben lassen kann. Du bist ein Vorbild für viele junge Hunter und Huntresses. Nehmen wir die Kinder, die du unterrichtest. Sie sehen zu dir auf. Was würde das für ein Signal senden, wenn ich dich ungeschoren davonkommen lasse?«
»Ich finde, die Strafe ist noch zu mild«, warf Warden ein.
Ich schnappte nach Luft. Dieser miese Verräter!
Ich starrte ihn an, und er starrte zurück. Der Blick aus seinen blauen Augen bohrte sich in meinen, als wäre ich ein gefrorener See, dessen Oberfläche es zu brechen galt. Doch wenn er glaubte, mich einschüchtern zu können, irrte er sich. Was bildete er sich überhaupt ein? Seit drei Jahren zog er auf der Suche nach Isaac allein um die Welt, ohne Partner. Was für ein Heuchler! Der einzige Grund, aus dem sich bei Warden nicht eine Bestrafung an die nächste reihte, war der, dass Grant ihn vermutlich nur selten im Quartier erwischte. Oder er hatte ihn einfach als hoffnungslosen Fall abgestempelt. So oder so hatte ihm bisher keine Maßregelung Vernunft eingetrichtert oder ihn von seinem Vorgehen abgebracht. Wieso Zeit und Energie auf jemanden verschwenden, der sich eh nicht darum scherte, ob man sich um ihn sorgte oder nicht?
»Und ich finde, du solltest auch bestraft werden«, sagte ich mit einem unschuldigen Lächeln. »Ja, ich war allein auf der Jagd, aber du warst es auch, oder nicht? Zumindest habe ich deinen Kampfpartner nirgendwo gesehen. Ach ja, warte, du hast ja gar keinen.«
»Und wessen Schuld ist das?«
»Deine. Oder wer hat deine letzten fünf Partner vergrault?« Ich wusste, dass Warden nach mir noch einige Partner gehabt hatte, die es aber alle nicht besonders lange mit ihm ausgehalten hatten. Was mich nicht wunderte. Seit dem Vorfall mit Isaac war Warden nicht mehr derselbe. Er war wütend und verbittert und lebensmüde – keine gute Kombination. Und irgendwann hatte Grant ihm keine neuen Partner mehr zugeteilt. Offenbar hatte er Warden genauso aufgegeben wie Warden sich selbst.
»Hört auf damit«, befahl Grant, bevor der Streit zwischen uns eskalieren konnte. »Ich muss zugeben, dass Cain recht hat. Ich habe dich in der Vergangenheit mit viel davonkommen lassen, Warden. Wenn ich Cain für gestern Nacht bestrafe, dann auch dich.«
Fassungslos sah Warden ihn an. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Und ob das mein Ernst ist.« Grant stieß sich von der Tischkante ab, um wieder hinter dem Schreibtisch Platz zu nehmen. Beinahe so, als wollte er für seine nächsten Worte eine Barriere zwischen Warden und sich bringen. »Du bist ebenfalls für eine Woche suspendiert und wirst Cain in der Waffenkammer helfen.«
Blitzartig richtete sich Warden auf seinem Stuhl auf. »Was?! Warum?«
»Das ist eine ganz schlechte Idee«, erklärte ich.
»Ja, ganz schlecht!«, pflichtete er mi
r bei.
Ich nickte heftig, auch wenn das bedeutete, dass wir seit Jahren das erste Mal wieder einer Meinung waren. »Kann er nicht in der Wäscherei arbeiten? Oder in der Cafeteria? Oder die Toiletten putzen?«
»Oder ich tue etwas Sinnvolles und gehe weiter auf die Jagd.«
Ich lachte bitter auf. »Das hättest du wohl gern.«
»Und ob ich das gern hätte.«
»Du bist unmöglich!«
Warden schnaubte. »Das sagt genau die Richtige.«
Argh, dieser Drecksack.
»Ich hasse dich!«
»Seid still!«, fuhr Grant dazwischen. Jegliche Gelassenheit war aus seiner Stimme verschwunden. Ich hatte ihn noch nie so streng erlebt, was vielleicht daran lag, dass ich ihm bisher noch nie einen Grund dafür gegeben hatte. »Ihr werdet eure Strafe gemeinsam in der Waffenkammer ableisten. Ende der Diskussion. Glaubt ihr, ich bin blind? Ich sehe doch, wie kindisch ihr euch seit Jahren verhaltet. Das ist lächerlich. Ihr müsst keine Freunde sein, aber ihr seid Kollegen, also reißt euch zusammen. Und sollte ich mitbekommen, dass irgendetwas nicht rund läuft, verlängere ich eure Strafen. Verstanden?«
»Verstanden«, murmelte ich, auch wenn es mir gegen den Strich ging. Das Letzte, was ich wollte, war, Grant Ärger zu machen; dafür respektierte ich ihn zu sehr, sowohl als Hunter als auch als Leiter des Quartiers. Irgendwie würde ich diese Woche mit Warden schon ertragen. Ich hatte Schlimmeres überstanden – im Vergleich mit dem Biss einer Hydra oder der Besessenheit durch einen Geist würde das ein Spaziergang werden.
