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Love is Wild – Uns gehört die Welt (Love-is-Reihe 3): Roman (German Edition)

Page 12

by Engel, Kathinka


  »Ich rede mit meinem Bruder«, sage ich und deute auf meinen Bildschirm. Ich hatte keine Ahnung, dass Richard noch nicht zu Hause ist. Wir waren nicht verabredet. Jetzt erfüllt sein betörender Duft das kleine Kellerbüro.

  »Ist das dein Freund?«, fragt Nicky und zieht die Vokale übertrieben in die Länge.

  Ich drehe mich um und erkenne an Richards gequältem Gesichtsausdruck, dass ihm die Situation etwas unangenehm ist.

  »Das ist Richard, ja«, sage ich, denn es gibt keinen Grund, meinem Bruder diese Information vorzuenthalten, wo es sich nun mal ergeben hat.

  »Hi, Richard!« Nicky winkt in die Kamera. »Willst du auch sehen, was ich … habe?«

  Richard wiegt seinen Kopf unentschlossen hin und her.

  »Na komm, setz dich dazu«, sage ich. »Wir sind gerade dabei, zu eruieren, ob ich Nicky verpetzen werde oder nicht.«

  »Verpetzen?« Richard blickt mich unsicher an.

  »Ich glaube, es ist eine Grauzone«, wiederholt Nicky seine Annahme von gerade eben.

  Etwas widerwillig zieht Richard einen Stuhl neben mich. »Wie lange geht das noch?«, fragt er leise.

  »Hey, Richard, magst du Tiere?« Nicky hat offenbar beschlossen, dass er meinen Freund gleich einer gründlichen Inspektion unterzieht.

  »Ähm, ich schätze schon«, erwidert Richard.

  »Weiß man das nicht sicher?«

  »Richard mag Hunde«, sage ich, um ihm zu Hilfe zu eilen.

  »Wir haben einen Hund. Er ist uralt und stinkt wie die Hölle.« Nicky hält sich die Nase zu, um zu demonstrieren, was er meint. »Er heißt Beowulf.«

  »Ihr habt ein Faible für ausgefallene Tiernamen, oder?«, fragt Richard. »Amory nennt ihre Katzen nach Mathematikern, euer Hund heißt nach –«

  Nicky lässt ihn nicht ausreden. »Beowulf ist ein Heldengedicht aus dem Mittelalter. Übersetzt heißt es ›Bienen-Wolf‹. Cool, oder?«

  Richard lächelt bemüht. »Können wir dann los?«, murmelt er leise, sodass Nicky es nicht hören kann. Ich drücke seine Hand, um ihm zu signalisieren, dass sein Wunsch bei mir angekommen ist.

  »Also, was wolltest du mir denn nun zeigen?«, frage ich, obwohl ich die Unterhaltung mit Nicky eigentlich gar nicht beschleunigen will. Aber wenn Richard sich unwohl fühlt …

  »Ja«, sagt Nicky. »Was wollte ich dir noch mal … ach ja!« Seine Augen leuchten auf. »Versprichst du, nicht zu petzen?«

  »Ich verspreche es«, sage ich, überkreuze aber meine Finger. Denn wer weiß, was der Wahnsinnige diesmal angestellt hat.

  »Es ist das Coolste«, sagt Nicky. »Wirklich wahr. Du wirst es liiiieben!« Nicky verschwindet kurz aus dem Bild. Man hört ihn in einer Ecke seines Zimmers rumoren und vor allem kichern. »Tadaaaaa«, ruft er im nächsten Moment und hält etwas in die Kamera. Allerdings so nah, dass man abgesehen von einem hellbraunen verschwommenen Etwas nichts erkennen kann.

  »Was ist es?«, frage ich, und als er seine Hände etwas weiter von der Kamera entfernt, sehe ich, dass es sich um einen Frosch handelt. »O Gott, Nicky, hast du …«

  »Ich habe Frösche gefangen! Ist er nicht schön?«

  »Wunderschön, Nicky, aber …«

  »Ich habe vier mitgenommen.«

  »Irks.« Richard ist anscheinend alles andere als begeistert.

  »Sie sind ganz kühl und ein bisschen glitschig«, sagt Nicky und streicht mit dem Finger über die glänzende Haut. »Es sind Cajun-Chorus-Frösche.« Er hält den Frosch höher, sodass wir noch mal einen intensiven Blick auf ihn erhaschen. »Rosie hat sogar einen geküsst.«

  »Rosie ist die Tochter unserer Nachbarn«, erkläre ich.

