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Feel Again

Page 35

by Mona Kasten


  Ich stützte meinen Kopf auf meine Hand und starrte auf die Portion Spaghetti, die Dawn für mich ausgesucht hatte.

  »Iss«, sagte sie neben mir und deutete drohend mit ihrer Gabel auf mich.

  Ich stocherte in meinen Nudeln herum. Ich verspürte weder Appetit noch Hunger, aber da Dawn mich unnachgiebig anstarrte, nahm ich schließlich eine Gabel voll in den Mund.

  »Mh, köstlich«, sagte ich demonstrativ. Mir gegenüber lachte Scott verhalten in seine Faust. Ich sah ihn zum ersten Mal richtig an und stutzte.

  Scott sah aus, wie ich mich fühlte.

  Total beschissen.

  Er war normalerweise einer dieser Menschen, die immer gut und perfekt gestylt aussahen, egal, wann und wo man sie antraf. Doch heute trug er einen hässlichen, ausgeblichenen Pullover, und seine Haare standen in alle Richtungen ab. Seine Wangen waren aschfahl, und wenn er lächelte, sah es aus wie eine Grimasse.

  Ich runzelte die Stirn, und er wandte den Blick ab und starrte auf seinen Teller. Den Cheeseburger, der darauf lag, hatte er nicht angerührt. Gedankenverloren nahm er eine Pommes und rührte damit in einer Ketchup-Pfütze herum.

  »Alles okay bei dir?«, fragte ich unvermittelt.

  Er hob eine Braue. »Was denkst du denn?«

  Meine Mundwinkel verzogen sich leicht nach oben. »Okay. Bescheuerte Frage, sorry.«

  »Allerdings«, murrte er und schob sich die Pommes in den Mund. Dann hielt er mir eine hin, und ich nahm sie ihm ab.

  »Ich habe gleich gesagt, dass das eine gute Idee ist«, meldete sich Allie wenig später zu Wort.

  »Uns zum Essen zu zwingen? Ja, total. Bester Einfall aller Zeiten«, murmelte Scott und fuhr sich durchs Haar, nicht wissend, dass Ketchup an seinem Finger klebte. Jetzt war eine seiner vorderen Haarsträhnen rot, und es sah aus, als hätte er eine Kopfwunde.

  »Was ist bei dir los?«, fragte ich und beugte mich über den Tisch, um ihm mit der Serviette über die Stirn und das Haar zu wischen. Er hielt still, als scherte er sich schlichtweg nicht darum, dass jemand an ihm herumfummelte.

  »Ich wurde verlassen«, sagte er tonlos.

  »Tut mir leid.«

  »Danke.« Eine weitere Pommes verschwand in seinem Mund. »Und bei dir?«

  Ich zuckte mit den Schultern. »Nichts.«

  »Nichts?«, brachte Dawn neben mir hervor und verschluckte sich beinahe an einer Spaghetti. Sie nahm einen großen Schluck Wasser, bevor sie weitersprach. »Gott, Sawyer! Du bist wirklich unglaublich!«

  »Was denn? Ich bin nicht mit hierhergekommen, um mit euch über meine Gefühle zu sprechen. Ich will das alles einfach nur so schnell wie möglich vergessen.«

  Scott gab ein Geräusch von sich, das ich als Zustimmung deutete.

  »Probleme löst man, indem man darüber spricht. Und nicht, indem man sich zu Tode arbeitet und versucht, sie so zu verdrängen. So funktioniert das nicht«, sagte Dawn leise.

  Ich versteifte mich. Bisher klappte es eigentlich ziemlich gut, aber das würde ich ihr in diesem Moment sicher nicht auf die Nase binden.

  »Ihr beide müsst dringend mal wieder unter Leute. Einfach mal Spaß haben und auf alles andere pfeifen«, sagte Allie lächelnd.

  »Wow, Allie. Was für ein toller Einfall. Nicht«, murmelte Scott und lutschte den Ketchup von einer Pommes, bevor er sie erneut eintunkte.

  »Sei nicht so zynisch, Scottie. Das macht Falten«, erwiderte sie bloß.

  »Ich mag ihn lieber, wenn er so grantig ist«, sagte ich zu Dawn.

