Exodus
Page 77
»Wohin sollte ich mich versetzen lassen? In ein Gebiet, wo irgendein anderes Abu Yesha liegt, das nur einen anderen Namen hat?«
»Ari, ehe du eine endgültige Antwort gibst — ich habe dich gekannt, seit du ein Baby warst. Seit deinem fünfzehnten Jahr bist du ein Kämpfer gewesen. Wir haben nicht genug Leute von deinem Kaliber. In all diesen Jahren habe ich es nie erlebt, daß du einem Befehl nicht gehorcht hättest.«
Ari wandte sich um. Sein Gesicht zeigte Sorge, Trauer und Resignation. »Ich werde tun, was getan werden muß«, sagte er tonlos.
»Ich weiß es«, sagte Avidan. »Übrigens, du bist zum Colonel befördert.«
Ari lachte kurz und bitter.
»Auch mir tut es leid«, sagte Avidan. »Glaube mir, es tut mir wirklich leid.«
Colonel Ari ben Kanaan, sein 1a und sein Adjutant, die Majore Ben Ami und Joab Yarkoni, legten die Einzelheiten der Operation Purim für die Eroberung von Fort Esther und die Ausschaltung von Abu Yesha als arabischen Stützpunkt fest. Mit dieser Operation sollte die Sicherung dieses Gebietes abgeschlossen werden.
Die Artillerie, die Avidan versprochen hatte, kam niemals an, doch Ari hatte das auch nicht ernstlich erwartet. Er ließ den Kleinen David aus Safed, zusammen mit fünfzig Schuß Munition, heranschaffen. Ohne Artillerie war es unmöglich, Fort Esther von Gan Dafna aus anzugreifen. Kassi hatte immer noch einige vierhundert Mann in dem Gebiet, überlegene Waffen in Fort Esther und außerdem die bessere strategische Position.
Ari machten drei arabische Dörfer zu schaffen. Das erste auf dem Weg nach Fort Esther war Abu Yesha, und hoch oben in den Bergen lagen an der libanesischen Grenze zwei Dörfer, die den Zugang zu dem Fort versperrten. Kassi hatte in beiden Dörfern Leute stationiert. Ari plante, das Fort von der Rückseite her anzugreifen. Dazu aber mußte er an den beiden Dörfern vorbei, die rechts und links von dem Fort lagen.
Für den Angriff auf Fort Esther teilte Ari seine Leute in drei Gruppen ein. Mit der ersten Gruppe ging er selbst bei Einbruch der Dunkelheit los. Auf schmalen Saumpfaden führte er seine Leute die Hänge zur libanesischen Grenze hinauf. Es war ein schwerer und gefährlicher Weg. Sein Ziel war, nahe an das erste der beiden Bergdörfer heranzukommen. Er mußte einen weiten Umweg machen, um unbemerkt in die Rückseite des Dorfes zu gelangen. Der Marsch wurde durch den Anstieg im Gebirge, die Dunkelheit, und das Gewicht der Davidka mit der Munition erschwert. Fünfunddreißig Männer und fünfzehn Mädchen trugen je einen Schuß der Davidka-Munition. Weitere fünfzig Mann sicherten die Transportkolonne.
Aris Bein schmerzte noch immer, doch er führte die Kolonne in mörderischem Tempo über die Hänge hinauf. Sie mußten ihr Ziel vor Tagesanbruch erreichen, wenn die Operation nicht fehlschlagen sollte.
Gegen vier Uhr morgens kamen sie erschöpft auf dem Gipfel an. Doch für eine Rast war keine Zeit. Im Eilmarsch ging es über den Gipfel weiter auf das erste Dorf zu. Sie umgingen es in weitem Bogen und trafen mit einer Patrouille eines ihnen freundlich gesinnten Beduinenstammes zusammen. Die Beduinen teilten Ari mit, daß die Gegend feindfrei war.
Ari führte seine Gruppe eilig in die Ruinen eines kleinen Kreuzritterkastells, das zwei Meilen hinter dem Dorf lag. Als es anfing hell zu werden, gingen sie mit letzter Kraft eilig in Deckung. Den ganzen Tag über hielten sie sich verborgen, während die Beduinen Wache hielten.
Am nächsten Abend brachen die beiden anderen Gruppen von Ejn Or aus auf. Major David ben Ami führte seine Leute auf dem nun schon vertrauten Weg über die Hänge nach Gan Dafna hinauf. Er erreichte den Ort bei Tagesanbruch und tauchte mit seiner Gruppe unsichtbar im Buschwerk unter.