  »Sie hat mir geglaubt, dass Frösche verwunschene Prinzen sind.« Nicky lacht, und wenn ich es richtig erkennen kann, setzt er den Frosch auf seinen Schreibtisch.

  »Ich glaube nicht, dass das Landleben etwas für mich ist«, sagt Richard und versucht sich an einem Lächeln, aber es misslingt ihm gründlich.

  »Und was hast du mit den Fröschen jetzt vor?«, frage ich.

  »Es sind jetzt meine Haustiere.«

  »Wo leben sie?«

  »Bei mir.«

  »Ja, aber wo da? Hast du ein Terrarium?«

  »Nee, noch nicht. Bislang leben sie in der Dusche.«

  »In unserer Dusche?«, frage ich, denn Nicky und ich teilen uns das Bad zwischen unseren Zimmern.

  »Du bist nie da.«

  »Glaubst du, die Frösche sind glücklich?«

  »Sie hocken eh nur rum.«

  »Hocken sie am Weiher auch nur rum?«

  »Hm.« Er überlegt.

  »Ich könnte mir vorstellen, dass sie draußen glücklicher sind, was meinst du?«

  Nicky kratzt sich am Kinn.

  »O Gott, erst hat er den Frosch angefasst und jetzt sein Gesicht!« Richard rollt mit seinem Stuhl ein paar Meter von mir weg. Nicky lacht. Offenbar findet er es herrlich komisch, meinen Freund zu verschrecken.

  »Oh, er fängt an zu laufen«, sagt er dann und folgt mit den Augen dem Frosch auf seinem Schreibtisch, der sich leider meinem Sichtfeld entzieht.

  »Lass ihn bloß nicht abhauen. Und bring die Frösche morgen zurück in ihr Zuhause, ja?«

  Er sieht wieder in die Kamera, zieht einen Flunsch. »War ja klar, dass du das sagst. Ich hätte sie dir nie zeigen dürfen.«

  »Ich find’s toll, dass du dich so für die Frösche interessierst, aber es hat einen Grund, warum man sie eigentlich nicht zu Hause hält, weißt du? Sie sind traurig, wenn sie nicht bei ihren Freunden im Schlamm sein können.«

  »Schlamm haben sie genug«, sagt Nicky.

  »Was soll das denn heißen?«, frage ich.

  »Den Schlamm hab ich mitgenommen.«

  »Der ist also auch in unserer Dusche?«

  »Na klar, ich bin doch kein Tierquäler.«

  »Nein, das bist du nicht. Aber du weißt sehr wohl, dass Schlamm und Frösche in der Dusche keine Grauzone sind.«

  »Eher eine Braunzone«, sagt Nicky. »Zumindest das Badezimmer. Du verpetzt mich, oder?«

  »Wenn du mir versprichst, dass du die Frösche morgen wieder freilässt, erfährt niemand etwas.«

  Er denkt wieder nach. Dann: »O nein!«

  »Was? Was ist?«, frage ich.

  »Ich will es nicht wissen«, sagt Richard neben mir.

  »Er ist weg!«

  »Nicky!«

  »Ich weiß! Aber gerade war er noch hier, kann also nicht weit gekommen sein. Ich muss Schluss machen, ihn suchen!«

  »Ja, mach das mal besser. Und morgen sind sie wieder frei?«

  »Ja, okay. Ist eh eine ganz schöne Sauerei.«

  Dann hat er aufgelegt.

  »Das war uncool, Amory«, sagt Richard.

  »Wegen der Frösche? Er wohnt auf einem Bauernhof, da ist so was, ehrlich gesagt, normal.« Ich rolle auf meinem Stuhl zu ihm. »Ich bin auch so aufgewachsen.«

  »Nein, nicht wegen der Frösche, auch wenn das echt saueklig ist.«

  So eklig finde ich es gar nicht. Nicky ist eben ein neugieriger Junge, der den Großteil seiner freien Zeit in der Natur verbringt, doch für einen Stadtmenschen wie Richard ist das vermutlich nicht nachvollziehbar.

  »Dass du mich einfach so in diese Situation gebracht hast.«

  »In welche Situation?«, frage ich, denn ich habe keine Ahnung, worum es geht.

  »Die Sache mit uns ist wirklich schön. Und sie bewegt sich in die richtige Richtung. Aber es ist noch zu früh, unsere Familien kennenzulernen.«

  »Ich hatte das nicht geplant«, sage ich etwas verwirrt.

