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Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition)

Page 9

by Engel, Kathinka


  Die Sonne ist nun beinahe ganz untergegangen. Im French Quarter beginnt eine weitere ausgelassene Nacht. Normalerweise würde es mich jucken, mich auf ein Bier zu Wanda zu setzen. Aber ich habe eine Mission und lasse die belebten Straßen, die Musik und die bunten Lichter hinter mir. Bald kommt unser Haus in Sichtweite.

  »Amory?«, rufe ich, als ich die Tür aufschließe. »Bist du zu Hause?« Ich bin auf eine seltsame Art aufgekratzt. Das hier ist eine gute Tat. Etwas Nettes. Das ich gemacht habe.

  »Was hast du angestellt?«, kommt Amorys Stimme aus dem Wohnzimmer.

  Ich grinse. Wir haben uns seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen, weil ich versucht habe, ihr nach meinem Absturz aus dem Weg zu gehen.

  »Ich will dir jemanden vorstellen«, sage ich und schiebe die Tür auf. Mein Magen sackt einen Meter nach unten, als ich sehe, mit wem sie dort auf dem Sofa kuschelt. Dass sie auf dem Sofa kuschelt. Denn einen Augenblick lang ist es mir sogar egal, dass es Richard ist. Doch dann erinnere ich mich an das kleine Fellbündel auf meinem Arm. Das hier ist wichtiger.

  »Komm rein«, sagt Amory und richtet sich auf.

  »Hi«, sage ich leise, die Hand schützend über die Katze gelegt.

  »Wen willst du mir vorstellen?«, fragt Amory und streicht sich die langen blonden Haare aus dem Gesicht.

  »Ähm.« Ich räuspere mich. »Schau mal, was ich gefunden habe.« Ich gehe ein paar Schritte ins Zimmer hinein und strecke ihr dann mein Findelkind entgegen.

  Amorys Augen werden groß. Und größer. Auf ihre Lippen schleicht sich ein vorsichtiges Lächeln. »Wo hast du das denn her?« Sie steht auf, kommt auf mich zu und nimmt mir das Kleine aus der Hand. »Hi!«

  »Gefunden«, sage ich und werfe Richard einen Blick zu. Er sieht alles andere als erfreut darüber aus, dass er auf einmal nicht mehr die erste Geige spielt. Was für ein wunderbarer Nebeneffekt!

  »Gefunden? Hast du einfach ein Kätzchen mitgehen lassen?« Amory runzelt die Stirn.

  »Nein, nein, so war das nicht«, beeile ich mich zu sagen, bevor Richard wieder Oberwasser bekommt, weil er keine Katzen klaut. »Jemand hat es ausgesetzt. In einer verfluchten Pappkiste. Stand beim Müll.«

  »Beim Müll?« Amory klingt empört. »Wer macht denn so was?«

  Ich zucke mit den Schultern, sehe Amory an, wie sie das Kätzchen untersucht, es streichelt, ihm gut zuredet.

  »Du hast es gerettet!«, sagt sie dann. Und mit einem Blick auf die Unterseite des Kätzchens korrigiert sie: »Sie. Du hast sie gerettet.«

  Amory sieht mich an, und in ihrem Blick liegt eine Zärtlichkeit und Dankbarkeit, die bewirkt, dass ich grinsen muss wie ein absoluter Trottel. Richard sieht währenddessen immer mehr so aus, als hätte er einen unangenehmen Geruch in der Nase.

  »Hey, Baby«, gurrt Amory. »Heeeeyyyy!«

  In diesem Moment weiß ich, dass sie mir verziehen hat. Eigentlich wäre das allein schon Grund zur Freude. Aber dass ich dabei noch etwas Gutes getan und Richard ans Bein gepisst habe, macht diesen Augenblick zu etwas ganz und gar Vollkommenem.

  »Ich wusste erst nicht, was ich machen soll«, gebe ich zu und fahre mir etwas verlegen mit der Hand über den Nacken. »Aber dann ist mir eingefallen, dass du dich auskennst. Und ich hab mir gedacht, dass du sie niemals in dieser Kiste gelassen hättest.«

  Es fühlt sich gut an. So gut. Richard zu zeigen, dass ich Amory kenne. Amory zu zeigen, dass ich auch mal etwas richtig machen kann.

  Obwohl ich mir eigentlich geschworen hatte, auf Abstand zu gehen, trete ich einen Schritt auf Amory und das Kätzchen zu. Es ist hart zu widerstehen, wenn sie so sanfte Geräusche macht.

