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Bevor wir fallen

Page 25

by Bowen, Sarina


  »Suhl dich morgen. Heute ist Wasserpolo angesagt.«

  »Warum?«

  Er grinste. »Weil ich Daniel versprochen habe, ins Tor zu gehen. Und ich will unbedingt, dass du mitkriegst, wie toll ich bin.«

  »Echt? Nur weil ich mich drücken wollte?« Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Hältst du das wirklich für eine gute Idee? Was, wenn du dir dein Bein verdrehst?«

  »Du musst mich nicht bemuttern, Callahan.« Er verzog den Mund zu einem Grinsen, sodass sein Grübchen in Erscheinung trat.

  Ich küsste ihn auf die Nasenspitze. »Du bist ein manipulativer, böser Junge.«

  »Man hat mich schon Schlimmeres genannt. Also, wo hast du deinen Bikini?«

  Ich schüttelte den Kopf. »Wir werden sowieso verlieren. Auch wenn ich hingehe.«

  »Auf keinen Fall. Ich habe Dana und Bridger nämlich überredet, auch mitzuspielen. Ich hab ihnen gesagt, dass du heute nicht allein sein, sondern deine Freunde um dich haben solltest.«

  Mein Herz setzte einen Schlag aus. »Wirklich? Und sie kommen? Sogar Dana geht zum Sport?«

  »Ich glaube, sie fährt auf Daniel ab.« Hartley grinste noch breiter. »Sie hat allerdings behauptet, sie würde es für dich machen.«

  Ich kicherte. Mein neues Leben anzupacken kam mir auf einmal wichtiger vor, als mein altes zu betrauern. Ich wollte Hartley halb nackt in einem Reifen herumpaddeln und das Tor verteidigen sehen. Und ich wollte dabei sein, wenn Dana all ihren Mut zusammenkratzte, wenn der Ball auf sie zugeschossen kam.

  »Verzieh dich mal für fünf Minuten, Hartley. Ich ziehe mir nur schnell den Badeanzug an.«

  »Braves Mädchen. Ich packe in der Zeit schon mal dein Handtuch ein«, sagte er, löste sich von mir und ging hinaus.

  Nachdem er die Tür hinter sich zugemacht hatte, rutschte ich auf den Boden und kroch zu meiner Kommode, weil es so bedeutend schneller ging, als vorher noch die Beinschienen anzulegen. Dank Pats Feuereifer krabbelte ich inzwischen schon viel schneller. Um mich aus meiner Jeans zu winden, musste ich mich allerdings wie ein Fisch auf dem Trockenen von einer Seite auf die andere werfen. Sehr, sehr sexy. Oder auch eher nicht.

  Hartley

  Coreys Bruder starrte auf den Fernseher und gab sich alle Mühe, mich zu ignorieren. Ich setzte mich trotzdem neben ihn.

  Ich verstand zwar, dass er ein Problem damit hatte, dachte aber nicht daran, mich schuldig zu fühlen, weil ich mit Corey zusammen war. Ganz im Gegenteil, ich war sogar ziemlich stolz auf mich. Und erleichtert war ich auch. Mir war ein Riesenstein vom Herzen gefallen, nachdem ich Corey meine verrückte Familiengeschichte erzählt hatte.

  »Was macht sie denn da drin?«, fragte Damien, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

  »Sie zieht ihren Badeanzug an.«

  Er sah mich an. »Wirklich? Du hast sie überredet, doch hinzugehen?«

  »Ja.« Ich versuchte, nicht selbstgefällig zu klingen, was mir jedoch eventuell nicht ganz gelang.

  Damien schaltete den Fernseher aus und wandte sich zu mir um. Er wirkte immer noch ein wenig aggressiv, doch ich wusste, dass er nur eine Schau abzog.

  »Du und meine Schwester also …« Er kratzte sich am Kinn. »Verdammt, wenigstens ist es nicht Bridger.«

  »Alter, bitte.« Ich hatte Gewissensbisse, weil ich meinen besten Kumpel den Wölfen zum Fraß vorwarf, aber an dem, was Damien gesagt hatte, war etwas dran. Es gefiel ihm vielleicht nicht, sich seine Schwester und mich ohne Klamotten vorzustellen, aber Abenteuer für eine Nacht waren absolut nicht mein Ding.

