Death Cloud ysh-1
Page 29
und Nigel McCreary, der mich bei diesem Unterfangen bei Verstand gehalten hat.
Eine Anmerkung zum Geld
Das Geld, das im England der 1860er Jahre im Umlauf war, ist nicht das gleiche, das wir heute kennen. Denn in Großbritannien benutzen wir heutzutage das Dezimalsystem, das 1971 eingeführt wurde und darauf basiert, dass hundert Pence ein Pfund sind. Bis zu dieser Zeit bestand ein Pfund nicht aus 100, sondern aus 240 Pence. In diesem Buch habe ich durchgängig die korrekten Begriffe benutzt, die in jener Zeit gebräuchlich waren: Farthings, Sovereigns, Schillinge und so weiter. Für diejenigen, die es interessiert, habe ich folgende Umrechnungstabelle in die moderne britische sowie die EURO-Währung aufgeführt. Die EURO-Angaben sind dabei natürlich nur eine Momentaufnahme und können je nach aktuellem Kurs schwanken.
1 Farthing
= 0,1 Pence
= 0,0012 €
1 Halfpenny
= 0,2 Pence
= 0,0024 €
1 Penny
= 0,4 Pence
= 0,0047 €
Tuppence (2 Pence)
= 0,8 Pence
= 0,0094 €
Thrupence (3 Pence)
= 1,2 Pence
= 0,0141 €
1 Schilling (12 Pence)
= 5 Pence
= 0,0589 €
Half a Crown
= 12,5 Pence
= 0,1472 €
A Crown
= 25 Pence
= 0,2943 €
Half Sovereign
= 50 Pence
= 0,5887 €
1 Sovereign
= 1 £
= 1,1773 €
1 Guinee (1 Sovereign u. 1 Schilling)
= 1, 05 £
= 1,2362 €
Nachwort des Autors
Arthur Conan Doyle hat sechsundfünfzig Kurzgeschichten und vier Romane über Sherlock Holmes geschrieben. Noch immer sind sie in den meisten Buchläden zu finden. Als die erste Geschichte erschien, war Sherlock schon ein etwa dreiunddreißig Jahre alter Detektiv mit einer feststehenden Reihe von Angewohnheiten und Fähigkeiten. Bei seinem letzten Auftritt war er circa sechzig Jahre alt und hatte sich an die Küste von Sussex zurückgezogen, um Bienen zu züchten. Ja, Bienen.
Meine Absicht bei dem vorliegenden Buch und denen, die noch folgen werden, ist es, herauszufinden, wie Sherlock war, bevor Arthur Conan Doyle ihn zum ersten Mal der Welt präsentierte. Wie war er als Teenager? Wo ist er zur Schule gegangen, und wer waren seine Freunde? Wo und wann entwickelte er die Fähigkeiten und Vorlieben, die er in seinem späteren Leben an den Tag legte: sein logisches Denkvermögen, das Boxen und Fechten, die Liebe zur Musik und zum Violinspiel. Was hat er auf der Universität studiert? Wann – wenn überhaupt einmal – ist er ins Ausland gereist? Wovor hat er sich gefürchtet und wen – wenn überhaupt jemanden – hat er geliebt?
Über die Jahre ist von anderen Autoren so viel über Sherlock Holmes geschrieben worden, dass er vermutlich zu einer der bekanntesten fiktiven Persönlichkeiten der Welt geworden ist. Die Zahl der von anderen Autoren geschriebenen Sherlock-Holmes-Geschichten übersteigt bei Weitem die der von Arthur Conan Doyle verfassten, und dennoch sind es gerade Doyles Geschichten, denen sich die Leser immer wieder zuwenden. Dafür gibt es natürlich einen Grund, und der liegt darin, dass Arthur Conan Doyle Sherlock von seinem tiefsten Inneren heraus verstand, während die anderen Verfasser zum größten Teil nur versuchten, sein Äußeres zu kopieren.
