Book Read Free

Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition)

Page 5

by Engel, Kathinka


  »Du hast auch keine Lust auf das junge Glück, was?«, frage ich, als er neben mir aufs Bett springt. Ich höre Amorys Lachen aus der Küche. Hilbert steigt auf meinen Schoß, legt seine Pfoten auf meine Schulter und reibt seinen Kopf an meiner Wange. »Hast du Liebesentzug?«, frage ich grinsend und beginne seinen Nacken zu kraulen. Sofort schnurrt er laut.

  Eigentlich glaube ich nicht, dass ich ein Katzenmensch bin. Oder ein Tiermensch. Oder ein Menschenmensch. Aber das mit Hilbert und mir, das funktioniert.

  Mein Magen knurrt erneut, und ich beschließe, dass es Zeit ist, über meinen Schatten zu springen. Immerhin wohne ich hier. Wenn sich jemand unwohl fühlen sollte, ist es Richard.

  Ich ziehe mir eine graue Jogginghose über meine Boxershorts. Mein Oberkörper bleibt nackt. Ich bin ziemlich gut gebaut, das Schlagzeugspielen und meine Gelegenheitsjobs auf Baustellen sind ein relativ effektives Training. Richard soll ruhig wissen, mit wem er es zu tun hat. Nicht, dass wir wirklich etwas miteinander zu tun hätten, aber für den Fall, dass er auf dumme Gedanken kommt …

  Hilbert balanciert auf meiner Schulter, als ich in die Küche trete. Amory und Richard sitzen am Tisch. Es läuft schon wieder dieser nervtötende Country-Kitsch, auf den Amory so steht. Doch ich werde die Höflichkeit in Person sein. Mir nichts zuschulden kommen lassen. Wenn das hier ein Wettbewerb ist, will ich gegen Saint Richard gewinnen. Und wenn nicht, kann ich ihn immerhin so blöd aussehen lassen, wie er ist.

  »Morgen«, sage ich, reibe mir etwas verschlafen über meine strubbeligen Haare, weil ich weiß, dass Amory das unwiderstehlich findet, und hole einen Becher aus dem Schrank. Auf dem Tisch steht unsere French Press, und ich bediene mich selbst.

  »Morgen«, sagt Amory. Sie sieht ekelhaft frisch aus. Und ein bisschen heiß in ihrem knappen Spaghettiträgertop. Eigentlich könnte sie genauso gut nackt hier herumsitzen. Ich lasse meinen Blick über ihre Brüste wandern, so, dass es ihr auffällt, aber kurz genug, um mir daraus keinen Vorwurf machen zu lassen.

  »Hi, Richard, Kumpel.« Ich klopfe ihm auf die Schulter. So fest, dass es ihm wehtun muss. Aber vor Amory erträgt er es wie der Mann, der er nicht ist.

  Amory nimmt seine Hand, als müsste sie irgendwas beweisen. Ihm beistehen oder sonst einen Scheiß. Doch ich bleibe cool. Ich hebe Hilbert von meiner Schulter und setze ihn auf den Boden, ehe ich mich gegenüber von Amory niederlasse. Wieder gönne ich mir einen kurzen Blick auf ihre Brüste. Sie sind groß und rund, und ich weiß genau, wie sie sich anfühlen. Ja, Richard, ich weiß es. Und ich stelle es mir gerade vor. Wie meine Hände in das weiche Fleisch … meine Zähne … wie ich an ihnen sauge …

  Richard macht irgendwelche komischen Geräusche, die Hilbert anlocken sollen, schnippt mit den Fingern. Aber Hilbert ist auf meiner Seite, zeigt sich vollkommen unbeeindruckt und streicht schnurrend um meine Beine. Guter Mann.

  Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und gebe den Blick auf meinen Oberkörper frei. Ich will, dass Richard sich mickrig fühlt. Und ich will, dass Amory es sieht. Mich ansieht. Sich wünscht, dass sie neben mir aufgewacht wäre. Doch im nächsten Moment ist es mir wieder scheißegal. Es sind nur kleine Spielchen, die machen, dass ich mich geil fühle. Mehr nicht.

  »Amory hat erzählt, du spielst Schlagzeug in einer Band«, sagt Richard, und ich habe Lust, ihn in einen festen Schwitzkasten zu nehmen und aus der Wohnung hinaus zu eskortieren. Aber das gäbe Stress mit Amory.