  »Sie war die ganzen Weihnachtsferien über am Boden zerstört. Und ich glaube, das lag an dir.«

  Okay, das hatte gesessen. Ich hatte Corey bestimmt nicht traurig machen wollen. Fairerweise musste man sagen, dass sie kein Wort mir gegenüber verloren hatte. Erst nach den Feiertagen war sie damit herausgerückt.

  »Wir mussten ein paar Sachen klären. Und ich habe eine Weile gebraucht, bis ich mir über alles klar war.«

  »Nur damit du es nicht vergisst – ich weiß, wo du wohnst.«

  Die Drohung war vermutlich unvermeidbar gewesen. Alles klar.

  »Weißt du, ich habe keine kleine Schwester. Das heißt, eigentlich schon, aber ich habe sie nie kennengelernt.« Toll, wie ich mich heute bei jedermann auskotzte. Als Nächstes würde ich meine Lebensgeschichte noch als Fernsehserie verkaufen. »Ich weiß also echt nicht so genau, was bei dir abgeht, aber das ist okay, weil Corey mir nämlich viel bedeutet.«

  Seine funkelnden blauen Augen erinnerten mich an Coreys. »Behandle sie gut.«

  »Das habe ich vor. Hey, weißt du was? Ich habe dich gedeckt.«

  »Was soll das heißen?«

  »Als sie mich gefragt hat, was für ein Frauenheld ihr Bruder wirklich auf dem College war, habe ich ihr gesagt, du wärst gar nicht so übel.«

  Sehr langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Nur dass es keine Rolle spielt, ob ich ein Frauenheld war oder nicht. Solange sie mit keinem zusammen ist.«

  »Doppelmoral?«

  Damien zeigte mir den Mittelfinger.

  Im nächsten Moment öffnete Corey die Schlafzimmertür. »Ähm, Leute?«

  Ich sprang vom Sofa auf und stopfte ihr Handtuch in meine Sporttasche. Anschließend ging ich zu ihr und hängte ihr ihre ID um den Hals.

  »Hartley?« Sie legte mir die Hände auf die Brust. »Danke.«

  Es fühlte sich an wie der Hauptgewinn in der Lotterie. Zur Hölle mit Damien. Ich küsste sie mitten auf den Mund. Dann schob ich meinen Brief wieder in den Umschlag, leckte die Lasche an und klebte ihn zu.

  »Okay, versuchen wir es.«

  Ich öffnete Coreys Zimmertür und wartete, während Damien seine Jacke anzog, um uns zu begleiten.

  »Weißt du«, sagte ich zu ihm, »wenn du mitspielen willst, kann ich dir Badesachen leihen. Schließlich bist du ja auch ein Beaumonter.«

  »Er darf nicht mitspielen«, protestierte Corey. »Ehemalige sind nicht zugelassen. Ich will nicht, dass wir gewinnen und disqualifiziert werden.«

  Ich brach in schallendes Lachen aus. »Himmel, Callahan, ich hatte ganz vergessen, mit wem ich es zu tun habe.«

  Als Corey an mir vorbeistelzte, beugte ich mich zu ihr hinunter und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel.

  Selbst Damien musste grinsen. Das Eis zwischen uns schien gerade um einige Zentimeter geschmolzen zu sein.

  »Die Callahans spielen immer auf Sieg«, erklärte er. »Auf geht’s. Zeigt mir, was ihr draufhabt.«

  Und das taten wir.

  23

  Besser spät als nie

  Corey. Drei Monate später

  Hartley und ich saßen auf dem Sofa. Es war ein Samstagnachmittag im April, und wir hatten bis eben gebruncht. Ich versuchte, mich von Shakespeares Julius Caesar fesseln zu lassen, doch Hartley zog mich auf seinen Schoß, schob mir das Haar von der Schulter und küsste die nackte Haut darunter.

  »Ich kann Shakespeare nicht mit deinen Lippen an meinem Hals lesen«, beschwerte ich mich.

  »Dann lasse es«, brummte er. Er zog mich an seine Brust, und ich spürte, wie er sich aufreizend unter mir bewegte. »Das Stück ist vierhundert Jahre alt, da kann es gut noch eine halbe Stunde warten. Wir könnten stattdessen …« Er strich mit den Händen über meinen Brustkorb und meine Hüften und umfasste schließlich meine Pobacken. Ich klappte das Buch zu, warf es auf den Beistelltisch und drehte mich zu ihm um.

  »Oh ja, bitte«, bettelte er an meinen Lippen und tastete nach dem Saum meines T-Shirts.

