Bevor wir fallen

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Bevor wir fallen Page 10

by Bowen, Sarina


  Lucy kicherte. »Vermisst du normal gehen?«

  »Ja klar. Aber meistens schaffe ich es, dahin zu kommen, woh ich hin muss. Treppen sind allerdings ein großes Problem. Und was ich echt vermisse, ist das Schlittschuhlaufen.«

  Lucy zog die Stirn in ihrem Elfengesicht kraus. »Schlittschuhlaufen ist okay«, sagte sie, »aber ich falle andauernd hin. Bridger nicht. Der läuft richtig schnell.«

  »Üb weiter, dann bist du irgendwann genauso schnell. Wenn man mit richtig viel Speed übers Eis flitzt, ist das die Wucht«, erklärte ich ihr. »Als würde man fliegen. Ich träume immer noch vom Schlittschuhlaufen. Ich glaube sogar beinahe jede Nacht.«

  Das hatte ich noch niemandem gestanden. Doch Lucys Kinnlade klappte auch nicht bekümmert herunter, wie es bei meinen Eltern der Fall gewesen wäre, hätte ich dieselben Sätze zu ihnen gesagt.

  »Ich träume davon, auf einem Pferd zu reiten«, sagte Lucy, während sie mit ihren Karten herumspielte. Dann sah sie Richtung Tür. »Adam, willst du mitspielen?«

  Als ich aufblickte, wandte Hartley sich bereits wieder ab. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er dort gestanden hatte.

  »Essen ist in einer Viertelstunde fertig«, sagte er barsch und ging aus dem Zimmer.

  Wir saßen zu sechst um den Tisch. Während wir die Schüsseln herumgehen ließen, zündete Theresa die Kerzen an.

  »Keine grünen Bohnen«, moserte Lucy, als ihr Bruder welche auf ihren Teller füllen wollte.

  »Nur drei«, konterte Bridger, dann wandte er sich an Hartley. »Rate mal, was nächstes Jahr aus dem Trainingslager verbannt wird.«

  »Mal überlegen«, sagte Hartley und klatschte einen Klacks Kartoffelpüree auf seinen Teller. »Die Kletterwand?«

  »Bingo«, rief Bridger. »Ist das nicht bescheuert? Die Versicherung verlangt, dass sie abgebaut wird.«

  Hartley reichte den Teller mit Truthahnfleisch an seine Mutter weiter. »Solange Hockey nicht auch noch verboten wird, ist doch alles gut.«

  »Ich habe gehört, dass auch wieder über die Strafstöße diskutiert wird«, regte sich Bridger weiter auf. »Was genauso bescheuert ist wie die Sache mit der Kletterwand. Auf der Eisbahn kommt fast nie jemand ernsthaft zu Schaden.«

  Mir wäre fast mein Bissen Truthahn im Hals stecken geblieben.

  »Hat sich letztes Jahr nicht jemand beide Handgelenke gebrochen?«, wollte Theresa wissen.

  »Ja, aber das war ein echt schräger Unfall«, sagte Bridger. »Mal im Ernst – denkt doch nur an Football. Hat irgendwer von uns einen Hirnschaden?«

  Dana räusperte sich. »Das Essen ist toll. Vielen Dank für die Einladung, Theresa.«

  Ich spürte den Blick meiner Mitbewohnerin auf mir.

  »Sehr gerne, Süße.«

  »Ich meine, ein paar Knochenbrüche sind doch nichts dagegen«, fuhr Bridger ungerührt fort.

  Danas angespannte Miene hatte Hartleys Aufmerksamkeit erregt. Er blickte von Dana zu mir und dann zu Bridger. Allmählich ging ihm auf, was los war. »Bridge«, sagte er scharf, »holst du bitte mal den Wein vom Küchentresen?«

  Lucy sprang von ihrem Stuhl auf. »Ich mach das.«

  »Ich kann es nicht mehr hören, wenn die Leute sagen, dass Hockey nur was für Schläger ist«, legte Bridger nach. »Das stimmt einfach nicht.«

  »Alter«, rief Hartley genervt, »nun halt endlich die Klappe!«

  Bridger sah in die Gesichter ringsum. Hartleys Mom guckte vollkommen entsetzt. Als sein Blick auf mich traf, klappte ihm die Kinnlade runter.