  »Jep«, antworte ich also, und als ich Amorys tadelnden Blick bemerke, schiebe ich hinterher: »Wir heißen After Hours. Spielen zweimal pro Woche im Cat’s Cradle. «

  »Nie gehört«, sagt Richard und überrascht damit genau niemanden auf der Welt. »Wo ist das?«

  »Frenchmen«, sage ich knapp.

  »Wird da nicht nur Jazz gespielt?«, fragt er, und ich muss mich wirklich zusammenreißen, nicht meine Tasse auf den Tisch zu knallen und mich zu verpissen.

  »Und selbst wenn?«, frage ich und greife mit meinem linken Arm über den Tisch, sodass mein Bizeps für einen Moment genau vor seinen öden Augen verweilt.

  »Na ja, das ist doch eher was für Ältere.«

  Amory räuspert sich. Sie will Richard wahrscheinlich dazu bringen, sein dummes Maul zu halten, bevor er jedes Vorurteil, das ich von ihm habe, innerhalb von wenigen Minuten bestätigt.

  »Es ist jedenfalls nichts für Idioten«, murmle ich. Lauter sage ich: »Muss jeder für sich selbst wissen. Aber wenn man noch nie in der Frenchmen Street oder bei einem richtig geilen Gig war, sollte man vielleicht still sein mit festgefahrenen Meinungen.«

  »Also spielt ihr Jazz?« Richard ist vollkommen unbeeindruckt.

  »Wir spielen unseren eigenen Sound«, sage ich.

  »Willst du das vielleicht erklären?«, fragt Amory.

  »Es ist eine Mischung aus verschiedenen Einflüssen. Jazz und Funk aus New Orleans, Südstaatenblues und -folk, Singer/Songwriter-Elemente.«

  »Singer/Songwriter finde ich cool«, sagt Richard. »So Ed-Sheeran/Jason-Mraz-mäßig?«

  »Ja, genau so«, sage ich seufzend. »Wir spielen Schnulzen in Stadien. Das ist genau unser Ding.«

  Ich sehe, wie Richard Amory einen fragenden Blick zuwirft. Er ist verwirrt. So viel Sarkasmus verträgt sein kleiner Kopf nicht.

  »Vielleicht können Amory und ich ja mal auf ein Konzert von euch kommen«, sagt er, und ich hasse es, dass er damit wieder die moralische Oberhand bekommt.

  »Klar, wir haben jede Woche Gigs«, erwidere ich und bemühe mich, übertrieben freundlich zu klingen. »Ich würde mich freuen.« Innerlich kotze ich. Amory und Richard sind die letzten Menschen, die ich bei unseren Auftritten sehen will. Das überleben meine Drums nicht.

  Als Richard sich unter die Dusche verabschiedet, atme ich auf. Es ist in seiner Gegenwart gar nicht so leicht, zu verhindern, dass man vor Wut platzt.

  »Du bist echt unmöglich«, sagt Amory und beginnt ihr Geschirr abzuräumen.

  »Was habe ich denn jetzt gemacht?«

  »Alles. Dein gesamter Auftritt hier.«

  Ich runzle die Stirn. Habe ich mich nicht bemüht? Ich war mir sicher, ich hätte gewonnen.

  »Musst du halb nackt hier herumsitzen?«

  Daher weht also der Wind. »Irritiert es dich?«, frage ich grinsend.

  »Es irritiert mich überhaupt nicht. Ich finde es billig«, sagt sie ruhig.

  »Ich habe das Gefühl, du machst ein ganz schönes Drama daraus. Außerdem sieht man deine Nippel durch dein Oberteil. Wer im Glashaus sitzt …«

  »Und das weißt du, weil du mir auf die Möpse geglotzt hast.«

  »›Geglotzt‹ ist ein großes Wort«, sage ich, während sie die Teller abspült. »Es ist mir aufgefallen.«

  Sie stöhnt.

  »Niemand zwingt euch, hier herumzuhängen«, sage ich. »Tut mir echt leid, dass ich deinen Lover nicht leiden kann, aber ich gebe hier mein Bestes.« Es ist nur so halb gelogen. Denn was in mir drin passiert, kann sie schließlich nicht wissen.

  »Es ist meine Wohnung, Curtis. Und ich will mich hier mit meinem Freund verdammt noch mal wohlfühlen.«

  Ich schlucke. Eigentlich will ich Amory nicht verärgern. Amory ist meine Freundin. Und ich benehme mich wie der letzte Arsch. »Sorry, Am«, sage ich. »Wenn ich mich blöd verhalten habe …« Eigentlich will ich sagen, … tut es mir leid, aber das wäre eine echte Lüge. »… habe ich mich blöd verhalten.«

  »Die Logik ist bestechend«, sagt sie, doch ich höre in ihrer Stimme, dass sie grinsen muss.

