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Feel Again

Page 18

by Mona Kasten


  Dann breitete ich die Arme aus und ließ mich nach hinten fallen.

  Erst am späten Abend machte ich mich auf den Weg zurück ins Wohnheim. Ich hatte die Zeit am See genossen, war ein paarmal um ihn herumgegangen und hatte Fotos gemacht. Gegen Mittag hatte ich mir in einem Café einen Smoothie und Snacks gekauft und war dann weitergegangen über verschiedene Wanderwege entlang des Mounts. Dass ich meinen Freitagskurs an der Uni verpasste, war mir egal.

  Ich hatte einzig meine Kamera bei mir und genoss die Tatsache, dass es hier draußen für mich nur Schönes gab und nichts, was mir ein schlechtes Gefühl vermitteln konnte.

  Ich fotografierte und fotografierte und vergaß die Zeit völlig. Als ich das Wohnheim betrat, war die Sonne bereits untergegangen, und ich war völlig fertig. Aber es hatte sich auch eine seltsame Ruhe in mir ausgebreitet, die ich so noch nie gespürt hatte – zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern. Meine Boots waren total zugematscht, und ich versuchte, sie mit einer Hand auszuziehen, während ich mit der anderen die Tür zu meinem Zimmer öffnete.

  Drei Augenpaare richteten sich auf mich.

  Ich hielt mitten in der Bewegung inne und starrte zurück.

  »Bist. Du. Vollkommen. Irre?«, presste Dawn zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

  Ich richtete mich auf und blickte zwischen Dawn, Spencer und Isaac hin und her. »Ähm. Habe ich was verpasst?«

  Isaac sah mich an, als wäre ich eine Erscheinung, und kam auch genauso langsam auf mich zu. Im nächsten Moment hatte er mich an sich gezogen und die Arme fest um mich geschlungen. Er murmelte etwas in mein Haar, das ich nicht verstand.

  »Kann mir vielleicht einer sagen, was hier los ist?«, nuschelte ich gegen Isaacs Brust, während ich seinen Rücken unbeholfen tätschelte.

  Die Hände auf meinen Schultern, lehnte er sich ein Stück von mir zurück und sah mich fassungslos an. »Was glaubst du denn? Du bist abgehauen. Ohne irgendwem zu sagen, wohin du gehst!«

  Ich sah zu Dawn, deren Gesicht gerötet war, genau wie ihre Augen. Neben ihr erwiderte Spencer meinen Blick kopfschüttelnd. Sein Kiefer war angespannt.

  »Ich war … beim See«, sagte ich lahm.

  Dawn lachte humorlos. »Beim See«, wiederholte sie.

  »Ich bin heute Morgen los, weil ich den Sonnenaufgang fotografieren wollte.«

  Kopfschüttelnd ging sie auf mich zu und nahm mich ebenfalls in den Arm. Sie drückte mich so fest, dass mir die Luft pfeifend entwich.

  »Ich habe mich zu Tode erschreckt, als ich aufgewacht bin, und du warst nicht mehr da. Letzte Nacht …« Sie schüttelte den Kopf und hob mahnend einen Finger. »Mach das nie wieder. Nie wieder, hast du verstanden?«

  »Ich sag schnell Kaden Bescheid«, sagte Spencer und ging durch die Tür nach draußen.

  »Und ich Gian«, stimmte Isaac zu und folgte ihm.

  »Wieso?«, fragte ich, obwohl die beiden schon nicht mehr im Zimmer waren.

  »Weil sie dich suchen«, sagte Dawn bissig.

  Mein Mund klappte auf.

  »Du warst heute Morgen nicht mehr hier. Normalerweise sagen wir uns immer, wenn wir weggehen und wann wir wiederkommen, oder schreiben uns zumindest eine SMS. Das war die Regel, die du wegen Spencer hier eingeführt hast! Aber dein Handy lag auf dem Schreibtisch. Da habe ich sofort bei Isaac angerufen, und als er mir sagte, dass er dich nicht gesehen hat, hab ich Panik bekommen und die anderen angerufen. Dein Chef ist sogar extra zum Steakhouse gefahren und hat geguckt, ob du vielleicht da bist.«

  »Aber wieso denn?«, fragte ich, völlig entgeistert.