  »Vielleicht sollte man sie erst mal beim Tierarzt durchchecken lassen«, mischt Richard sich ein. »Nicht dass sie vollkommen verfloht und verwurmt ist.«

  Ja genau, denke ich. Sei die Stimme der Vernunft, während wir eine Babykatze retten. Das kommt gut an. Vor allem bei Amory. Ich kann gar nicht glauben, wie großartig das alles läuft. Wo ich doch nicht einmal die Hälfte davon geplant hatte! Ich wollte einfach etwas Nettes tun und Amory eine Freude machen, damit sie nicht mehr sauer auf mich ist. Das hier ist besser als in meinen kühnsten Träumen.

  »Wir lassen sie morgen beim Tierarzt durchchecken«, sagt Amory.

  »Willst du sie behalten?«, frage ich. Aus irgendeinem Grund halte ich die Luft an. Es ist, als gäbe es in diesem Moment nur uns beide. Keinen Richard, der im Hintergrund Bedenken äußert.

  »Natürlich«, sagt Amory sanft. »Natürlich behalte ich sie. Und ich nenne sie Lovelace. Nach Ada Lovelace.«

  Richard räuspert sich. »Ist das klug, Süße?«, fragt er. »Solltest du nicht abwarten, was der Tierarzt sagt, bevor du eine emotionale Bindung aufbaust?«

  »Lovelace«, wiederhole ich. »Der Name ist perfekt.«

  »Ich will nur nicht, dass du am Ende traurig bist«, sagt Richard.

  Ich strecke meine Hand nach Lovelace aus und kraule sie hinterm Ohr. Meine Finger streifen Amorys Arm, aber ich bemühe mich, es nicht zu sehr zu genießen. Gerade erst habe ich die Wogen wieder geglättet. Es ist zu früh für neuen Scheiß. Auch wenn es verlockend ist, sie vor den Augen ihres bescheuerten Freundes anzufassen.

  »Es kann genauso gut sein, dass man sie einschläfern muss.« Richard hört einfach nicht auf, die Stimmung zu vermiesen. Wie kann man nur so nerven?

  »Sie wirkt, ehrlich gesagt, ziemlich fit«, sagt Amory, jedoch in meine Richtung. »Danke, dass du sie mitgebracht hast.«

  Und ohne dass auch das geplant gewesen wäre, zieht Amory mich in eine Umarmung. Ganz vorsichtig natürlich, um Lovelace nicht zu zerquetschen. Aber ich fühle ihre Arme um meinen Hals, rieche ihre Haare, spüre ihre Brüste an meinem Oberkörper. »Danke«, sagt sie noch mal. Dann löst sie sich von mir. »Ich muss Hilbert seine neue Freundin vorstellen. Hilbert!«

  Richard ist auf einmal völlig abgeschrieben, und ich sehe, dass ihm das gehörig gegen den Strich geht.

  Während Amory Hilbert an Lovelace schnuppern lässt, setze ich mich zu Richard aufs Sofa. Das hier ist meine Chance. Meine Chance, der perfekte Mitbewohner zu sein. Ich habe eine Katze gerettet, habe sie Amory mitgebracht. Und jetzt werde ich mich nett mit ihrem dämlichen Freund unterhalten. Schachmatt.

  »Du bist kein Katzenmensch, oder?«, frage ich ihn.

  »Wir hatten immer nur Hunde«, erwidert er. »Mit Katzen kann ich wenig anfangen. Hunde lieben bedingungslos. Katzen …«

  »… nicht«, schließe ich und denke, dass sie damit auch verdammt recht haben. Bedingungslose Liebe ist gefährlich. Bedingungslose Liebe kann zur Selbstaufgabe führen. Nicht, dass ich ein Experte darin wäre, doch auf mich wirken Bedingungen gesund. Jemand, der mich bedingungslos lieben würde, wäre schnell am Ende. Fast muss ich lachen. Selbst einem Hund würde ich mich nicht wünschen. Vermutlich gilt das schon als Tierquälerei. Ein unschuldiges Tier an mich zu binden, das nicht anders kann, als sich in eine toxische Abhängigkeit zu begeben. Wahrscheinlich sind Hilbert und ich deswegen Freunde. Weil er weiß, wo er Grenzen ziehen muss.

  »Vielleicht ist das genau der Vorteil von Katzen«, sage ich. »Dass sie einen mögen, weil sie sich dazu entscheiden.«

  »Aber wenn sie sich dagegen entscheiden, hat man ein Haustier, das einen hasst«, sagt Richard.