  »Hey«, sage ich, stehe auf und – ich weiß auch nicht, ist es Gewohnheit? – lege ihr meine Arme um die Schultern. Ich spüre ihre Wärme an meiner nackten Brust, atme tief ein. Atme ihren Geruch. Fuck, gleich kriege ich einen Ständer. »Sorry.«

  Ich lasse sie wieder los und tue so, als würde ich im Küchenschrank neben ihr etwas Essbares suchen.

  »Beim nächsten Mal könnt ihr ja einfach wild rummachen. Als Strafe oder so«, schlage ich vor, denn die Vorstellung davon, wie Richard seine Zunge in Amorys Hals steckt, ist so ungefähr das Abtörnendste, was ich mir ausmalen kann.

  Um meine Tarnung aufrechtzuerhalten und weil ich die Toastbrotpac
kung nun schon einmal in der Hand halte, stecke ich zwei Scheiben in den Toaster.

  »Er ist wirklich nett«, sagt Amory. »Ich fühle mich wohl mit ihm.«

  »Das ist alles, was zählt«, erwidere ich gnädig, obwohl mich »nett« nicht weniger interessieren könnte. »Ich bin nicht mit ihm zusammen, weil er einfach da war.«

  »Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen«, sage ich, obwohl es mir gefällt, dass sie anscheinend den Eindruck hat, es wäre nötig.

  »Ich rechtfertige mich nicht«, antwortet sie. »Ich will, dass du als einer meiner engsten Freunde auf meiner Seite bist.« Sie sieht mich aus ihren großen, blauen Augen an, und ich habe den Eindruck, es ist ihr echt wichtig. Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals so dringlich erlebt zu haben.

  »Verstehe«, sage ich, in dem Moment, da meine Toasts aus dem Toaster springen.

  Als Richard nur mit einem Handtuch um die Hüften in der Tür steht, verkneife ich mir einen Kommentar. Außerdem sehe ich, dass er selbst auch ziemlich muskulös ist, wenn auch sehniger und schmaler als ich.

  Während Amory auf ihn zugeht und ihm einen Kuss auf den Mund gibt, wende ich mich einfach ab, blicke auf mein Handydisplay, als gäbe es etwas Spannendes zu sehen.

  Wenig später geht Amory selbst ins Bad, um sich fertig zu machen, und ich erzähle Richard, der sich inzwischen angezogen hat, dass wir jeden Montag und Mittwoch im Cat’s Cradle spielen und ich mich freuen würde, Amory und ihn demnächst dort zu sehen.

  Wenig später steckt Amory auf dem Weg nach draußen ihren Kopf in die Küche und flüstert ein »Danke«. Ich ringe mich zu einem Lächeln durch, das ich so ehrlich meine wie irgend möglich, auch wenn es mir alles abverlangt.

  Dann bin ich endlich allein in der Wohnung und stelle mich ungefähr zwanzig Minuten unter die Dusche und wasche mir diesen ganzen beschissenen Morgen ab. Denke an das Gefühl von Amorys Körper an meiner nackten Haut und hole mir schnell und wütend einen runter.

  7

  Amory

  »Ich habe einen Job!«, ruft Franzi in dem Augenblick, als sie zur Tür des Barrel hereinkommt.

  Bonnie und ich sitzen bereits in der hintersten Ecke der kleinen Bar, die etwas abseits vom Touristentrubel des French Quarter liegt. Gemütliche Plüschsofas und sanfter Bluessound machen das Barrel zu meinem zweiten Wohnzimmer. Außerdem ist Eric, der Barkeeper, eine perfekte Mischung aus flirty und professionell. Und nebenbei macht er verboten leckere blasslila Cocktails in sexy Gläsern.

  »Du hast einen Job?«, rufen Bonnie und ich wie aus einem Mund. Wir springen auf, um Franzi zu umarmen.

  »Ja, in dem IT -Büro, das für die Firma, in der Faye im Marketing arbeitet, den Support macht. Es ist nichts Spektakuläres, aber es ist ein richtiger Job!«

  Die letzten Monate waren hart für Franzi, auch wenn sie das nie zugeben würde. Glücklicherweise ist sie tougher, als man im ersten Moment denkt, wenn man sie sieht. Nach außen wirkt sie etwas schüchtern, manchmal geradezu unsicher. Aber innerlich hat sie ihre ganz eigene Ruhe, so scheint es mir.

