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Death Cloud ysh-1

Page 18

by Andrew Lane


  Vor sich, noch hinter dem Feld mit den Bienenstöcken, erblickte Sherlock ein kleineres Nebentor, durch das normalerweise wahrscheinlich Lebensmittel und andere Versorgungsgüter angeliefert wurden. Wie es aussah, war es unbewacht. In vollem Galopp ritt er darauf zu. Die Mähne seines Pferdes wehte ihm ins Gesicht, und der Wind rauschte in seinen Ohren. Wenige Augenblicke später preschte sein Pferd auch schon in eine der Zwischenreihen des geometrischen Musters, das die kastenförmigen Umrisse der Bienenstöcke bildeten. In vollem Tempo galoppierten sie in gerader Linie mitten durch das Bienenstockfeld hindurch. Wolken von Bienen stiegen hinter ihnen aus ihren Behausungen auf, aber die Pferde waren zu schnell für sie, und sie schwirrten nur verwirrt und ziellos umher.

  Das Nebentor war verschlossen. Aber Sherlock brauchte nur einen Moment, um abzusteigen und den Riegel zurückzuschieben. Dann drehte er sich um und blickte über das Gelände zum Haus zurück, während Matty auch schon neben ihm Halt machte. Maskierte und bewaffnete Männer drängten sich auf der anderen Seite des Bienenstockfeldes. Offensichtlich wollten sie nicht riskieren, das Feld zu betreten.

  Einer oder zwei von ihnen schlugen bereits mit den Händen in die Luft, als die wütenden Bienen sich auf die erstbesten Ziele stürzten, die sich ihnen boten.

  »Hab ich mir doch gedacht, dass alles klappen wird«, sagte Matty. »Sollen wir bleiben und zugucken?«

  »Lieber nicht«, erwiderte Sherlock.

  11

  Amyus Crowe widmete sich dem letzten Schnitt in Sherlocks Gesicht. Er säuberte die Wunde mit einem Waschlappen und einer scharf riechenden Flüssigkeit, die, egal auf welche Stelle sie traf, zum Gott Erbarmen brannte. Anschließend nahm er in einem Rattansessel Platz, der unter seinem Gewicht heftig knirschte. Er stieß sich mit den Füßen ab und balancierte mit dem Stuhl auf den beiden Hinterbeinen sachte vor und zurück. Die ganze Zeit über fixierte er Sherlock mit den Augen.

  Neben Sherlock wand sich Matty unbehaglich auf seinem Platz. Wie ein Tier, das die Flucht ergreifen wollte, aber nicht wusste, in welcher Richtung die Luft rein war.

  »Eine ganz schöne Geschichte«, murmelte Crowe.

  In der Annahme, dass Crowes Worte nur dazu gedacht waren, die Stille zu unterbrechen, während er nachdachte, schwieg Sherlock weiter. Crowe schaukelte vor und zurück und fuhr die ganze Zeit fort, Sherlock anzustarren. »Ja, eine ganz schöne Geschichte«, wiederholte er nach einer Weile.

  Crowes Augen musterten ihn so fest und unbeirrt, dass er wegsah und den Blick durch den Raum schweifen ließ. Amyus Crowes Cottage wirkte alles andere als aufgeräumt. Überall lagen Bücher, Zeitungen und Zeitschriften herum, die anscheinend einfach dort abgelegt worden waren, wo es Crowe nach der Lektüre gerade in den Sinn gekommen war. Ein Stoß Briefe war mit einem Messer, das sich mitten durch die Blätter bohrte, an den hölzernen Kaminsims gepinnt. Daneben hing eine Uhr, der Sherlock entnahm, dass es auf zwei Uhr nachmittags zuging, und wiederum daneben war ein einzelner Pantoffel befestigt, aus dessen Öffnung eine Gruppe von Zigarren wie ausgestreckte Finger hervorlugten.

  Eigentlich hätte man erwarten müssen, dass es hier dreckig und verwahrlost aussah, aber Sherlock konnte weder Staub noch Schmutz entdecken. Der Raum war sauber, wenn auch unaufgeräumt. Es schien einfach so zu sein, dass Crowe seine ganz eigenen Methoden hatte, Dinge aufzubewahren.

  »Und was schließt du aus dem Ganzen?«, versuchte Crowe schließlich Sherlock aus der Reserve zu locken.

