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Feel Again

Page 19

by Mona Kasten


  Okay. Kennenlernen Nummer eins hatte ich erfolgreich hinter mich gebracht. Bei dem Rest seiner Familie würde das bestimmt auch irgendwie klappen.

  »Komm«, sagte Isaac, nahm die Geschenkbox und führte mich zum Eingang. Noch bevor wir in der Nähe der Haustür waren, wurde sie von innen aufgerissen. Ein winziges Mädchen rannte auf die Veranda. Sie hatte wilde hellbraune Locken und trug gelb-weiß geringelte Strumpfhosen zu einem grünen Kleid. Ehe ich wusste, was passierte, stürzte sie sich mit einem vergnügten Quietschen auf Isaac. Er fing das Mädchen mit seinem freien Arm auf und wirbelte es dann lachend herum. Danach drückte er sie seitlich an seinen Körper und reichte mir die Geschenkbox, damit er sie auch mit dem zweiten Arm halten konnte.

  »Ivy, das ist Sawyer«, sagte er und nickte zu mir.

  Das Mädchen sah mich unsicher aus ihren braunen Augen an. Dann drehte sie sich weg und vergrub das Gesicht an Isaacs Hals. Er sah mich an und formte mit dem Mund »schüchtern«. Ich lächelte. Anscheinend war Schüchternheit kein Isaac-Phänomen, sondern ein Grant-Phänomen.

  Mit Ivy auf dem Arm lief Isaac ins Haus. Das Mädchen warf mir einen skeptischen Blick über seine Schulter hinweg zu, und ich zog eine Grimasse, von der ich hoffte, dass sie lustig und nicht gruselig aussah. Ivy kicherte leise an Isaacs Hals, und ihre Locken wippten wild. Innerlich jubelte ich.

  Als ich über die Türschwelle trat, kam mir ein holziger, warmer Geruch entgegen, beinahe wie eine intensivere Version von dem Duft, den ich mit Isaac identifizierte. Ich atmete tief ein. Augenblicklich fühlte ich mich wohler.

  Der Eingangsflur war breit und lang. Auf der linken Seite war eine weiß lackierte, hölzerne Garderobe in die Wand eingelassen, an der eine Vielzahl von Jacken hing, in allen möglichen Größen. Der Boden bestand aus dunklen Steinfliesen, und zwei schmale rechteckige Teppiche waren darauf ausgebreitet. Isaac ging geradewegs zur Tür ganz am Ende des Flurs. Ich folgte ihm schnell, und je näher ich kam, desto deutlicher hörte ich aufgeregtes Stimmengewirr und das Klirren von Gläsern und Besteck.

  Für einen kurzen Moment überkam mich der Impuls, das Geschenk auf dem Boden abzulegen, auf dem Absatz kehrtzumachen und einfach davonzulaufen.

  Stattdessen holte ich tief Luft, zählte bis drei und folgte Isaac, als er mit Ivy auf dem Arm das Wohnzimmer durchquerte und zielsicher auf die breite, offen stehende Terrassentür zuging, die in den Garten führte. Im Vorbeigehen nahm ich den hellen Raum wahr. Die weißen Wände, die groben Holzdielen und die massiven Balken, die sich an der Decke entlangzogen. Die Möbel im Wohn- und Esszimmer waren dunkelbraun, einzig das Klavier, das an der rechten Wand stand, stach heraus, weil es aus hellem Holz bestand.

  Ich hätte mich gerne noch weiter umgesehen, aber Isaac war längst in den Garten verschwunden, also eilte ich ihm hinterher.

  Ich kam gerade dazu, als die Leute, die draußen saßen und standen, Isaac entdeckten. Mehrere von ihnen quietschten und sprangen gleichzeitig auf.

  Ich hatte keine Ahnung, dass Isaac solche Reflexe besaß und beobachtete fasziniert, wie er zwei weitere Kinder auffing – und das, obwohl Ivy noch immer an seinem Arm hing. Das andere Mädchen, von dem ich vermutete, dass es seine Schwester Ariel war, war schon ziemlich groß, und Isaac taumelte ein paar Schritte nach hinten, bevor er sich fangen und auch einen kleinen Jungen in den Arm nehmen konnte.

  So viele kleine Menschen auf einmal. Von den ganzen großen mal abgesehen, die an einem langen, üppig gedeckten Gartentisch saßen oder um einen Grill herumstanden.