  »Eric, was kostet euer billigster Champagner?«, rufe ich in Richtung Bar.

  »Dreihundert Dollar die Flasche«, antwortet er.

  »Was kostet euer billigster Sekt?«

  »Achtzig.«

  »Okay, wir sind nur einmal jung und arm. Den nehmen wir!«

  »Amory, das kann ich mir nicht leisten«, sagt Franzi. »Noch nicht«, fügt sie mit einem Grinsen hinzu.

  »Ich lade euch ein!«, verkünde ich.

  »Du musst wirklich nicht …«

  »Aber ich will. « Und damit ist das Thema erledigt.

  »Wer von euch hat denn Geburtstag?«, fragt Eric, als er drei Gläser und den Sekt in einem Kühler auf den kleinen Couchtisch vor uns stellt.

  »Man muss nicht Geburtstag haben, um sich selbst zu feiern«, merke ich an. »Und das tun wir. Wir feiern uns. Und vor allem Franzi, die einen Job gefunden hat.«

  »Herzlichen Glückwunsch«, sagt Eric und zwinkert ihr zu.

  »Jetzt muss nur noch die petition durchgehen. Eine Bewerbung, die mein Arbeitgeber an die Behörden schickt, aus der hervorgeht, dass sie mich brauchen. Alles ziemlich aufregend.«

  »Aber dann kannst du bleiben? Auf unbefristete Zeit?«

  »Solange ich den Job habe, ja. Ansonsten …« Sie verzieht ihr Gesicht zu einer verlegenen Grimasse. »… muss ich vielleicht Links Angebot annehmen.«

  »Was für ein Angebot?«, fragt Bonnie.

  Franzi lacht. »Er hat gesagt, wenn alle Stricke reißen, heiratet er mich.«

  »Er hat was?«

  »Genauso habe ich auch reagiert.« Ihr Lachen wird lauter. »Ich habe gesagt, dass das der Traumantrag jeder jungen Frau ist. Dass man aus Liebe heiraten sollte, nicht aus Not.«

  »Was hat er dazu gesagt?«, frage ich grinsend.

  »Dass er findet, jemanden für immer in seiner Nähe haben zu wollen, ist ein verdammt guter Grund zu heiraten.«

  »Okay, ich würde ihn heiraten«, sage ich. »Alter Charmeur.«

  »Na ja, wenn alles gut geht, stellt sich die Frage nicht mehr«, sagt Franzi und hebt ihr Glas. Wir tun es ihr nach und stoßen gemeinsam auf sie und uns an. »Obwohl Hugo mit Sicherheit enttäuscht wäre.«

  »Hugo?«

  »Der alte Mann, um den ich mich in meinem ersten Jahr hier gekümmert habe. Fayes Schwiegervater. Bald Ex-Schwiegervater.« Als sie meinen fragenden Blick bemerkt, erklärt sie: »Faye lässt sich scheiden. Aber sie und Hugo verbindet eine sehr innige Hassliebe. Oder eher familiäre Genervtheitsliebe. Deswegen wohnt er weiterhin bei ihr. Und mich haben sie irgendwie adoptiert. Jedenfalls hat Hugo gefragt, ob er Blumenmädchen sein darf. Und er hat After Hours als Hochzeitsband vorgeschlagen.«

  Bonnie grinst. »Wir machen euch ein faires Angebot.«

  »Das will ich auch hoffen, schließlich ist der Gitarrist der Bräutigam«, gebe ich zu bedenken.

  »Ich habe auch etwas zu verkünden«, sagt Bonnie. »Es ist nicht ganz so groß wie Franzis Neuigkeit, aber …«

  »Hey, wir vergleichen uns nicht«, ermahne ich sie. »Ich für meinen Teil feiere, dass ich mir heute unter der Dusche Zeit für einen Orgasmus genommen habe.« Ich zucke mit den Schultern, Bonnie und Franzi grinsen. »Also, erzähl!«

  »Ich ziehe zu Jasper.«

  »Wohnst du nicht eh schon bei ihm?«, frage ich.

  »Nicht offiziell«, sagt sie. »Aber da ich ohnehin jede Nacht bei ihm schlafe …«

  »Das freut mich für euch!« Franzi hebt erneut ihr Glas. »Auf deinen Umzug. Und deinen Orgasmus, Amory.«

  »Keine Veränderung an der Sex-Front also?«, fragt Bonnie.

