Feel Again

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Feel Again Page 10

by Mona Kasten


  Isaac hielt mich, und irgendwann merkte ich, wie mir warm wurde und sich mein Körper langsam entspannte. Der Schmerz war noch da, aber plötzlich war er erträglich und drohte mich nicht mehr von innen heraus zu zerdrücken.

  Schließlich löste sich Isaac von mir. Er legte seine Hände auf meine Schultern und schob mich ein Stück weit von sich weg.

  »Jetzt ist das Bitching Resting Face auf magische Weise verschwunden.«

  »Es heißt Resting Bitch Face.«

  »Mir egal, wie es heißt. Du siehst besser aus.«

  »Deine Komplimente sind herzerwärmend. Nerd«, fügte ich hinzu, um zwischen uns wieder so etwas wie Normalität zu bringen.

  Er schmunzelte. »Deshalb gibst du mir ja auch Nachhilfe. Ich dagegen kann aufgrund meiner langjährigen Erfahrung als großer Bruder wahnsinnig gut umarmen.«

  »Hör auf, so selbstgefällig zu gucken, und komm mit nach vorne, damit ich dir zeigen kann, wie man kellnert.«

  Isaac lachte, ging aber ohne ein weiteres Wort durch die Tür in die Küche.

  Ich blieb einen Moment lang stehen und sah ihm nach.

  Erst als sich mein Herzschlag wieder einigermaßen normalisiert hatte, atmete ich tief durch und folgte ihm.

  Drei Stunden später beobachteten Al und ich von meinem Platz hinter der Theke aus fassungslos, wie Isaac fünf Teller auf einmal balancierend aus der Küche eilte und sie mit einem strahlenden Lächeln vor die Gäste an Tisch zwölf abstellte. Jeden Teller vor die richtige Person natürlich. Auf dem Weg zurück räumte er Tisch sieben ab und schaffte es, die Teller und Gläser so zu türmen, dass er alles in einem Rutsch mitnehmen konnte. Er verschwand durch die Klapptüren in die Küche, nur um im nächsten Moment wieder herauszukommen, um das Tablett mit Getränken, das ich vorbereitet hatte, an Tisch neun zu bringen.

  Mit hochgezogenen Augenbrauen drehte ich mich zu Al.

  Er starrte Isaac hinterher. Ich hatte ihn noch nie sprachlos erlebt.

  Nach einer Weile sah er mich an. Dann umfasste er meinen Kopf mit seinen riesigen Pranken und drückte mir einen festen feuchten Kuss auf den Scheitel.

  »Ugh!«, rief ich und boxte ihn in den Magen.

  »Du hast einen gut bei mir, Dixon. Der Junge ist ein Geschenk«, sagte er. Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich. »Im Ernst, merk dir das. Ich mache sofort den Vertrag fertig.«

  »Klar«, murrte ich.

  Ich war zweimal zum Probearbeiten hier gewesen, bevor Al mir die Zusage gegeben hatte. Obwohl ich es nicht wollte, war ich ein bisschen neidisch auf Isaac.

  Gab es eigentlich irgendetwas, was dieser Kerl nicht konnte?

  Wäre er nicht mein Abschlussprojekt und inzwischen so etwas wie ein Freund gewesen, hätte ich ihn aus tiefstem Herzen verabscheut.

  Aber irgendwie war es auch faszinierend zu sehen, wie Isaac von einer Sekunde auf die andere in seinen Arbeitsmodus wechseln konnte, total konzentriert war und sich von nichts ablenken ließ. Dann strotzte er vor Energie und Tatendrang, während er sonst immer zurückhaltend und verunsichert war bei allem, was er tat.

  Wie machte er das, dass er auf einmal so offen und freundlich mit den Kunden reden konnte, ohne auch nur ein einziges Mal rot zu werden? Es war beinahe, als hätte er einen Schalter, den er für die Arbeit umlegen konnte.

  Nachdem die letzten Gäste das Steakhouse verlassen hatten, machte ich mich an den Kassenabschluss, während Isaac die letzten Tische abräumte und sauber wischte. Als er fertig war, kam er mit dem Geschirrtuch in der Hand zu mir an den Tresen. Er wickelte es sich erst um die eine und dann um die andere Hand, dann sah er mich erwartungsvoll an. »Und? Wie hab ich mich gemacht?«

  »Al macht gerade deinen Vertrag fertig, Streber.«

  Er wurde aschfahl. »Wirklich?«

  Ich nickte.