  »Das hier ist unser Büro«, erwidert Richard. »Nicht unbedingt der normalste Ort, um private Skype-Gespräche zu führen.«

  »Ich dachte, alle wären schon nach Hause gegangen. Ich war ganz allein.«

  »Wir sind nicht nur ein Paar, Amory. Wir sind auch Kollegen. Das ist eine spezielle Situation.«

  »Okay, sorry, wenn ich keine Rücksicht genommen habe. Ich hatte echt keine Ahnung, dass das eine so große Sache ist.« Vielleicht hat er tatsächlich recht. Vielleicht war es übergriffig von mir.

  »Wie neulich, als wir zu Abend gegessen haben und d
u nur über die Arbeit gesprochen hast.«

  »Weil ich dir von meinem Erfolgserlebnis erzählt habe?«

  »Es geht wirklich nicht um deinen Erfolg.« Er schenkt mir ein Lächeln, aber es sieht ein bisschen gönnerhaft aus.

  »Ich wusste nicht, dass es dich so stört, wenn ich in unserer Freizeit über Mathematik rede.«

  »Das stört mich nicht«, sagt er. »Was mich stört, ist der Wettbewerb zwischen uns, den du damit ausgerufen hast.«

  »Den ich … was?«

  »Aber es ist ja jetzt wieder gut. Du hast es ja verstanden. Schwamm drüber.«

  Ich habe, ehrlich gesagt, gar nichts verstanden. Wenn hier jemand Konkurrenzgedanken in unsere Beziehung trägt, ist es Richard. Ich vergleiche mich nicht. Mit niemandem. Ich mache einfach nur mein Ding und möchte es mit der Person, die mir am nächsten ist, teilen.

  »Also dann, lass uns gehen«, sagt er. »Einen schönen Abend haben.«

  »Ich … ich wollte eigentlich noch arbeiten. Ich wusste nicht, dass wir heute Abend verabredet waren.«

  »Das waren wir auch nicht. Aber ich dachte, ich überrasche dich. Ich hatte angenommen, du würdest dich freuen.«

  »Das tue ich ja auch«, sage ich ein bisschen säuerlich. »Aber heute geht’s nicht.«

  »Entschuldige, dass ich mir Mühe gebe«, sagt er. »War eine dumme Idee.« Mit diesen Worten schnappt er sich seine Sporttasche und verlässt den Raum.

  Einen Moment lang sitze ich perplex auf meinem Schreibtischstuhl und starre die Tür an. Offenbar haben Richard und ich unterschwellige Probleme, von denen ich bislang nichts wusste. Offenbar ist er sensibler, als mir bewusst war. Offenbar muss ich ein bisschen aufpassen, wenn ich will, dass das mit uns beiden funktioniert.

  18

  Curtis

  Diesmal nehmen wir wie selbstverständlich den Künstlereingang. Eine junge Mitarbeiterin des Palace of Sound, die sich als Kiki vorstellt, empfängt uns. Sie führt uns durch einen dunklen, kühlen Gang, der mit Plakaten aus Jahrzehnten legendärer Gigs tapeziert ist, vorbei an Al Avrils Büro, Technikräumen und Garderoben.

  »Die sind den Main Acts vorbehalten«, sagt Kiki und zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Ich bringe euch gleich in den Backstage-Bereich.«

  Uns ist es völlig egal, wo wir die Zeit bis zu unserem Auftritt verbringen. Wir müssen uns nicht umziehen oder frisch machen. Obwohl es noch ein paar Stunden dauert, bis wir auf der Bühne stehen, ist die flirrende Spannung spürbar.

  »Mit Ruff und seiner Band ist der Soundcheck gerade in vollem Gange. Sobald sie fertig sind, kommt ihr dran«, sagt Kiki, als wir den Raum hinter der Bühne betreten. Er sieht genau so aus, wie ich es mir vorgestellt habe. Alte Sofas, vollgekritzelte Wände und weitere Plakate.

  »Wenn ihr was trinken wollt, bedient euch.« Kiki zeigt auf einen summenden Kühlschrank. »Für Extrawünsche könnt ihr euch an mich wenden. Aber ich merke mir die richtig nervigen Leute. Und die kommen meistens nie wieder.« Sie grinst. »Ich bin Als Tochter«, schiebt sie als Erklärung hinterher. Dann lässt sie uns allein.