  Ich schüttle den Kopf. »Ist das zu fassen, dass er warten will? Da bin ich nach all den Jahren wieder so weit, dass ich einen Kerl in mein Leben lassen will nach der Sache mit Esmé, und dann so was …«

  »Muss eine ganz schöne Umstellung sein nach Curtis.«

  »Ähm … die beiden sind wie Tag und Nacht«, erwidere ich lachend.

  »Inwiefern?«, fragt Franzi.

  »Der eine emotional indisponiert, irgendwie wild.« Ich kann nichts dagegen tun, dass mir die Röte ins Gesicht schießt. Deswegen spreche ich schnell weiter. »Der andere gut. Präsent. Greifbar. Er ist sanft, verständnisvoll. Beziehungsmaterial.«

  »Versteh das nicht falsch«, sagt Franzi, »aber ich hätte nicht erwartet, dass du Beziehungsmaterial suchst. Du bist so … unabhängig und stark.«

  »Ich weiß«, antworte ich. »Aber das ist kein Widerspruch. Ich kann unabhängig und Teil eines Paars sein. Stark und mich danach sehnen, mich an jemandem anzulehnen. Das ist eins der größten Gender-Missverständnisse unserer heutigen Zeit, wenn ihr mich fragt.« Bonnie und Franzi sehen mich erwartungsvoll an. »Die Leute glauben, man müsste als Frau selbstgenügsam sein, um eine gute Feministin zu sein. Aber das ist absoluter Bullshit. Ich muss mich selbst und andere Frauen mit Respekt behandeln. Alles andere schränkt uns doch nur wieder ein, reduziert uns, macht uns klein. Wenn du Link heiraten willst, macht dich das nicht zu einer Antifeministin, Franzi. Wenn du, Bonnie, dein Leben in Jaspers integrierst, macht dich das nicht zu einer Antifeministi
n. Solange ihr es tut, weil ihr das wollt. « Ich hole kurz Luft. »Starke Frauen, meine Lieben, sind diejenigen, die sich selbst treu bleiben. Die sich Raum für die eigene Entwicklung geben. Die springen, wenn sie Bock drauf haben. Und nicht, weil gesellschaftliche Konventionen oder irgendwelche Erwartungen sie dazu drängen.«

  Einen kurzen Moment sagt niemand was. Dann erschallt ein »Amen« von der Bar, und wir beginnen zu lachen.

  »Ich glaube, nach deiner Definition bin sogar ich eine starke Frau«, sagt Franzi leise.

  »Hä? Und das fällt dir jetzt erst auf?«, frage ich.

  »Na ja …«

  »Hör mir mal zu, du Krasse«, sage ich. »Du hast ein anspruchsvolles Studium durchgezogen. Du bist ganz allein nach New Orleans gekommen. Du hast eine fremde Stadt, ein fremdes Land – und, ähm, einen fucking fremden Kontinent – allein entdeckt. Du hast uns alle in dein Leben gelassen, obwohl wir schon ein bisschen anstrengend sind. Du hast dein Leben zu Hause aufgegeben, um an dem Ort zu sein, den du liebst – und noch dazu mit dem Mann, den du liebst. Das ist so ungefähr das Stärkste, was ich je gehört habe.«

  Trotz der schummrigen Beleuchtung sehe ich, dass Franzi rot wird. Sie strahlt von einem Ohr zum anderen. »Wow. Ich wusste gar nicht, dass du mich so siehst.«

  »Ich und die Welt, du Queen. Und du, Bonnie.« Ich bin so richtig in Fahrt. »Du trägst das größte, schwerste Instrument mit dir herum. Jeden Tag. Du hältst eine Band aus den absolut talentiertesten Schwachköpfen zusammen, die ich mir vorstellen kann. Und das Wichtigste: Du hast gelernt, dass deine Bedürfnisse auch zählen.«

  »Hat aber lange genug gedauert«, sagt sie.

  »Aber das ist doch genau der Punkt! Es spielt keine Rolle, wie lange es dauert. Du hast es geschafft. Und das ist es, was zählt. Du hast es geschafft, obwohl du Angst hattest, alles zu verlieren. Du bist gesprungen, als du es konntest. Und das ist beeindruckend.«

  »Ich liebe dich, Am«, sagt Bonnie.

  »Und ich euch«, erwidere ich. »Man sagt das viel zu selten.« Dann hole ich mein Handy hervor. »Ich glaube, ich sollte das meiner Mom auch sagen.«

 

‹ Prev