Arthur Conan Doyle hat sich wenig über Sherlocks frühe Jahre geäußert, und auch die meisten Autoren haben seitdem diese Zeitperiode gemieden. Wir wissen wenig über Sherlocks Eltern oder wo genau er in England gelebt hat. Wir wissen, dass er mütterlicherseits vom französischen Künstler Vernet abstammte und einen Bruder namens Mycroft hatte, der in einigen der Kurzgeschichten auftaucht. Aber das war’s dann auch schon. Das hat mir die Freiheit beschert, für den jungen Sherlock eine Geschichte zu kreieren, die einerseits mit den wenigen Hinweisen übereinstimmt, die Conan Doyle hat fallen lassen, andererseits aber auch zwangsläufig zu dem Mann und dessen Eigenschaften hinführt, die Conan Doyle beschrieben hat. Bei diesem Unterfangen war ich in der glücklichen Lage, die Zustimmung der beiden Nachlassgemeinschaften des 1930 verstorbenen Conan Doyle zu haben, die von Jon Lellenberg in den USA und Andrea Plunkett in Großbritannien so umsichtig repräsentiert werden. Ich hatte ebenfalls das Glück, in Robert Kirby und Rebecca McNally einen Agenten und eine Lektorin zu haben, die ein tiefes Verständnis dafür aufbrachten, was ich vorhatte.
Über die Jahre haben verschiedene Autoren versucht, ihre eigene Biographie von Sherlock Holmes zu verfassen, und dabei das wenige, das Doyle über Sherlock preisgegeben hat, mit realen historischen Ereignissen verknüpft. Diese Werke sind zwangsläufig fehlerhaft, unvollständig und subjektiv gefärbt, aber dennoch gestehe ich, dass ich eine heimliche Schwäche für William Baring-Goulds Werk Sherlock Holmes – A Biography of the World’s First Consulting Detective hege und einige Details (überwiegend Zeitangaben und Jahreszahlen) aus diesem Kultwerk entnommen habe.
Natürlich wird es weitere Abenteuer von Sherlock Holmes in der Schule und später auf der Universität geben. Aber in der Zwischenzeit möchte ich dazu einladen, die originalen Geschichten von Arthur Conan Doyle neu zu entdecken.
Die Kurzgeschichten sind in fünf Bänden erschienen: The Adventures of Sherlock Holmes, The Memoirs of Sherlock Holmes, The Return of Sherlock Holmes, His Last Bow und The Case-Book of Sherlock Holmes. (Auf Deutsch in den folgenden Erzählbänden enthalten: Die Abenteuer des Sherlock Holmes: Erzählungen, Die Memoiren des Sherlock Holmes: Erzählungen, Die Rückkehr des Sherlock Holmes: Erzählungen, Seine Abschiedsvorstellung: Erzählungen, Sherlock Holmes’ Buch der Fälle.)
Bei den Romanen handelt es sich um: A Study in Scarlett, The Sign of the Four, The Hound of the Baskervilles und The Valley of Fear. (Auf Deutsch in den folgenden Romanbänden enthalten: Eine Studie in Scharlachrot, Das Zeichen der Vier, Der Hund der Baskervilles, Das Tal der Angst.)
Wem das immer noch nicht genug ist, wird mit den Holmes-Romanen neueren Datums von Nicholas Meyer (The Seven Per Cent Solution, The West End Horror, The Canary Trainer), Michael Hardwick (The Revenge of the Hound) und Lyndsay Faye (Dust and Shadow) keine schlechte Wahl treffen. Auch empfehlenswert sind Michael Kurlands Geschichten (The Infernal Device, Death by Gaslight und The Great Game), die aus der Perspektive von Sherlock Holmes’ Erzfeind Professor James Moriarty geschrieben sind und einen erfrischend anderen Blick auf den großen Detektiv werfen.
Wer den einen oder anderen Titel nicht mehr im Buchhandel bekommt, sollte in Antiquariaten fündig werden.
Lies schon jetzt, wie spannend es in Band 2 weitergeht!
BAND 2
Ab Herbst 2012 im Buchhandel
Abraham Lincolns totgeglaubter Mörder ist in England aufgetaucht. Die Regierung bittet Amyus Crowe um Hilfe. Klar, dass Sherlock ihm bei den Ermittlungen zur Seite steht. Doch dann wird Matty entführt und Virginia und Sherlock müssen ihn befreien. Auf der lebensgefährlichen Suche nach ihm verschlägt es die drei bis nach Amerika …
Als Sherlock das rasche Trommeln sich nähernder Hufschläge vernahm, eilte er zur Tür, um Virginia und Matty zu begrüßen.
Draußen sah er, wie sich Virginias Pferd Sandia im Gegenlicht der frühen Abendsonne näherte. Bei den sich dunkel abzeichnenden Konturen auf dem Pferderücken erwartete Sherlock, dass es sich um Virginia und Matty handelte, und angesichts von Mattys Nähe zu Virginia verspürte er für einen kurzen Augenblick lang so etwas wie Eifersucht.