  Sherlock zuckte die Achseln. Er mochte es nicht, wenn er zum Objekt von Crowes Aufmerksamkeit wurde. »Wenn ich das wüsste«, konterte er, »hätte ich nicht zu Ihnen kommen müssen.«

  »Es wäre schön, wenn eine Person immer den entscheidenden Unterschied ausmachen würde«, erwiderte Crowe ohne eine Spur von Gereiztheit in der Stimme. »Aber in der komplizierten Welt, in der wir nun mal leben, brauchst du manchmal Freunde. Und manchmal eine Organisation, die dich unterstützt.«

  »Sie meinen, wir sollten uns an die Polypen wenden?«, fragte Matty offensichtlich ziemlich nervös.

  »Die Polizei?« Crowe schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass sie euch glauben würden. Und selbst wenn sie es täten, könnten sie nicht viel tun. Wer immer auch in diesem Haus da lebt, wird einfach alles abstreiten. Im Gegensatz zu euch haben diese Personen anscheinend Macht und Einfluss. Und ihr müsst zugeben, dass es von außen betrachtet eine ziemlich absurde Geschichte ist.«

  »Glauben Sie uns denn?«, forderte Sherlock ihn heraus.

  Crowe verzog überrascht das Gesicht. »Natürlich glaube ich euch«, antwortete er.

  »Warum? Sie haben doch gesagt, dass es eine absurde Geschichte ist.«

  Crowe lächelte. »Menschen machen bestimmte Dinge, wenn sie lügen«, erwiderte er. »Lügen ist Stress, weil du stets gleichzeitig zwei verschiedene Dinge auf Kommando abrufbereit in deinem Kopf parat haben musst: die Wahrheit, die du geheimhalten willst, und die Lüge, die du zu erzählen versuchst. Dieser Stress äußert sich auf ganz bestimmte Weise. Die Leute stellen keinen richtigen Augenkontakt her, sie reiben sich die Nase, beim Reden zögern sie oder stottern. Und sie gehen mehr ins Detail als nötig. Als ob es ihre Lügen glaubwürdiger machen würde, wenn sie sich daran erinnern können, welche Farbe die Tapete hatte oder ob die Leute einen Vollbart, einen Schnurrbart oder sonst etwas in der Art hatten. Du jedoch hast eure Geschichte geradlinig und schnörkellos erzählt, mir in die Augen geblickt und keine irrelevanten Details hinzugefügt. So weit ich es beurteilen kann, sagst du die Wahrheit – oder zumindest das, was du für die Wahrheit hältst.«

  »Und was machen wir jetzt?«, fragte Sherlock. »Hier geht etwas vor sich. Etwas, das mit Kleidung zu tun hat, die für die Armee produziert wird. Und mit Bienen. Und dem Lagerschuppen in Farnham. Und hinter dem Ganzen steckt der Mann in diesem großen Haus – der Baron, wie ich glaube –, aber ich weiß nicht, was er vorhat.«

  »Dann müssen wir das eben herausfinden.« Amyus Crowe ließ den Stuhl wieder auf seinen vier Beinen ruhen und stand auf. »Wenn du nicht genug Fakten hast, um zu einer Schlussfolgerung zu kommen, musst du raus und dir mehr Fakten beschaffen. Lasst uns aufbrechen und ein paar Fragen stellen.«

  Matty rutschte unbehaglich auf seinem Platz umher. »Muss los«, murmelte er.

  »Komm mit uns, Junge«, sagte Crowe. »Du bist Teil dieses Abenteuers gewesen, und du hast es dir verdient zu erfahren, was da vor sich geht. Und außerdem scheint der junge Master Holmes hier dir zu vertrauen.« Er machte eine Pause.

  »Auf dem Weg werde ich uns etwas zu essen besorgen, wenn dir das bei deiner Entscheidung hilft.«

  »Bin dabei«, sagte Matty.

  Crowe geleitete sie nach draußen. Auf der Wiese neben dem Cottage war Virginia gerade dabei, ihr Pferd Sandia zu striegeln, dem eine größere rotbraune Stute Gesellschaft leistete. Sherlock vermutete, dass es Crowes Pferd war. Die beiden Pferde, auf denen Matty und Sherlock von der Villa des Barons geflüchtet waren, grasten friedlich etwas weiter abseits.

  Virginia sah auf, als sie sich näherten. Als Sherlock ihrem Blick begegnete, sah sie rasch wieder weg.

