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Death Cloud ysh-1

Page 30

by Andrew Lane


  Es handelte sich um ein vierrädriges Gefährt, das von zwei Pferden gezogen wurde. Heftig tanzten die Dämpfungsfedern auf und ab, während die Räder über die unzähligen Furchen, Löcher und Bodenwellen ratterten, die die Straße bedeckten.

  Virginia zog langsam an Sherlocks linker Schulter vorbei. Wieder warf er einen Blick zu ihr hinüber. Sie hatte ihre Zähne entblößt, was fast wie ein Grinsen aussah, Sherlocks Vermutung nach aber tatsächlich wohl eher so etwas wie ein wütendes Zähnefletschen war.

  Sherlock wandte den Blick nach rechts zu Crowe hinüber, den er nun eingeholt hatte. Seine Augen waren auf die Kutsche vor ihm fixiert und versprühten solch eine vulkanische Glut und Entschlossenheit, dass Sherlock es einen Augenblick lang mit der Angst zu tun bekam. Er hatte Crowe bisher immer als absoluten Gentleman erlebt, für den die Logik und das Sammeln von Fakten über allem standen. Aber Virginia hatte Sherlock einmal erzählt, dass Crowe in Amerika einst eine Art Menschenjäger gewesen war. Ein Jäger, der seine Beute oft auch tot zurückbrachte. Jetzt, da er Crowe so vor sich sah, konnte Sherlock sich das zum ersten Mal wirklich vorstellen. Keine Macht der Erde würde einen Mann mit solch einem Ausdruck in den Augen aufhalten.

  Crowe trieb sein Pferd so heftig an, dass diesem mittlerweile Schaum vorm Maul stand, der in winzigen Flocken vom Wind fortgerissen wurde.

  Vor ihnen krümmte sich die Straße in einem Bogen nach rechts, und die Kutsche fuhr in die Kurve, ohne an Geschwindigkeit zu verlieren. Die beiden linken Räder lösten sich kurz von der Straße, und fast schien es, als würde die Kutsche jeden Augenblick umstürzen und von den Pferden auf der Seite weitergeschleift werden. Aber die Insassen mussten sich mit ihrem Gewicht nach links geworfen haben, denn plötzlich kippte die Kutsche wieder zurück, und die Räder krachten auf den Boden.

  Dann hatten auch Sherlock, Crowe und Virginia die Krümmung erreicht. In rasendem Galopp legten sich ihre Pferde in die Kurve, so dass die Hufe trotz der enormen Geschwindigkeit ihren Halt auf dem Untergrund nicht verloren. Als sie wieder aus der Kurve kamen, sah Sherlock plötzlich einen Lastkarren vor sich, der der Kutsche auf der Straße entgegenkam und über und über mit Bündeln frisch gemähten Grases beladen war. Wild gestikulierend, versuchte der Fahrer die Kutsche zum Ausweichen zu bewegen. Aber schnell schien ihm klargeworden zu sein, dass es bereits zu spät war. Denn im nächsten Moment lenkte er den Karren seitwärts von der Straße herunter, wo er schließlich in einem Graben landete. In der nächsten Sekunde donnerte die Kutsche an ihm vorbei und verfehlte die Rückseite des Lastkarrens nur um wenige Zentimeter. Augenblicke später galoppierten auch Sherlock, Crowe und Virginia vorüber. Sherlock warf einen raschen Blick zur Seite, um zu sehen, ob dem Fahrer etwas passiert war. Der stand wild gestikulierend vor dem Karren. Doch dann waren sie auch schon vorbei, und der Mann verschwand hinter ihnen in der Ferne wie eine flüchtige Erinnerung.

  Eine Bewegung seitlich an der Kutsche weckte Sherlocks Aufmerksamkeit. Ein Mann lehnte sich mit einer Art Stock in den Händen aus der Kabine. Der Mann richtete den Stock die Straße entlang in ihre Richtung, und plötzlich sah Sherlock eine Flamme an dessen Ende aufblitzen. Der Mann hatte ein Gewehr!

  Sherlock konnte nicht sagen, wohin die Kugel geflogen war. Die Kutsche hüpfte so heftig auf und ab, während sie durch die Dämmerung preschte, dass der Schütze sein Ziel unmöglich genau ins Visier nehmen konnte. Aber das bedeutete natürlich nicht, dass nicht einer von ihnen oder eines der Pferde durch Zufall getroffen werden konnte.

  Erneut gab der Mann einen Schuss ab, und diesmal glaubte Sherlock, die Kugel sogar hören zu können, als sie an ihm vorbeiflog: ein klingendes, sirrendes Geräusch, das an eine wütende Wespe erinnerte.

