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Bevor wir fallen

Page 16

by Bowen, Sarina


  Sie warf sich neben mir aufs Bett und richtete den Blick unverwandt auf das Zelt unter der Bettdecke.

  »Na, guten Morgen, du«, gurrte sie. Ihre Augen funkelten. »Ich wusste nicht, dass du schon … auf bist.«

  Sie drückte mir einen Kuss auf die Schulter, arbeitete sich dann weiter abwärts und zog dabei das Laken mit nach unten. Was seine Wirkung auf meinen Körper nicht verfehlte. Zehn Sekunden später, nachdem ihr langes Haar über meine nackte Brust und meine Bauchmuskeln geglitten war, kam sie zum Wesentlichen. Sie öffnete ohne zu zögern den Mund und nahm mich tief in sich auf.

  Wow! Ich konnte nur noch nach Luft schnappen und mich auf die Matratze zurücksinken lassen. Ich schloss die Augen – was eindeutig ein Fehler war, denn mein Hirn sprang sofort dorthin zurück, wo ich mich befunden hatte, bevor Stacia ins Schlafzimmer gekommen war. Und so ertappte ich mich dabei, wie ich mir ein anderes Gesicht vorstellte, während mich meine Freundin beglückte.

  Verdammt, das war gar nicht gut. So ein Riesenarschloch war ich nun auch wieder nicht. Ich öffnete die Augen und stützte mich auf die Ellbogen. Was für ein Anblick. Meine Freundin über mich gebeugt, die Haare wie ein Fächer auf meinem Bauch ausgebreitet, mit vollem Mund. Allerdings war aus diesem Blickwinkel auch nicht zu übersehen, dass Stacia in Kürze wohl den nächsten Ausflug zum Friseur unternehmen würde, um sich die Haare färben zu lassen. Der Ansatz ging für ihre Verhältnisse gar nicht mehr.

  Dann begann Stacia zu stöhnen, was mich eigentlich wieder in Stimmung hätte bringen müssen. Aber sie übertrieb, es klang, als befänden wir uns am Set eines Pornos. Da sie diese Geräusche immer machte, hätte es mir im Grunde nichts ausmachen dürfen. Es lag vielmehr daran, dass so vieles an Stacia mit Bedacht darauf ausgerichtet war, ein bestimmtes Bild wiederzugeben – ihre Haarfarbe, ihre Unterwäsche, ihre Stimme. Sie hatte mir mal gesagt, dass man ihr beigebracht hatte, stets zu lächeln, wenn sie ein Telefongespräch beendete, weil die andere Person dieses Lächeln ›hören‹ könne und sich so mehr wertgeschätzt fühle.

  An all diese Dinge musste ich denken, während sie meinen Schwanz im Mund hatte. Wenn ich weiter so abgelenkt war, würde ich noch eine ganze Weile brauchen. Stacia würde sich ordentlich ins Zeug legen müssen, um die Sache zu Ende zu bringen. Lieber Himmel, ich war wirklich ein Arschloch.

  In diesem Moment klingelte ihr Handy. Das Thema von Beethovens Neunter, der Klingelton, den Stacia ihrer Mutter zugewiesen hatte.

  Einen Moment lang dachte ich, sie würde nicht darauf reagieren. Deswegen streckte ich die Hände aus, umfasste behutsam ihren Kopf und ließ ihre Haare durch meine Finger gleiten.

  »Geh lieber dran«, flüsterte ich.

  »Sorry«, sagte sie, richtete sich auf und zückte ihr Handy. »Hallo? Ich bin oben und wecke Hartley.« Sie warf mir einen äußerst zweideutigen Blick zu. (Ja, Stacias beschauliches Zuhause war wirklich so riesig, dass ihre Mutter sich nicht groß damit aufhielt, nach ihr zu suchen, sondern für gewöhnlich einfach ihre Handynummer wählte.)

  Damit war die Stimmung endgültig dahin, und es war nicht mal meine Schuld. Juhu! Während Stacia noch telefonierte, stieg ich aus dem Bett und ging ins Bad, machte die Tür hinter mir zu und drehte die Dusche auf.