  Isaac sah mich ein paar Sekunden lang mit offenem Mund an. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem gesamten Gesicht aus. »Du hast mir den Arsch gerettet, Sawyer. Danke.«

  »Kein Ding«, sagte ich. »Komm mit, dann kann ich dir noch zeigen, wo der Vorratskeller und der Lastenaufzug sind.«

  Er folgte mir nach unten, und ich erklärte ihm knapp, wie er von hier Flaschen und andere Vorräte nach oben befördern konnte.

  »Wir können eigentlich gleich die Getränke für morgen nachfüllen, wenn wir schon mal hier unten sind«, schlug ich vor.

  Isaac nickte und begann, mir Flaschen aus den Getränkekisten zu reichen. Ich stellte sie in den Aufzug und notierte auf einer Liste, wenn eine Kiste leer war. Eine Weile arbeiteten wir schweigend nebeneinander. Immer mal wieder warf ich Isaac von der Seite einen Blick zu, betrachtete sein konzentriertes Gesicht, registrierte, wie effizient und gewissenhaft er selbst an eine so einfache Aufgabe wie diese heranging. Es war klar, wie sehr er diesen Job wollte. Er wollte ihn offensichtlich so sehr, dass er es schaffte, all das, was ihn sonst zurückhielt, einfach abzuschütteln.

  Er reichte mir eine Flasche aus der Kiste, und ich war so in Gedanken, dass ich danebengriff und aus Versehen seine Hand streifte.

  Er lächelte mich an, als ich ein »Sorry« murmelte, und ich stellte fasziniert fest, dass er weder zusammengezuckt noch rot geworden war. Stattdessen hielt er mir die Flasche einfach ein zweites Mal hin, und dann eine weitere.

  »Warum brauchst du so dringend einen Job?«, fragte ich ihn. »Ich meine, ich verstehe, warum du Geld verdienen willst. Aber es scheint hier ja fast um Leben und Tod zu gehen.«

  Isaac hantierte mit einer der Getränkekisten. Mit dem Rücken zu mir sagte er: »Meine Eltern haben zwar eine Farm, und es läuft auch ganz gut, aber …« Er hielt kurz inne.

  »Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst«, sagte ich, hoffte aber, dass er es dennoch tun würde. Je mehr er erzählte, desto weniger Gelegenheit hatte ich, über meine eigenen Probleme nachzudenken.

  »Nein, Quatsch, es ist kein Geheimnis«, meinte er und hievte eine Kiste von einer anderen. Er räusperte sich und nahm einen tiefen Atemzug. »Kurz bevor ich meinen Schulabschluss gemacht habe, ist mein Dad schwer krank geworden und musste dann auch operiert werden. Zu der Zeit war es nicht besonders gut um uns bestellt, die Mais- und Sojaernte ist in dem Jahr super schlecht ausgefallen. Meine Eltern hatten gerade ihr ganzes Erspartes für neue Erntemaschinen ausgegeben, außerdem waren zwei Scheunen baufällig und mussten renoviert werden. Ich musste eine Menge Aufgaben übernehmen, obwohl ich eigentlich …« Er hielt inne.

  »Was wolltest du eigentlich?«, hakte ich nach.

  Er sah mich an. »Ich hatte nie vor, auf der Farm zu bleiben, sondern wollte immer studieren.«

  »Aber durch die Sache mit deinem Dad bist du dortgeblieben.«

  Sein Blick wurde dunkel. »Bin ich.«

  »Für wie lange?«

  »Mehr als ein Jahr.«

  »Das ist echt lang.«

  »Das war gar nicht das Problem … zumindest nicht so richtig. Für mich stand immer fest, dass ich irgendwann weggehen würde, um etwas anderes auszuprobieren. Ich wollte unbedingt gucken, ob es noch andere Dinge gibt, die mir liegen, und so viele Fächer wie möglich studieren. Aber anscheinend habe ich meine Sache gut gemacht. Meine Eltern waren stolz darauf, wie ich alle Aufgaben bewältigt habe. Sie dachten, ich hätte meine Meinung geändert.«

  Ich stellte eine weitere Flasche in den Aufzug. »Hattest du aber nicht.«

  Er ließ sich mit seiner Antwort Zeit. »Nein.«

  Es war offensichtlich, dass es ihm schwerfiel, darüber zu reden. Ich hakte nicht nach, weil ich es selbst hasste, wenn Leute nicht aufhörten, mir Fragen zu Sachen zu stellen, die sie nichts angingen.