  Ich erstarrte und fühlte mich augenblicklich überfordert. Hilfe suchend blickte ich mich nach Isaac um, dem es ganz eindeutig nicht so ging wie mir. Alles an ihm verkörperte pure Freude und Glück, und sein Lachen … Ich hatte ihn noch nie so gesehen. Noch nie.

  Er ließ Ariel zurück auf den Boden sinken, und sie kam, ohne zu zögern, auf mich zu. Ihre Haare waren glücklicherweise alle wieder nachgewachsen und sahen um einiges schöner aus als auf dem Bild, das Isaac mir geschickt hatte. Sie grinste mich an. Dafür hatte sie jetzt keine Schneidezähne mehr.

  »Du bist Sawyer«, sagte sie und lispelte, als sie meinen Namen aussprach.

  »Und du Ariel«, gab ich zurück.

  Sie grinste noch breiter, und ich betrachtete so fasziniert ihr Zahnfleisch, dass ich erst, als es schon zu spät war, mitbekam, dass sie nach meiner Hand gegriffen und begonnen hatte, mich zu dem Tisch in der Mitte des Gartens zu zerren. Isaac, der Ivy inzwischen Huckepack trug, war bereits dabei, jeden einzelnen der gut zwanzig Personen nacheinander zu umarmen.

  »Guckt mal! Er hat Sawyer wirklich mitgebracht!«, sagte Ariel aufgeregt.

  Eine Flut aus »Wie schön, dich kennenzulernen!«, »Wir haben schon so viel von dir gehört!«, »Fühl dich ganz wie zu Hause!« und »Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht!« brach über mich herein. Ich hatte damit nicht gerechnet, weder mit so vielen Leuten – Freunde, Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen, sogar Nachbarn – noch mit so viel Herzlichkeit. Isaac stellte mir jeden Einzelnen vor, und ich schüttelte Hände und wurde in den Arm genommen. Ich hoffte, dass ich nicht so überwältigt aussah, wie ich mich fühlte. Ich konnte auf ihre lieben Worte nichts erwidern. Meine Kehle war wie zugeschnürt.

  Irgendwann, nachdem ich fast alle, die um den Tisch herumsaßen, begrüßt hatte, legte Isaac die Hand auf meinen Rücken und schob mich zu einem robusten älteren Herrn mit weißen Haaren und grauem Bart, der eine selbst gebastelte Papierkrone auf dem Kopf trug. Er hatte tiefe Falten, von denen die meisten aber aussahen wie Lachfalten. Seine Brauen waren buschig und ebenso grau wie sein Bart, und seine unverkennbare Augenfarbe und das darin liegende Funkeln verrieten mir sofort, dass dieser Mann Isaacs Großvater sein musste.

  »Alles Liebe zum siebzigsten Geburtstag, Grandpa«, sagte Isaac und umarmte ihn lange und fest.

  Je länger ich Theodore Grant ansah, desto klarer wurde mir, wie ähnlich Isaac seinem Großvater war. Und das lag nicht nur an der Ähnlichkeit in ihrem Ausdruck, sondern vor allem an der Kleidung, die er anhatte.

  Er trug ein mintgrünes Hemd, blaue Hosenträger und eine dazu passende Fliege mit Punkten – ein Outfit, von dem ich mir hundertprozentig sicher war, dass ich es auch schon mal an Isaac gesehen hatte.

  Trotz der Fliege und der gebastelten Krone sah er Respekt einflößend aus. Wie ein Mann, der schon eine Menge gesehen hatte und den nichts mehr so leicht beeindrucken konnte. Er saß aufrecht, und wäre da nicht dieses ehrlich glückliche Funkeln in seinen Augen gewesen, hätte ich mich wahrscheinlich ein bisschen vor ihm gefürchtet.

  Als Isaac ihn schließlich losließ, einen Schritt zur Seite machte und sich zu mir umdrehte, schluckte ich schwer. Ich war so nervös, dass ich mein Herz in meinem Brustkorb hämmern spürte und meine Hände eiskalt waren.

  Warum war ich nicht umgekehrt und hatte mich im Auto versteckt? Ich wusste doch, dass ich nicht besonders gut darin war, Leute kennenzulernen und einen guten ersten Eindruck zu machen. Vor allem nicht bei den Leuten, bei denen es auf etwas ankam und bei denen ich einen guten ersten Eindruck machen wollte.