  »Wir machen einen Spazierritt«, verkündete Crowe. »Du kommst auch mit, Ginny. Je mehr Leute wir haben, die Fragen stellen, desto größer ist die Chance, ein paar halbwegs vernünftige Antworten zu bekommen.«

  »Ich hab keine Ahnung, um was für Fragen es geht«, protestierte Virginia.

  »Du hast draußen vor der Tür gestanden und gelauscht«, sagte Crowe lächelnd. »Ich habe Sandia wiehern hören. Das macht er nur, wenn du in Sichtweite, aber nicht unmittelbar bei ihm bist. Und außerdem hab ich eine Bewegung mitbekommen, als etwas … oder jemand in der Nähe der Tür das Sonnenlicht blockiert hat.«

  Virginia wurde rot, hielt aber trotzig dem Blick ihres Vaters stand. »Du hast mir immer beigebracht, dass ich günstige Gelegenheiten stets nutzen soll«, sagte sie.

  »Allerdings. Die beste Methode etwas zu lernen ist das Zuhören.«

  Crowe bestieg sein Pferd und Virginia machte es ihm nach. Lächelnd beobachtete sie, wie Sherlock und Matty sich auf ihre Pferde schwangen. Anerkennend nickte sie Sherlock zu. »Gar nicht mal so übel«, lobte s
ie.

  Sie schlugen den umgekehrten Weg ein, auf dem Sherlock und Matty zum Cottage gelangt waren, und trabten gemeinsam auf der Straße entlang. Die Sonne schien, und der Geruch von brennendem Holz lag in der Luft. Sherlock musste sich überaus Mühe geben, um sich richtig klarzumachen, dass man ihn gerade erst k.o. geschlagen, gefangengenommen, verhört und schließlich ganz nebenbei zum Tode verurteilt hatte. Solche Dinge passierten doch nicht einfach so, oder? Doch nicht an einem so schönen sonnigen Tag? Selbst die Schnitte in seinem Gesicht hatten aufgehört zu schmerzen.

  Virginia lenkte ihr Pferd dichter an Sherlocks heran. »Du reitest gut«, begann sie. »Jedenfalls für einen Anfänger.«

  »Ich hatte eine gute Anleitung«, antwortete er. Er warf ihr einen Blick zu, sah dann aber rasch wieder weg.

  »Das, was du da bei uns im Cottage eben erzählt hast … Stimmt das alles?«

  »Jedes Wort.«

  »Dann ist dieses Land vielleicht doch nicht so öde, wie ich gedacht habe.«

  Je mehr sie sich der großen Villa näherten, in der man Sherlock gefangen gehalten hatte, desto nervöser wurde er. In Sichtweite des zum Anwesen führenden Haupttores brachte Amyus Crowe schließlich mit einem Ruck an den Zügeln sein Pferd zum Stehen.

  Weit und breit war niemand zu sehen.

  »Ist das das Haus?«, rief Crowe.

  Sherlock nickte.

  »Hier sind frische Radfurchen. Sie kommen aus dem Tor und führen dann weiter auf die Straße«, fuhr Crowe fort. »Sieht mir ganz so aus, als hätten sie sich verkrümelt.«

  Sherlock blickte verwirrt drein und Virginia lächelte. »Abgehauen«, erklärte sie. »Geflohen.«

  »Oh, ach so.« Er prägte sich das für die Zukunft ein.

  »Lasst uns der Straße folgen und sehen, was wir finden«, rief Crowe und trieb sein Pferd an. Virginia blieb dicht hinter ihm. Sherlock und Matty blickten sich kurz an und folgten dann.

  Etwa fünf Minuten später gelangten sie zu einer Taverne – einem Gebäude aus roten, im typischen Diagonalstil der Region angebrachten Backsteinen, der Sherlock schon zuvor aufgefallen war, und weiß verputzten Flächen, die von schwarzen Holzträgern durchbrochen waren. Auf dem Rasen vor der Wirtschaft waren lange Tische und Bänke aufgestellt worden. Rauch quoll aus dem Schornstein. Der Duft von gebratenem Fleisch stieg Sherlock in die Nase und augenblicklich verspürte er Hunger.