  Eine Minute darauf, das heiße Wasser prasselte bereits auf meinen Rücken, kam Stacia herein. »Die Caterer sind schon unten, und Mom möchte, dass ich mit ihr überlege, wo alles hin soll. Frühstück gibt es heute im Esszimmer, weil der Wintergarten wegen der Party ausgeräumt wird.«

  Ich streckte den Kopf aus der Dusche und lächelte sie an. »Gut, wir sehen uns unten.«

  Ich schnappte mir eine ihrer Hände, zog sie an mich und gab ihr einen flüchtigen Kuss. Sie reagierte mit einem typischen Stacia-Grinsen, dann flitzte sie aus dem Badezimmer, bevor die Feuchtigkeit ihre Frisur durcheinanderbringen konnte. (Man konnte über mich sagen, was man wollte, immerhin achtete ich auf die kleinen Marotten meiner Freundin. Jedenfalls weit mehr, als sie jemals auf meine geachtet hatte.)

  Nach der kürzesten Dusche aller Zeiten zog ich mich an. Stacia hatte mir zu Weihnachten Klamotten geschenkt. Da Mode und Schmuck so ziemlich die einzigen Dinge waren, die sie interessierten, hatte sie ein wirklich gutes Händchen bei der Auswahl bewiesen. Das Hemd, in das ich schlüpfte, war ein unverschämt teures Teil von Thomas Pink. Damit es lässiger aussah, krempelte ich die Ärmel auf. Das Mädchen hatte wirklich Geschmack. Die Jeans stammte von einer Marke, von der ich noch nie gehört hatte, und konnte deshalb nur aus Frankreich kommen. Meinetwegen. Anschließend ging ich in dem von Stacia bewilligten Outfit hinunter ins Esszimmer.

  Henry – Stacias Vater – saß allein am Kopfende eines riesigen Tisches.

  »Guten Morgen, Mr Beacon«, begrüßte ich ihn, als er aufblickte.

  Vor ihm lagen drei Zeitungen. Irgendjemand hatte sich tatsächlich die Zeit genommen, sie exakt auf Kante zu stapeln.

  »Morgen, Sohn«, gab er zurück.

  Jedes Mal, wenn Mr B. das zu mir sagte, durchfuhr mich ein seltsames Gefühl. Kein anderer Mann nannte mich so.

  »Der Kaffee ist heiß, und ich habe Anna gerade gebeten, mir ein Omelett zu machen. Wenn du sie noch erwischst, macht sie dir bestimmt gerne auch eins.« Damit zog er die oberste Zeitung über die glänzende Tischplatte zu sich heran.

  »Guter Plan.«

  Ich durchquerte den Raum und betrat die daran anschließende Küche, die einem Restaurant alle Ehre gemacht hätte. Dort stand, umgeben von noch mehr poliertem Holz und glänzendem Stahl, die persönliche Chefköchin der Familie und ließ Butter in einer Pfanne zergehen.

  »Hola, Hartley«, flötete Anna. »Qué quieres para el desayuno?«

  Hätte ich ihr auf Spanisch zu antworten versucht, hätte ich mich garantiert nur blamiert. »Wenn Sie heute welche machen, hätte ich liebend gerne ein Omelett.«

  Sie deutete auf meine Brust und wechselte ins Englische. »Käse, Zwiebeln, Schinken, gut gebräunt?«

  »Sie erinnern sich echt an alles.«

  Anna war toll. Ich hoffte inständig, dass die Beacons sie üppig entlohnten, weil sie es todsicher verdiente.

  »El café está allí«, ergänzte sie.

  »Gracias. Hatte Stacia ihren schon?«

  »Ich habe sie nicht gesehen.« Anna beugte sich über das Hackbrett und häufte Zwiebelwürfel zu einer ordentlichen Pyramide auf.

  »Das ist gar nicht gut«, murmelte ich und wandte mich der Kaffeemaschine zu. »Stacia ohne ausreichend Koffein geht gar nicht.«

  »Sie wissen ja, was Sie tun müssen«, sagte Anna und unterstrich den Satz mit dem Zischen der Zwiebeln in der Pfanne.

  Ich goss zwei Tassen Kaffee ein und machte mich auf die Suche nach meiner Freundin. Ich fand sie und ihre Mutter in ein Gespräch mit einer Frau vertieft, auf deren Schürze Katie’s Catering stand.

  Mir war schon aufgefallen, dass die großen, teuren Firmen, die von den Beacons angeheuert wurden, immer ähnlich nette, niedliche Namen trugen: Tommy’s Taxi, Frankie’s Forestry. Der reinste Beschiss. Im Moment kurvten vermutlich sieben Katie’s-Catering-Lieferwagen in Fairfield County herum und zogen den Bewohnern der großen Villen das Geld mit dem Staubsauger aus der Tasche.

