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Bevor wir fallen

Page 18

by Bowen, Sarina


  Ich sah auf und blickte in ein freundlich lächelndes Gesicht. »Allison?« Ich ergriff ihre ausgestreckte Hand.

  Sie ging neben mir in die Knie. »Hast du schon mal gespielt?«

  Ich schüttelte den Kopf. »Aber ich bin in den Ferien viel geschwommen.« Ich räusperte mich. »Und früher habe ich Eishockey gespielt. Es macht mir also Spaß, mich am Torwart vorbeizumogeln.«

  Sie riss die Augen auf. »Wahnsinn!«

  »Ist es okay, wenn ich schon mal reingehe?«

  »Kein Thema«, sagte sie grinsend. »Wir fangen in ungefähr fünf Minuten an.«

  »Gut zu wissen.« Damit richtete ich mich zum Wasser hin aus und ließ mich ins Blaue hineingleiten.

  Als ich zum Luftholen auftauchte, sah ich, wie der Rest der Wasserpolo-Mannschaft von Beaumont – ein halbes Dutzend Leute – sich vor dem Becken versammelte. Allison und ein Typ, den ich schon mal im Beaumont-Speisesaal gesehen hatte, teilten das Becken mit einem Schwimmseil in zwei Hälften.

  »Wir nehmen diese Seite«, sagte der Typ mit einem äußerst munteren britischen Akzent.

  Ich tauchte unter dem Seil durch und schwamm auf die Seite, auf der er stand.

  »Für alle, die mich noch nicht kennen, ich bin Daniel. Ihr könnt mich auch gerne Dan nennen. Und weil wir eine so verflucht gut organisierte Mannschaft sind …«, die anderen quittierten das mit einem Kichern, »werde ich in den nächsten ein, zwei, wenn nicht sogar mehr Minuten die Regeln rekapitulieren. Und jetzt ab ins Wasser!«

  Als darauf alle zu dem Stapel Gummiringe marschierten, begann mein Puls schneller zu schlagen. Die Reifen lagen fast drei Meter vom Pool entfernt. Damit war mal wieder einer der Augenblicke gekommen, in denen ich jemanden um Hilfe bitten musste. Ich hasste das. Ich saß in der Klemme, klammerte mich an den Beckenrand und sah zu, wie alle sich einen Ring nahmen und damit zum Wasserbecken gingen. Niemand schien mich zu bemerken, womit ich im Allgemeinen gut klarkam. Allison und Daniel traten als Letzte ans Becken. In der Hoffnung, dass sie in meine Richtung schauen würde, ließ ich Allison nicht aus den Augen.

  Und tatsächlich, es klappte. Sie hob den Kopf und lächelte mich an. Dann zeigte sie auf den Reifen in ihrer Hand und anschließend auf mich.

  Ich nickte dankbar, und sie warf ihn mir zu. Doch als ich ihn fing, bemerkte ich, wie Daniel mich musterte. Im nächsten Moment runzelte er die Stirn, dann sah er sich um, bis sein Blick auf meinen Rollstuhl an der Wand fiel. Er kratzte sich am Ohr und hob die Brauen. Dann ging er am Beckenrand vor mir in die Knie.

  »Manchmal geht es hier ein bisschen rauer zu. Dann hat man Mühe, sich in seinem Reifen zu halten.«

  Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. »Schon gut«, teilte ich ihm mit. »Ich bin eine gute Schwimmerin.«

  Doch weil jeder Tag lang genug ist für einen Moment purer Selbstdemütigung, hatte ich anschließend natürlich Probleme damit, überhaupt in meinen Ring hineinzukommen. Das Ding war größer als die Reifen, die meine Aquatrainerin Heather zu Hause zu Übungszwecken aufgetrieben hatte. Erst im dritten Anlauf schaffte ich es, mich über den Rand zu wuchten.

  Die Regeln – die Daniel unterdessen laut vorlas – verlangten, dass die Spieler sich vor dem Kampf um den Ballbesitz mit dem Hinterteil in die Mitte ihres Reifens pflanzten. Darüber hinaus war es erlaubt, Gegenspieler in Ballbesitz aus ihrem Ring zu schubsen und ihn oder sie so zum Ballverlust zu nötigen.