  Dawn rollte die Augen. »Ob du es glaubst oder nicht, aber das überrascht mich kein bisschen.« Sie legte ihre Gabel zur Seite. »Aber jetzt mal ehrlich. Allie hat recht. Ihr müsst mal wieder raus und endlich euer Trauerkloß-Dasein ablegen. Kommt heute Abend mit ins Hillhouse.«

  Scott und ich stöhnten gleichzeitig auf.

  »Ich will nur nach Hause, mir eine Jogginghose anziehen und mich auf die Couch legen«, jammerte Scott.

  »Jogginghosen kannst du danach wieder anziehen«, sagte Dawn, und ich kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie keinen Widerspruch dulden würde.

  »Ich komme nur mit, wenn Sawyer auch mitkommt. Mit euch beiden verliebten Schmetterlingen halte ich es keine zehn Minuten alleine aus.« Scott sah mich flehend an.

  »Vergiss es«, sagte ich kopfschüttelnd. »Sorry, aber da muss Dawn mich schon k. o. hauen, dass ich das Hillhouse noch mal betrete.«

  »Dann gehen wir woanders hin«, sagte Allie schnell. »Da hat doch dieser neue Club am Stadtrand aufgemacht.«

  Dawn nickte energisch. »Gute Idee!«

  Ich starrte die beiden an, musste aber schließlich einsehen, dass ich keine Chance hatte. »Von mir aus. Aber nur, weil ich Angst habe, dass Dawn mich irgendwann nachts erwürgt. Mal ehrlich, du kannst so böse gucken. Wie eine Serienkillerin.«

  Aber Dawn hörte mich gar nicht. Sie war zu beschäftigt damit, zu jubeln und mit Allie zu planen, welche Outfits wohl am besten in den neuen Club passen könnten.

  Großartig.

  Mit Scott auf der Tanzfläche den Frust wegzutanzen, tat fast genauso gut, wie mit Kaden auf einen Boxsack einzuschlagen. Ich hatte erwartet, dass es merkwürdig sein würde, mit Dawns Freunden wegzugehen – vor allem mit Allie –, und mich auf das Schlimmste eingestellt, aber der Abend entwickelte sich besser als gedacht. Zumal es beinahe befreiend war, jemanden dabeizuhaben, dem es genauso mies ging wie mir und der verstand, dass ich mich über Gott und die Welt unterhalten konnte, über eine Sache aber unter keinen Umständen sprechen wollte. Dawn versuchte ein paarmal, das Thema auf Isaac zu bringen, aber ich ignorierte sie. Und als sie mir beichtete, dass auch er nicht mit ihr sprach und sie sich Sorgen um ihn machte, wurde es mir zu viel.

  Ich schnappte mir Scotts Hand und zog ihn hinter mir auf die Tanzfläche. Scott wusste, wie man sich bewegte, und es fiel mir gar nicht schwer, meine Bewegungen seinen anzupassen und mich einfach nur dem Rhythmus hinzugeben, ohne nachzudenken, ohne zu fühlen. Ich fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare und schloss einen Moment die Augen, als ich den Bass genoss, der durch meinen Körper hämmerte.

  Ich sah ihn, als ich die Augen wieder öffnete.

  Ich musste mehrmals blinzeln, um sicherzugehen, dass mir mein Hirn gerade keinen Streich spielte.

  Isaac war hier.

  Er war wirklich hier.

  Er saß an der Bar, und neben ihm …

  Neben ihm saß das Mädchen mit den braunen Locken.

  Mein Atem stockte, und genau in dem Moment trafen sich unsere Blicke. In seinem Gesicht regte sich nichts, aber hinter seinen Augen konnte ich die Gedanken umherwirbeln sehen. Ohne von mir wegzusehen, setzte er seine Flasche an die Lippen und trank. Ich hätte so gerne gewusst, was in seinem Kopf vorging, und gleichzeitig verabscheute ich mich dafür, dass ich so neugierig war. Es ging mich nichts an. Er ging mich nichts mehr an, ganz egal, wie gern ich in diesem Moment zu ihm gegangen wäre, mich vor ihn gestellt, sein Gesicht in meine Hände genommen und ihn besinnungslos geküsst hätte. Genau wie an jenem ersten Abend.

  Mit eisernem Willen riss ich meinen Blick von ihm los. Scott sah erst mich an, dann in die Richtung, in die ich gestarrt hatte. Erkenntnis machte sich auf seinem Gesicht breit.

