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Death Cloud ysh-1

Page 19

by Andrew Lane


  Sherlock sah zu Matty hinüber und lächelte. Crowe schien sich der Tatsache gar nicht bewusst zu sein, dass er in diesem Land selbst ein Ausländer war.

  »Keiner hat diesen Baron Maupertuis jemals zu Gesicht bekommen, und sein Personal hat er mitgebracht. Er hat niemanden aus der Gegend eingestellt. Hat sich dadurch bei den Leuten hier nicht gerade sehr beliebt gemacht. Darüber hinaus hat er auch die Vorräte und alles, was sonst noch benötigt wurde, von woanders herkommen lassen. Hat nichts aus der Gegend hier gekauft. Wie dem auch sei, jedenfalls hat der Wirt unserer Unterhaltung zugehört und dann erzählt, dass der Baron vorhin ausgezogen ist. Wie es aussieht, ist ein Konvoi von Kutschfuhrwerken die Straße entlanggekommen. Alle voll beladen mit Kisten und Möbeln, und die Nachhut bildete eine schwarze, zweirädrige Kutsche. Eine Weile später kamen dann weitere Fuhrwerke. Diesmal mit riesigen Kisten beladen, die mit Tüchern verhüllt waren. Ich vermute, das waren die Bienenstöcke, von denen du erzählt hast, junger Mann. Wahrscheinlich haben sie die Bienen mit Rauch beruhigt und betäubt. So machen das jedenfalls richtige Imker, wenn sie ihre Bienenvölker woanders hintransportieren.«

  »Sie haben die Bienenstöcke mitgenommen? Warum?«

  Amyus Crowe nickte. »Das ist eine sehr gute Frage. Warum nimmt man all die Bienenkörbe mit, wenn man Hals über Kopf abhauen muss? Das behindert einen doch nur auf der Flucht, und es ist ja nicht so, dass man woanders keine Bienen bekommen kann.« Er versank eine Weile in Grübelei. »Sieht ganz so aus, als ob eure Flucht sie erschreckt hat. Sie konnten sich nicht auf das Risiko einlassen, dass ihr vielleicht zur Polizei geht und die dann bei ihnen aufkreuzt, um der Sache nachzugehen. Sie sind woanders hingezogen, und wir müssen rausfinden wohin.«

  »Wir könnten ihnen einfach folgen«, schlug Sherlock vor.

  Crowe schüttelte den Kopf. »Sie haben einen zu großen Vorsprung.«

  »Sie können nur langsam vorankommen«, beharrte Sherlock. »Sie haben die Bienenstöcke dabei. Einer alleine könnte sie auf dem Pferd einholen.«

  »Es gibt zu viele Straßen, die sie hätten nehmen können«, erwiderte Crowe.

  »Eine lange Karawane von Fuhrwerken? Die Leute würden auf sie aufmerksam werden und sich an sie erinnern. Und sie werden sich nicht auf holprigen Landstraßen fortbewegen, sondern sich an die Hauptstraßen halten. Das schränkt die Möglichkeiten ein.«

  Crowe grinste. »Gut überlegt, Junge.«

  »Sie haben auch bereits daran gedacht?«, fragte Sherlock und runzelte die Stirn.

  »Ja, hab ich. Aber ich wollte dir die Antworten nicht auf dem Silbertablett servieren. Ich war neugierig zu sehen, ob du in der Lage bist, ein Problem ganz allein zu durchdenken. Vor allem, wenn ich dich in die entgegengesetzte Richtung stoße.« Crowe erhob sich. »Ich kenne da ein paar Kerle in der Nähe unseres Cottages, die Pferde haben und gut ein paar Schillinge gebrauchen könnten. Ich werde sie losschicken, um nach dem Konvoi zu suchen. Ich schlage vor, du gehst zurück nach Holmes Manor und schließt Frieden mit deiner Familie. Sag ihnen, dass du die ganze Zeit bei mir warst. Das sollte sie beruhigen. Ich komme morgen vorbei und lass dich wissen, was ich rausgefunden habe.«

  Gemeinsam ritten sie über Nebenstraßen und Feldwege, bis sie in die Nähe von Farnham kamen, wo sie sich voneinander verabschiedeten. Matty machte sich zu seinem Boot auf, wo immer es sich gerade befinden mochte, während Crowe und Virginia auf den Pferden in Richtung Cottage verschwanden. Sherlock ließ sein Pferd einen Moment lang ruhig auf der Stelle stehen. Er musste die Ereignisse des zurückliegenden Tages erst einmal sacken lassen, damit sich das schwindelerregende Wirrwarr aus Sinneseindrücken zu verarbeitbaren Erinnerungen formte. Nach einer Weile fühlte er sich ruhiger und lenkte das Pferd nach Holmes Manor.