  »Also, dann mischen wir mal das Becken auf«, rief Daniel. »Eine Spielphase dauert sieben Minuten.«

  Damit griff er in einen Beutel mit Signalwesten und stattete vier Spieler damit aus. Da ich keine Weste bekam, landete ich in Daniels Team. Allison spielte auf der anderen Seite. Ich hatte die meisten meiner Mannschaftskameraden schon mal im Speisesaal gesehen, ohne jedoch jeden einzelnen beim Namen zu kennen.

  Daniel blies in seine Trillerpfeife, und das Spiel begann.

  Das andere Team hatte den Ball und spielte einen Pass. Ich fand derweil heraus, wie ich mich mit den Händen als Flossen am besten durchs Wasser bewegen konnte. Dabei fiel mir auf, dass kaum jemand es hinbekam, auch die Füße zu Hilfe zu nehmen. Mann musste schon ziemlich groß sein und lange Beine haben, die weit genug über den Reifenrand baumelten, um wirksam Wassertreten zu können. Endlich einmal war ich mit meinen nutzlosen Beinen nicht klar im Nachteil. Alle planschten in dem Versuch, die richtige Richtung einzuschlagen, herum wie die Flundern. Und mehr als einer musste laut darüber lachen. Gummireifen-Wasserpolo war offenbar kein Sport, der sich selbst übermäßig ernst nahm.

  Als ein schlaksiger Typ namens Mike den Ball abfing und zu Daniel passte, warf ich mich herum und positionierte mich vor dem Netz. »Frei!«, rief ich und riss die Arme hoch. Doch Daniel spielte eine andere Mitspielerin an, die weiter vom Tor entfernt war als ich. Sie warf und verfehlte das Netz. Ein Szenario, dass sich mindestens noch ein halbes Dutzend Mal wiederholte.

  Als Daniel seine Pfeife ertönen ließ, war ich bereits fuchsteufelswild. Klar lag es nicht daran, dass meine Mitspieler dachten, dass ich den Ball fallen lassen würde. Das passierte hier jedem andauernd. Das Problem war, dass mich meine Mitstudenten, die mich allesamt wahlweise im Rollstuhl oder auf Krücken aus dem Speisesaal kannten, für gebrechlich hielten. Sie hatten Angst, ich könnte in meinem Reifen attackiert werden. Lächerlich. Ich war so sauer, dass ich hätte kotzen können.

  »Hey Daniel!«, ertönte eine Stimme vom anderen Beckenende, wo eine weitere Mannschaft trainierte. »Wollt ihr euch prügeln?«

  Daniel ließ den Blick über seine Mannschaft schweifen. »Wenn ›Prügeln‹ in diesem Fall ein krasser amerikanischer Ausdruck für ›Trainieren‹ ist, sind wir dabei.«

  »Klar!«, rief Allison. »Zeigen wir Turner House, wer hier das Sagen hat.«

  Der Turner-Kapitän, ein magerer Bursche in einer winzigen Badehose, führte seine Leute zu unserem Beckenende. »Wir sind heute nur zu sechst. Spielen wir sechs gegen sechs, oder leiht ihr uns einen Spieler oder eine Spielerin aus?«

  Ich hob die Hand. »Ich wechsele freiwillig.«

  Der Typ nickte. »Super. Wer nimmt die Zeit?«

  Ich paddelte auf die Turner-Seite auf eine Riege Gesichter zu, die ich noch nie gesehen hatte. Und als der Pfiff kam, stürzte ich mich ins Getümmel.

  Es dauerte nur eine Minute, bis einer meiner neuen Mannschaftskameraden sah, dass ich frei war und den Ball zu mir lupfte. Ich fing ihn – Gott sei Dank – und passte. Kurz darauf kam ich noch näher am Tor in den nächsten Ballbesitz.

  Der Beaumont-Torwart war ein großer, bärtiger Typ, den alle nur »Bär« nannten und den man offenbar eher wegen seines Körperumfangs und weniger wegen seiner sportlichen Leistung für die Aufgabe auserkoren hatte. Als ich links antäuschte, fiel er voll darauf herein. Und keiner aus dem Beaumont-Team unternahm auch nur den Versuch, mich zu versenken. Ich hätte das Ding den ganzen Tag lang festhalten können. Was ich allerdings nicht tat. Stattdessen hämmerte ich den Ball schnell und bestimmt in die rechte Ecke des Netzes.

  Meine Adoptiv-Teamkameraden jubelten, und ich hatte endlich Spaß bei der Sache.