  »Als ich es meinem Dad gesagt habe«, fing er nach einer Weile wieder an, »ist er total durchgedreht. Er war sich sicher, dass ich den Hof übernehmen würde, dabei habe ich das nie gesagt. Dann hat er mich quasi rausgeschmissen.« Isaac schluckte. »Seitdem habe ich kaum ein Wort mit ihm gewechselt.«

  »Aber du hast mir mal erzählt, du würdest jedes Wochenende nach Hause fahren, um dort zu helfen.«<
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  Er zuckte mit den Schultern. »Tue ich auch. Ich fahre wegen meiner Geschwister hin, damit ich Zeit mit ihnen verbringen kann. Und wegen meiner Großeltern, die im selben Haus leben wie wir. Nebenher mache ich eben, was so anfällt. Aber mit meinen Eltern spreche ich kaum. Sie sind ziemlich enttäuscht von mir.«

  Isaac hatte die Zähne fest zusammengebissen. Als er mir die letzte Flasche hinhielt, wich er meinem Blick aus.

  »Das ist echt scheiße, Isaac«, sagte ich.

  Er lächelte traurig. »Finde ich auch. Aber es ist, wie es ist. Ich werde meine Meinung nicht ändern, auch wenn ich den Hof liebe. Deshalb versuche ich, meinen Eltern nicht auf der Tasche zu liegen. Sie wollten nie, dass ich studieren gehe, aber …« Er hob hilflos die Schultern. »Ich musste einfach mal raus und sehen, was die Welt sonst noch zu bieten hat. Gucken, was ich überhaupt machen will. Es gibt so viel zu lernen, so viel zu entdecken, wovon ich bisher nur einen Bruchteil gesehen habe. Ich wollte einfach … mehr.«

  Das konnte ich gut verstehen. Ich hatte damals dasselbe gefühlt, auch wenn ich aus anderen Gründen aus Renton geflohen war.

  »Also verdienst du das Geld, das du von deinen Eltern nicht annehmen willst«, murmelte ich.

  Er nickte. »Es ist auch nicht so leicht, wenn man vier Geschwister hat. Meine große Schwester Eliza studiert an einer Eliteuni, was unfassbar teuer ist. Und dann sind da noch Ariel, Levi und Ivy. Geld ist bei uns immer knapp bemessen.«

  »Wie alt sind deine Geschwister?«, fragte ich.

  »Eliza ist ein Jahr älter als ich, also zweiundzwanzig. Ariel ist acht, Levi sechs, und Ivy ist im März zwei Jahre alt geworden.«

  »Oh, wow. Dann liegt zwischen euch aber ein ganz schöner Altersunterschied.«

  Isaac lächelte schief. »Mom und Dad wollten schon immer eine große Familie, aber nach mir hatte meine Mom eine Fehlgeburt. Das war … nicht so leicht für sie. Es hat gedauert, bis sie sich wieder getraut haben. Und dann waren wir plötzlich zu siebt.«

  Ich versuchte im Kopf auszurechnen, wie alt Isaacs Eltern wohl waren, wenn sie nach so vielen Jahren noch mal probiert hatten, Kinder zu bekommen.

  »Meine Mom war bei meiner Geburt zwanzig«, erklärte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Sie und mein Dad haben früh geheiratet.«

  »Was halten deine Eltern denn davon, dass du so viel arbeitest?«

  Aus irgendeinem Grund konnte ich nicht damit aufhören, Isaac mit Fragen zu bombardieren. Normalerweise empfand ich es als lästig, wenn jemand so viel über sich erzählte, aber bei ihm war es anders. Es interessierte mich, was er sagte. Ich wollte mehr wissen.