  Und wäre das so verkehrt? Wenigstens ist es ehrlich, denke ich. Für die Person, die ich bin, gehasst zu werden, kommt mir erstrebenswerter vor, als geliebt zu werden, egal, wer ich bin. Wenigstens ziehe ich niemanden mit in meine Scheiße rein.

  »Wer weiß, vielleicht hassen sie einen dann zu Recht«, schlage ich vor. »Vielleicht ist man auch einfach ein Arsch.« Eigentlich rede ich über mich selbst, denn mir fällt viel zu spät auf, dass Richard es auf sich beziehen muss.

  »Ich weiß echt nicht, was dein Problem mit mir ist«, sagt er.

  »Curtis!« Das ist Amory. Und auf einmal droht mein Vorsprung, den ich mir durch Lovelace’ Rettung erarbeitet habe, wieder zu schwinden.

  »Sorry, Mann«, sage ich. »War echt nicht auf dich bezogen.«

  »Wer’s glaubt«, erwidert Richard. Und sosehr ich es auch versuche, diesmal kann ich es ihm nicht übel nehmen.
Das ist beinahe noch schlimmer, als ihn einfach nur zu verachten. Der Blick, den Amory mir zuwirft, lässt das Geschwür in meinem Hals wieder anwachsen. Vermutlich ist es immer da, hat immer die gleiche Größe, aber wenn sie mich so ansieht, wird mir meine Sterblichkeit auf einmal bewusster.

  »Ich geh dann mal«, nuschle ich. »Noch mal sorry.« Ich erhebe mich vom Sofa und verlasse den Raum.

  In meinem Zimmer falle ich aufs Bett und denke an Amory mit den beiden Katzen. Daran, wie ich sie glücklich gemacht habe, indem ich Lovelace gerettet habe. Und dann denke ich, dass das die Bedingung für Liebe sein sollte. Dass man den anderen glücklich macht. Nicht nur ab und zu, sondern von morgens bis abends. 24/7. Durch die bloße Anwesenheit. Und schrecklicherweise ist Amory für mich diese Person. Auch wenn ich es nicht wahrhaben will. Auch wenn es mich beinahe vor mir selbst graust, wenn ich das zugebe. Auch wenn Gefühle für mich so ungefähr der größte Mindfuck sind, den ich mir vorstellen kann.

  13

  Amory

  »… bislang dachte ich ja, dass wir die Wahrscheinlichkeitsverteilung auf dem ganzen Raum kennen müssten, um zu zeigen, dass das System chaotisch ist«, sage ich aufgeregt. Richard und ich haben uns nach Feierabend in einem kleinen italienischen Restaurant in Uninähe getroffen, wo wir nun auf unsere Pasta warten.

  »Okay, okay«, sagt Richard behutsam und macht eine beschwichtigende Geste. »Geht das auch ein bisschen leiser? Vielleicht interessieren sich nicht alle Gäste dafür.«

  »Oh, sorry.« Leiser fahre ich fort: »Aber vorhin habe ich gedacht, dass ich ja auch eine hübsche Teilmenge nehmen könnte.« Ich klatsche in die Hände. Meine Begeisterung ist schwer in Schach zu halten. »Dann ignoriere ich alle Trajektorien des Systems, die den Rand dieser Teilmenge erreichen. Bin ich wieder zu laut?« Richard sieht etwas unzufrieden aus. »Ich bin einfach so aufgeregt!«

  »Es ist nur … die Leute schauen schon komisch.« Er nimmt meine Hand, die auf dem Tisch liegt.

  Ich sehe mich um. Eigentlich habe ich nicht das Gefühl, dass sich andere Gäste durch mich gestört fühlen. Als der Kellner kommt und unsere Pasta bringt, lächelt Richard ihn entschuldigend an.

  Also versuche ich wieder leise zu sprechen. »Durch richtige Rekonditionierung zeigen wir dann die chaotische Eigenschaft in dieser Teilmenge. Und bäm …« Ich schlage mit der Hand auf den Tisch. »Wenn wir den Rand dieser Teilmenge dann gegen unendlich schicken, können wir das Resultat auf dem ganzen Raum zeigen.« Vor meinem Pastateller vollführe ich einen, wie ich hoffe, unauffälligen Siegestanz. »Das ist der Durchbruch in meiner PhD-Arbeit, Richard, ich sag’s dir!«

  Doch statt sich zu freuen, sieht Richard merkwürdig gequält aus. »Das ist toll, Süße«, sagt er auffällig leise, sein Lächeln erreicht allerdings seine Augen nicht.