  Dort angekommen, fragte er sich einen Augenblick lang, wo er das Pferd lassen sollte. Schließlich gehörte es ihm ja nicht. Andererseits schien sein vorheriger Besitzer es einfach zurückgelassen zu haben, und gegenüber dem quietschenden alten Hochrad, das Matty für ihn aufgetrieben hatte, stellte das Tier definitiv eine Verbesserung dar. Am Ende ließ er das Pferd einfach mit einem Ballen Heu im Stall zurück. Wenn es morgen noch dort wäre, würde er das als Zeichen dafür nehmen, dass er es behalten sollte.

  Als er das Haus betrat, wurde gerade das Abendessen serviert. Jetzt galt es, sich normal zu benehmen. So als ob nichts passiert und die Welt noch exakt genauso wäre wie heute morgen. Er blickte an sich herab, klopfte sich die Jacke ab und betrat das Speisezimmer.

  Das Abendessen war ein ziemlich surreales Erlebnis. Seine Tante plapperte mal wieder unaufhörlich und ausgiebig über nichts, während sein Onkel beim Essen in einem großen Buch las und dabei ab und zu etwas vor sich hinmurmelte. MrsEglantine stand wie gewöhnlich etwas abseits in Warteposition an der Wand und starrte ihn von dort aus an. Es war alles andere als einfach, die ruhige, zivilisierte Atmosphäre mit der Tatsache in Einklang zu bringen, dass er erst vor wenigen Stunden k.o. geschlagen, entführt, zum Tode verurteilt worden und in letzter Sekunde entkommen war.

  Trotz der Portion Fleisch, die er in der Taverne gegessen hatte, schien ihm der Magen in den Kniekehlen zu hängen. Hungrig füllte er sich den Teller mit dampfenden Hühnchenfleischstücken und Gemüse und goss über das Ganze dann Bratensoße.

  »Du siehst aus, als wärst du im Krieg gewesen, Sherlock«, sagte seine Tante während des Desserts. Donnerwetter! Noch nie war sie bisher so nah dran gewesen, ihm eine direkte Frage zu stellen.

  »Ich … bin gefallen«, antwortete er, im Bewusstsein der brennenden Schnitte auf seinem Gesicht und an den Ohren. »Ich hab noch nicht viel Übung mit dem Hochrad.«

  Das schien sie zufriedenzustellen. Wieder in ihr Gemurmel versinkend, fuhr sie mit ihrer immerwährenden Konversation mit sich selbst fort.

  Sobald es die Gesetze der Höflichkeit erlaubten, verließ Sherlock die Tafel und ging auf sein Zimmer. Eigentlich hatte er vorgehabt, ein wenig zu lesen und dann vielleicht einige der letzten Ereignisse in einem Tagebuch festzuhalten, solange sie noch frisch waren. Aber kaum hatte sein Körper das Bett berührt, schien es ihm auf einmal ganz unmöglich, noch länger die Augen offenzuhalten, und innerhalb von Sekunden war er – immer noch vollständig angezogen – eingeschlafen.

  Nur einmal wachte er in der Nacht auf. Draußen war es schon dunkel, und irgendwo in der Ferne heulten ein paar Eulen. Er streifte die Kleidung ab und glitt unter das raue Bettlaken. Als würde er in einen tiefen und geheimnisvollen See eintauchen, versank er gleich darauf im Schlaf.

  Der nächste Tag brach in strahlend hellem Sonnenschein an. Amyus Crowe stand unten in der Halle, als Sherlock zum Frühstück herunterkam. Sein Lehrer trug einen weißen Leinenanzug und einen Hut mit breiter Krempe.

  »Wir fahren nach London«, rief er mit dröhnender Stimme, kaum dass er Sherlock erblickt hatte. »Ich habe Geschäfte zu erledigen, und dein Onkel hat mir die Erlaubnis gegeben, dich mitzunehmen. Wird eine schöne Bildungsreise werden. Wir sehen uns ein paar Kunstgalerien an, und ich erzähl dir etwas über die Geschichte, die mit dieser großartigen Stadt verknüpft ist.«

  »Kommt Virginia auch mit?«, entfuhr es Sherlock und hätte sich schon im selben Augenblick dafür ohrfeigen können. Aber Crowe grinste nur und seine Augen leuchteten belustigt auf. »Aber ja«, sagte er. »Ich könnte sie doch jetzt wohl kaum alleine auf dem Lande lassen, oder? Was für ein Vater wäre ich denn da?«

  »Warum London?«, fragte Sherlock mit leiserer Stimme, als er den Fuß der Treppe erreichte.