  »Soll ich uns vielleicht doch einen Drink besorgen?«, fragte er.

  Ich nickte mechanisch. Scott umfasste meinen Arm sanft und nickte dann in Richtung unseres Tisches. »Geh zurück zu den anderen. Bin gleich wieder da.«

  Dann verschwand er an die Bar, während ich mich umdrehte und wie betäubt zurück zu Allie und Dawn lief.

  »Ihr saht scharf aus«, sagte Dawn und rutschte auf der Bank zur Seite.

  Ich antwortete nicht.

  »Ist alles in Ordnung?«, fragte Allie.

  »Platz da«, erklang Scotts Stimme unvermittelt neben uns. Im nächsten Moment stellte er ein Glas mit einer orangebraunen Flüssigkeit vor mir ab. Zitronenscheiben schwammen an der Oberfläche. Er setzte sich gegenüber von mir und hob sein eigenes Glas
erwartungsvoll in die Höhe. Ich stieß mit ihm an. Dann nahm ich den Strohhalm, legte ihn auf der kleinen Serviette ab und setzte den Drink an meine Lippen. Ich trank in großen, gierigen Schlucken.

  »Soll ich fragen, was hier gerade passiert, oder lieber nicht?«, fragte Dawn leise.

  »Frag nicht«, riet ihr Scott.

  Ich versuchte mit aller Kraft, die Tatsache zu verdrängen, dass Isaac nur wenige Meter entfernt mit einem anderen Mädchen an der Bar saß. Ich trank den kompletten Cocktail aus und stellte das Glas auf der Tischplatte ab.

  »Sawyer?«, fragte Dawn leise.

  Ich begegnete ihrem Blick, der so mitfühlend war, dass mir davon ganz schlecht wurde.

  Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, mit ihr herzukommen. Ich rutschte von meinem Stuhl. »Ich glaube, ich muss tanzen«, sagte ich.

  Ich ignorierte Dawn, die nach meinem Arm greifen wollte, und lief einmal quer über die Tanzfläche, an den Punkt, der so weit wie möglich von der Bar und Isaac entfernt war.

  Es dauerte nicht lange, und einer der Kerle, die neben mir in einer kleinen Gruppe tanzten, kam zu mir. Ich kannte ihn vom Sehen, konnte mich aber beim besten Willen nicht an seinen Namen erinnern. Er lächelte, und auf seinen Wangen erschienen längliche Grübchen. Ich versuchte zurückzulächeln, obwohl sich mein Gesicht taub anfühlte, aber es funktionierte: Er legte eine große, warme Hand an meine Taille und zog mich zu sich.

  Er war riesig, mindestens eins neunzig, und so breit gebaut, dass ich mir daneben winzig und zerbrechlich vorkam. Unter seinem rechten Shirtärmel konnte ich die schwarzen Linien eines Tattoos erkennen.

  Ich legte eine Hand auf seinen Brustkorb und bewegte mich mit ihm im Takt, ließ die Hitze zu, die sich durch seine Nähe in mir ausbreitete. Das war so viel besser als der Schmerz, den ich seit Tagen spürte.

  »Ich bin Adam«, raunte er irgendwann in mein Ohr. Die Stoppeln seines Barts kratzten über meine Wange.

  »Sawyer«, gab ich zurück und legte meine zweite Hand auf seine Schulter. Heilige Scheiße, der Typ hatte Muskeln.

  Das waren die einzigen Worte, die wir wechselten. Die nächsten Songs verbrachten wir eng miteinander tanzend, mit seinen heißen Händen auf meinem Körper und seinem Schritt, der sich gegen meinen Hintern drückte. Mir gefiel, dass er so stark war. Ich genoss das Gefühl, gehalten zu werden, und lehnte mich an ihn, als mir immer schwindeliger wurde.

  Adam ließ seine Hände über meine Hüften nach oben gleiten und legte sie auf meinen Rippenbogen. Kurz wagten sich seine Finger zu meinem Brustansatz, fast als würde er testen, wie weit ich ihn gehen ließ. Dann presste er sich noch fester gegen mich. Ich seufzte leise. Genau das hatte ich gebraucht. Fremde Hände und einen großen, warmen Körper, der mir Halt gab.

  Plötzlich wirbelte Adam mich zu sich rum. Im nächsten Moment presste er seine Lippen auf meine.