  Ich weiß, er meint es nicht so, aber ich finde, Süße trifft es nicht einmal im Ansatz. Mathematisches Mastermind. Wissenschaftsmonster. Irgendetwas in diese Richtung.

  Er tätschelt meine Hand. »Wirklich, ich finde das toll.«

  Kurz durchzuckt es mich. Ist er neidisch? Während ich mir eine Gabel Trüffelpasta in den Mund schiebe, studiere ich sein Gesicht. Doch er ist zu sehr damit beschäftigt, Spaghetti aufzudrehen.

  »Und wie läuft es bei dir?«, frage ich dann, denn eventuell habe ich einfach tatsächlich zu viel über meinen Erfolg geredet.

  »Na ja, ich habe keinen Lippman im Hintergrund.«

  Wie bitte? Ich habe ihm doch gerade detailliert erklärt, dass ich einen Durchbruch hatte. Dass es für die anderen leichter ist, meine Erfolge auf meine gute Betreuung zurückzuführen, ist eine Sache. Aber mein Freund?

  »Lippman weiß noch nichts davon. Ich erzähle es ihm erst morgen.«

  Doch Richard geht einfach darüber hinweg. »Thanh und Diego, hm? Glaubst du, er hat eine Chance bei ihr?«

  »Weiß nicht«, sage ich und zucke mit den Schultern. Ich bin zu sehr in Gedanken, um mit Richard über unsere Kollegen zu diskutieren. Mein Blick wandert durchs Fenster nach draußen. Das satte Grün der Blätter ist in den letzten Wochen einem Orangeton gewichen. Ende September beginnt der Herbst in New Orleans, und ich freue mich auf diese gemütliche Jahreszeit. Besonders freue ich mich darüber, dieses Jahr zu zweit unter gemütlichen Wolldecken kuscheln zu können. Aber ehrlich gesagt, habe ich heute keine Lust mehr auf Zweisamkeit. Ich weiß, dass Richard mich nicht absichtlich von oben herab behandelt. Trotzdem hätte ich mir etwas Begeisterung gewünscht.

  Nachdem wir gezahlt haben, fragt Richard, ob ich noch mit zu ihm kommen will. Und obwohl ich mich ein bisschen mies fühle, sage ich: »Heute kann ich leider nicht.«

  »Hast du noch was vor?«, fragt er, als wir aus dem Restaurant nach draußen treten. Die Luft duftet nach warmem Herbst.

  »Ja«, erwidere ich und überlege fieberhaft, was ich vorhaben könnte. Eigentlich würde ich am liebsten mit Richard meinen Erfolg feiern. Aber da das gerade eben schon so gründlich in die Hose gegangen ist, muss ich mich wohl selbst feiern. Das macht man ohnehin viel zu selten.

  »Na, dann viel Spaß«, sagt er, ehe ich noch eine lahme Ausrede erfinden kann, und küsst mich zum Abschied. Es ist ein schöner Kuss. Innig. Vertraut. Und meine Enttäuschung wird für einen Moment etwas gedämpft.

  Mittwochs spielen After Hours im Cat’s Cradle, und Musik und Trubel ist genau das, was ich heute noch brauche. Ich mache einen kleinen Umweg über meine Wohnung, um Hilbert und Lovelace zu füttern. Die beiden lieben sich schon nach wenigen Tagen heiß und innig, und natürlich hat der Tierarzt der Kleinen entgegen Richards Befürchtungen eine glänzende Gesundheit bescheinigt.

  Die Frenchmen Street ist laut. Sie ist bunt. Sie ist so voller Leben, voller Straßenkünstler, Marching Bands, alteingesessener Musik-Freaks und neugieriger Touristen. Sie duftet nach Farben, schmeckt nach Sound, klingt nach Licht. Hier wird Kultur zur Natur, denn jedem, der von hier stammt, wird der Jazz, der Funk, der Soul in die Wiege gelegt. Anfangs habe ich mich fremd gefühlt, überfordert beinahe von so vielen Eindrücken. Aber das hielt nur ungefähr fünf Minuten an. Dann ließ ich mich von Esmé in einen Club nach dem anderen ziehen, saugte alles auf und beschloss, sowohl Country-Girl als auch Funk-Feeling in mir zu vereinen. So wie ich mathematisches Wunderkind und zugleich Farmer-Mädchen sein konnte.

  Der einzigartige Sound von After Hours dringt durch die Fenster des Cat’s Cradle auf die Straße und vermischt sich mit dem Brass-Klang einer Straßenband. Ich zeige dem rauchenden Türsteher meine ID und schiebe mich durch die Tür nach drinnen. Gerade singt Link den Refrain von NOLA , my Love, und ich bahne mir tanzend den Weg durch die Menschenmenge zur Bar, wo ich mir einen Gin Tonic bestelle.