  »Sie finden es überhaupt nicht gut, dass ich finanziell auf eigenen Beinen stehe. Ich glaube, sie sind sauer, weil sie mich mit nichts erpressen können. Aber mein Grandpa meint, Dad wäre einfach zu stolz und würde nie zugeben, wie sehr es ihn verletzt, dass ich mich so von ihnen entfernt habe. Dabei hatte ich es ursprünglich nur gut gemeint. Vor ein paar Jahren, als ich noch auf der Highschool war, hätten wir den Hof beinahe verkaufen müssen, weil es so schlecht um uns stand.«

  Ich fluchte leise, aber Isaac lächelte. »Zum Glück kam es nicht so weit. Wir mussten allerdings sparen, überall, wo es nur ging. Unser Geld hat nicht für neue Kleidung gereicht, sodass Eliza und ich unsere Sachen teilen mussten. Du kannst dir sicher vorstellen, wie beliebt ein Junge an der Highschool ist, der dieselben Klamotten wie seine Schwester trägt.«

  »Du hast schon mal gesagt, dass deine Schulzeit … nicht gut war.«

  Er schnaubte. »Es war die Hölle. Meine Mitschüler waren … die Hölle.«

  »Nur weil du keine neue Kleidung anhattest?«, fragte ich.

  »Weil wir arm waren. Richtig arm. Und jeder wusste das. Man hat es ja auf den ersten Blick gesehen. Nicht nur an den Klamotten. An meiner Schultasche, meinem Pausenbrot, meinen nicht vorhandenen Sportschuhen. Für Teenager ist so was Grund genug, einem widerliche Sachen in den Spind zu stecken oder aufzulauern und mehrere Nachmittage hintereinander im Mädchenklo einzusperren.«

  Auf seiner Stirn hatten sich tiefe Furchen gebildet, aber er sah eigentlich eher verwirrt als wütend aus, so als könnte er sich gar nicht richtig erklären, warum ihn diese Erinnerungen so aufwühlten.

  Aber ich hatte es verstanden.

  Deshalb war Isaac so, wie er war. Es ging nicht um Hemden, saubere Schuhe oder ordentliche Haare – es ging um Kontrolle, die er im Gegensatz zu früher jetzt über sein Aussehen und seine Wirkung auf andere hatte.

  Ich fragte mich, was es bedeutete, dass er diese Kontrolle in den letzten Tagen ausgerechnet an mich abgegeben hatte.

  »Ich bewundere, dass du noch immer an den Hof deiner Eltern fährst. Ich weiß nicht, ob ich das könnte«, sagte ich nach einer Weile.

  »Egal, ob sie meine Entscheidungen gut finden oder nicht – meine Familie ist mein Zuhause. Das wird sich niemals ändern.«

  Bei seinen letzten Worten fing mein Herz heftig an zu hämmern. Genau so empfand ich Riley gegenüber.

  Isaac nahm mir den Stift ab und setzte den letzten Haken auf der Liste. Als hätte er meine Gedanken gelesen, fragte er unvermittelt: »Hast du Geschwister?«

  »Ja, eine Schwester.«

  »Wie alt ist sie?«

  »Dreiundzwanzig. Sie arbeitet in einer Tierklinik und … hat sich vor Kurzem verlobt.« Die Worte fühlten sich so falsch in meinem Mund an, dass sie mir kaum über die Lippen kamen.

  »Das ist doch toll. Oder?« Sein Tonfall und der Blick, mit dem er mich ansah, verrieten mir, dass Isaac viel zu aufmerksam war.

  »Ich … ja«, murmelte ich. Ich brachte es nicht über mich, ihm die Wahrheit zu sagen: nämlich dass mich der Gedanke, dass meine Schwester mit jemandem ein neues, ganz anderes Leben aufbauen könnte, in Panik versetzte.

  »Es ist merkwürdig, dass Leute ihr gesamtes Leben durchgeplant haben, wenn man selbst noch keine Ahnung hat, was man eigentlich will, oder?«, sagte Isaac, während er die Tür des Lastenaufzugs schloss. »Wenn ich mir meine Babyfotos angucke, sind meine Eltern darauf jünger, als ich jetzt bin. Das ist ein total seltsamer Gedanke. Aber jeder hat halt ein anderes Timing.«

  »Das ist gar nicht das, was mich so fertigmacht«, hörte ich mich plötzlich selbst sagen. Die Worte waren einfach so aus mir herausgekommen, ohne dass ich sie hätte zurückhalten können. Vielleicht war es, weil Isaac mir gerade so viel von sich erzählt hatte. Vielleicht aber auch, weil ich spürte, dass es mich von innen heraus auffressen würde, wenn ich diese Gedanken noch weiter für mich behielt.