Erwartungsvoll sah Grant Warden an, der bisher noch nichts gesagt hatte, dabei breitete sich ein gefährliches Lächeln auf seinen Lippen aus. »Haben wir uns verstanden, Mr Prinslo?«
Warden gab ein unverständliches Brummen von sich, das ebenso »Ja, Sir« wie »Fahr zu Hölle, du alter Sack« hätte bedeuten können.
Doch Grant wollte scheinbar das Gute in meinem ehemaligen Kampfpartner sehen, denn er nickte zufrieden. »Gut. Damit ist diese Angelegenheit hoffentlich geklärt. Ihr könnt gehen.«
3. KAPITEL
Cain
3 Jahre zuvor
Vor der Hunterprüfung
»Ist das alles, was du draufhast?«
Mein Tonfall war neckend, als ich Wardens Schlag mit einem Satz zur Seite auswich. Wir trainierten bereits eine halbe Ewigkeit. Mir hämmerte das Herz in der Brust, Schweiß tropfte mir von der Stirn wie Wasser aus einer undichten Armatur – und ich liebte es!
»Ich will dir nicht wehtun«, antwortete mein zukünftiger Kampfpartner mit einem Funkeln in den Augen.
»Das könntest du nicht, selbst wenn du es versuchen würdest.«
»Na gut, du hast es nicht anders gewollt.« Ein breites Grinsen trat auf Wardens gerötetes Gesicht, und er startete eine schnelle Abfolge von Schlägen und Kicks in meine Richtung, denen ich gekonnt auswich.
Wir waren auf den Matten im Trainingsraum des Quartiers und feilten an unserer Nahkampftechnik ohne Bewaffnung. Es kam zwar selten vor, dass ein Hunter einer Kreatur der Nacht unbewaffnet gegenüberstand, immerhin wurden wir vom Quartier stets gut ausgerüstet, aber man musste schließlich auf jede Eventualität vorbereitet sein. Das war zumindest meine Meinung. Warden sah das etwas anders. Er vertraute darauf, dass er stets zumindest einen Dolch bei sich trug, aber er hatte mir meinen Wunsch, heute den Nahkampf zu trainieren, nicht abgeschlagen. Weil er mir nie etwas abschlug.
»Komm schon, Prinslo, das kannst du besser«, stachelte ich ihn an.
Warden kniff die Augen zusammen, fixierte mich mit einem dunklen Blick, und erneut hagelte es Tritte und Schläge, dazu geschaffen, mich zu verletzen.
Wir trainierten immer ziemlich brutal und ohne Schutz, so wie es in der Realität später auch sein würde. Blaue Flecken und kleinere Platzwunden waren da an der Tagesordnung. Viele der anderen Hunter gingen im Training vorsichtiger miteinander um und benutzten Polster, um ihre Körper zu schützen. Wir nicht. Warden und ich waren bereit, alles zu geben, und vielleicht auch etwas übermütig, weshalb wir so gut zusammenpassten. Außerdem waren wir beide geborene Blood Hunter, und unsere Wundheilung ließ Blutergüsse und andere kleine Abschürfungen mir nichts, dir nichts verschwinden. Keine große Sache.
Keuchend setzte Warden zu einem erneuten Angriff an. Das stundenlange Training hatte ihn erschöpft und seine Schläge zunehmend schwächer werden lassen, doch auch ich war langsamer geworden. Mit einem Hieb, den ich nicht kommen sah, traf Warden meine Schulter.
Schmerz explodierte in meinem Arm. Ich keuchte auf. Benommen taumelte ich einen halben Schritt zurück, und diesen kurzen Moment, den Bruchteil eines Augenblicks, als mein Stand nicht zu hundert Prozent gefestigt war, nutzte Warden aus und kickte mir die Füße unter den Beinen weg. Mit einem lauten Knall schlug ich auf den Matten auf.
Doch damit nicht genug. Warden hatte dazugelernt. Früher hätte er jetzt einen Freudentanz aufgeführt, doch mein ständiges Gerede über die korrekte Prozedur im Umgang mit Kreaturen war offenbar endlich bei ihm hängen geblieben. Er stürzte sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich, um mich mit seinem Körper am Boden zu fixieren und damit möglichst handlungsunfähig zu machen.
Mit einem schelmischen Grinsen blickte er auf mich herab. Seine Finger hatten sich fest um meine Handgelenke geschlossen, und sein Gesicht war nun wenige Zentimeter von meinem entfernt. Sein warmer Atem streifte meine Haut. Eine Strähne seines braunen Haars fiel ihm in die Stirn. »Und, zufrieden mit meiner Performance?«
Ich lächelte. Und bevor Warden wusste, wie ihm geschah, hakte ich meine Füße um seine Beine, presste meine Hüfte in die Höhe und hebelte ihn aus seiner Position. Blitzschnell, bevor er erneut in den Angriff übergehen konnte, verpasste ich ihm mit meinem Ellenbogen einen Stoß zwischen die Rippen. Ächzend sackte er nach vorne, und ich rollte ihn auf den Bauch, bevor ich mich auf ihn setzte, sodass er vollkommen ruhiggestellt war. Warden war zwar stärker und gut zwanzig Zentimeter größer als ich, aber mit der richtigen Technik konnte man viel bewirken.