  Small Talk auf Partys, um jemanden aufzureißen? Kein Problem. Isaacs Großvater, von dem ich wusste, wie viel er ihm bedeutete? Keine Spur meiner sonstigen Gelassenheit. Ich bekam kein einziges Wort raus und hielt ihm nur stumm das Geschenk entgegen, das Isaac und ich mitgebracht hatten.

  »Grandpa, das ist Sawyer. Ich habe dir von ihr erzählt«, sagte Isaac neben mir.

  Sein Großvater nahm das Geschenk, legte es auf dem Tisch ab und ergriff dann meine Hand.

  »Freut mich, dich kennenzulernen«, sagte er und legte auch seine zweite Hand für einen kurzen Moment über meine.

  »Mich freut es auch, Mr Grant«, krächzte ich. »Happy Birthday.« Bestimmt machte ich mit meinem angespannten Gesicht und meinen klammen Fingern einen ganz tollen Eindruck.

  Ich versuchte, nicht allzu erleichtert zu wirken, als er meine Hand wieder losließ.

  Er winkte ab. »Nenn mich Theodore.«

  »Ist Ihr Zweitname Isaac?«

  Die Worte
hatten meinen Mund noch nicht ganz verlassen, da fragte ich mich schon, was zum Teufel verkehrt mit mir war. Warum stellte ich so eine Frage? Neben mir versuchte Isaac vergeblich, ein Lachen zu unterdrücken, und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Theodore schien die Frage allerdings gar nicht merkwürdig zu finden – oder vielleicht ließ er es sich auch nur nicht anmerken. Er schüttelte den Kopf und sagte in einem ernsthaften Tonfall: »Nein, mein Zweitname ist Malcolm.«

  Ich lächelte gequält. Das war das schlimmste und peinlichste Gespräch, das ich jemals geführt hatte. Zu allem Überfluss bemerkte ich in diesem Moment, dass uns der halbe Tisch zugehört hatte.

  Hier waren so viele Menschen, die ich nicht kannte. Die mich nicht kannten, aber dafür Isaac schon ihr Leben lang. Was, wenn sie mich furchtbar fanden und zu dem Entschluss kamen, dass Isaac zu gut für mich war?

  Ich zuckte zusammen, als irgendwo in der Nähe ein Kind schrie, und gleich darauf ein zweites.

  Ich spürte, wie jemand nach meiner Hand griff. Im ersten Moment dachte ich, es wäre Isaac, aber dann sagte Theodore mit einem Nicken auf den freien Stuhl neben seinem: »Setz dich doch.«

  Dankbar ließ ich mich von ihm auf den Stuhl ziehen.

  Isaac beugte sich über mich, und sein Schatten fiel über meinen Körper.

  »Möchtest du was trinken?«, fragte er leise.

  Ich nickte.

  »Kuchen?«, fragte er weiter.

  Ich nickte wieder, obwohl ich mir ziemlich sicher war, keinen Bissen runterbekommen zu können. Außerdem wollte ich nicht, dass Isaac mich alleine ließ. Ich hatte gerade eindrucksvoll bewiesen, dass ich nicht in der Lage war, ein normales Gespräch zu führen.

  »Ich gucke, was wir so dahaben«, sagte er. Dann wandte er sich an seinen Großvater. »Ist Eliza schon da?«

  Theodore schüttelte den Kopf, wobei er seine Krone mit einer Hand festhalten musste. »Noch nicht. Ihr Flug hatte Verspätung, aber heute Abend kommt sie bestimmt an.«

  Isaac sah nicht besonders glücklich aus, nickte aber. »Okay.«

  »Wenn du schon dabei bist, begrüß die anderen noch.«

  Jetzt wurde Isaacs Blick noch finsterer. Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber sein Großvater unterbrach ihn.

  »Mach es mir zuliebe, Isaac.«

  Er stieß hörbar den Atem aus, und ich konnte sehen, wie angespannt er mit einem Mal war. Seine Kiefermuskeln traten deutlich hervor, als er seinen Kopf zur Seite drehte und sein Blick auf die Gruppe von Männern fiel, die um den Grill herumstanden. »Bin gleich wieder da.«

  Ich beobachtete, wie er den Rasen überquerte und sich neben einen von ihnen stellte. Selbst aus der Entfernung war die Ähnlichkeit zwischen den beiden unverkennbar. Er musste Isaacs Vater sein.

  Er reagierte nicht, als Isaac etwas zu ihm sagte, drehte sich nicht einmal in seine Richtung. Stattdessen verharrte er in seiner Position und sah stur geradeaus.