Als Sandia näher herankam, zeichnete sich aus den dunklen Konturen jedoch nur eine einzelne Gestalt ab. Es war Virginia, und sie brachte Sandia unmittelbar neben Sherlock zum Stehen. Ein wilder Ausdruck lag in ihren Augen, und ihr Haar war vom Wind ganz zerzaust.
»Wo ist Matty?«, fragte Sherlock.
Ginny sprang vom Pferd herab, drückte sich an ihm vorbei und stürmte in das Cottage. Sherlock folgte ihr verblüfft.
»Sie haben Matty geschnappt!«, schrie sie.
»Wie meinst du das?«, fragt
e Mycroft und erhob sich von seinem Stuhl.
»Ich bin zu seinem Boot geritten und hab ihn dazu gebracht mitzukommen«, stieß sie hastig hervor. »Wir sind zu zweit auf Sandia geritten. Wir hatten gerade die Straße erreicht, als ein Baum die Straße blockierte. Als ich auf dem Hinweg dort vorbeigekommen bin, hat er noch nicht da gelegen, ehrlich. Ich hab daran gedacht, einfach darüberzuspringen. Aber mit Matty zusätzlich auf Sandias Rücken war ich nicht sicher, ob wir das schaffen würden. Also hab ich Sandia angehalten. Gerade als Matty und ich den Baumstamm von der Straße schieben wollten, kamen zwei Männer auf uns zugerannt. Sie müssen sich in den Büschen am Straßenrand versteckt haben. Einer von ihnen traf Matty am Kopf. Er ist dadurch gleich k.o. gegangen und hat sich überhaupt nicht mehr gewehrt. Der andere Mann hat sich auf mich gestürzt. Er hat versucht, mich an den Haaren zu packen. Aber als ich ihm in die Hand gebissen habe, hat er sie weggezogen. Ich bin zu Sandia gerannt, habe mich auf seinen Rücken geschwungen und bin Hals über Kopf davongaloppiert. Dann hab ich mich noch mal umgesehen und mitgekriegt, wie die zwei Matty fortgeschleppt haben.« Sie wirkte ganz geschockt und ihr Gesicht war kreidebleich. »Ich hab ihn einfach zurückgelassen!«, schrie sie, als hätte sie gerade erst realisiert, was geschehen war. »Ich hätte dableiben oder zurückkehren sollen, um ihn zu retten.«
»Wenn du das getan hättest, wärst du höchstwahrscheinlich auch geschnappt worden«, stellte Crowe klar. Mit einer für einen Mann seiner Größe erstaunlichen Geschwindigkeit stürmte er durch das Cottage, um sie an sich zu drücken und fest zu umarmen. »Gott sei Dank bist du in Sicherheit.«
»Aber was ist mit Matty?«, rief Sherlock
»Wir werden ihn befreien«, versprach Mycroft. »Es ist ganz offensichtlich, dass …«
Bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, war zersplitterndes Glas zu hören. Etwas Schweres kam aus Richtung der zerborstenen Fensterscheibe geflogen und schlug mit dumpfem Ton auf dem Boden auf. Crowe rannte zum Eingang und riss die Tür auf. Von draußen konnte Sherlock Huftritte hören, als jemand auf einem Pferd davonpreschte. In dem nun einsetzenden lautstarken Gefluche von Crowe waren Worte enthalten, die Sherlock bisher noch nie gehört hatte. Allerdings fiel es ihm trotzdem nicht sehr schwer, ihre drastische Bedeutung zu erraten.
Sherlock bückte sich, um den Gegenstand aufzuheben, der durchs Fenster geworfen worden war. Es handelte sich um einen großen Stein. Ungefähr doppelt so groß wie eine geballte Faust. Mit Hilfe einer darumgebundenen Schnur war ein zerfetztes Stück Papier daran befestigt.
Mycroft nahm Sherlock den Stein aus der Hand und legte ihn auf den Tisch. Flink nahm er ein Messer vom Tisch und schnitt den Faden durch. »Besser wir lösen die Knoten nicht und bewahren sie auf«, sagte er zu Sherlock, ohne ihm das Gesicht zuzuwenden. »Sie könnten uns etwas über den Mann verraten, der sie geknüpft hat. Seeleute zum Beispiel benutzen eine ganze Reihe spezieller Knoten, die vielen Leuten nicht bekannt sind. Solltest du mal ein paar Tage nichts zu tun haben, würde ich dir wirklich empfehlen, dich eingehend mit Knoten zu beschäftigen.«
Er schob die Schnur beiseite, vermutlich um sie später noch zu untersuchen, wickelte das Papier vom Stein ab und strich es dann auf der Tischfläche glatt.