  »Oh Gott. Tut mir leid …« Bridger schüttelte sprachlos den Kopf. »Ich weiß gar nicht …«

  »Kein Thema«, entgegnete ich schnell. Ich hatte wirklich nicht die Absicht, an Thanksgiving über meinen Unfall zu sprechen.

  In dem Moment kam Lucy aus der Küche zurückgehüpft. »Hier«, sagte sie und gab Hartley eine Flasche Essig.

  Er starrte die Flasche in seiner Hand an. »Äh, danke.« Er stellte den Essig auf den Tisch.

  »Hey«, sagte Lucy. »Wir müssen noch ›Danke‹ sagen für alles.« Sie kletterte auf ihren Stuhl zurück und sah uns erwartungsvoll an.

  Theresa musste schlucken, dann wurde ihr Gesichtsausdruck sanfter. »Du hast recht, Lucy. Möchtest du anfangen?«

  »Klar! Ich danke für …« Lucy runzelte nachdenklich die schmale Stirn. »Eiscreme. Und dass ich über Thanksgiving keine Hausaufgaben machen muss. Und Mom und Bridger. Oh, und dass es ab dem Wochenende die Weihnachtsangebote gibt.«

  Bridger lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, das Kerzenlicht ließ seine Augen dunkler wirken. »Das ist eine gute Liste, Kleine«, sagte er freundlich. Als er ihr seine große Hand auf die schmale Schulter legte, hatte ich plötzlich einen Kloß im Hals. »Wenn ich jetzt dran bin …« Er ließ abermals den Blick um den Tisch wandern. »Dann bin ich für die ganze Bande hier dankbar. Weil ihr es mit mir aushaltet«, fügte er schüchtern lächelnd hinzu.

  »Du nimmst mir die Worte aus dem Mund«, sagte Dana. »Na, dann bedanke ich mich eben dafür, dass es toll ist, wieder in Amerika zu sein. Das Jahr war bisher genauso super, wie ich es mir erhofft hatte.«

  Nun war Hartley an der Reihe. »Nun, ich bin dankbar für Ibuprofen, Bier und Aufzüge und dafür, dass meine Mom es mit mir aushält. Und für gute Freunde, die mit mir Bier trinken und Aufzug fahren. Und es mit mir aushalten.«

  Theresa war die Nächste. Nachdenklich hielt sie ihr Weinglas gegen das Kerzenlicht. »Ich bin froh darüber, heute Abend eure leuchtenden Gesichter um meinen Tisch versammelt zu sehen.« Sie strahlte uns nacheinander an. »Danke, dass ihr gekommen seid.«

  Damit blieb nur noch ich übrig. Doch so sehr ich mich über die netten Dinge freute, die meine Freunde zu sagen gehabt hatten, fiel mir absolut nichts ein, das ich hätte ergänzen können. Was wohl hauptsächlich daran lag, dass ich in letzter Zeit kein besonders dankbarer Mensch gewesen war.

  »Ich möchte dem unbekannten Computer danken, der für die Zimmerzuweisung verantwortlich ist. Und dafür, dass ich heute hier mit euch allen zusammensitzen darf.«

  Mehr bekam ich nicht auf die Reihe. Zumindest nicht im Moment.

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  Für so was gibt es Sonderausstattungen

  Corey

  »Ich bin nicht besonders gut darin, den Tisch abzuräumen«, sagte ich und versuchte, mich an der Arbeitsplatte abzustützen. »Aber ich kann spülen oder abtrocknen.«

  Hartley warf mir ein Geschirrtuch zu, und Theresa hielt mir eine nasse Servierschüssel hin.

  Bridger kam mit Lucy huckepack auf dem Rücken an der Küchentür vorbei. »Ich hab schon zwei Kapitel gelesen«, sagte er. »Jetzt wird geschlafen.« Dann hörte ich seine Schritte auf der Treppe.

  »Und wieso gehst du nicht schlafen?«, widersprach Lucy.

  »Mach ich ja«, gab er zurück. »Sobald ich mit Hartley ein Bier getrunken habe.«

  »Dann warte ich auf dich.«

  »Solange du beim Warten die Augen zu hast, habe ich nichts dagegen einzuwenden«, sagte er lachend.

  Eine halbe Stunde später kam Bridger mit zwei Sixpack Bier allein ins Wohnzimmer zurück.