  »Wieso fragst du das die ganze Zeit? Ich habe dich lieb, du blöde Kuh. Du kannst dich nach so einer Sache wie letzter Nacht nicht einfach ohne ein Wort rausschleichen und davon ausgehen, dass ich nicht durchdrehe!«

  Es fühlte sich an, als würde in mir alles in entgegengesetzte Richtungen verrutschen. Ich öffnete den Mund, um Dawn zu antworten, aber ich brachte kein einziges Wort heraus. Es ging einfach nicht. Ich wandte den Blick ab und starrte auf den Boden. Hinter meinen Augen brannte es, und ich blinzelte angestrengt. Meine Unterlippe fing an zu zittern.

  Dawn machte einen Schritt auf mich zu und berührte meine Hand. Nur ganz kurz, als wollte sie mir zeigen, dass sie bei mir war, mich aber nicht bedrängte. »Als ich damals nach Portland verschwunden bin – da warst du auch wütend auf mich, weil du dir Sorgen gemacht hast.«

  Ich nickte kurz.

  »Siehst du. Dann kann es doch nicht so schwer sein, zu glauben, dass wir uns alle Gedanken um dich machen.«

  Das war es. Sie wusste ja gar nicht, wie schwer es war.

  Wenn ich als Jugendliche meiner Tante gesagt hatte, wohin ich gehen und wann ich zurückkommen würde, hatte ihre Antwort in den meisten Fällen »Mir doch egal« gelautet. Und auch in Woodshill hatte es bisher niemanden gegeben, der sich für das, was ich machte, interessierte. Oder dem es wichtig war, dass es mir gut ging.

  Dass Dawn sich solche Sorgen machen könnte, nur weil ich einen Tag lang verschwunden war, wäre mir nie in den Sinn gekommen.

  »Du warst so fertig gestern … Ich dachte echt …«

  »Ich hatte Frank dabei«, sagte ich schwach und hob meinen Rucksack mit der Kamera hoch.

  Dawn stieß ein Geräusch aus, das wohl so was wie ein Lachen sein sollte, ihr aber ziemlich misslang.

  Im nächsten Moment klopfte es.

  »Kannst reinkommen, Isaac«, rief Dawn.

  Er öffnete die Tür. »Woher wusstest du, dass ich es bin?«

  »Weil Spencer generell nicht klopft«, sagte sie und wurde im selben Moment feuerrot.

  Ich spürte, wie mein Mundwinkel zuckte. »So so«, sagte ich, in der Hoffnung, die Stimmung etwas aufzulockern.

  Sie verdrehte die Augen, lächelte aber zaghaft zurück.

  »Gian bringt gleich Essen vorbei.« Isaac hob sein Handy hoch. »Er freut sich, dass es dir gut geht.«

  Dawn sah zwischen mir und Isaac hin und her. Dann sagte sie laut, »Ich gehe mal gucken, wo Spence bleibt«, und verschwand schnellen Schrittes aus dem Zimmer.

  Isaac stand unschlüssig mitten im Raum und schien nicht zu wissen, was er mit seinen Händen anstellen sollte. Erst vergrub er sie in seinen hinteren Jeanstaschen, dann in den vorderen, dann verschränkte er die Arme, nur um sie im nächsten Moment wieder hängen zu lassen. Der Anblick war mir mittlerweile so vertraut. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass er nicht so schüchtern sein und einfach sagen sollte, was ihm auf der Zunge lag.

  Aber stattdessen sah ich ihn nur an und wartete.

  »Du hast mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt«, sagte er schließlich.

  Ich ließ mich auf mein Bett fallen. »Ich habe Bilder gemacht«, sagte ich, weil ich keine Ahnung hatte, was ich ihm darauf antworten sollte. »Es war echt schön draußen, und der See ist einer meiner Lieblingsorte, vor allem wenn …«

  »Wirst du ignorieren, was ich gerade gesagt habe?«, unterbrach er mich und machte einen Schritt auf mich zu. Er zog sich meinen Schreibtischstuhl heran und setzte sich genau vor mich. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«

  Was sollte ich darauf erwidern? Okay? Cool? Danke?

  »Ist dir völlig egal, dass wir den ganzen Tag nach dir gesucht haben?«, fragte er weiter.