  Irgendwann zuckte Isaac mit den Schultern und ging mit grimmigem Gesichtsausdruck weiter. Isaacs Vater wendete ein Steak, als wäre nichts gewesen.

  »Mein Enkel hat mir viel von dir erzählt.«

  Ich wandte mich Theodore zu, dessen Augen Isaac verfolgten, wie er zu dem üppigen Büffet ging, das seitlich des Hauses aufgebaut war, und zwei Teller mit Kuchen belud.

  »Tatsächlich?«, fragte ich, bemüht darum, nicht zu angespannt zu wirken, aber auch nicht zu sehr zu lächeln. Mein Gesicht fühlte sich an, als stünde es unter Hochspannung. Wahrscheinlich sah ich aus wie eine Irre.

  Falls es so war, ließ Isaacs Großvater sich nichts anmerken. »Isaac kommt so gut wie jedes Wochenende nach Hause und da quetschen wir immer alle Neuigkeiten aus ihm heraus, ob er es will oder nicht. Wenn ich mich recht entsinne, verbringt ihr momentan recht viel Zeit miteinander, oder?«

  Ich schaffte es zu nicken, und, als er mich weiter geduldig ansah, sogar eine einigermaßen vernünftige Antwort zu geben. »Isaac hilft mir bei meinem Abschlussprojekt, und wir arbeiten zusammen im Steakhouse. Wir sind … Freunde.«

  Das Wort fühlte sich seltsam an, als es über meine Lippen kam, aber ich glaubte, dass wir das waren. Freunde.

  »Isaac ist es immer schwergefallen, Freunde zu finden. Deshalb freut es mich umso mehr, dass er an der Uni ein paar Leute gefunden hat, die ihn so gut aufgenommen haben.«

  Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und zupfte stumm am Reißverschluss meiner Tasche herum.

  »Außerdem hat er erzählt, dass du ihm dabei geholfen hast, einen neuen Job zu finden.«

  Langsam nickte ich. »Wir hatten im Steakhouse eine Stelle frei, das hat ganz gut gepasst.«

  »Eine glückliche Fügung. Ich weiß ja, dass er ein echtes Händchen für Computer hat, aber ich habe ihm schon öfter gesagt, dass er sich etwas Neues suchen soll. Ich bin wirklich froh, dass er nicht mehr bei diesem furchtbaren Mann schuften muss. Wobei ich ja eigentlich der Meinung bin, dass er nicht so viel arbeiten sollte.«

  »Er möchte bloß niemandem auf der Tasche liegen«, rutschte es mir raus, bevor ich es zurückhalten konnte. Ich blickte erschrocken auf, aber Theodores Blick war weiterhin freundlich, ja, fast sanftmütig. Er strahlte eine so angenehme Ruhe aus, dass ich merkte, wie ich mich langsam ein bisschen entspannte und wohler fühlte.

  »Anscheinend spricht er über vieles mit dir.«

  »Manchmal«, sagte ich ausweichend.

  »Das ist schön«, fuhr Theodore fort. »Als er im letzten Jahr gegangen ist, hatte ich nicht das Gefühl, dass es ihm gut geht.«

  Es stand mir nicht zu, die Dinge, die Isaac mir anvertraut hatte, mit seinem Großvater zu diskutieren, auch wenn ich wusste, wie nahe sich die beiden standen. »Auf mich macht er einen glücklichen Eindruck.«

  Auf Theodores Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Ich bin froh, dass mein Enkel dich mit nach Hause gebracht hat, Sawyer.«

  Ich erwiderte sein Lächeln, und diesmal fühlte es sich gar nicht mehr so sehr wie eine Grimasse an. »Ich auch.«

  Danach begann Theodore, mich über meine Fotografie auszufragen und lenkte unser Gespräch damit dankenswerterweise auf etwas, bei dem mir nicht mulmig war, wenn ich darüber erzählte.

  So taute ich im Laufe des Nachmittags immer mehr auf. Isaac brachte mir zwischendurch Limonade und ein Stück der besten Zitronentorte, die ich jemals in meinem Leben gekostet hatte. Ich musste so verzückt ausgesehen haben, dass Isaac mich amüsiert dabei beobachtete, wie ich jeden einzelnen Krümel von meinem Teller verschlang, nur um mir dann stolz seine Großmutter vorzustellen, die den Kuchen gebacken hatte.