  »Weißt du, wieso ich euch zwei eingeladen habe?«, wandte sich Hartley an Dana und mich, während er ein Kartenspiel aus einer Schublade des Couchtischs nahm.

  »Wieso?«, wollte Dana wissen.

  »Natürlich damit wir Euchre spielen können.«

  Ich klatschte in die Hände. »Ja! Frauen gegen Männer.«

  »Das will ich sehen.« Bridger machte ein Bier auf und bot es Dana an.

  »Aber ich weiß gar nicht, wie das geht«, sagte sie und griff nach der Flasche.

  »Echt nicht? Und ich dachte, japanische Schulen wären besser als unsere.« Hartley formte mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. »Mom!«

  Theresa streckte den Kopf ins Zimmer. »Ja?«

  »Wir brauchen noch eine vierte Person zum Euchre. Dana kennt das Spiel nicht.«

  »Aha«, sagte sie und kam rein. »Dabei ist es das beste Spiel überhaup
t. Hast du schon mal Bridge gespielt? Euchre ist so was wie Bridge für Idioten. Du musst nur ein, zwei Runden zugucken, und schon weißt du, wie es geht.« Sie setzte sich neben uns und nahm von Bridger ein Bier entgegen.

  Hartley ging für Dana die Spielregeln durch. »Und dann darf man noch auf eine ganz bestimmte Art mogeln.«

  »Moment«, warf Dana ein. »Wie kann es gemogelt sein, wenn man es darf?«

  »Warte ab, Dana«, sagte er. »Man kann jemandem ein Spiel abnehmen. Wenn der Geber nicht mitkriegt, dass er dran ist, und du springst ein, bist du im Vorteil.«

  »Ist das kompliziert«, beschwerte sich Dana.

  Hartley schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich, weil nur sechs Karten im Spiel sind. Wirst schon sehen.«

  Theresa stieg für eine Runde ein, und sie und ich übertrumpften Bridger und Hartley, ohne uns groß anstrengen zu müssen.

  »Gut, das war dann wohl eine Übungsrunde«, sagte Hartley.

  »Was?«, kreischte ich. »Keine Chance. Zwei Punkte für die Frauen.«

  »Du willst es drauf anlegen?«, fragte Hartley.

  Theresa lachte. »Auf jedes Töpfchen passt ein Deckelchen.«

  »Da sollten Sie die zwei erst bei ihrem Videospiel erleben«, sagte Dana. »Kaum zu ertragen.«

  »Kann ich mir vorstellen.« Theresa griff nach dem Kartenspiel und begann zu mischen. »Wie geht es deiner Mutter, Bridger?«

  Er schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich gut. Aber solange sie ihre Arbeit hat, schlägt sie sich wacker. Die Arbeitswoche hält sie zusammen.«

  »Es muss wirklich schlimm für sie sein.« Theresa schüttelte den Kopf.

  »Das habe ich auch immer gesagt.« Bridger nahm seine Karten auf. »Aber irgendwann muss man sich eben zusammenreißen, und bisher kann ich keine Anzeichen dafür erkennen, dass sie das tut. Am schlimmsten sind die langen Wochenenden. Deshalb bin ich auch mit Lucy hierhergekommen.«

  Theresa zuckte zusammen. »Jederzeit.« Dann sah sie auf ihre Uhr. »Ich mach noch für eine Stunde die Augen zu, bevor ich zur Arbeit gehe.«

  »Heute?«, rief ich ungläubig.

  Hartley nickte. »Black Friday. Wenn Mom heute nicht zur Arbeit geht, kriegen die Leute, die auf dem Parkplatz vor dem Mega-Mart Schlange stehen, das neuste Handy nicht für hundert Dollar weniger.«

  »Was für ein Scheiß«, murmelte Dana. »Die ganze Nacht?«

  Theresa zuckte bloß mit den Achseln. »Halb so wild. Ach, Corey? Bevor ich gehe, wollte ich noch sagen, dass mein lieber Sohn mit Freuden auf dem Sofa übernachten wird.«

  »Blödsinn«, rief Hartley.

  »Das geht schon, Theresa«, sagte ich. »Ich besitze Krücken und habe keine Angst, sie auch zu benutzen.«

  »Das stimmt, Mom.« Hartley nickte und trank einen Schluck Bier. »Vertrau mir.«

  Hartleys Mutter ging kopfschüttelnd aus dem Zimmer.