Die dritte Gruppe, angeführt von Major Joab Yarkoni, stieg auf dem gleichen Weg wie Ari in einem weiten Bogen auf schmalen Saumpfaden in die Berge hinauf. Seine Leute kamen rascher vorwärts, weil sie nicht den Kleinen David und seine Munition zu schleppen hatten. Dafür hatten sie jedoch eine größere Entfernung zurückzulegen, weil sie sowohl an dem ersten Dorf, in dem Ari in Deckung lag, als auch an Fort Esther vorbei mußten, um sich nahe an das zweite Dorf heranzuarbeiten. Die Beduinen nahmen auch Yarkonis Gruppe oben auf dem Gipfel in Empfang und brachten sie unbemerkt ans Ziel.
Gegen Abend des zweiten Tages schickte Ari den Anführer der Beduinen mit einem Ultimatum zur Übergabe in das Dorf. Der Muktar des Dorfes und die rund achtzig Mann von Kassis Leuten, die sich dort befanden, hielten das Ultimatum für einen Bluff: es schien ihnen unmöglich, daß die Juden unbemerkt heraufgekommen sein und das Dorf umgangen haben sollten. Der Beduine kam mit der Meldung zurück, daß es nötig sei, die Dorfbewohner durch einen sinnfälligen Beweis zu überzeugen, und Ari ließ die Davidka zwei Schuß abgeben.
Zwei Dutzend Lehmhütten flogen in die Luft. Die Araber waren überzeugt. Nach dem zweiten Schuß des Kleinen David flohen die Irregulären, angeführt von ihren Offizieren, in wilder Eile über die libanesische Grenze, und im Dorf sah man überall weiße Fahnen. Ari schickte rasch einen Teil seiner Gruppe in das Dorf hinein und eilte mit dem Rest zu dem zweiten Dorf, gegen das Yarkoni bereits den Angriff eröffnet hatte.
Zwanzig Minuten nach Aris Ankunft und nach drei Schuß der Davidka ergab sich das Dorf, und weitere hundert von Kassis Leuten flohen nach dem Libanon. Die beiden Dörfer hatten sich so rasch ergeben, daß man es in Fort Esther gar nicht bemerkt hatte. Man hielt dort das entfernte Geräusch der Davidgranaten und der Gewehrschüsse für eine Schießerei der eigenen Leute.
Im Morgengrauen des dritten Tages ging David ben Ami mit seiner Gruppe von Gan Dafna aus vor und legte sich mit ihr außerhalb von Abu Yesha, wo Kassi weitere hundert Mann hatte, in einen Hinterhalt. Nachdem Ben Amis Leute in Stellung gegangen waren, um zu verhindern, daß Verstärkung von Abu Yesha kam, näherten sich Ari und Yarkoni mit ihren Gruppen der Rückseite von Fort Esther. Als sie mit dem Kleinen David das Feuer eröffneten, hatte Kassi nur hundert Mann innerhalb des Forts. Der Rest war in den Libanon geflohen oder befand sich in Abu Yesha. Schuß auf Schuß zischte und fauchte durch die Luft und explodierte vor den Betonmauern des Forts. Jeder Schuß kam ein wenig näher an das Ziel, das eiserne Tor an der Rückseite des Forts, heran. Nach dem zwanzigsten Schuß war das Tor aus den Angeln gesprengt, und die nächsten fünf Schüsse gingen bereits in den Hof des Forts.
Ari ben Kanaan ging mit der ersten Welle vor. Die Angreifer krochen flach über die Erde, unter dem Schutz von Maschinengewehrfeuer und den Schüssen der Davidka.
Der tatsächliche Schaden, den das Fort durch den Beschuß erlitt, war unbedeutend; doch der Lärm und der plötzliche Angriff waren für Kassi und seine Helden zuviel gewesen. Sie verteidigten sich nur schwach und warteten auf Verstärkung. Die einzigen, die ihnen noch zu Hilfe hätten kommen können, verließen Abu Yesha und liefen direkt in David ben Amis Falle. Kassi sah es durch das Fernglas. Er war abgeschnitten. Die Juden waren am hinteren Tor angelangt. Über Fort Esther ging die weiße Fahne hoch.