  »Sondern?«, fragte er sanft.

  Ich wich seinem Blick aus. »Es ist einfach …« Ich biss mir auf die Unterlippe.

  Isaac wartete.

  Ich holte tief Luft. »Riley und ich waren uns immer so ähnlich. Wir ticken total gleich. Vor allem übers Heiraten hatten wir dieselben Ansichten. Und jetzt verlobt sie sich. Bestimmt wird sie auch bald schwanger.« Ich zog die Nase kraus. »Wir haben überhaupt nichts mehr gemeinsam. Dabei ist sie die einzige Person, die …«

  … mich versteht.

  Ich biss mir von innen auf die Wange, um mich vom Weitersprechen abzuhalten.

  »Also hast du das Gefühl, dass sie sich von dir entfernt?«, fragte Isaac.

  Ich starrte auf den grauen Steinboden und senkte meine Zähne noch ein bisschen tiefer in meine Wange. Schließlich zuckte ich mit den Schultern.

  »Kenne ich irgendwoher«, sagte er und lehnte sich neben mich gegen die Wand.

  Ich sah ihn fragend an.

  »Bei Eliza und mir war es so ähnlich. Wir waren als Kinder unzertrennlich, auch weil zwischen uns fast kein Altersunterschied liegt. Aber zum Ende der Highschool hat sie sich verändert. Während ich durch die Hölle gegangen bin, war sie bei ihren Mitschülern total beliebt. Sie hätte mir das Leben damals um einiges leichter machen können, wenn sie mich in ihre Clique integriert hätte. Aber das ist eben die Highschool. Jeder kämpft für sich allein. Und als sie dann nach Harvard gegangen ist, ist der Kontakt zwischen uns immer weniger geworden.«
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  »Wie bist du damit umgegangen?«, fragte ich leise. Dass Riley und ich irgendwann nicht mehr miteinander sprechen würden, war meine allergrößte Angst.

  »Erst habe ich sie in Ruhe gelassen, schließlich ist die erste Zeit am College total aufregend und stressig. Aber irgendwann habe ich sie dann zur Rede gestellt. Inzwischen hat sich unser Verhältnis wieder gebessert. Aber sie ist echt weit weg. Es ist nicht mehr so wie früher.«

  Das war nicht das, was ich hatte hören wollen. Aber es endete eben nicht jede Geschichte so, wie man es sich wünschte. Niemand wusste das besser als ich.

  »Das ist echter Mist.«

  »Ist schon okay. Es ist schwierig, wenn man Erwartungen an den anderen hat und gleichzeitig dessen Erwartungen nicht erfüllen kann. Aber ich vermisse sie tierisch.«

  »Wenigstens ist meine Schwester nur im nächsten Bundesstaat und nicht am anderen Ende des Landes. Dreitausend Meilen ist eine ziemliche Entfernung«, sagte ich.

  Isaac nickte.

  Ich dachte über das nach, was er mir gerade erzählt hatte. Noch vor wenigen Tagen hätte ich Isaac in einem einzigen Wort zusammenfassen können: Nerd. Doch jetzt war er plötzlich so viel mehr: Sohn und Bruder. Jemand mit einer schweren Jugend, jemand, der willensstark und mutig war, aber trotzdem nicht vergaß, wo er herkam. Jemand, den ich bewunderte.

  »Naja, aber so ist es eben«, unterbrach er meine Gedanken. »Was sagen denn deine Eltern zu Rileys Verlobung?«

  Es fühlte sich an, als hätte er mich mit Eiswasser übergossen. Meine Nackenhaare stellten sich auf, und meine Brust wurde so eng, dass mir die Luft wegblieb.

  Ruckartig erhob ich mich. Ich drückte auf den Knopf vom Aufzug und setzte ihn damit in Bewegung.

  »Sawyer …«

  »Es ist spät, und ich muss zu Hause noch was für die Uni erledigen«, sagte ich mit fester Stimme. »Außerdem will ich nicht, dass Al denkt, dass wir weiß Gott was hier unten treiben. Am Ende überlegt er sich das mit deinem Vertrag noch mal anders.«

  Ohne Isaac anzusehen, ging ich zur Kellertreppe.

 

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