  Etwas abseits entdecke ich Franzi, die auf einem Barhocker sitzt und nur Augen für Link hat.

  »Hi«, sage ich und stelle mich neben sie. Sie hat einen Plastikbecher mit Bier in der Hand. »Prost.«

  »Prost. Worauf trinken wir?«, fragt sie.

  »Halt mich ruhig für eingebildet, aber ich trinke heute auf mich.«

  »Dann auf dich«, sagt sie. »Was ist der Anlass?«

  »Durchbruch in meiner Forschung.« Ich zucke mit den Schultern, und es stört mich, dass ich meinen Erfolg anscheinend inzwischen selbst abtue.

  »Wow! Und das habt ihr bei einem Abendessen gefeiert?«, fragt Franzi.

  Ich nehme einen Schluck von meinem Gin Tonic, während Link zum letzten Refrain des Songs ansetzt. Sal begleitet ihn eindrucksvoll geschmeidig auf seiner Trompete, während alle anderen sich kurzzeitig komplett raushalten. Es ist ein stimmungsvoller Moment, und ehe ich Franzi antworte, hören wir gebannt zu.

  »Na ja … ›gefeiert‹ trifft es nicht so ganz. Richard war, ehrlich gesagt, schräg«, sage ich, als der Song vorbei und der Applaus verebbt ist.

  »Inwiefern?«

  »Erst war ich ihm zu laut. Und, ja, ich weiß, ich bin laut …«

  »Ich finde dich nicht zu laut«, sagt Franzi. »Ich finde dich genau richtig.«

  »Danke! Ich finde mich, ehrlich gesagt, auch ziemlich richtig.« Ich klinge saurer, als ich geahnt habe. »Also, erst war ich zu laut und dann hat er impliziert, ich hätte meine genialen Ged
anken meinem Doktorvater zu verdanken.«

  »Oh-oh«, macht Franzi.

  »Und ich war so doof und habe ihn einfach reden lassen. Wollte nicht, dass er sich klein fühlt oder so. Dabei habe ich mich selbst kleingemacht.«

  »Du hast dich kleingemacht, damit sein Ego nicht gekränkt ist? Er weiß aber schon, mit wem er zusammen ist, oder?«

  Ich muss lachen. »Was soll das denn heißen?«

  »Wer mit dir zusammen ist, sollte sich darauf einstellen, in deinem Schatten zu stehen.«

  Für einen Augenblick weiß ich nicht, was ich darauf sagen soll. Dann: »Denkst du wirklich, so bin ich?« Auf einmal fühle ich mich schlecht.

  »Ja, aber das ist etwas Gutes«, sagt Franzi schnell. »Wir lassen uns viel zu oft in die zweite Reihe drängen. Weißt du, was du zu mir sagen würdest, wenn ich an deiner Stelle wäre?«

  »Ich ahne es«, sage ich und grinse. »Ich würde dir sagen, dass du dich nicht verstecken, sondern ganz im Gegenteil der Welt zeigen solltest, wie großartig du bist.« Dann schiebe ich hinterher: »Das gilt übrigens auch, wenn du an deiner eigenen Stelle bist. Denn du solltest der Welt auf jeden Fall zeigen, wie großartig du bist.«

  »Der nächste Song«, sagt Link mit heiserer Stimme ins Mikrofon, »ist für meine Freundin.«

  Die ersten Takte von Frenzy erklingen, dem Song, den er extra für Franzi geschrieben hat. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sie grinst und ihren hochroten Kopf hinter ihren Händen versteckt.

  »Hey«, sage ich und stoße sie in die Seite. »Nicht verstecken. Das ist genau das Gegenteil von der Welt zeigen, wie großartig du bist. «

  Ihr Grinsen wird noch breiter, und gemeinsam stimmen wir im Refrain mit ein.

  »My head’s in a frenzy.

  My mind’s in a frenzy.

  My heart’s in a frenzy.

  A frenzy of love«, schmettern wir.

  Wir sind so laut, dass sich einige Köpfe zu uns umwenden. Aber hier im Cat’s Cradle in der Frenchmen Street ist es egal, wie laut wir sind. Hier dürfen wir sein, wie wir wollen. Niemand stört sich daran. Niemand ermahnt uns, leiser zu sein. Niemand sagt: »Vielleicht interessieren sich nicht alle Gäste dafür, wie schief ihr singt.«

 

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