Yarkoni ging mit zwanzig Mann in das Fort hinein, entwaffnete die Araber und jagte sie nach dem Libanon davon. Kassi, der jetzt ganz fügsam war, und drei seiner Offiziere wurden in die Arrestzellen gesperrt. Auf dem Fort hißte man den Davidstern. Ari ging mit dem Rest der Leute die Straße hinunter, zu den Stellungen Davids und seiner Leute. Der Zeitpunkt war gekommen, Abu Yesha endgültig als arabischen Stützpunkt zu schwächen, ja ganz und gar auszuschalten.
Die Bewohner von Abu Yesha hatten den Kampf gesehen und gehört. Sie waren sich klar darüber, daß ihr Dorf als nächstes an der Reihe war. Ari schickte einen Trupp mit einem Parlamentär in den Ort, um den übriggebliebenen Bewohnern mitteilen zu lassen, sie hätten zwanzig Minuten Zeit, um den Ort zu verlassen. Andernfalls müßten sie die Konsequenzen tragen. Von seinem erhöhten Standpunkt aus konnte er viele seiner alten Freunde sehen, die Abu Yesha verließen und sich auf die mühsame Wanderschaft in die Berge des Libanon machten. Ari fühlte sich elend, als er sie davonziehen sah.
Es verging mehr als eine ganze Stunde.
»Es hat keinen Zweck, noch länger zu warten«, sagte David.
»Ich — ich möchte die Gewißheit haben, daß alle heraus sind.«
»In der letzten halben
Stunde hat niemand mehr den Ort verlassen, Ari. Alle, die herauswollten, sind fort.«
Ari wandte sich ab und entfernte sich ein Stück von seinen Leuten, die auf den Befehl zum Angriff warteten. David ging ihm nach. »Ich werde das Kommando übernehmen«, sagte er.
»In Ordnung«, sagte Ari leise.
Ari stand einsam am Hang, während David die Männer zu dem Bergsattel führte, in dem Abu Yesha lag. Sein Gesicht wurde bleich, als er die ersten Schüsse hörte. David ließ die Leute, als sie an die ersten Häuser des Dorfes kamen, sich in Schützenkette entwickeln. Sie wurden von heftigem MG- und Gewehrfeuer empfangen. Die Juden warfen sich zu Boden und arbeiteten sich einzeln vorwärts.
In Abu Yesha hatten rund hundert Araber, angeführt von Taha, beschlossen, sich zum Kampf zu stellen. Dabei ergab sich eine Situation, die in diesem Krieg eine seltene Ausnahme darstellte: die Juden waren zahlenmäßig und waffenmäßig überlegen. Einem heftigen Sperrfeuer von automatischen Schußwaffen folgte ein Hagel von Granaten auf die vordersten arabischen Stellungen. Das erste arabische Maschinengewehr wurde zum Schweigen gebracht, die Verteidiger wichen zurück, und die Juden konnten im Ort selbst Fuß fassen.
Der Kampf ging um jede Straße, um jedes Haus, und er war hart und blutig. Diese Häuser waren nicht aus Lehm, sondern aus Stein, und die Bewohner des Ortes, die geblieben waren, wehrten sich in erbittertem Nahkampf.
Die Stunden vergingen. Ari ben Kanaan bewegte sich nicht von der Stelle. Das unablässige Geräusch des Gewehrfeuers, das Krachen der Handgranaten, und sogar die Schreie der Menschen drangen an sein Ohr.
Eine Position nach der anderen mußten die Araber von Abu Yesha räumen, während der unbarmherzig nachdrängende Gegner sie immer mehr aufsplitterte und isolierte. Schließlich wurden alle, die noch lebten, in einer Straße am Ende des Ortes zusammengedrängt. Mehr als fünfundsiebzig Araber waren gefallen, nachdem sie sich bis zuletzt in einem der erbittertsten Kämpfe, der jemals von Arabern zur Verteidigung eines ihrer Dörfer geführt worden war, zur Wehr gesetzt hatten.
Die letzten acht Mann verschanzten sich im Palast des Muktar, der gegenüber der Moschee am Ufer des Stromes stand. David forderte die Davidka an, um dieses letzte Bollwerk in Trümmer legen zu lassen. Die letzten acht Mann, darunter auch Taha, fanden den Tod. Es war fast schon dunkel, als David ben Ami bei Ari ankam.
»Es ist alles vorbei«, sagte er mit müder Stimme.
Ari starrte ihn wortlos an.
»Es waren annähernd hundert, die dageblieben waren. Alle tot. Unsere Verluste — vierzehn Jungens, drei Mädchen. Ein weiteres Dutzend Verwundeter sind oben in Gan Dafna.«
Ari schien überhaupt nicht gehört zu haben, was David sagte.