  Dana lernte schnell, sodass es beim Euchre bald sieben zu sieben stand. Ich teilte als Nächstes aus.

  »Und, Hartley, wie lange noch?«, wollte Bridger wissen.

  »Wie lange noch was?«

  »Wann kriegt der geilste Bock der Ivy League seine Freundin zurück?«

  Ich drehte einen Buben um, und Dana blieb vor Freude über unser Glück die Luft weg. Allerdings lenkte mich das Thema der Unterhaltung etwas ab.

  »Passe«, brummte Hartley in seine Karten. Dann sah er Bridger an. »In zwei Wochen oder so, glaube ich. Sie hat was davon gesagt, dass sie vor dem Weihnachtsball zurückkommt.«

  Vor dem Weihnachtsball? Der fand am zehnten Dezember statt – am selben Tag wie unsere Abschlussprüfung in Wirtschaft. Plötzlich sah ich unsere RealStix-Abende dahingehen. Ich hatte die ganze Zeit gewusst, dass Hartleys Freundin im nächsten Semester wieder da sein würde, aber bisher hatte dieser Umstand immer in weiter Ferne gelegen. Und jetzt sollte sie bereits in zwei Wochen zurück sein?

  Nach Danas Ansage nahm ich den Buben und versuchte, eine möglichst fröhliche Miene dazu zu machen, auch wenn mich die Neuigkeiten innerlich zerrissen.

  »Ist das etwa fair?«, fragte Bridger. »Ihr Semester hat später angefangen und hört früher auf? Was für ein Beschiss.«

  »Total. Und das ganze Semester lang hatte sie nur Vorlesungen von Dienstag bis Donnerstag«, ergänzte Hartley und legte eine Neun ab. »So hatte sie jedes Wochenende Zeit, in Europa herumzureisen. Auf Stacias Facebook-Seite sind Fotos von Lissabon bis Prag zu sehen.«

  »Hab ich auch schon bemerkt«, nickte Bridger und trank einen Schluck Bier. »Und die Architektur war nicht das Interessanteste darauf.«

  Hartley schüttelte den Kopf. »Lass stecken, Mann.«

  »Findest du es etwa nicht merkwürdig, dass auf sämtlichen Bildern derselbe magere Italiener zu sehen ist?«

  Dana sah mich über ihre Spielkarten hinweg an.

  »Wie ich schon sagte, es gibt eine bestimmte Art des legalen Betrügens. Wir haben eine Abmachung«, sagte Hartley und senkte die Stimme. »Stacia findet, dass es nichts bringt, bei Sonnenuntergang auf einer Pariser Brücke zu stehen, ohne jemanden zu küssen.«

  »Ich wüsste nicht, was du davon hast.«

  Hartley zuckte mit den Achseln. »Ist nicht mein Stil.«

  »Und das«, sagte Bridger, indem er ein Ass ablegte und den letzten Stich einfuhr, »ist der Grund, warum ich mich auf keine Beziehung einlasse.«

  »So siehst du das vielleicht. Aber ich wüsste nicht, was mich das angeht.«

  Dana sammelte in aller Ruhe die Karten ein und schob sie zusammen, während ich das Etikett meiner Bierflasche einer intensiven Musterung unterzog.

  »Wie kann dich das nichts angehen?«, fragte Bridger. »Sie könnte wenigstens etwas dezenter sein.«

  »Stacia braucht viel zu viel Aufmerksamkeit für eine Fernbeziehung«, sagte Hartley. »Sie benötigt jemanden vor Ort, der ihr die vielen Einkaufstüten nachträgt. Das hat alles seine Vor- und Nachteile. Und ich sage dir, der Typ ist in dem Moment vergessen, in dem ihr kleiner Europa-Ausflug zu Ende geht.«

  »Er lebt in New York.«

  Hartley verdrehte die Augen. »Für Stacia wäre das trotzdem eine Fernbeziehung. Und überhaupt, ich fasse es nicht, dass du den … Freunden meiner Freundin nachspionierst.«

  »Sie ist ganz schön anstrengend«, murmelte Bridger.

  »Und was ist daran neu?«

  Dana deckte ein Ass auf, legte die Karten auf den Tisch und grinste wie eine Miezekatze.