  Danach passte ich noch ein paarmal, ging aber immer auf Nummer sicher. Als sich ein weiteres Mal die Gelegenheit zum Torwurf ergab, versuchte ich den gleichen Spielzug noch einmal. Doch der Einzige, der seine Lektion gelernt hatte, war der Torhüter. Er ließ sich diesmal nicht ganz so leicht hinters Licht führen. Trotzdem gelang es mir, den Ball im Netz zu versenken, da sich die übrigen Beaumont-Spieler abermals zurückfallen ließen. Idioten. Ich erzielte zwei weitere Treffer, ehe sie die Nase voll hatten.

  Bei meinem nächsten Ballbesitz schien Allison endlich klüger geworden zu sein. Als ich mich zum Torwurf bereitmachte, schwamm sie gegen meinen Reifen, sodass ich ins Trudeln geriet und mein Ring sich gefährlich dem Wasser entgegenneigte. Doch es gelang mir noch, den Ball über ihren Kopf zu werfen, bevor sie mich vollends umwarf. Ich plumpste klatschend ins Becken, und als ich wieder hochkam, schütteten wir uns beide vor Lachen aus.

  Danach schenkten wir uns nichts mehr. Die Beaumonts hatt
en keine Berührungsängste mehr, sodass ich den Ball häufiger abgeben musste, anstatt selbst aufs Tor werfen zu können. Kurz vor dem Schlusspfiff spielte der Turner-Kapitän mir den Ball zu, als ich in meinem Reifen unmittelbar vor dem Netz paddelte. Meine Hoffnungsfee, heute im Bikini, feuerte mich mit silbernen Cheerleader-Puscheln an. Ich versenkte den Ball im Eck, ehe der Einfaltspinsel im Tor mitbekam, wie ihm geschah.

  Game over. Vorteil Turner.

  Als das Training vorbei war, hatte ich reichlich Wasser geschluckt und schnappte nach Luft. Ich hievte mich auf den Beckenrand und drehte mich, um mich aufzusetzen.

  In diesem Moment stieß sich neben mir der Turner-Kapitän aus dem Wasser. »Hey, danke, dass du auf unserer Seite gespielt hast. Ich fürchte, wenn es ernst wird, haben wir nicht halb so viele Chancen.«

  Ich grinste. »Nett vor dir, das zu sagen, aber ich habe mir anfangs einen etwas komischen Vorteil zunutze gemacht.«

  Er hob eine Braue. »Hab ich gemerkt. Wie kommt’s?«

  Ich deutete mit einem Nicken auf die andere Beckenseite. »Du könntest mir einen Gefallen tun. Der Rollstuhl da drüben ist meiner. Macht es dir was aus, ihn mit hierherzuschubsen?«

  Er folgte meinem Blick, dann sah er wieder mich an. Schließlich lachte er. »Okay, ich glaube, ich habe verstanden.«

  Ich nickte. »Die Leute meinen es gut. Aber manchmal muss man ihnen eben eine Lehre erteilen. Tut mir leid, dass ich den Ball am Anfang so wenig abgegeben habe.«

  Er stand auf und schüttelte sich das Wasser aus den Haaren. »Ganz ehrlich, es hat Spaß gemacht, dir zuzusehen.« Damit ging er meinen Rollstuhl holen.

  Nachdem ich mich abgerubbelt und mir gegen den kalten Januarwind die Haare getrocknet hatte, zog ich den Reißverschluss meiner Fleecejacke bis unters Kinn und rollte aus der Damenumkleide.

  Neben den Aufzügen lehnte, mit verschränkten Armen, unser Mannschaftskapitän Daniel an der Wand. Als er mich näher kommen sah, richtete er sich auf.

  »Corey.« Sein Akzent ließ meinen Namen irgendwie gewichtiger klingen. »Es tut mir schrecklich leid.«

  Ich drückte achselzuckend den Fahrstuhlknopf. »Schon gut. So was passiert mir andauernd.«

  Er schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich, ich komme mir wie ein Arsch vor.« Er sprach »Arsch« wahnsinnig britisch aus. Gedehnt und mit stark betontem ›r‹.

  Wir betraten zusammen den Aufzug.

  »Ich hoffe, du bis am Freitag zum Spiel wieder mit dabei«, sagte er. »Wir brauchen dich.«

  Ich schenkte ihm ein durchtriebenes Grinsen. »Was ist dir das wert?«

  Ich flirtete mit ihm, Tatsache, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wieso. Aber es machte irgendwie Spaß.