  »Al hat eine Tochter?«, sage ich überrascht. »Ich kann ihn mir nicht so richtig als umsorgenden Vater vorstellen.«

  »Hugo hat mir die Geschichte erzählt.« Hugo ist ein alter Freund von Al und hat ein gutes Wort für uns bei ihm eingelegt. Jasper spricht mit gesenkter Stimme, als hätte er Angst, Kiki könne ihn hören. »Er rühmt sich damit, Al zweimal mit dessen Traumfrau zusammengebracht zu haben. Das erste Mal scheiterte die Ehe, weil Al eine Affäre mit einer Soulsängerin hatte. Sie wurde schwanger, wollte aber nichts von Al außer ein bisschen Geld. Als Kiki dann sechzehn wurde, hat sie Al aufgesucht, um alles über ihn und den Club zu erfahren. Die Leidenschaft für die Musik wurde ihr schließlich in die Wiege gelegt.«

  Ich nehme ein paar Wasserflaschen aus dem Kühlschrank und werfe sie meinen Bandkollegen zu. Auf einem gemuteten Monitor an der Wand sieht man Ruff Kenzo und seine Band beim Soundcheck. Gleichzeitig klebt ein Bühnenarbeiter Mikrofonkabel auf dem Boden fest. Unfassbar, dass wir gleich auf dieser Bühne stehen werden.

  Gerade als wir noch mal unsere Setlist durchgehen wollen, wird die Tür mit der Aufschrift »Bühneneingang« geöffnet und Ruff Kenzo tritt hindurch. Seine Band folgt ihm auf dem Fuß. Er nickt uns zu und lässt sich auf eins der Sofas fallen. »Ihr seid also Mikeys Lieblinge«, sagt er und mustert uns, einen nach dem anderen, während die Mitglieder seiner Band uns mit Handschlag begrüßen und sich am Kühlschrank bedienen.

  »Es ist mir eine große Ehre, Mr Kenzo.« Sal geht auf ihn zu und reicht ihm die Hand. »Ich bin ein großer Fan. Salomon Wallace ist mein Name.«

  »Salomon Wallace.« Ruff Kenzo streckt seine Arme links und rechts auf der Sofalehne aus. »Ich hoffe, du hast es drauf.«

  Link und ich werfen uns halb amüsierte Blicke zu.

  »Auf geht’s, Leute, Bühnenluft schnuppern, bevor der Palace seine Türen öffnet.« Kiki ist in den Backstage-Bereich gekommen und klatscht in die Hände.

  Wir folgen ihr durch die schwere Eisentür. Dahinter liegt ein weiterer Gang, von dem zwei Türen abgehen. »Zur Bühne« und »Zum Club« steht darauf, und ich merke, wie mein Körper beginnt, vor Vorfreude zu vibrieren.

  Kiki zieht die Tür zur Bühne auf, und wir springen mehr, als dass wir gehen, die schwarzen Holzstufen hinauf. Und dann sind wir da. Auf der Bühne des Palace of Sound. Die Tanzfläche liegt verlassen vor uns, es ist so still, dass ich jedes Geräusch mit zehnfacher Intensität wahrnehme. Jeden Schritt, jedes Räuspern, das Klirren von der Bar.

  Ich bin wie hypnotisiert von dem Gefühl, hier zu sein, und steuere das Schlagzeug an, auf dem später auch Ruff Kenzos Schlagzeuger spielen wird. Aus meiner hinteren Hosentasche ziehe ich meine Sticks. Die Höheneinstellungen stimmen, und ich tippe ein paarmal auf die Becken, um mich vertraut zu machen. Ich rücke sie etwas weiter auseinander, so wie ich es gewohnt bin, tippe sie noch mal an und lasse dann meine Sticks einmal über das Schlagzeug wirbeln. Es passt. Es fühlt sich richtig an.

  Bonnies Kontrabass und Links Gitarre werden verkabelt und an Verstärker angeschlossen. Sal positioniert sich vor einem der Mikros. Jasper klimpert ein paar Tonfolgen vor sich hin.

  »Okay, Leute«, erklingt eine Stimme aus dem hinteren Bereich des Clubs. »Ich bin Lazare, euer Tontechniker. Einer nach dem anderen, bitte. Schlagzeug?«

  Ich nicke und beginne einen smoothen Rhythmus zu spielen. Zunächst konzentriere ich mich auf die Drums, dann erweitere ich die Range.

  »Perfekt«, ruft Lazare und reckt von ferne einen Daumen in die Höhe. »Kontrabass?«

  Bonnie spielt eine Line, wiederholt sie, variiert sie. Das hier ist weit entfernt von einem Soundcheck im Cat’s Cradle, wo wir selten genug Zeit haben. Lazare lässt sich Zeit.

  Nach ihr sind Jasper und Link an der Reihe. Als Nächstes wird Sals Trompete abgemischt, und bei seinem tiefen, sehnsüchtigen Klang hoffe ich, dass Ruff Kenzo nachher gut zuhört. Schließlich sind die Gesangsmikros an der Reihe. Dann noch einmal die Rhythmus-Gruppe und schlussendlich die gesamte Band.