  Ich blickte abrupt auf und schüttelte den Kopf. Isaacs nachdenklicher Blick wanderte über mein Gesicht.

  »Ich bin das nicht gewohnt«, flüsterte ich nach einer Weile.

  »Was?«

  Ich fixierte Isaacs Knie. Seine helle Haut blitzte durch den Riss in seiner Jeans durch. Ich wollte meine Hand darauflegen und fühlen. Ihn einfach fühlen.

  »Was bist du nicht gewohnt?«, hakte er nach.

  Ich zuckte mit den Schultern. »Dass sich jemand Sorgen um mich macht.«

  Er atmete hörbar aus. Dann wieder ein. Noch mal aus, und noch mal ein. Es war offensichtlich, dass er etwas sagen würde, für das er Anlauf brauchte.

  »Dawn macht sich wahnsinnige Sorgen. Spencer auch. Gian ist f
ast ausgerastet, als ich ihm erzählt habe, dass dich keiner finden kann. Und ich … ich hatte eine Scheißangst um dich, Sawyer.«

  Seine Worte brachten mich dazu, aufzublicken, doch es war unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Seine Augen waren dunkel, aber sanft. Ich war mir ziemlich sicher, dass er in diesem Moment selbst nicht wusste, ob er mich umarmen oder schütteln wollte.

  »Bitte sei nicht wütend auf mich.«

  Er seufzte frustriert. »Bin ich nicht. Verdammt, Sawyer, ich bin nicht wütend.«

  »Du siehst aber so aus.«

  Isaac schwieg. Den ganzen Tag hatte ich die Stille um mich herum genossen, hatte es genossen, niemandem zuhören zu müssen. Aber dieser Moment zwischen uns war für mich beinahe unerträglich.

  Irgendwann senkte Isaac den Blick auf seine Hände. »Ich gucke so, weil …«

  »Weil?«, fragte ich leise.

  »Weil ich denke, dass du glaubst, was Amanda gestern über dich gesagt hat. Und das will ich nicht.«

  Ich schluckte trocken. »Wieso?«

  Er schüttelte den Kopf. »Weil du so viel Gutes in mein Leben gebracht hast. Ich will, dass du auch nur Gutes bekommst.«

  Seine Worte setzten all das wieder zusammen, was gestern Abend in mir zu Bruch gegangen war. Stück für Stück.

  Isaac hatte mir gesagt, dass ich ständig die richtigen Sachen zu ihm sagte. Dass ich wie sein persönlicher Yoda wäre. Erst jetzt verstand ich, was er damit gemeint hatte.

  »Tut mir leid, dass ihr euch Sorgen gemacht habt«, flüsterte ich nach einer Weile.

  »Sag beim nächsten Mal einfach Bescheid, wenn du Zeit für dich brauchst. Dann dreht Dawn nicht durch. Und ich auch nicht.«

  Ich biss auf meine Unterlippe. »Ich wusste nicht, dass sie gleich eine Vermisstenanzeige aufgeben und einen ganzen Suchtrupp losschicken würde.«

  »Wir reden hier von Dawn«, sagte Isaac lächelnd. »Hat es wenigstens geholfen? Das mit dem Rauskommen, meine ich.«

  Ich hob die Achseln. »Schon ein bisschen. Hier drin wäre mir die Decke auf den Kopf gefallen«

  »Ich kenne das. Immer wenn es mir nicht so gut geht, fahre ich auf die Farm. Beim Arbeiten auf den Feldern bekommt man den Kopf immer frei. Manchmal nehme ich mir auch eines unserer Pferde und reite aus. Oh, oder ich spiele mit meinem Grandpa eine Runde Poker.«

  »Ich hatte leider kein Pferd parat«, sagte ich trocken. Genauso wenig wie einen Großvater oder ein Elternhaus, in das ich mich zurückziehen konnte, aber das behielt ich für mich.

  »Gut, dass du das ansprichst. Ich teile gern mit dir.«

  Ich runzelte die Stirn. »Was? Dein Pferd?«

  Er nickte. »Auch meinen Grandpa, falls es hilft. Ich überlasse dir auch ein Stück Feld, damit du dich darauf austoben kannst.«

  Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Wovon zum Teufel redete er?