  »Dorthin ist der Konvoi unterwegs gewesen«, erwiderte Crowe ebenfalls mit gedämpfter Stimme. »Ich vermute, dass der Baron dort noch ein anderes Haus besitzt.«

  Mit kaum hörbarem Rascheln ihres Kleides trat MrsEglantine am anderen Ende der Halle aus dem Schatten hervor. »Sie sollten Ihr Frühstück einnehmen, junger Master Holmes, bevor ich den Tisch abräumen muss«, sagte sie und legte in ihre Stimme gerade so viel Missfallen, dass es zwar rauszuhören war, aber für Sherlock noch nicht beleidigend wirken konnte.

  »Danke«, sagte Sherlock nur und wandte sich wieder Crowe zu. »Fahren wir jetzt sofort los?«

  »Sieh zu, dass du no
ch was in den Bauch bekommst«, antwortete Crowe. »Du wirst es heute vielleicht brauchen. Und packe eine Tasche mit ausreichend Sachen für zwei Tage. Ich werde draußen in der Kutsche warten.« Er wandte sich MrsEglantine zu und zog mit extrem übertriebener Geste seinen Hut. »Ma’am«, sagte er.

  So schnell er konnte, schlang Sherlock sein Frühstück hinunter, allerdings ohne besonders viel davon zu schmecken. Er würde nach London fahren! Und wenn er richtig Glück hatte, würde er während seines Aufenthaltes vielleicht Mycroft treffen!

  Amyus Crowe wartete in einer vierrädrigen Kutsche vor dem Gebäude. Neben ihm saß Virginia. Sie sah alles andere als glücklich aus. Entweder wegen des Rüschenkleides und der Haube, die sie trug, oder weil sie eingepfercht in der Kutsche sitzen musste, anstatt draußen im Freien zu sein.

  »Du siehst nett aus«, sagte Sherlock, als er ihr gegenüber Platz nahm und der Kutscher seine Tasche hinten bei dem anderen Gepäck verstaute.

  Sie starrte ihn finster an.

  Die Kutsche setzte sich in Bewegung, und die über den Kies ratternden Räder übertönten ihre Antwort. Aber Sherlock war sich sowieso nicht so sicher, ob er sie hören wollte.

  Als sie zum Bahnhof von Farnham kamen, wartete Matty bereits auf sie. Amyus Crowe strahlte ihn an. »Dann hast du meine Nachricht also bekommen?«

  »Bin von irgend so’m Kerl geweckt worden, der sie gebracht hat. Woher wussten Sie, wo mein Boot liegt?«

  »Es ist mein Beruf zu wissen, wo sich alles befindet. Mein Beruf und auch mein Vergnügen. Hast du Lust auf eine Reise, Junge?«

  »Hab keine Klamotten zum Wechseln, oder sonst was«, sagte Matty.

  »Wir werden dir besorgen, was auch immer du brauchst, sobald wir in London sind. Jetzt lasst uns sehen, dass wir die Fahrkarten bekommen.«

  Crowe kaufte vier Fahrkarten nach London für die Zweite Klasse und anschließend begab sich die kleine Gruppe auf den Bahnsteig hinab, während der Kutscher ihr Gepäck ablud. Crowe hatte alles perfekt geplant. Innerhalb von zehn Minuten traf der Zug ein: ein gewaltiges Monster von einer Maschine! Aus der riesigen röhrenförmigen Lok kam von irgendwoher unter lautem Zischen Dampf hervorgeschossen, die wuchtigen Kolben schwangen vor- und zurück wie bei einer Aufziehfigur, und die metallenen Räder, die fast so groß wie Sherlock waren, erzeugten auf den stählernen Schienen ein ohrenbetäubendes Kreischen.

  »Eine von Joseph Beattie konstruierte Lokomotive der Saxon-Klasse«, bemerkte Amyus Crowe. »Allgemein als ›2-4-0‹ bezeichnet. Kannst du mir sagen, warum, Sherlock?«

  »Warum Saxon-Klasse oder warum 2-4-0?«

  Crowe nickte. »Richtig, das Sammeln von korrekten Informationen hängt in erster Linie von einer korrekten Fragestellung ab«, räumte er ein. »Ich meinte die 2-4-0-Bezeichnung. Ich denke, das mit der Saxon-Klasse ist nur Ausdruck eines historischen Faibles, das der Ingenieur hat. Eine andere Maschine, die er entwickelte, hat er zum Beispiel ›Nelson‹ genannt.«

  Sherlock ließ den Blick über die Lokomotive gleiten. Ihm fiel auf, dass die Räder nicht in gleichmäßigen Abständen, sondern in Gruppen angebracht waren.