»Was wird aus ihren Feldern werden?« sagte er leise. »Und was wird aus ihnen — wohin sollen sie gehen?«
David ergriff Ari an der Schulter. »Geh nicht hinunter, Ari«, sagte er.
Ari richtete den Blick auf die flachen Dächer des Dorfes. Alles war so still.
»Ist das Haus am Strom —.«
»Nein«, sagte David. »Versuche, es in Erinnerung zu behalten, wie es war.«
»Was soll aus ihnen werden?« fragte Ari. »Sie sind meine Freunde.« »Wir erwarten deinen Befehl, Ari.«
Ari sah David an und schüttelte langsam den Kopf.
»Dann muß ich den Befehl geben«, sagte David.
»Nein«, flüsterte Ari, »ich werde ihn geben.« Er richtete zum letztenmal den Blick auf das Dorf. Dann sagte er: »Macht Abu Yesha dem Erdboden gleich.«
XII.
David schlief in Jordanas Armen. Sie drückte seinen Kopf fest an ihre Brust. Sie konnte nicht schlafen. Mit weit geöffneten Augen starrte sie in die Dunkelheit.
Ari hatte sie von Gan Dafna beurlaubt, damit sie mit David über das Wochenende nach Tel Aviv fahren konnte. Morgen mußte sie Abschied von ihm nehmen, und Gott allein wußte, wann sie ihn wiedersehen würde, falls sie ihn überhaupt jemals wiedersehen sollte. Jordana hatte schon die ganze Zeit geahnt, daß sich David freiwillig für eine heikle Aufgabe melden werde. Seit dem Beginn der Belagerung hatte ihm die Sorge um Jerusalem keine Ruhe gelassen. Jedesmal, wenn sie in seine Augen sah, hatte sie den abwesenden Ausdruck schmerzlicher Trauer darin gesehen.
Er bewegte sich unruhig im Schlaf. Sie küßte ihn sanft auf die Stirn und strich ihm mit den Fingern durch das Haar, und er lächelte im Schlaf und lag wieder ruhig.
Ein Sabre-Mädchen durfte dem Geliebten nicht verraten, daß sie krank vor Sorge um ihn war. Sie durfte nur lächeln und ihm Mut machen, aber die Furcht in ihrem Herzen mußte sie verschließen. Die Angst um ihn preßte ihr das Herz zusammen. Sie hielt ihn in ihren Armen und wünschte sich, daß diese Nacht kein Ende nahm.
Es hatte an dem Tag angefangen, an dem die Vollversammlung der UNO der Teilung zugestimmt hatte. Am nächsten Tag rief der Großarabische Aktionsausschuß zu einem Generalstreik auf, bei dem es zu wilden Brandstiftungen und Plünderungen im jüdischen Geschäftsviertel von Jerusalem kam. Und kurze Zeit darauf, als Abdul Kader mit Hilfe der an der Straße liegenden arabischen Ortschaften den jüdischen Güterverkehr von Tel Aviv nach Jerusalem blockierte, begann die Belagerung der Stadt. In Jerusalem entwickelten sich die Feindseligkeiten zu einem regelrechten Krieg. Der Kommandeur der Hagana von Jerusalem sah sich Problemen gegenüber, die über rein militärische Fragen hinausgingen. Er trug die Verantwortung für die Ernährung und den Schutz der Zivilbevölkerung. Seine Aufgabe wurde durch den Umstand erschwert, daß sich ein großer Teil dieser Bevölkerung, fanatisch orthodoxe Juden, nicht nur zu kämpfen weigerte, sondern sich auch den Bemühungen der Hagana widersetzte.
Ein weiteres Problem waren die Makkabäer, die nur teilweise gemeinsame Sache mit der Hagana machten und im übrigen ihren Privatkrieg führten. Die Hügel-Brigade des Palmach, die ein allzu großes Gebiet in den Hügeln von Judäa zu sichern hatte und überbeansprucht war, nahm gleichfalls nur widerstrebend Befehle von dem Kommandeur der Hagana von Jerusalem entgegen. Alles zusammen ergab eine verzweifelt schwierige Situation, die es dem Kommandeur der Hagana praktisch unmöglich machte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Das schöne Jerusalem wurde zu einem blutigen Schlachtfeld. Die Ägypter griffen von Süden her an, belegten die Stadt mit Artilleriefeuer und ließen sie von ihren Flugzeugen bombardieren. Die Arabische Legion machte die heiligen Mauern der Altstadt zum kriegerischen Bollwerk. Die Zahl der jüdischen Verluste stieg in die Tausende.