»Sieht aus wie eine Warnung«, sagte er zu Crowe und begann laut vorzulesen.
Wir haben euren Jungen. Hört auf, uns zu nachzustellen, und versucht nicht, uns weiter zu verfolgen. Wenn ihr uns in Ruhe lasst, bekommt ihr ihn zurück – in einem Stück und unversehrt. Tut ihr’s nicht, kriegt ihr ihn mehrere Wochen lang in Einzelteilen wieder. Ihr seid gewarnt.
Crowe hielt Virginia in den Armen. »Offensichtlich denken sie, dass Matty mein Sohn ist«, sagte er. »Vermutlich weil sie ihn gemeinsam mit Ginny auf dem Pferd gesehen haben. Aber sie werden ihren Irrtum bemerken, sobald sie ihn sprechen hören.«
»Nicht unbedingt«, widersprach Mycroft. »Schließlich wissen sie nicht, wie lange Sie schon hier in England sind. Und vermutlich sind sie sich noch nicht einmal darüber im Klaren, dass Sie Amerikaner sind. Ich glaube vielmehr, dass unser junger Matty im Moment eher weniger zu befürchten hat. Aber zurück zur Nachricht. Lassen sich daraus irgendwelche Hinweise entnehmen?«
»Vergesst doch die blöde Nachricht! Wir müssen hinter ihnen her!«, schrie Sherlock.
»Der Junge hat recht«, brummte Crowe. »Es gibt Zeiten für Analysen und Zeiten für Taten. Dies ist eindeutig eine für Taten.« Er schob Virginia sanft von sich. »Du bleibst hier. Ich werde sie verfolgen.«
»Und ich komme mit«, verkündete Sherlock entschlossen. Als Crowe den Mund aufmachte, um zu protestieren, fügte er hinzu: »Matty ist mein Freund, und ich habe ihm die ganze Sache eingebrockt. Und außerdem können wir zu zweit ein viel größeres Gebiet absuchen.«
Crowe blickte zu Mycroft hinüber, der durch ein unmerkliches Nicken zu verstehen gegeben haben musste, dass er einverstanden war. Denn gleich darauf fuhr der Amerikaner fort: »Okay, junger Mann. Dann mal auf die Pferde. Wir reiten gleich los.«
Crowe steuerte auf die Hintertür zu, und Sherlock folgte.
Als sie nach draußen kamen, sah Sherlock zwei Pferde im Hof. Mit ihrem Halfter an einem Holzpfosten festgebunden, warteten sie geduldig vor einem kleinen Stall. Eines davon war fertig gesattelt. Sherlock erkannte das Tier. Es war Crowes Pferd. Das andere, eine schöne braune Fuchsstute, hatte er jedoch noch nie gesehen.
Crowe wies nickend auf die Stute, als er Sherlocks fragenden Blick bemerkte. »Die Fuchsstute gehört eigentlich unserem Vermieter. Virginia und ich haben sie in Pflege genommen und versprochen, sie von Zeit zu Zeit zu bewegen. Du kannst sie nehmen. Im Stall findest du einen Sattel.«
Ohne ein weiteres Wort machte Crowe sich daran, sein Pferd loszubinden, und Sherlock holte rasch den Sattel. Als er schließlich auf seinem Pferd saß, war der ungeduldige Crowe schon um die Ecke des Hauses galoppiert.
Sherlock drückte dem Pferd die Fersen in die Flanken und folgte seinem Lehrer in raschem Galopp.
Hinter einem zarten Wolkenschleier neigte sich die glühend rote Sonne bereits dem Horizont entgegen. Vor ihm preschte Crowe auf seinem Pferd dahin, und Sherlock gab sich große Mühe, ihn einzuholen. Das Trommeln der auf die Straße donnernden Hufe fuhr ihm bis in den Rücken hinauf und erzeugte eine Vibration im Körper, die es ihm schwermachte, richtig Luft zu holen.