  »Sorry, dass ich dich auf die falschen Gedanken bringe«, erwiderte ich und hielt seine Hände fest. »Aber ich muss los. Ich habe einen Friseurtermin. Und du hast auch noch ein paar Besorgungen zu erledigen.«

  Er ließ ein leises Knurren hören und zog mich wieder näher an sich. »Mir gefallen deine langen Haare.«

  »Hartley«, sagte ich lachend. »Ich muss die Spitzen schneiden lassen. Dringend. Also musst du dich ein paar Stunden gedulden, okay? Nach dem
Beaumont-Ball gehöre ich ganz allein dir.«

  Er ließ den Kopf gegen die Sofalehne sinken und seufzte. »Das hört sich nach ein paar langen Stunden an. Falls du dich vor dem Ball drücken willst, wirst du nicht damit durchkommen.

  Ich streckte die Hand aus, um sein Kinn zu berühren, und genoss das Gefühl der Samstagsstoppeln unter meinen Fingern.

  »Auf keinen Fall«, versicherte ich ihm. »Ich hab mir extra ein Kleid dafür gekauft, und shoppen steht auf der Liste meiner Lieblingsbeschäftigungen ganz weit unten. Du kannst also darauf wetten, dass ich es auch anziehen werde.« Damit glitt ich von seinem Schoß, hob meine Gehhilfen auf und stand auf.

  Er erhob sich ebenfalls, um mir einen Abschiedskuss zu geben.

  »Du bist das perfekte Mädchen«, murmelte er an meinen Lippen. »Du siehst super aus, gehst aber nicht gerne shoppen. Das Kleid sieht bestimmt trotzdem toll aus – nachdem es auf meinem Fußboden gelandet ist.«

  Ich lachte, und er strich mir die Haare über die Schulter.

  »Es gefällt mir wirklich so lang. Ich hab das nicht nur so gesagt.«

  »Ich auch nicht. Aber das Chlor verätzt die Spitzen, und die lass ich abschneiden. Sehen wir uns nachher?« Ich küsste ihn noch mal.

  »Besser spät«, sagte er und ließ sich wieder aufs Sofa fallen, »als nie.«

  »So ist es richtig.« Ich zurrte die Riemen meiner Tasche an den Schultern fest, öffnete die Tür und humpelte auf den Gang hinaus.

  Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, drehte ich mich um. Vor Hartleys Tür stand ein fremder Mann. Es sah aus, als hätte er gerade geklopft und wartete auf Antwort.

  »Entschuldigung«, sagte ich. »Suchen Sie nach …«

  Als er sich zu mir umdrehte, schnappte ich unwillkürlich nach Luft. Hartley sah seinem Vater wahnsinnig ähnlich.

  Ich brauchte einige Sekunden, bis ich meine Sprache wiederfand. Ich hatte zu viel damit zu tun, seine Größe und das gewellte braune Haar zu bestaunen. Er besaß die gleichen vollen Lippen und die gleiche wohlgeformte Nase wie sein Sohn. Nur die Augen waren ganz anders. Dieser Mann hatte blaue Augen, die nicht annähernd so warm wirkten wie Hartleys.

  »Wissen Sie, wo er ist?«, fragte der Mann leise.

  Ich nickte und fand endlich meine Stimme wieder. »Eine Sekunde. Gehen Sie nicht weg.«

  Als ich meine Zimmertür öffnete und hineinstelzte, rief Hartley vom Sofa aus: »Hast du mich schon vermisst, Schönste?« Doch als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte, war er sofort besorgt. »Was ist los?«

  Ich schloss die Tür hinter mir, beugte mich über das Sofa und flüsterte: »Dein Vater steht auf dem Flur.«

  Er riss erschrocken die Augen auf. »Bist du sicher?«

  »Absolut.«

  Hartley sprang vom Sofa auf. »Shit! In diesem Moment?«

  »Hast du eine Antwort auf deinen Brief bekommen?«

  Er schüttelte den Kopf.

  »Wow. Dann ist er also einfach so vorbeigekommen.«

  Er zuckte mit den Achseln, die Augen immer noch weit aufgerissen. »Vielleicht ist es ja leichter, wenn ich vorher nicht lange darüber nachdenke.«

  Hartley stieß geräuschvoll die Luft aus und blickte dann zu einer kurzen Bestandsaufnahme an sich hinab. Er trug Jeans, ein T-Shirt der Red Sox und leuchtend orangefarbene Sneakers.