  »Na ja.« Er kratzte sich am Kinn. »Ich könnte dich zu einem Eis einladen. Ich habe heute meine Sucht nach Chunky Monkey noch nicht befriedigt.«

  Und zu meiner eigenen Überraschung nahm ich seine Einladung an.

  »Philosophie? Klingt schwierig.« Ich vertilgte den letzten Bissen von meinem Scone.

  »Oh, eigentlich gar nicht«, versicherte Daniel. »Man muss sich einfach nur durch die Seminare debattieren. Für welches Hauptfach hast du dich denn entschieden?«

  »Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Genauso wenig wie über eine Menge anderer Dinge.«

  »Na, dann konzentrieren wir uns am besten auf den Wassersport. Die richtige Eingebung kommt irgendwann bestimmt von ganz alleine.«

  »Das ist genau meine Strategie.«

  »Du hast unseren Torhüter ziemlich geschickt ausgetrickst, Corey. Hoffentlich gelingt dir das am Freitag auch mit dem Turner-Torwart.«

  »Der hat zwar gute Reflexe, bleibt aber zu weit vorm Netz.«

  Daniel hatte ein angenehm herbes Lachen. »Das nenne ich mal eine hochklassige Analyse für Gummireifen-Wasserpolo. Du bist ein bisschen furchterregend, Corey. Für die gegnerische Mannschaft, meine ich.« Wenn er lächelte, bildeten sich in seinen Augenwinkeln kleine Fältchen.

  »Ich hab früher Hockey gespielt. Den Torwart im Auge behalten ist das, was ich gelernt habe.«

  »Dann bin ich gespannt auf Freitag.« Er schob seinen Stuhl zurück.

  Daniel hielt mir die Tür auf, als wir das Eiscafé verließen. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass der Boden dahinter ein wenig abfiel. Als ich mich in die Dunkelheit hinauskatapultierte, wäre ich um ein Haar mit Hartley zusammengestoßen, der sich mit einem Satz in Sicherheit brachte.

  »Ups«, stieß ich hervor und griff nach meinen Rädern, um anzuhalten.

  »Himmel, Callahan. Willst du mich umbringen?«

  Daniel baute sich neben mir auf. »Wenn sie dich hätte umbringen wollen, dann wärst du jetzt tot. So viel habe ich über Corey inzwischen herausgefunden.«

  Ich lachte, doch Hartley verzog keine Miene, sondern sah nur mit zusammengepressten Lippen von mir zu Daniel und wieder zurück.

  »Stimmt.«

  »Tut mir leid, Hartley. Echt.«

  In diesem Moment kam Stacia aus dem Gebäude nebenan stolziert, wo sich die Geldautomaten befanden.

  »Hey Daniel«, sagte sie, dann nahm sie Hartleys Hand und dirigierte ihn Richtung Bibliothek. Natürlich, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.

  »Bis dann!«, rief Daniel den beiden hinterher, dann machten wir uns gemeinsam auf den Weg zum Studentenwohnheim.

  »Ich bin unsichtbar«, murmelte ich.

  »Ach, die lässt so ziemlich jeden abblitzen. Und du bildest da keine Ausnahme.«

  »Gut zu wissen«, seufzte ich.

  Als würde ich besser damit klarkommen, wenn Hartley in ein nettes Mädchen verliebt wäre. Doch es schien ihm nichts auszumachen, dass Stacia ein Ungeheuer war, und das war es, was mich fast in den Wahnsinn trieb.

  »Und andere Frauen nimmt sie erst recht nicht wahr«, ergänzte Daniel. »Am allerwenigsten die Hübschen.«

  Sollte das etwa ein Kompliment sein?

  »Die meisten Männer genügen ihren Ansprüchen allerdings auch nicht. Zu mir ist sie nur freundlich, weil ich aus Europa komme. Allerdings kennt sie sich mit britischen Dialekten nicht gut genug aus, um herauszuhören, dass ich genau genommen am falschen Ende von London geboren wurde.«

  »Du steckst voller aufschlussreicher Theorien, Daniel.«

  »Das ist meine Aufgabe«, gab er zurück.

  Wir blieben vor Beaumont House stehen.

  »Versprich mir, dass du am Freitag dabei bist.«

  Ich hob die rechte Hand zum Abklatschen. »Ich werde da sein. Und danke für das Eis.«

  »War mir ein Vergnügen.« Er schlug ein.