  »Großer Gott, danke«, hauchte mir Stacia ins Ohr, als ich ihr den Kaffeebecher gab, und legte eine warme Hand auf meinen Rücken.

  Und während ihre Mutter und die Catering-Frau unablässig weiter über die Reihenfolge der Vorspeisen debattierten, schenkte mir Stacia über den Becherrand hinweg ein honigsüßes Lächeln, das in den Katalog von Victoria’s Secret gepasst hätte und mir ganz alleine gehörte. Trotzdem fühlte ich mich … Verdammt, ich wusste selbst nicht, wie ich mich fühlte. Ihre Kurven befanden sich samt und sonders am richtigen Platz, dazu diese sahnige Haut und die tollen Haare. Aber neuerdings betrachtete ich das alles mit einem Abstand, den ich vorher nicht gehabt hatte. Vielleicht lag es ja daran, dass sie in den letzten Monaten um die halbe Welt gereist war und ich ihre Gegenwart nicht mehr gewöhnt war. Auf jeden Fall spürte ich einen Mangel, der vorher nicht da gewesen war.
Früher hatte sie meine Sehnsucht nach einem tollen Leben mit dem allerschönsten Mädchen immer erfüllt. Doch aus irgendeinem Grund quälte mich inzwischen eine ungekannte, neue Begierde, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich davon halten sollte.

  Vielleicht brauchte ich aber auch nur ein Omelett. Ich küsste Stacia auf die Wange und überließ die Frauen ihrer Partyplanung. Es war Zeit, mein Frühstück zu verspeisen und mich von Mr Beacon über meine Wirtschaftsvorlesung ausquetschen zu lassen. Was mich vermutlich wieder an Corey erinnern würde. Was mich vermutlich wiederum daran denken lassen würde … Fuck!

  Corey

  Meine Eltern fuhren am Silvesterabend immer nach Madison zu den Friedbergs, um mit Champagner auf das neue Jahr anzustoßen.

  »Kommt doch mit«, sagte meine Mom.

  Aber Champagner war im Moment wirklich nicht mein Ding. »Ich denke, ich passe«, lehnte ich ab.

  »Dann hänge ich mit Corey hier ab«, sagte Damien.

  Nachdem unsere Eltern aus dem Haus waren, füllten Damien und ich uns zwei riesige Eisbecher und zappten durch die Fernsehkanäle. Dem Silvestercountdown auf dem Times Square zuzusehen war langweilig, daher suchte ich uns einen alten Film aus.

  »Und«, begann mein Bruder, nachdem er sein Eis aufgegessen hatte, »wie kommt es, dass du nicht mit deinen Freunden von der Highschool zusammen bist?«

  Oh-oh. Wenn mein Bruder versuchte, mich auszuquetschen, hieß das vermutlich, dass meine Eltern ihn auf mich angesetzt hatten.

  »Du warst letztes Jahr nicht hier. Es war ziemlich hart. Eine Menge Freunde hatten mich abgeschossen. Vor allem die vom Hockey. Außer Kristin, aber die ist mit ihren Eltern auf den Fidschiinseln.«

  »Shit. Tut mir leid.«

  »Ich bin drüber weg.« Was größtenteils stimmte. »Ich habe bloß keine Lust, mich deshalb zu ärgern, und in ein paar Tagen bin ich sowieso zurück auf dem College.«

  »Klar, damit hast du natürlich recht.« Mein Bruder nahm mir den leeren Eisbecher ab. »Aber Mom und Dad machen sich Sorgen, dass du depressiv sein könntest. Im klinischen Sinn.«

  Mist. Das bedeutete, dass meine Stimmung durchschaubarer war, als ich gedacht hatte.

  »Bin ich nicht. Ehrlich. Harkness ist toll. Es gefällt mir da.«

  »Deine Mitbewohnerin scheint auch supernett zu sein.«

  »Ist sie.«

  Er maß mich mit seinen blauen Augen. »Ich habe ihnen gesagt, dass sie überreagieren. Aber du bist in letzter Zeit so still gewesen, dass es mir etwas schwerfällt, deinen Standpunkt zu vertreten.«

  »Sie glauben bestimmt, das Studium wäre zu viel für mich oder so. In Wahrheit ist es aber viel weniger spannend. Ich habe bloß Probleme mit einem Typ.«

  Damien sah mich alarmiert an. »Äh, ich weiß nicht, ob ich mir das anhören sollte. Sex ist das einzige Thema, über das ich nicht mit dir reden kann.«

  Seine Reaktion entlockte mir das erste Lächeln des Abends. Mein Leben lang schon suchte ich nach Themen, für die Damien zu zimperlich war. Viele hatte ich bisher nicht gefunden.