  »Ich würde sagen, das hängt damit zusammen, wie die Räder angeordnet sind«, probierte er sein Glück. »Aber das kann eigentlich nicht sein.«

  »Doch, so ist es tatsächlich«, erwiderte Crowe.

  »Die zwei an der Frontachse gelagerten Vorderräder sind frei beweglich und lassen sich seitlich einschlagen, so dass die Lokomotive auch um Kurven fahren kann. Dann folgen vier weitere Räder auf zwei Achsen, die direkt mit der Dampfmaschine verbunden sind. Das sind die Antriebsräder.«

  »Und die Null?«, fragte Sherlock.

  »Einige Lokomotiven haben hinten noch ein zusätzliches Radpaar als Antrieb«, erwiderte Crowe. »Die Null zeigt an, dass diese Lok dieses dritte Paar nicht hat.«

  »Also hat es eine Nummer verpasst bekommen, um anzuzeigen, dass es eigentlich keine Nummer braucht, weil etwas gar nicht da ist«, stellte Sherlock fest.

  »Korrekt«, sagte Crowe lächelnd. »Es mag vielleicht nicht sinnvoll sein, aber es ist absolut logisch, wenn man einmal das System akzeptiert, für das sie sich entschieden haben.«

  Sie fanden ein Abteil für sich allein und machten es sich für die Reise bequem. Auf Sherlock, der noch nie zuvor mit der Eisenbahn gefahren war, stürzten jede Menge neue Eindrücke ein: das Vibrieren der Sitze, Wände und Fenster, als sie so dahinfuhren, der merkwürdig süßlich riechende Rauch, der zu ihnen hineinwehte, die Art, wie die Landschaft an ihnen vorbeiflog, ständig sich verändernd und doch auf seltsame Weise immer gleichbleibend. Matty saß mit weit aufgerissenen Augen nervös auf seinem Platz. Sherlock vermutete, dass sein Freund bisher in seinem Leben noch nicht einmal mit dem mageren Luxus eines Zweite-Klasse-Abteils Bekanntschaft gemacht hatte.

  Wälder flogen vorbei und machten weiten Feldern Platz. Bei den Pflanzen, die dort wuchsen, handelte es sich weder um Mais noch um Weizen oder Gerste. Es waren braune, spindeldürre Gewächse mit kleinen grünen Blättern, die sich um etwa zwei Meter hohe Holzstangen rankten, die im Boden steckten. Sherlock wollte Crowe gerade fragen, um was es sich dabei handelte, als Matty, der Sherlocks Interesse bemerkt hatte, sich vorbeugte und einen Blick nach draußen warf.

  »Hopfen«, sagte er lapidar. »Für die Brauereien. Die Gegend ist bekannt für das gute Bier, das hier gebraut wird. Allein in Farnham gibt es an die dreißig Pubs und Tavernen.«

  Und so ging die Reise – lediglich unterbrochen von einem einmaligen Umsteigen in Guildford – weiter, bis sie Waterloo Station erreichten, den großen Endbahnhof in der geschäftigen Weltmetropole London.

  Der Stadt, in der Mycroft Holmes lebte und arbeitete.

  12

  Waterloo Station war eine wimmelnde Masse von Menschen, die unter einem riesigen Dach aus Stahl und Glas in alle Richtungen davoneilten und alle möglichen Arten von Schachteln, Paketen, Koffern und Gepäckstücken mit sich schleppten. Die Wärme der Sonne wurde durch das Glas noch verstärkt, wodurch es im Bahnhof wärmer war als draußen auf den umliegenden Straßen. Züge schleppten sich schnaufend zu den ihnen bestimmten Bahnsteigen und spien jede Menge Dampfwolken und weitere Menschenmengen aus, die sich augenblicklich dem hitzigen Treiben hinzugesellten. Sherlock spürte, wie sich unter seinem Halskragen Schweiß zu sammeln begann.