  Eine Stunde darauf ging ich mit dem Gefühl, eine wahre Siegerin zu sein, früh schlafen. Heute war der mutigste Tag gewesen, den ich gehabt hatte, seit ich hier studierte. Nicht ganz so herausragend wie der echt verrückteste Abend aller Zeiten, aber immerhin hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass das Leben womöglich doch noch weiterging.

  Ich schloss die Augen. Doch bevor ich einschlafen konnte, flüsterte mir die kleine Fee ins Ohr: Es hat Hartley nicht gefallen, dich mit Daniel zusammen zu sehen.

  In Gedanken griff ich mir ein winziges Stück Klebeband und pappte es auf ihre winzigen Lippen. Dann schlief ich ein.

  17

  Es ist ja kein Sexspielzeug …

  Corey

  Die SMS kam zehn Minuten nach Beginn meiner ersten Shakespeare-Stunde.

  Alles gut, Callahan?

  Es war ziemlich unhöflich, während einer Vorlesung Textnachrichten zu verschicken, doch nachdem Hartley sich bereits mit einer zweiten SMS nach mir erkundigt hatte, verbarg ich mein Handy auf dem Schoß und antwortete ihm.

  Alles gut! Sorry! Ich schulde dir einen Anruf. Hab eine andere Vorlesung belegt. Sehen wir uns später?

  Um Punkt zwölf, Dana und ich stritten uns gerade darüber, welchen Speisesaal wir heute beehren sollten, klingelte mein Handy und zeigte Hartleys Nummer an.

  »Callahan!«, brüllte er mir ins Ohr. »Was soll das hei�
�en, du hast eine andere Vorlesung belegt?«

  »Tut mir leid, Hartley«, sagte ich und beschloss, es mit einer Notlüge zu versuchen, »aber das Lehrbuch hat sich als genau das entpuppt, was du gesagt hast: Handelsbilanzen und Wechselkurse. Der Schinken sollte zusammen mit einer Semesterration Espresso verkauft werden. Ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht.«

  Am anderen Ende der Leitung herrschte ein Moment Schweigen.

  »Und da hast du einfach unsere Vorlesung geschmissen.«

  »Hast du noch nie eine Vorlesung gewechselt?«

  Eine weitere Pause.

  »Kommst du denn wenigstens noch zum Mittagessen?«

  Im nächsten Moment hörte ich, wie jemand nach ihm rief.

  »Du scheinst schon Gesellschaft zu haben.«

  »Ja, schon, nur …« Ich hatte ihn bisher noch nie sprachlos erlebt.

  »Vielleicht sehen wir uns beim Abendessen«, schlug ich vor. »Oder du schaust später vorbei und wir spielen Hockey.«

  Danas Augen funkelten, nachdem ich das Gespräch beendet hatte. »Du hast ihm echt den Laufpass gegeben, was?«

  »Scheint so.«

  »Willst du gelten, mach dich selten?«

  Ich schüttelte den Kopf. »Nein, reine Überlebensstrategie«, erklärte ich. »Und nicht annähernd so schwer, wie ich gedacht hatte.«

  Hartley

  Houston, wir haben ein Problem.

  Ich lag auf meinem Bett und glotzte an die immer dunkler werdende Decke. Die Vorlesungen waren für heute gelaufen, zudem war es noch so früh im Semester, dass nur die Streber sich bereits mit Hausaufgaben abplagten. Daher hatte ich ausreichend Zeit, das Verhalten meiner Freundin in Grund und Boden zu analysieren.

  Mal sehen … dass Corey mich während der Ferien nicht einmal angerufen hatte, war mir bisher noch gar nicht so seltsam vorgekommen. Wir telefonierten nur selten miteinander. Aber nach ihrer Rückkehr hatte sie sich auch nicht blicken lassen. Und was sollte ich von dem ausgefallenen Mittagessen und der Vorlesung halten, die sie gewechselt hatte? Das konnte kein Zufall sein. Corey ging mir aus dem Weg.

  Warum willst du unsere Freundschaft verkomplizieren? Ich hatte ihr auf die Frage irgendeine oberschlaue Antwort gegeben. Scheiße. Hätte ich geahnt, dass sie mich danach fallen lassen würde wie einen Puck, hätte ich mich nicht so weit vorgewagt. Ich hätte mich nie so weit vorwagen dürfen.

 

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