  »Wie, du willst die schmutzigen Details wirklich nicht hören?« Natürlich bluffte ich nur. Ich würde auf jeden Fall dichthalten.

  Aber es funktionierte. Er schien sich sekündlich unbehaglicher zu fühlen. »Bitte sag mir, dass du nicht mit Hartley schläfst.«

  Die Antwort kam mir schnell und leicht über die Lippen. »Nein, ich schlafe nicht mit Hartley.«

  Das ist ja gerade das Problem! Doch mein Bruder wirkte immer noch so, als wäre ihm die ganze Unterhaltung furchtbar peinlich.

  »Und auch mit sonst niemandem«, ergänzte ich.

  Erleichterung breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Was ist dann das Problem?«

  Das würde ich ihm ganz bestimmt nicht auf die Nase binden. Eine Frage hatte ich trotzdem.

  »Kannst du dir vorstellen, eine Frau im Rollstuhl sexy zu finden?«

  Er zog die Stirn kraus. »Ja klar, aber ich habe noch keine Frau im Rollstuhl kennengelernt. Anwesende ausgenommen. Und du kannst unmöglich sexy sein. Weil du nämlich meine kleine Schwester bist.«

  Ich schnaubte. »Und leider sieht der Rest der Welt das genauso wie du. Wenn mich ein Typ ansieht, denke ich immer, er registriert nur den Rollstuhl. Als wäre ich kein vollständiges Mitglied des anderen Geschlechts mehr.«

  »Sieh mal, Corey.« Er stützte das Kinn in die Hand. »Wenn mir Sofia Vergara in einem Rollstuhl auf der Straße begegnen würde, würde ich sie trotzdem über den Bürgersteig jagen.«

  »Das bedeutet also, wenn ich Riesenmöpse hätte und in einer Fernsehserie mitspielen würde …«

  Er lachte. »Vergiss den scharfen Akzent nicht. Die Frau ist echt der Hammer.«

  Es gab ganz offensichtlich keine Hoffnung mehr für mich.

  Nachdem der Film zu Ende war, spielten wir noch eine Partie RealStix. Mein Bruder traf die unglückliche Entscheidung, in die Rolle der Red Wings zu schlüpfen, sodass ich ihn mühelos zerschmettern konnte.

  »Danke, dass du es mir so leicht gemacht hast«, zog ich ihn danach auf.

  Er sah mich an, verdrehte die Augen und ging dann in die Küche, um sich ein Bier zu holen.

  In diesem Moment klingelte mein Handy. Ich nahm es vom Couchtisch und sah Hartleys Nummer auf dem Display. Mein Herz machte einen überraschten Satz, und wie aus dem Nichts tauchte meine Hoffnungsfee auf.

  Geh ran! Die Fee trug ein Glitzerkleid. Weil Silvester war.

  Ein klügeres Mädchen hätte nicht auf sie gehört. Ein klügeres Mädchen hätte die Mailbox drangehen lassen. Doch ich nahm das Gespräch natürlich entgegen.

  Eine Sekunde später drang seine rauchige Stimme an mein Ohr. »Schönes neues Jahr, Callahan!«

  »Hey«, sagte ich mit belegter Stimme. Ich schluckte und versuchte, mich zu sammeln. »Wo steckst du?« Auf jeden Fall ging es dort hoch her, ich konnte Lärm im Hintergrund hören.

  »Auf einer ziemlich spießigen Party in Greenwich, Connecticut. Aber ich habe an dich gedacht.«

  »Hast du?« Das hatte sich eigentlich gar nicht wie eine Herausforderung anhören sollen. Andererseits beschäftigte ich mich von morgens bis abends mit der Frage, was Hartley von mir dachte.

  »Ja, sicher.« Seine Stimme war ein warmes Raunen. »Ich dachte gerade, du wärest froh, wenn das vergangene Jahr dir seinen Hintern zeigt.«

  Ich ließ mir seine Worte einen Moment durch den Kopf gehen. Das Jahr meines Unfalls war jetzt offiziell Geschichte. Das zu feiern, war ein absolut vernünftiger Gedanke und genau das, was einem guten Freund in der Silvesternacht einfallen würde.