  »Das sollte eine indirekte Einladung sein«, fuhr er fort und lehnte sich auf dem Stuhl nach vorne, näher zu mir. »Mein Grandpa hat morgen Geburtstag. Ich fahre nach Hause und würde mich freuen, wenn du mitkommst.«

  »Du willst mich mit zu dir nach Hause nehmen?«, fragte ich ungläubig.

  Isaacs Lächeln war schüchtern, aber auch vorsichtig aufgeregt. Für einen Moment verlor ich mich fast in seinen braun-grünen Augen. »Wir könnten einen kleinen Roadtrip machen. Mal ein bisschen rauskommen. Natürlich nur, wenn du noch nichts vorhast.«

  Ich blinzelte und versuchte herauszufinden, ob er mich gerade auf den Arm nahm.

  »Ich war noch nie auf einer Farm«, krächzte ich.

  Isaac lächelte mich weiter an. »Das wird cool, glaub mir.«

  Zum wiederholten Mal an diesem Abend fehlten mir die Worte. Isaac begann, mir von der Farm seiner Eltern zu erzählen, während ich auf meine Hände starrte, meinen Nagellack abkratzte und das, was gerade geschehen war, zu verarbeiten versuchte. So saßen wir da, bis Dawn und Spencer mit Gian und einer ganzen Wagenladung voll italienischem Essen im Schlepptau wieder zu uns ins Zimmer kamen.

  KAPITEL 18

  Die Auffahrt zum Hof von Isaacs Familie war länger als die Hauptstraßen in Woodshill. Zumindest kam es mir so vor. Vielleicht lag es aber auch an meiner Nervosität.

  Wir waren etwa eine halbe Stunde gefahren, bis wir auf einen Schotterweg zwischen gigantischen Maisfeldern gebogen waren. Isaacs Auto war alt und rostig und hatte weder eine Klima- noch eine intakte Musikanlage, aber das machte mir nichts. Ich ließ meinen Arm aus dem Beifahrerfenster hängen und genoss es, wie der Wind gegen meine Finger peitschte.

  Das flaue Gefühl in meinem Magen konnte ich allerdings nicht verdrängen. Im Gegenteil, es wurde schlimmer, je näher wir der Farm kamen. In ein paar Minuten würde ich Isaacs Familie kennenlernen, und ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Mit Ausnahme von Dawns Vater, der ab und zu im Wohnheim vorbeischaute, hatte ich noch nie jemandes Familie kennengelernt. Wie sollte ich mich verhalten? Was sollte ich sagen? Und was nicht? Hatte ich die richtigen Klamotten an?

  Ich sah auf meine Beine. Das übergroße schwarze Hemd, das ich trug, war einige Zentimeter kürzer, als angebracht war, dessen war ich mir plötzlich sicher. Und die Overkneestrümpfe in Kombination mit den Boots machten alles andere als einen schicken Eindruck. Am liebsten hätte ich Isaac gesagt, er solle umdrehen, aber genau in dem Moment fuhren wir an einem grünen Schild vorbei, auf dem »Grant Farms« stand.

  Oh Gott. Von Agrikultur hatte ich auch keinen blassen Schimmer. Ich hätte mich vorher schlaumachen und ein Buch über Landwirtschaft in der Bibliothek ausleihen sollen. Oder zumindest die Grundlagen im Internet recherchieren.

  Abrupt drehte ich mich zu Isaac.

  »Ich habe keine Ahnung von Landwirtschaft.«

  Er warf mir einen Blick von der Seite zu. »Und?«

  »Was, wenn deine Eltern sich über – ich weiß nicht – die Maisernte unterhalten wollen und mich nach meiner Meinung fragen?«

  »Dann sagst du einfach: Das Ziel von Landwirtschaft ist nicht der Anbau von Mais, sondern die Optimierung und Zivilisierung des menschlichen Daseins, und dafür schätze ich euch und eure Arbeit sehr.«

  »Erstens«, sagte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue, »verarsch mich nicht. Zweitens … So was Geschwollenes würde ich niemals von mir geben.«

  Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. »Schade. Wäre bestimmt lustig gewesen.«

  »Ja, total witzig«, murrte ich und starrte wieder nach draußen.

  Was, wenn seine Eltern mich grauenhaft fanden? Ich war nicht gerade das, was man als Vorzeigefreundin bezeichnen konnte. Ich erinnerte mich noch gut an meine Schulzeit, als die Eltern meiner Mitschüler mich für einen schlechten Umgang für ihre Kinder hielten und ihnen verboten, sich mit mir abzugeben.