  Wir spielen NOLA , my Love, spielen gemeinsam. Spielen die erste Strophe einmal, zweimal. Spielen den Refrain. Dreimal, viermal. Spielen die Strophe mit Refrain. Wir folgen Lazares Anweisungen, und eine gefühlte Ewigkeit später reckt er endlich seinen Daumen ein letztes Mal in die Höhe.

  »Super, Leute, wir haben es.«

  »Die Instrumente könnt ihr hierlassen. Bevor wir euch auf die Bühne schicken, stimmt Lazare für euch noch mal nach«, informiert uns Kiki.

  Das Grinsen auf Links Gesicht spiegelt unser aller Gemütsverfassung. Dieses Ausmaß an Professionalität und Akribie sind wir nicht gewöhnt.

  Die Zeit verrinnt quälend langsam, und trotzdem ist es mit einem Schlag Abend. Wir haben uns ein wenig mit Ruffs Band unterhalten – allesamt nette Jungs aus New Orleans –, während er sich in seine Garderobe zurückgezogen hatte. Als unsere Nerven beinahe zum Zerreißen gespannt sind, kehrt Ruff zurück. Er nippt an einem pinken Smoothie. Das sind mit Sicherheit die Extrawünsche, von denen Kiki gesprochen hat, doch Ruff kann es sich erlauben.

  »Ein Vögelchen hat mir gez
witschert, dass heute Abend jemand von Mahogany Music hier sein wird«, sagt er in einem gelangweilten Ton, der ausdrücken soll, dass er über alles Bescheid weiß, obwohl es ihm vollkommen gleichgültig ist.

  »Maho…« Link hat es die Sprache verschlagen.

  »Woher weißt du das?«, fragt Bonnie.

  »Al war gerade da.« Er zuckt mit den Schultern und setzt sich so breitbeinig hin, dass er eine gesamte Couch für sich braucht.

  Ich spüre, wie Bonnies Fingernägel in meinen Arm einschneiden, aber es ist mir egal. Eines der besten lokalen Plattenlabels wird uns heute Abend zuhören! Mein Herz rast, und meine Hände beginnen zu schwitzen.

  »Ich brauch noch ’ne Zigarette«, murmle ich mit einem ungläubigen Lächeln auf den Lippen.

  »Ist eine große Sache für euch, oder?«, fragt mich Ruffs Bassist, der mit nach draußen gekommen ist.

  Ich stecke mir eine Zigarette an und nicke, als ich den Rauch geräuschvoll ausatme. »Das Ganze hier, ehrlich gesagt«, gebe ich zu.

  Als wir zum zweiten Mal an diesem Abend die Stufen auf die Bühne hochspringen, ist alles anders. Die Menge kreischt und pfeift. Sie klatscht und wogt. Es ist wie eine homogene Masse, in der einzelne Gesichter nicht mehr existieren. Ein Meer aus fröhlichen, feiernden Menschen, die nur darauf gewartet haben, dass wir auf die Bühne kommen. Und nun, da es so weit ist, hält sie nichts mehr.

  Link tritt ans Mikrofon. »Guten Abend, Palace of Sound! «, ruft er. »Guten Abend, ihr schönen Menschen.«

  Als Antwort erhält er ein noch lauteres Kreischen, und ich kriege eine Gänsehaut.

  »Ich weiß, ihr seid wegen Ruff Kenzo hier, aber erst mal müsst ihr mit uns vorliebnehmen.« Ich höre das Grinsen in seinem Gesicht, weiß, dass er flirtet – mit jedem Einzelnen im Publikum. Und die Menschen lieben es. »Wir sind allerdings auch nicht ganz schlecht«, sagt er, dreht sich um und nickt mir zu.

  Die nächsten Momente laufen ab wie in Zeitlupe. Ich sehe die Gesichter meiner Bandkollegen – Bonnies strahlendes Lächeln, Jaspers ernsten, aber funkelnden Blick. Links schiefes Grinsen, als er einmal tief einatmet. Sals geschmeidige Bewegungen. Die Lichter sind auf uns gerichtet, der Club liegt in Dunkelheit. Die Stimmung ist spürbar geladen. Aufgeladen. Und ich begreife, dass dies hier tatsächlich besser ist als jede Droge. Der Lärm im Publikum verstummt in gespannter Erwartung. Ich hebe meine Sticks und beginne zu zählen. Und dann spielen wir.

 

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