  »Da ist was dran. Danke, Hartley.«

  »Ich hoffe nur, das nächste Jahr behandelt dich besser. Du hast es verdient.«

  Nette Worte, die trotzdem irgendwie nach Zurückweisung klangen.

  »Danke« sagte ich noch einmal leise. »Es wird bestimmt besser. Ich wünsche dir dasselbe.«

  »Wer weiß …« Seine Stimme hörte sich irgendwie verloren an. »Schau auf die Uhr, Callahan. Ein glückliches neues Jahr!«

  Als ich auf die Zeitanzeige an unserer Kabelbox blickte, sah ich den Sprung von elf Uhr neunundfünfzig auf Mitternacht.

  »Schönes neues Jahr, Hartley.« Ich musste schlucken. Und bevor ich noch richtig darüber nachdenken konnte, sprudelten die Worte auch schon aus meinem Mund. »Musst du nicht jemanden küssen?«

  Er lachte. »Du in deinem Mittleren Westen. Mein Neujahr wurde schon vor einer Stunde eingeläutet.«

  Verdammt. Jetzt fühlte ich mich mies. Weil ich Hartley erst so spät einfiel. Weil ich diejenige war, die er erst anrief, wenn die Party bereits gelaufen war.

  »Ich mach jetzt besser Schluss.«

  »Pass gut auf dich auf, Callahan. Wir sehen uns nächste Woche.«

  Uff. Selbst zwei Minuten am Telefon gingen mir unter die Haut. Und obwohl ich wusste, wie bescheuert es war, brachte ich die nächsten zwei Tage damit zu, genau zu analysieren, was ich besser gesagt oder nicht gesagt hätte und was ich sonst noch all
es anders hätte machen können.

  Damien flog nach New York zurück, sodass nicht mal mehr er da war, um mich abzulenken. Ich musste mir Hartley aus dem Kopf schlagen, aber mein Hirn wollte einfach nicht damit aufhören, mir ständig Bilder von seinem Grübchenlächeln vorzugaukeln. In meinen Tagträumen schlich sich Hartley nachts in mein Schlafzimmer, schlug die Decke zurück und schlüpfte in mein Bett. Worte wechselten wir in meiner Fantasie kaum. Um genau zu sein, waren es nur vier. »Es tut mir leid«, flüsterte Hartley mir ins Ohr. Danach war nur noch das Geräusch unserer Küsse und das Rascheln von Kleidern, die wir uns gegenseitig auszogen, zu hören. Und dann …Verdammt!

  Alles, was ihn meinen Träumen geschah, tat er in Wirklichkeit mit Stacia, nicht mit mir. Und wenn ich dahinterzukommen versuchte, warum das so war, zerbrach mein Herz in noch kleinere Stücke. Die Gleichung ging für mich nicht auf, weil ich sie so furchtbar fand. Es war nicht so, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wieso er dem Äquivalent eines Bademodenmodells die Kleider vom Leib reißen wollte. Ich verstand nur nicht, dass er bereit war, einen Preis dafür zu bezahlen. Sogar während unseres kurzen Telefonats in der Silvesternacht hatte er zugegeben, mit ihr auf einer ausgesprochen langweiligen Party abzuhängen. Wieso? Die einzig logische Erklärung lautete, dass die Verlockungen ihres fantastischen Körpers die Qual, auch außerhalb des Betts Zeit mit ihr verbringen zu müssen, mehr als wettmachten.

  Trotzdem, ich blickte da einfach nicht durch. Hartley sah super aus. Aber es war nicht bloß sein Körper, den ich wollte. Wir hatten Spaß zusammen – jede Menge sogar. Wir zogen uns gegenseitig auf und rissen Witze. Ich wusste, dass er gerne mit mir zusammen war. Daran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Aber das genügte anscheinend nicht. Ich genügte ihm nicht. Und wie hätte ich das bitte nicht auf meine Behinderung schieben sollen? Eine ganze Corey Callahan – mit zwei gesunden Beinen und ohne den Ballast, den man mit sich herumschleppte, wenn man so defekt war wie ich – hätte mich womöglich von der Sorte Mädchen, mit der er gerne befreundet war, in die Sorte Mädchen verwandelt, mit der er ins Bett gehen wollte. Aber in dieser Klemme saß ich nun mal. Er war bei ihr, und ich war allein. Sehr, sehr allein. Ich brauchte ein Leben, und ich brauchte es schnell.

 

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