  Meine Brust wurde eng.

  Was, wenn Isaacs Familie mich so schrecklich fand, dass sie mich nicht in der Nähe der kleinen Kinder sehen wollten? Was, wenn …

  »Du siehst aus, als würden wir zu deiner Hinrichtung fahren«, unterbrach Isaac meine Gedanken.

  Ich wollte ihm gerade antworten, als die Felder links und rechts plötzlich zu Ende waren und stattdessen die eigentliche Farm vor uns lag.

  Whoa.

  Alles war so … riesig.

  Vor dem Haus, das sich quer über das gesamte Grundstück zog, war ein großer Vorplatz mit Granitpflaster und Rasen sowie einer Vielzahl von Pflanzen und Bäumen, die, obwohl längst Herbst war, ihr sattes Grün behalten hatten und nur vereinzelt rote, gelbe und braune Stellen aufwiesen.

  Nicht nur der Platz war riesig, auch das Haus, das sich dahinter erstreckte. Und es schien größer zu werden, je näher wir ihm kamen. Ich blickte an der hellen Fassade entlang nach oben und musste mir die Hand vor die Augen halten, weil die Sonne mich blendete.

  Das Haus hatte zwei Stockwerke. Ein paar Stufen führten auf eine weiße Veranda, über die man zu der dunkelgrünen Haustür kam, neben der zwei kleine Laternen hingen. Um das gesamte Haus zog sich ein Kiesbett, aus dem mehrere Büsche ragten.

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sp; Weiter hinten auf dem Grundstück begann eine dunkelrote, L-förmige Scheune, mehrere Meter daneben eine weitere, die geradlinig war, und noch weiter hinten konnte ich einen Stall erkennen. Direkt vor dem Haus waren zwischen den Bäumen eine Schaukel und ein Klettergerüst aufgestellt, darunter waren auf dem Rasen alle möglichen Spielzeuge verteilt.

  Außerdem stand da eine Hundehütte. Eine verdammte Hundehütte. Wie in einem kitschigen Werbespot.

  Ich merkte gar nicht, wie Isaac den Wagen ausschaltete, und realisierte erst, dass wir angehalten hatten, als er die Fahrertür öffnete. Schnell schnallte ich mich ab und stieg aus. Die Luft roch ungewohnt: ländlich und frischer als in Woodshill.

  Isaac war gerade dabei, unser Geschenk für seinen Großvater aus dem Kofferraum zu holen, als plötzlich ein lautes Bellen ertönte. Ich wirbelte zur Hundehütte herum und erstarrte. Ein riesiger schwarzer Labrador lief heraus. Als das Tier uns entdeckte, bellte es erneut und rannte los. Ich quiekte, machte einen Satz nach hinten und schob mich zwischen Isaac und den Wagen.

  Isaac ging lachend in die Hocke und rieb zur Begrüßung mit beiden Händen fest über seinen Kopf und seine Schnauze.

  »Vader, das ist Sawyer. Sei lieb zu ihr«, sagte er in ganz normalem Tonfall, so als würde er mit einem Menschen sprechen. Dann blickte er über die Schulter zu mir hoch. »Sawyer, das ist Vader. Sei lieb zu ihm.«

  Ich schüttelte den Kopf und hockte mich neben ihn, um Vader meine Hand hinzuhalten. Skeptisch roch er daran. Im nächsten Moment machte er einen Satz auf mich zu und sprang auf mich. Ich landete auf dem Rücken und versuchte mit beiden Händen mein Gesicht vor seiner übereifrigen Zunge und seinem Sabber abzuschirmen. Vergebens.

  Isaac lachte. »Das ist ein bisschen zu viel Liebe, Vader. Komm runter von ihr.« Er schnipste mit den Fingern, und Vader ließ augenblicklich von mir ab. Danach hielt Isaac mir die Hand hin und zog mich hoch. Er zupfte mir ein paar Grashalme aus dem Haar. »Das lief doch schon ganz gut.«

  Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Wange. »Wenn sein Speichel in meinem Gesicht bedeutet, dass er mich mag, dann wohl schon.«

  »Auf jeden Fall.«

 

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