  Kurz darauf ließ er mich mit den beiden allein, um ein Pärchen zu begrüßen, das gerade durch die Terrassentür in den Garten getreten war. Das war okay für mich, denn Mary war genauso herzlich wie ihr Mann, und die beiden ließen mir keine Gelegenheit, mich auch nur eine Minute lang in ihrer Gegenwart unwohl oder unwillkommen zu fühlen. Ganz im Gegenteil, sie vermittelten mir ununterbrochen das Gefühl, dass sie sich über meine Anwesenheit freuten.

  Isaacs Grandma brachte mir noch ein weiteres Stück von ihrer Torte und erzählte mir dann, wie sie und Theodore sich vor fünfundfünfzig Jahren kennengelernt hatten. Mary war in der Stadt groß geworden, in einer einflussreichen und wohlhabenden Familie. Ihr Vater war alles andere als begeistert gewesen, dass die einzige Tochter sich Hals über Kopf in einen Farmer verguckt hatte, aber ihre Liebe zu Theodore war so stark gewesen, dass eine Trennung für sie nicht infrage gekommen war.

  Ich hing an ihren Lippen, als sie und Theodore davon erzählten, wie Mary sich erst einmal an das Leben und die Arbeit auf einer Farm gewöhnen musste und dass es nicht immer leicht war, vor allem in den Zeiten, in denen die Familie auseinanderzubrechen drohte. »Aber wir Grants halten immer zusammen, egal, was geschieht«, sagte Theodore eindringlich, und ich bekam eine Gänsehaut, als er und Mary einander bei den Händen fassten und sich aus glücklichen Augen anlächelten, Theodore noch immer mit seiner Papierkrone auf dem Kopf.

  Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals. Ich w
andte den Blick ab und sah mich um. Mittlerweile tummelten sich bestimmt über dreißig Personen im Garten. Sie saßen bei uns am Tisch oder standen in kleinen Gruppen am Grill und am Büffet. Etwas abseits spielten und lachten Kinder.

  Dieser Moment fühlte sich für mich so unwirklich an, so fremd. So viele glückliche Leute auf einem Haufen, die sich alle mochten und umeinander kümmerten. Isaac hatte mir auf der Fahrt hierher erklärt, dass sie nie nur die eigene Familie einluden, sondern immer auch die Mitarbeiter der Farm, die Nachbarn oder auch Mitschüler von Ariel. Er hatte gesagt, dass das Haus immer voll war und dass es sich für ihn nur normal anfühlte, wenn es laut und lebendig war.

  Theodore und Mary hatten ein richtiges Zuhause geschaffen, in das Isaac immer heimkehren konnte, wenn er Hilfe brauchte oder sich alleine fühlte. Ich schien jetzt erst richtig zu begreifen, was das eigentlich bedeutete.

  Der Kloß in meinem Hals wuchs. Bevor ich Isaac kennengelernt hatte, war es mir so einfach gefallen, meine Gefühle zu verdrängen. Nichts zu fühlen. Doch seit einer Weile schien das nicht mehr zu funktionieren. Abrupt stand ich auf.

  »Ist es für euch okay, wenn ich ein paar Fotos von der Feier mache?«, sagte ich, als Theodore und Mary mich überrascht ansahen.

  Sie willigten ein, und ich stand auf, um Frank aus meiner Tasche zu holen.

  Mit der Kamera in der Hand ging es mir wie immer gleich besser. Wenn ich das Geschehen durch ihre Linse betrachtete, dann musste ich mich auf die Einstellungen des Winkels, des Blitzes, des Formats konzentrieren, nicht auf die Gefühle, die beim Anblick von Isaacs Familie in mir ausgelöst wurden.

  Nachdem ich ein Bild von Theodore und Mary gemacht hatte, die darauf so verliebt aussahen, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt, blickte ich mich auf dem großen Grundstück um. Schließlich ging ich zu Isaacs Geschwistern, die mit ein paar anderen Kindern spielten und sich so schnell bewegten, dass die meisten meiner Schüsse verschwommen waren. Ich überlegte gerade, ob es sich lohnen würde, ein anderes Objektiv zu verwenden, da knallte einer der Jungs mit voller Wucht gegen meine Beine. Ich verlor das Gleichgewicht und landete mit einem »Uff!« auf dem Boden, die Hand, in der ich die Kamera hielt, in die Luft gestreckt. Zum Glück war das Gras weich.

 

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