Er fragte sich, woher Crowe wohl wusste, in welche Richtung sie mussten. Vermutlich hatte er rasch ein paar Überlegungen darüber angestellt, auf welcher Straße die Männer Farnham am wahrscheinlichsten verlassen würden, wenn sie auf dem Weg zur Küste waren. Wollten sie sich nach Amerika einschiffen, würden sie das am ehesten in Southampton machen. Andererseits konnte Crowe sich durchaus geirrt haben. Denn vielleicht hatten die Männer ja auch vor, mit dem Zug nach Liverpool zu fahren und dort unerkannt im Hafen an Bord zu gehen. Was bedeutete, dass sie Farnham in einer völlig anderen Richtung verlassen würden. Zum ersten Mal wurde Sherlock so richtig klar, dass man mit Logik manchmal nur bedingt weiterkam und dass sie selten eine einzige Antwort lieferte. Meistens ergaben sich mehrere Möglichkeiten, und man musste mit einer anderen Methode versuchen, die richtige zu finden. Man konnte das Intuition nennen oder Spekulation, auf jeden Fall aber war es keine Logik.
Rechts und links flogen Cottages und Häuser so rasch vorbei, dass sie für Sherlock kaum voneinander zu unterscheiden waren. Doch in der Ferne konnte er einen großen Steinbau ausmachen, der auf einem Hügel thronte und bei dem es sich wohl um die Burg von Farnham handelte.
Trotz der Hitze, die die Erde während des Tages aufgenommen hatte und die nun wieder vom Boden abstrahlte, ließ ihm der an den Ohren vorbeirauschende Wind frösteln. Plötzlich meinte er, die Hufschläge seines eigenen Pferdes noch einmal als Echo zu hören, obwohl es in der Umgebung eigentlich nichts gab, an dem ein Echo hätte zurückgeworfen werden können. Er blickte über die Schulter und war ganz verblüfft, Virginia zu sehen, die, dicht an den Hals ihres Pferdes geschmiegt, hinter ihm hergaloppierte. Sie warf ihm ein breites Grinsen zu, und er grinste zurück. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass nichts und niemand Virginia von so einem Abenteuer abhalten konnte. Sie ha
tte wirklich absolut gar nichts mit den Mädchen gemeinsam, die Sherlock bisher kennengelernt hatte.
Sie galoppierten durch ein kleines Dörfchen.
Vor ihnen auf der Straße sprangen einige Dorfbewohner erschrocken auseinander, und Sherlock konnte hinter sich wütende Rufe hören, als sie weiterritten. Dann hatten sie die Siedlung hinter sich gelassen.
Wie lange würde Crowe wohl noch einfach so weiterreiten, bevor er sich eingestand, dass sie womöglich den falschen Weg eingeschlagen hatten?
Virginia war nun auf gleicher Höhe mit Sherlock. Mit leuchtenden Augen warf sie ihm einen Blick von der Seite zu. Sherlock vermutete, dass sie – ungeachtet der Dringlichkeit ihrer Mission – die Aktion in vollen Zügen genoss. Schließlich ritt sie für ihr Leben gern, und dies war die Chance, zu reiten, wie sie es wohl noch niemals zuvor getan hatte.
Sherlock blickte wieder geradeaus und stutzte. Da weiter vorne, hinter Amyus Crowes gedrungenem Körper und seinem großen weißen Hut, der trotz des rasenden Ritts wundersamerweise irgendwie auf seinem Kopf blieb, nahm er einen Gegenstand wahr, der sich anscheinend bewegte. Sherlock sah genauer hin und erkannte, dass es sich um eine Kutsche handelte. Heftig schaukelte sie hin und her, während sie auf der Straße entlangjagte. Im nächsten Augenblick fuhr sie schon so schnell in die Kurve, dass es sekundenlang so aussah, als würde sie umkippen. Über der Kutsche glaubte Sherlock die dünne Linie einer Peitsche zu erkennen, die vor- und zurückzuckte, als der Kutscher die Pferde zu immer größeren Anstrengungen trieb. War Matty etwa in der Kutsche? Der Kutscher unternahm offensichtlich alles, was in seiner Macht stand, um das Gefährt noch schneller über die Straße dahinfliegen zu lassen. Es musste schon ein großer Zufall sein, falls es nicht die Amerikaner waren, die sich dort vor ihnen befanden. Denn wer sonst sollte so verzweifelt versuchen, aus Farnham fortzukommen, dass er dabei in Kauf nahm, sich den Hals zu brechen?
Sherlock trieb sein Pferd zu noch größerem Tempo an, und das Tier gehorchte. Der Abstand zwischen ihm und Crowe verringerte sich, und er bekam einen besseren Blick auf die Kutsche.