  Ich war so überrascht, dass mein Herzschlag kurz aussetzte und ich wie gelähmt einfach nur dastand, während die Musik unnatürlich laut in meinen Ohren dröhnte.

  Der Kuss war grob und schmeckte nach Zigaretten und Alkohol. Adams Zunge war klobig und fühlte sich wie ein Fremdkörper an, der sich unerlaubt Weg in meinen Mund gebahnt hatte.

  Ich fand es schrecklich. Und mit einem Mal wurde mir klar, wie falsch das hier alles war.

  Sofort drehte ich meinen Kopf zur Seite und drückte mit beiden Händen gegen seine Schultern, damit er aufhörte. Aber er ließ sich davon nicht beirren, sondern presste seine Lippen auf meine Wange, meinen Kiefer und letztlich auf meinen Hals, wo er zubiss. Ich atmete zischend ein. Autsch, verflucht, das war überhaupt nicht sexy.

  »Adam«, brachte ich hervor. Entweder er hörte mich wirklich nicht, oder er wollte mich nicht hören, denn im nächsten Moment glitt seine Zunge in meine Ohrmuschel. »Adam, hör auf.«

  »Baby«, murmelte er.

  Wieder stieß ich ihn von mir, diesmal kräftiger, damit er endlich losließ. Er zog seinen Kopf zurück, und als er mich ansah, flackerten die bunten Lichter der Scheinwerfer über sein Gesicht.

  »Hör auf«, sagte ich energisch.

  »Wieso?«, fragte er, und ein gefährliches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Wieder drückte er seine Lippen auf meine, diesmal so fest, dass ich keine Luft mehr bekam. Ich stieß einen frustrierten Schrei aus, der von seinem Mund verschluckt wurde. Verzweifelt zog ich meinen Kopf nach hinten, stieß immer wieder gegen seinen Brustkorb, bis ich mich an das erinnerte, was Kaden mir im Fitnesscenter gezeigt hatte.

  Ich holte aus und boxte Adam mit voller Kraft in den Bauch. Fluchend wich er zurück und rieb sich die Stelle, wo ich ihn getroffen hatte. Sein Gesicht lief rot an, und auf seiner Stirn trat eine Ader deutlich hervor.

  »Was zum Teufel willst du eigentlich von mir?«

  »Ich will, dass du aufhörst, mir deine Zunge in den Hals zu stecken«, fauchte ich und wischte mir mit dem Handrücken über den Mund. Ich hatte seinen Speichel in meinem Mundwinkel kleben, und es fühlte sich so furchtbar falsch an, dass mir ganz übel wurde.

  Mittlerweile waren die Leute, die um uns herum gestanden und getanzt hatten, auf uns aufmerksam geworden. Einige reckten ihren Hals und stellten sich auf die Zehenspitzen, um bloß nichts zu verpassen.

  Adam schnaubte verächtlich. »Erst machst du mich dermaßen an, und jetzt tust du so, als wärst du schwer zu haben? Mach dir keine Mühe, Sawyer.« Er breitete die Arme aus. »Alle hier wissen, dass du jeden ranlässt.«

  Im nächsten Moment wurde er nach hinten gerissen. Eine Faust landete in seinem Gesicht. Sie traf ihn völlig unvorbereitet, und sein bulliger Körper taumelte zu Boden.

  »Nimm das zurück.«

  Das musste eine Halluzination sein. Anders konnte ich mir nicht erklären, was sich gerade vor meinen Augen abspielte.

  Isaac hatte sich auf Adam gestürzt und hockte breitbeinig über ihm. Mit einer Hand hielt er ihn am Kragen, die andere war immer noch zur Faust geballt.

  »Nimm. Das. Zurück«, wiederholte er langsam.

  »Sonst was?« Adam lachte. Er versetzte Isaac einen heftigen Stoß, doch der fing sich schnell und ließ, das Gesicht vor Wut verzerrt, ein zweites Mal seine Faust nach vorne schnellen, diesmal direkt auf Adams Mund.

  Irgendjemand packte Isaac unter den Armen. Er wehrte sich nicht, als er von Adam runtergezogen wurde, aber sein Gesicht war ganz rot und der Blick in seinen Augen wild. Er riss sich los und hob entwaffnet die Hände, ohne den Blick von Adam zu nehmen, der auf dem Boden lag und sich die aufgeplatzte Lippe hielt. Blut klebte an seinen Fingern, und sofort wurde mir schlecht.