  Crowe hielt an und stieg vom Pferd. »Wir nehmen ein spätes Mittagessen zu uns«, rief er. »Matty, Ginny, ihr beide bleibt draußen und passt auf die Pferde auf. Sherlock, du kommst mit mir.«

  Sherlock folgte dem großen Amerikaner in die Taverne. Die niedrige Decke lag fast ganz in dickem, fettigem Rauch verborgen, der von einem Lamm aufstieg, das an einem Spieß über dem Kaminfeuer brutzelte. Frisches Sägemehl bedeckte den Boden. Vier Männer, die zusammen an einem Tisch saßen, beäugten die Neuankömmlinge argwöhnisch. Ein fünfter Mann saß auf einem Hocker am Tresen und befasste sich intensiv damit, in seinen Trinkkrug zu starren, anstatt ihnen Beachtung zu schenken. Der Gastwirt, der hinter dem Tresen stand und mit einem Tuch einen Krug polierte, nickte Amyus Crowe zu.

  »Tag, die Herren. Soll’s was zu trinken, zu essen oder beides sein?«

  »Vier Teller mit Brot und Fleisch«, antwortete Crowe, und Sherlock war verblüfft, ihn ohne den üblichen amerikanischen Akzent reden zu hören. Soweit Sherlock es beurteilen konnte, hörte sich seine Stimme an, als wäre er ein Farmer oder Arbeiter, der irgendwo aus der Nähe von London kam. »Und vier Krüge Bier.«

  Der Gastwirt zapfte vier Krüge Bier und stellte sie auf ein Zinntablett. Crowe nahm eins für sich und nickte Sherlock zu. »Bring die nach draußen, Junge«, befahl er ihm mit seiner barschen »englischen« Stimme. Sherlock nahm das Tablett auf und trug es vorsichtig zur Tür. Crowe machte es sich auf einem Hocker am Tresen bequem, wie Sherlock aus den Augenwinkeln wahrnahm.

  Als er nach draußen kam, stellte er fest, dass Matty einen Tisch und zwei Bänke in unmittelbarer Nähe der Taverne in Beschlag genommen hatte, während Virginia noch bei ihrem Pferd war. Er gesellte sich zu Matty und setzte sich so, dass er durch eines der Fenster in die Wirtsstube sehen konnte. Matty nahm einen der Krüge, packte ihn mit beiden Händen und fing gierig an zu trinken.

  Sherlock nippte vorsichtig an der dunkelbraunen Flüssigkeit. Sie schmeckte bitter und schal und hinterließ einen unangenehmen Nachgeschmack im Mund.

  »Hopfen ist nicht essbar, oder?«, sagte er zu Matty.

  Der Junge zuckte die Achseln. »Die kannste schon essen, denk ich mal, aber das tut niemand. Schmecken nicht gerade gut.«

  »Warum denkt dann um Himmels willen jeder, dass sich daraus ein Getränk machen lässt?«

  »Keine Ahnung.«

  Sherlock blickte durch das Fenster in die Taverne und konnte sehen, wie Amyus Crowe mit dem Wirt plauderte. Der Neigung seines Kopfes nach zu schließen, schien Crowe eine Reihe von Fragen zu stellen, auf die der Wirt bereitwillig antwortete, während er weiterhin Trinkkrüge mit einem stetig schmutziger werdenden Lappen polierte.

  Aus der Taverne tauchte ein Mädchen mit Schürze auf, das ein Tablett mit vier Tellern voll dampfendem Fleisch trug. Sie kam zu ihnen herüber, platzierte wortlos die Teller samt Besteck auf dem Tisch und verschwand wieder.

  Virginia kam zu ihnen herübergeschlendert, und Sherlock rückte ein wenig beiseite, um ihr Platz zu machen. Sie stocherte mit der Gabel in dem heißen Lammfleisch herum, spießte ein paar Fleischstückchen auf und führte die Gabel an den Mund. Doch plötzlich hielt sie inne. »Dir ist schon klar, dass ich diesen Brief nicht geschrieben habe, oder?«

  »Jetzt weiß ich das.« Unfähig, ihr direkt in die Augen zu sehen, wandte Sherlock den Kopf zur Seite und blickte über die Felder. »Aber in dem Moment dachte ich, dass es deiner war. Vermutlich weil ich wollte, dass er es war. Hätte ich darüber nachgedacht, hätte mir klarwerden müssen, dass er nicht von dir stammen konnte.«

  »Warum nicht?«

  Er zuckte die Achseln. »Das Papier war fein und feminin, die Handschrift sehr akkurat. Es war, als ob jemand vorzutäuschen versuchte, ein Mädchen zu sein«, sagte er und ertappte sich prompt bei seinem Fauxpas. »Ich meine eine Frau. Eine junge Frau. Ich meine …«

  »Ich weiß, was du meinst.« Sie lächelte leicht. »Und warum glaubst du, dass ich normalerweise kein feminines Schreibpapier benutze und über keine akkurate Handschrift verfüge?«

  Dieses Mal brachte er es fertig, sie anzusehen, und einen langen Augenblick lang ruhten ihre Blicke aufeinander.