  »Du siehst toll aus, Hartley«, flüsterte ich. »Und solange du nicht das Gegenteil behauptest, gehe ich jetzt und mach die Tür da auf. Dann kannst du hier mit ihm reden, okay?«

  Hartley sah sich in meinem Zimmer um, als sähe er es zum ersten Mal. Dann nickte er. Keine Ahnung, ob er dieselben Gedanken im Kopf wälzte wie ich, aber sein eigenes ungemachtes Bett wäre für eine erste Begegnung weitaus peinlicher als mein kleiner Gemeinschaftsraum.

  Ich sah, wie er tief durchatmete, dann drehte ich den Knauf, und Hartley hielt mir die Tür auf.

  Ich hauchte ihm ins Ohr: »Ich liebe dich so sehr.«

  Doch als ich hinausgehen wollte, griff er nach meiner Hand. Und obwohl sein Vater sich zu uns umdrehte, drückte er mir noch einen Kuss auf die Stirn, bevor er mich losließ.

  Ich warf einen weiteren schnellen Blick auf seinen Besucher. Er sah Hartley unverwandt an, sein Gesicht war gerötet und er wirkte wie erstarrt.

  »Warum kommen Sie nicht herein?«, hörte ich Hartley sagen, ehe ich die Eingangstür aufstieß und McHerrin verließ.

  Hartley

  Lange Zeit sprach keiner von uns ein Wort.

  Er nahm auf Coreys Sofa Platz, und ich zog mir Danas Schreibtischstuhl heran und setzte mich ihm gegenüber.

  Ich hatte im Internet schon zahlreiche Bilder von ihm gesehen, aber das hier war etwas ganz anderes. Ich hätte nie gedacht, dass ich mir einmal die Atemluft mit diesem Mann teilen würde. Es fiel mir schwer, den ersten Schrecken zu überwinden, und ich war mir ziemlich sicher, dass es ihm ähnlich erging. Also starrten wir einander einige Minuten einfach nur an.

  »Adam«, sagte er schließlich und räusperte sich. »Es tut mir leid. Ich weiß, das kommt lächerlich spät. Und ich erwarte auch gar nicht, dass du mich verstehst. Doch ich bin gekommen, um dich trotzdem um Entschuldigung zu bitten.«

  Ich konnte in diesem Moment bloß nicken. Nun, da er endlich vor mir saß, schossen mir jede Menge wütender Fragen durch den Kopf. Wie konntest du nur? Weißt du eigentlich, wie hart meine Mutter schuftet? Hast du eine Ahnung, wie oft ich von anderen Kindern gehänselt wurde? Wir haben dich geschützt, und ich habe keine Ahnung wieso.

  Wenn ich jetzt den Mund aufmachte, würden alle Dämme brechen. Also saß ich nur stumm da und würgte den bitteren Geschmack hinunter. Obwohl ein Teil von mir, wie ich beschämt zugeben musste, immer noch wollte, dass er mich mochte. Erbärmlich, oder? Nach all der Zeit hoffte ich trotzdem, einen guten Eindruck auf ihn zu machen.

  Er trommelte nervös mit den Fingern auf sein Bein. Seine Jeans war dunkel und sah teuer aus. Die Sorte, auf die auch Stacia abfahren würde. Dazu trug er glänzend schwarze Schuhe und ein Jackett, das vermutlich so viel gekostet hatte wie das Auto meiner Mutter.

  »Also … ich reiche die Scheidung ein«, sagte er plötzlich.

  Ich nickte. »Ich hab die Schlagzeilen zufällig gelesen.« Schließlich wollte ich ihn nicht wissen lassen, dass ich ihm schon seit Jahren im Netz nachstellte. Seine Scheidung war allerdings erst nach meinem Brief Nachrichtenthema geworden. Jeder konnte davon erfahren haben.

  »Ich habe deinen Brief mit ein paar Wochen Verspätung erhalten. Du hast ihn nach Connecticut geschickt, während ich mich in der Stadt aufhielt.«

  Wieder nickte ich und versuchte, mich auf seine Worte zu konzentrieren. Es fühlte sich an, als schwebte ich über mir selbst. Ich konnte nicht aufhören, ihn anzustarren und die zahlreichen kleinen Ähnlichkeiten zwischen uns zu bemerken. Seine Augenbrauen zum Beispiel waren genauso widerborstig wie meine.