  »Sprich nie wieder so respektlos mit ihr«, sagte Isaac leise.

  Von Weitem konnte ich einen Security-Mitarbeiter sehen, der sich durch die Menge kämpfte. Ohne lange darüber nachzudenken, nahm ich Isaacs Hand und zerrte ihn in Richtung Notausgang. Sein ganzer Körper bebte, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Ich musste zusehen, dass ich ihn hier rausholte, bevor er meinetwegen Schwierigkeiten bekam. Kaum waren wir an der Tür, riss ich sie auf und schob ihn hindurch. Dann zog ich ihn im Laufschritt über den Parkplatz. Erst als wir hundert Meter vom Club entfernt waren, hielt ich an. Ich ließ Isaac los und wandte mich kurz ab, um zu Atem zu kommen. Noch immer spürte ich Adams Mund auf meinem. Ich wischte mir über die Lippen.

  Als ich mich umdrehte, starrte Isaac seine Hand an. Er lockerte seine Finger und ballte sie dann erneut zur Faust. Er sah aus, als könnte er nicht glauben, dass diese brutale Hand tatsächlich Teil seines Körpers war.

  »Du hättest das nicht tun brauchen.« Ich klang verwirrt, und genau so fühlte ich mich auch.

  So ging es mir in seiner Nähe immer.

  »Im Gegenteil«, sagte er.

  Ich runzelte die Stirn. »Was?«

  »Im Gegenteil, Sawyer. Ich hätte das schon viel früher tun sollen.«

  Die Bedeutung seiner Worte traf mich mitten ins Herz. Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber nichts kam heraus.

  »Ich hätte schon viel früher etwas sagen sollen.
Aber jedes Mal war ich zu feige und habe nur danebengestanden und dabei zugeguckt, wie Leute – Leute, die dich überhaupt nicht kennen – dich beleidigen.«

  Er machte einen langen Schritt auf mich zu, und ich merkte an seiner angespannten Haltung und der Energie, die von ihm ausströmte, dass er noch immer unter Adrenalin von seiner ersten Schlägerei stand.

  »Du fehlst mir«, raunte er.

  Ich schüttelte den Kopf und wich zurück. Er seufzte leise. Aber dann griff er nach meiner Hand und zog mich unendlich sanft in eine Umarmung.

  »Du fehlst mir«, wiederholte er, leiser diesmal. Seine Lippen streiften meine Schläfe, und ich spürte seinen Atem an meiner Haut, als er mich mit seinen Armen einfach nur festhielt.

  Ich war völlig überfordert. Einerseits wollte ich genau hier und nirgendwo anders sein, aber auf der anderen Seite …

  Das Gesicht von Als Nichte tauchte vor meinen Augen auf.

  »Lass mich los«, brachte ich heiser hervor. Ich sträubte mich nicht gegen ihn, aber das brauchte ich auch nicht. Isaac ließ mich sofort los. Er sah mich an, und ich konnte die Enttäuschung und den Schmerz in seinen Augen kaum ertragen. Trotzdem nahm ich all meinen Mut zusammen.

  »Ich bin gewohnt, dass mich alle nur als Lückenbüßer benutzen, bis sie jemanden gefunden haben, der ihnen wichtiger ist, mit dem sie wirklich zusammen sein wollen. Kaden. Ethan. Und auch wenn es kein sonderlich gutes Gefühl ist, einfach weggeworfen zu werden, war das immer okay für mich. Ich wollte ja gar nicht mehr als jemanden, mit dem ich mich ein paar Nächte lang ablenken konnte. Aber bei dir …« Ich stockte. »Bei dir habe ich für kurze Zeit tatsächlich geglaubt, ich könnte mehr sein. Aber ich war auch nur ein Platzhalter für das, was du eigentlich willst.«

  Isaac starrte mich entgeistert an. »Das ist das Dümmste, was du jemals zu mir gesagt hast.«

  Ich schnaubte. »So bin ich eben, Isaac. Blond und dumm und nur gut fürs Bett.«

  »Und ich naiv, ein Nerd und Jungfrau, oder was?«

  Ich zuckte mit den Schultern, was ihn noch mehr in Rage versetzte.

 

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