  Amyus Crowe heuerte sogleich einen Gepäckträger an und wies ihn an, ihre Taschen aus dem Zug zu holen. Der Träger geleitete sie nach draußen, wo eine Reihe von Droschken Reisende aufnahmen, die in einer langen Schlange warteten. Ein Halfpenny Extratrinkgeld bewegte den Träger dazu, sie an der Warteschlange vorbeizulotsen und dorthin zu führen, wo die gerade angekommenen Droschken ihre Fahrgäste herausließen, bevor sie sich in die Linie der wartenden Droschken einreihten. Ein kurzes Feilschen, und dann stiegen sie auch schon durch eine Tür in die Droschke, noch während die vorherigen Fahrgäste diese auf der anderen Seite verließen.

  Amyus Crowe, der sich in London auszukennen schien, wies den Kutscher an, sie zum Sarbonnier Hotel zu fahren. Die Droschke setzte sich in Bewegung, noch während Sherlock und Matty sich jeweils auf ihrer Seite aus dem Fenster beugten, um die Sehenswürdigkeiten zu bewundern.

  Die Größe der Gebäude war beeindruckend, verglichen mit denen in Farnham, Guildford oder anderen Städten, die Sherlock vertraut waren. Einige von ihnen ragten fünf oder sogar sechs Stockwerke in die Höhe. Andere hatten wuchtige Säulen vor den Fronteingängen, um riesige Vorhallen abzustützen, und wiesen Reihen von Skulpturen an den Dachrändern auf. Soweit Sherlock es erkennen konnte, handelte es sich dabei in einigen Fällen um menschliche Figuren, in anderen um mythische Kreaturen mit Flügeln, Hörnern und Reißzähnen.

  Nach kurzer Zeit fuhren sie über eine Brücke, die sich über einen breiten Fluss spannte.

  »Die Themse?«, fragte Sherlock.

  »So ist es«, bestätigte Crowe. »Einer der dreckigsten, verkehrsreichsten und übelsten Flüsse, die ich jemals das unangenehme Vergnügen gehabt habe kennenzulernen.«

  Nachdem die Droschke auf der anderen Flussseite von der Brücke heruntergerattert und dann ein paarmal abgebogen war, hielt sie schließlich vo
r einem langgezogenen Gebäude aus orangefarbenem Stein. Der Kutscher sprang vom Bock herunter und half ihnen, das Gepäck abzuladen. Aus einer Drehtür an der Frontseite des Gebäudes tauchten drei Portiers auf, die ihnen die Taschen abnahmen.

  Sie betraten die Hotellobby, die mit ihren weißen, an der Basis mit Skulpturen verzierten Säulen, dem prachtvollen Deckenmosaik und dem rosafarbenen Marmorfußboden einfach atemberaubend aussah. Amyus Crowe jedoch steuerte unbeeindruckt auf einen langen hölzernen Empfangstresen zu.

  »Drei Zimmer für zwei Nächte«, sagte er zu dem uniformierten Mann hinter dem Tresen.

  Der Mann nickte. »Natürlich, Sir«, antwortete er und drehte sich um, um drei Schlüssel von einem Brett an der Wand hinter sich zu nehmen. Als er sich wieder zu Crowe umwandte, fügte er noch hinzu: »Wenn Sie sich vielleicht die Mühe machen würden, hier im Gästebuch zu unterschreiben, Sir.«

  Crowe unterschrieb mit schwungvoller Geste und der Portier händigte ihm die Schlüssel aus. Diese waren an großen Kugeln befestigt, wahrscheinlich – so vermutete Sherlock – damit man sie nicht so leicht verlieren konnte.

  »Sherlock und Matthew, ihr teilt euch ein Zimmer«, verkündete Crowe und gab ihnen einen Schlüssel. »Ginny bekommt ein Zimmer für sich, und ich nehme das dritte. Eure Taschen werden auf eure Zimmer gebracht. Matthew, ich schlage vor, dass du und ich uns irgendwohin begeben, wo wir dir was zum Anziehen und ein paar Toilettensachen besorgen können.« Kritisch musterte er Matty. »Und einen Haarschnitt«, fügte er hinzu. »Sherlock, Virginia, wie wär’s, wenn ihr solange einen Spaziergang macht? Geht nach rechts und dann weiter bis ans Ende der Straße, und ihr werdet etwas finden, das euch interessieren könnte. Wir werden in einer Stunde zum Mittagessen wieder zurück sein. Wenn ihr euch verlauft, fragt jemanden, wie ihr zum Sarbonnier Hotel zurückkommt.«

  Dem Rat Crowes folgend, führte Sherlock Virginia nach draußen und wandte sich dann nach rechts. Augenblicklich wurden sie von einem dichten Menschenstrom erfasst, der sie in die gewünschte Richtung mit sich fortzog.

 

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