  »Meine Frau – meine Ex-Frau – hat mir von dem Brief erzählt und mir gesagt, wer der Absender ist. Dann habe ich ihr von dir erzählt.«

  »Erzählt?« Das Wort kam als seltsames Quieken aus meinem Mund.

  Er nickte. »Sie wusste nichts von dir. Ich habe eine Menge Fehler gemacht, Adam. Aber letzten Monat habe ich es ihr gesagt, obwohl ich sie da schon verlassen hatte. Geheimniskrämerei war noch nie eine gute Strategie. Bloß dass ich zwanzig Jahre gebraucht habe, um das zu begreifen.«

  Aus irgendeinem Grund musste ich bei seinen Worten grinsen.

  »Was?«, fragte er.

  »Nichts. Ich … ich dachte nur, ich hätte eine lange Leitung.«

  Da grinste auch mein Vater. Allerdings eher traurig.

  »Jedenfalls habe ich dann noch einen Monat gewartet, bevor ich mich entschlossen habe herzukommen. Ich wollte deinen Namen nicht in den Artikeln über meine Scheidung lesen. Die Reporter sollten nicht auf die Idee kommen, das eine könnte mit dem anderen zusammenhängen. Diese Art von Aufmerksamkeit kannst du nicht gebrauchen.« Er lehnte sich auf Coreys Sofa zurück und schlug die Beine übereinander. »Meinen Kindern h
abe ich noch nichts vor dir gesagt. Ich habe ihnen in letzten Zeit schon genug zugemutet.«

  Das machte mich wütend. Was vermutlich daran lag, wie beiläufig er »meine Kinder« gesagt hatte. Die heftige Reaktion brach ungefiltert aus mir heraus. »Na klar, und weil ich an deine Zumutungen ja schon gewöhnt war, musstest du dich nicht sonderlich beeilen, stimmt’s?«

  Mein Vater machte ein bestürztes Gesicht, dann setzte er wieder sein betrübtes Lächeln auf. »Geschieht mir recht.«

  Doch ich schüttelte Kopf. »Nein, es ist nur …« Ich holte tief Luft und ließ es raus: »Ich habe dich nicht um ein Treffen gebeten, damit ich dich anschreien kann.« Aber noch während ich das sagte, ging mir auf, dass ich gar nicht wusste, was ich erwartet hatte. Ich hatte mir immer einen richtigen Vater gewünscht, aber mit einundzwanzig war das Verfallsdatum dafür vermutlich längst überschritten.

  »Es wäre komisch, wenn du nicht wütend auf mich wärst. Das war mir bereits klar, als ich mich entschloss, dich zu besuchen.«

  »Du hast mich überrascht.«

  »Ich weiß. Aber manche Dinge kann man eben nicht am Telefon klären.« Er rutschte nervös auf dem Sofa hin und her. »Ich habe noch drei weitere Kinder. Die Jungs – Ryan und Daniel – sind elf und neun, und meine Tochter Elsa ist sieben.«

  Ryan. Daniel. Elsa.

  »Das ist das Schlimmste«, platzte ich heraus.

  »Was genau?«

  »Brüder zu haben, die nicht wissen, dass es mich gibt.«

  Ich hatte sie damals in Stacias Nachbarschaft gesehen, und auch wenn ich sie nicht richtig hatte erkennen können, hatte sich ihr Anblick in mein Gedächtnis gebrannt. Ich sah jetzt noch genau vor mir, wie einer meiner Brüder den Arm über dem Kopf anwinkelte, während der andere über den perfekt gemähten Rasen flitzte, um den Pass anzunehmen. Nie im Leben hatte ich mich so ausgestoßen gefühlt.

  »Gut, ich sage es ihnen am nächsten Wochenende.«

  Ich schüttelte den Kopf, weil ich mir plötzlich egoistisch vorkam. »Sie können ja nichts dafür, mach dir also deshalb keine Sorgen.«

  Mein Vater beugte sich vor. »Nein, du hast ja recht. Die Heimlichtuerei hat mir nichts eingebracht. Wenn ich es ihnen sage, werden sie zehn Minuten lang von den Socken sein. Und danach wirst du für sie so was wie ein Rockstar sein.« Er lächelte wieder, und dieses Mal wirkte es hundert Prozent echt. Der Gedanke an seine Kinder schien ihn aufzuheitern. »Im Ernst. Ein großer Bruder, der Eishockey spielt? Die drei werden deine größten Fans. Pass auf, was du dir wünschst.«

 

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