Als die Arabische Legion das Teggart-Fort von Latrun besetzte, versprach sie, das Wasserwerk weiter in Betrieb zu halten, damit der Trinkwasserbedarf der Zivilbevölkerung gedeckt werden könne. Doch statt sich an ihr Versprechen zu halten, sprengten die Araber die Pumpstation und legten die Wasserversorgung lahm.
Man wußte, daß unter der Stadt zwei- bis dreitausend Jahre alte Zisternen lagen. Die Juden legten sie frei und entdeckten, daß diese uralten Zisternen wie durch ein Wunder noch immer Wasser enthielten.
Bis eine notdürftige Wasserleitung gebaut werden konnte, war es allein das Wasser dieser Zisternen, das die Juden vor dem Verdursten bewahrte.
Die Tage wurden zu Wochen und die Wochen zu Monaten, und noch immer hielt Jerusalem aus. Tag für Tag traten Männer, Frauen und Kinder zum Kampfe an, mit einer mutigen Entschlossenheit, die durch nichts zu brechen war.
Gleichzeitig mit der Legion drang der arabische Mob in die Altstadt ein, zerstörte Synagogen und heilige Stätten und plünderte jedes jüdische Haus, das ihm in die Hände fiel.
Die frommen Juden und ihre Verteidiger von der Hagana und von den Makkabäern wurden weiter und weiter zurückgedrängt, bis sich nur noch zwei Gebäude in ihrer Hand befanden. Es konnte sich nur noch um Tage handeln, bis sie samt und sonders vernichtet waren. Jordana wurde wach durch das Licht des neuen Tages. Sie reckte sich und streckte die Hand nach David aus. Er war nicht da.
Als sie erschreckt die Augen öffnete, sah sie, daß er am Bettrand stand und sich über sie beugte. Er trug zum erstenmal die Uniform der Armee des Staates Israel. Sie lächelte und ließ den Kopf auf das Kissen sinken. Er kniete sich zu ihr und strich über ihr rotes Haar. »Ic
h habe dich eine Stunde lang angesehen«, sagte er. »Du siehst sehr schön aus im Schlaf.«
Sie öffnete die Arme, zog ihn an sich und küßte ihn. »Schalom, Major Ben Ami«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»Es ist spät, mein Liebes«, sagte er. »Ich muß fort.«
»Ich ziehe mich schnell an«, sagte sie.
»Ich glaube, es ist besser, ich gehe jetzt gleich und allein.«
Jordana stockte das Herz. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte sie, ihn fassen, ihn halten zu müssen; doch dann beherrschte sie sich und lächelte.
»Ja, natürlich, Liebster«, sagte sie.
»Ich liebe dich, Jordana.«
»Schalom, David. Geh jetzt — bitte geh rasch.«
Sie drehte das Gesicht zur Wand und fühlte seinen Kuß auf ihrer Wange. Und dann hörte sie, wie die Tür geschlossen wurde.
»David, David«, flüsterte sie. »Bitte komm zu mir zurück.«
Avidan fuhr mit David ben Ami zur Wohnung des Generalstabschefs Ben Zion, die in der Nähe des Hauptquartiers lag. General Ben Zion war ein Mann von einunddreißig Jahren. Er stammte gleichfalls aus Jerusalem. Bei ihm befand sich sein Adjutant, Major Altermann.
»Avidan hat uns mitgeteilt, Sie hätten uns einen interessanten Vorschlag zu machen«, sagte Altermann.
»Ja«, antwortete David. »Es handelt sich um Jerusalem. Das Schicksal der Stadt beschäftigt mich seit Monaten.«
Ben Zion nickte. Er hatte seine Frau, seine Kinder und seine Eltern in Jerusalem.
»Wir haben die Straße bis nach Latrun ziemlich fest in unserer Hand«, fuhr David fort. »Hinter Latrun, im Bab el Wad, beherrscht der Palmach fast alle wichtigen Höhenstellungen.«
»Daß Latrun das entscheidende Hindernis ist, ist für uns alle nichts Neues«, sagte Altermann ironisch.
»Lassen Sie ihn ausreden«, sagte Ben Zion scharf.
»Ich habe über die Sache nachgedacht«, sagte David. »Ich kenne die Gegend bei Latrun so genau wie das Lächeln meiner Mutter. Monatelang habe ich in Gedanken die Strecke abgeschritten, immer wieder, Meter um Meter. Ich bin fest davon überzeugt, daß es möglich ist, Latrun zu umgehen.«