Ich beugte mich nach vorn, bis meine Lippen nur noch Zentimeter von seinem Ohr entfernt waren. »Nein, ich bin nicht zufrieden mit deiner Performance. Du bist zu überheblich und lässt deine Deckung zu schnell fallen. Irgendwann wird dir das zum Verhängnis.«
Warden grinste, obwohl er mit einer Wange an der Matte klebte. »Falsch. Dafür hab ich schließlich dich.«
Ich schnaubte und kletterte von seinem Rücken. »Schleimer.«
Er richtete sich auf, und völlig selbstverständlich, ohne uns absprechen zu müssen, steuerten wir die Sitzbank am Rand der Mattenfläche an, auf der unsere Sachen lagen. Das heutige Training war beendet.
Ich trank gierig aus meiner Wasserflasche, bevor ich sie Warden anbot, der seine bereits geleert hatte.
»Kommst du heute Abend noch vorbei?«, fragte er und überließ mir den letzten Schluck.
Ich trank die Flasche aus. »Das kommt darauf an. Kocht dein Dad?«
Anders als ich lebte Warden mit seinen Eltern außerhalb des Quartiers, was vor allem an James, seinem Vater, lag. Er war ein Mensch und unterstützte die Hunter, indem er Waffen und andere Hilfsmittel für die Jagd nach Kreaturen baute. Dafür brauchte er Platz, sowohl für seine Werkzeuge als auch für seine geistige Entfaltung und Kreativität, wie er immer betonte.
»Ja, er macht Lasagne.«
»Lecker. Ich liebe die Lasagne deines Dads.«
Warden stopfte das Handtuch, mit dem er sich den Schweiß von der Stirn gewischt hatte, in seine Sporttasche. Er duschte immer zu Hause und nie im Quartier. »Das heißt, du kommst?«
»Klar«, antwortete ich, obwohl es dafür keine Lasagne gebraucht hätte. Ich war immer gern bei den Prinslos. Nicht nur, weil Warden mein bester Freund war und ich es mochte, Zeit mit ihm zu verbringen, sondern auch weil ich das Haus seiner Eltern liebte. Anders als die Wohnung meiner Eltern hier im Quartier war es ein richtiges Zuhause. Sie hatten einen Gartenzaun mit Briefkasten, Nachbarn, die man heimlich durch die Vorhänge beobachten konnte, und sie konnten,
wann immer sie wollten, aus dem Fenster schauen und den Himmel sehen. Darum beneidete ich Warden ein bisschen. Nicht dass ich das jemals zugegeben hätte.
»Dann sehen wir uns nachher?« Wardens Worte klangen wie eine Frage, obwohl ich ihm bereits zugesagt hatte.
Vermutlich würden wir für die theoretischen Prüfungen lernen und vielleicht einen Anime schauen. Ich hasste Animes, aber Warden liebte sie, also ertrug ich sie.
Ich nickte. »Ja, ich freu mich schon.«
»Cool, dann bis später.«
Ich lächelte. »Bis später.«
4. KAPITEL
Cain
Ich schrieb Jules eine Nachricht, dass ich suspendiert worden war und nicht mit ihm am Abend auf Patrouille gehen durfte. Er antwortete mir sofort und bestand darauf, dass wir uns für ein frühes Mittagessen in der Cafeteria trafen, um darüber zu reden. Nicht dass es da groß etwas zu bereden gab. Warden hatte nur einmal mehr bewiesen, was für ein elendiger Mistkerl aus ihm geworden war. Er hatte mich nicht an Grant verraten, weil ihm meine Sicherheit am Herzen lag oder weil er an die Regeln glaubte. Nein, er hatte mich aus Rache verraten, weil ich seinen Vampir getötet und ihm vor drei Jahren das Leben gerettet hatte, anstatt dabei zuzusehen, wie er in seinen sicheren Tod rannte. Danke auch.
Eine Stunde nach dem Treffen mit Grant war ich noch immer stinksauer. Wütend hämmerte ich auf den Aufzugknopf ein. »Komm schon«, drängte ich, während ich versuchte, mich seelisch darauf einzustellen, die nächsten Tage mit diesem Gefühl, innerlich zu brennen, zu leben. Warden hatte diese Wirkung auf mich. All die guten und all die schlechten Erinnerungen an ihn kollidierten in meinem Kopf wie zwei aufeinander zurasende Autos, mit deren Zusammenstoß alles in Flammen aufging.
Endlich schob sich die Tür des Aufzugs auf, der allerdings nicht leer war. Die beiden neuen Hunter aus dem Londoner Quartier standen in der Kabine, zusammen mit einer dritten Person. Einer Person, die mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte. »Finny?«
Die blonde Frau, die ein magisches Amulett der Stufe 5 um den Hals trug, hob eine Augenbraue. »Finny?«