  »Ich bin noch keinem englischen Mädchen begegnet, das so ist wie du«, sagte er schließlich. »Du bist einzigartig. Ich versuche immer noch, aus dir schlau zu werden. Aber ich glaube, wenn du wollen würdest, dass ich irgendwohin komme – zum Beispiel zum Jahrmarkt – würdest du einfach aufkreuzen und mich fragen.« Er hielt einen Moment inne und überlegte. »Oder wahrscheinlicher noch, es mir einfach sagen«, fügte er hinzu.

  Dieses Mal war sie an der Reihe, rot zu werden. »Du denkst, ich bin zu herrisch?«

  »Nicht zu herrisch. Einfach nur ausreichend herrisch.«

  Mattys Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. »Worüber sprecht ihr beide da überhaupt?«

  »Ach, nichts«, antworteten Sherlock und Virginia im Chor.

  Sherlock sah wieder durch das Fenster und stellte fest, dass Crowe sich zu den vier Männern gesellt hatte, die zusammen am Tisch saßen. Sie schienen alle gut miteinander zurechtzukommen. Crowe machte eine Geste in Richtung des Wirts, der sich daraufhin anschickte, weitere Krüge mit Bier zu füllen.

  »Dein Vater ist ein interessanter Mann«, sagte Sherlock und wandte sich wieder Virginia zu.

  »Er hat so seine guten Momente.«

  »Was hat er eigentlich drüben in Amerika gemacht?«

  Sie hielt ihren Blick auf den Teller gesenkt. »Willst du das wirklich wissen?«

  »Ja.«

  »Er war ein Fährtensucher.«

  »Du meinst, er hat Tiere gejagt?«

  Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Menschen. Er hat Killer verfolgt, die der Justiz entkommen sind. Und Indianer, die einsame Siedlungen
überfallen haben. Er hat sie tage- und wochenlang durch die Wildnis verfolgt, bis er nah genug war, um sie zu überrumpeln.«

  Sherlock konnte einfach nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. »Und was hat er … Ich meine, hat er sie dann der Justiz übergeben?«

  »Nein«, erwiderte sie leise. Abrupt stand sie auf und ging wieder zurück zu den Pferden.

  Sherlock und Matty saßen schweigend eine Weile da, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.

  Schließlich kam Amyus Crowe aus der Taverne heraus. Er zwängte seinen großen Körper zwischen Bank und Tisch und setzte sich zu ihnen.

  »Interessant«, sagte er, wieder ganz in sein »amerikanisches« Selbst zurückverwandelt.

  »Was gibt’s Neues?«, fragte Sherlock. »Wissen die da drinnen etwas über die Villa?«

  »Und wie haben Se die dazu gebracht, Ihre Fragen zu beantworten?«, fügte Matty hinzu. »Sie sind fremd hier und normalerweise sind die Leute Fremden gegenüber ziemlich verschlossen.«

  »Dann ist es doch das Beste, einfach kein Fremder zu sein«, erwiderte Crowe. »Wenn du eine Weile bloß so dasitzt und dich mit dem Wirt unterhältst, wirst du sozusagen Teil der Einrichtung. Dann schaltest du dich in die Konversation ein, wenn sich eine günstige Gelegenheit bietet, und erzählst den Leuten was von dir: wer du bist, warum du da bist und so weiter. Hab ihnen erzählt, dass ich mich nach ’ner Farm umsehe, um Schweine zu züchten, mit der Begründung, dass die neuen Soldaten in Aldershot jede Menge Nahrung brauchen werden. Sie fragten, ob ich wissen würde, wie viele Soldaten dort einmal stationiert sein werden, und wir sind über die sich daraus ergebenden Geschäftsmöglichkeiten weiter ins Gespräch gekommen.

  Ich hab gefragt, ob es hier in der Gegend irgendjemand gäbe, der Interesse daran haben könnte, in eine Unternehmung zu investieren, oder jemand, der vielleicht Land übrig hätte. Und daraufhin haben sie mir von dem Grundbesitz weiter unten an der Straße erzählt. Gehört einem Mann namens Maupertuis – offensichtlich irgend so eine Art von Baron und obendrein ein Ausländer.«

 

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