  Crowe spornte sein Pferd zu noch größerer Anstrengung an, und einen Moment lang schien es so, als ob er der Kutsche näher käme. Er hielt die Zügel in einer Hand, während er mit der anderen an seinen Gürtel griff. Er zog einen Revolver hervor und richtete ihn auf den Mann, der sich aus der Kutsche herauslehnte. Crowe gab einen Schuss ab. Der Rückstoß riss ihm die Hand nach hinten und versetzte seinen Oberkörper in eine leichte Seitwärtsdrehung.

  Der Mann mit dem Gewehr hatte sich blitzartig in das Innere der Kutsche zurückgezogen. Allerdings ließ sich von Sherlocks Position aus nicht feststellen, ob er rechtzeitig reagiert hatte oder verwundet worden war.

  Einen Augenblick später führte sie die wilde Verfolgungsjagd an einem Flussufer entlang, auf dessen Oberfläche silberne Funken im letzten Licht der untergehenden Sonne glitzerten.

  Plötzlich tauchte der Mann mit dem Gewehr wieder auf. Er lehnte sich auf der gleichen Seite aus der Kutsche wie zuvor, doch dieses Mal wandte er das Gesicht nach vorne. Er richtete die Waffe in Fahrtrichtung und drückte auf den Abzug. Aus der Mündung schoss erneut ein Flammenblitz hervor, der sich im Dämmerlicht wie eine exotische Blume entfaltete.

  Verwirrt dachte Sherlock einen Moment lang, dass er auf die Pferde schießen würde, die die Kutsche zogen. Aber dann wurde ihm klar, dass der Mann über die Köpfe der Tiere hinweggeschossen hatte, und er begriff: Der Schütze versuchte, sie zu erschrecken, um sie zu noch schnellerem Tempo anzutreiben, und wie es aussah, funktionierte das auch. Der Abstand vergrößerte sich rasch, während die Kutsche mit vollem Tempo auf der Straße dahindonnerte. Sherlock war klar, dass sich diese Geschwindigkeit nicht lange aufrechterhalten ließ, denn ihre Pferde würden rasch erschöpft sein. Aber offensichtlich hatten die Männer etwas anderes im Sinn.

  Der Schütze verschwand wieder im Kutscheninneren, jedoch nur einen Moment lang. Dann sprang plötzlich die Tür auf, und der Mann hechtete nach draußen. Sein Sprung war perfekt geplant, und er landete mitten in der weichen Schilfzone, die das Flussufer säumte. Er war zunächst verschwunden, doch die lange Schneise umgeknickter Schilfrohre, die seinen Sturz gebremst hatten, war gut zu verfolgen.

  Unsicher, was er nun tun sollte, zügelte Crowe sein Pferd. Doch dann trieb er es wieder an und eilte der Kutsche hinterher, anstatt sich um den Mann zu kümmern. Gleich darauf beobachtete Sherlock, wie dieser plötzlich wieder aus dem Schilf auftauchte. Er war triefend nass, und sein Gesicht wies an den Stellen, wo ihm das Schilf beim Sturz die Haut aufgeritzt hatte, Schnittwunden auf.

  Er hielt ein Gewehr in den Händen. Er hob es, als Crowe sich näherte, nahm entlang des langen Laufes sorgfältig Ziel und feuerte.

  In dem Moment, als das Mündungsfeuer aufblitzte, warf Crowe die Arme hoch und fiel rückwärts aus dem Sattel. Er landete mit der rechten Schulter auf der Straße und rollte, sich unzählige Male überschlagend, durch den Staub, bis er wie ein gefällter Baumstamm reglos liegenblieb. Sein Pferd galoppierte zunächst noch etwas weiter, aber ohne seinen Reiter, der es antrieb, wurde es langsamer und ging allmählich in den Trab über. Schließlich blieb es stehen und blickte der in der Ferne verschwindenden Kutsche nach, als ob es sich fragen würde, wozu der ganze Aufruhr eigentlich veranstaltet worden war.

  »Vater!«, schrie Virginia. Sie zügelte ihr Pferd so scharf, dass es mit schlitternden Hufen zum Halten kam, und sprang vom Sattel. Ohne auf den Mann mit der Waffe zu achten, der sie beobachtete, rannte sie die Straße entlang auf ihren Vater zu.

  Dann hob der Mann sein Gewehr.

  Die englische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel ›Young Sherlock Holmes – Red Leech‹ bei Macmillan Children’s Books, London, England

  Copyright © Andrew Lane 2010

  Für die deutschsprachige Ausgabe:

  © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012

  ISBN 978-3-596-19301-1

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  Document ID: c8df3ec4-a12a-439b-86d6-f8f1a0af8777

  Document version: 1

  Document creation date: 25.4.2012

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  Document authors :

  lange97

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