  »Himmel«, fluchte Bridger. »Du hast gerade das Spiel gekapert, oder?

  »Hartley hat mich drauf gebracht«, grinste Dana, »als er sagte, dass man auf eine legale Art betrügen darf.«

  Sie zwinkerte mir zu, und ich bemühte mich, angemessen breit zu lächeln. Doch was Hartley gesagt hatte, nagte an mir. Seine Freundin ging fremd, und es war ihm egal? Unversehens tauchte meine kleine Hoffnungsfee auf. In letzter Zeit hatte sie sich rargemacht, jetzt jedoch hauchte sie mir unmissverständlich ins Ohr und kitzelte mich dabei mit ihren winzigen Flügeln: Vielleicht trennen sie sich ja.

  Klar. Ziemlich unwahrscheinlich.

  Die Nacht hätte peinlich werden können. Wurde sie aber nicht, weil Hartley unfähig war, irgendetwas peinlich zu finden. Was auch passierte, er blieb der unerschütterliche Hartley mit dem schiefen Grinsen und seiner lässigen Ihr-könnt-mich-mal-Haltung.

  »Wieso hast du eigentlich so ein Riesenbett in deiner Bude?«, frage ich, während ich meinen Pyjama aus der Tasche zog.

  »Nachdem ich mir das Bein gebrochen hatte, bin ich die Stufen zu meinem Zimmer nicht mehr hochgekommen. Meine Tante ist zu dem Zeitpunkt gerade umgezogen, und in ihrer neuen Wohnung war nicht genug Platz für dieses Ungetüm. Damit ich nicht länger auf der Couch pennen musste, hat sie es hierhergebracht.«

  »Wie nett von ihr.«

  »Und wie. Willst du zuerst ins Bad?«

  »Geh du«, sagte ich. »Ich brauche ewig.«

  »Fühl dich wie zu Hause.«

  Als ich schließlich die Kurve kriegte und in
unser Zimmer zurückkam, schnarchte er bereits.

  Ich schnallte die Schienen ab und schlüpfte ins Bett. Er hatte nicht übertrieben, das Bett war tatsächlich riesig. Zwischen Hartleys schlafendem Körper und mir erstreckten sich endlose Matratzen-Weiten.

  Ich lag still da und lauschte seinen behaglichen Schlafgeräuschen. Während ich allmählich einschlummerte, fragte ich mich, was Stacia wohl von der Aufteilung der Zimmer heute Nacht halten würde.

  Dabei war mir sonnenklar, dass ich unmöglich mit ihr konkurrieren konnte.

  Einige Zeit später wachte ich auf, weil jemand scharf nach Luft schnappte.

  Ich schlug desorientiert die Augen auf. Hartley stand neben dem Bett, hatte den Kopf eingezogen und stützte sich mit den Armen auf die Matratze.

  »Was ist?«, krächzte ich.

  »Wadenkrampf«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

  »Welches Bein?«

  »Das unverletzte. Ich kann das andere nicht so belasten, und … Ah, verdammt!«

  »Lass mich mal«, sagte ich und setzte mich auf. Mit Krämpfen kannte ich mich aus.

  Hartley setze sich aufs Bett, verzog das Gesicht und hievte sein gesundes Bein zurück auf die Matratze.

  »Drück die Ferse hiergegen«, sagte ich und klopfte an meine unter der Decke verborgene Hüfte.

  Als er den nackten Fuß gegen mich stemmte, ergriff ich mit beiden Händen seine Zehen und beugte den Fußballen in seine Richtung. Er atmete vor Anstrengung stoßweise aus, und nach einer Minute führte ich die Hand unter seine Wade, tastete mit den Fingern und sagte »Autsch«, als ich den Knoten gefunden hatte.

  »Das passiert mir dauernd«, murmelte er.

  »Ständig für das verletzte Bein einspringen zu müssen ist für das gesunde zu anstrengend«, erklärte ich, machte eine Faust und versuchte den Krampf so zu lösen.

  »Au«, ächzte Hartley.

  »Tut mir leid, aber ich habe übermenschliche Kräfte.« Er verzog das Gesicht, als ich seinen Fuß erneut flexte. »Was machst du, wenn du allein bist?«

  »Leiden. Und mich nach den kundigen Händen von Pat der Physiotherapeutin sehnen. Obwohl, du bist auch nicht verkehrt.«

 

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