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Bevor wir fallen

Page 26

by Bowen, Sarina


  Ich rieb mir das Knie, als ich daran dachte, wie lange ich keine Schlittschuhe mehr getragen hatte.

  »Aber du hast letztes Semester nicht gespielt?«

  »Nein, ich hatte einen doppelten Beinbruch.«

  »Das war sicher übel.«

  Ich zuckte mit den Achseln. »Ja, das war’s, aber jetzt geht es mir wieder gut. Und ich hab ein tolles Mädchen kennengelernt.«

  Mir war immer bewusst, dass Corey und ich uns nie begegnet wären, hätte ich mich nicht verletzt. Dann würde ich womöglich immer noch mit Stacia in der krankhaftesten Beziehung der Welt stecken. Und würde noch immer dasselbe Päckchen mit mir herumschleppen.

  »Wir könnten alle zusammen zu einem Spiel der Rangers gehen«, schlug mein Vater vor.

  Ich sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Die Rangers?«

  Er überraschte mich mit einem Lachen. »Welches Team ist denn deins?«

  »Die Bruins natürlich. Die Rangers sind doch Weicheier.«

  »Gut zu wissen«, gab er zurück, während er sich sichtlich ein wenig entspannte. »Gut zu wissen.«

  Corey

  Unnötig zu erwähnen, dass die zwei Stunden, die für den Friseur und die Besorgungen draufgingen, fürchterlich waren. Ich stellte mir die ganze Zeit vor, wie das erste Gespräch zwischen den beiden wohl ablaufen würde. Außerdem wusste ich nicht, ob ich mich darüber ärgern sollte, dass Hartleys Vater einfach so bei uns aufgeschlagen war. War es besser, unangekündigt aufzutauchen, als überhaupt nicht?

  Es war warm für April, sodass ich auf dem Heimweg ins Schwitzen geriet. Ich trug meine neuen Beinschienen bereits einen Monat und kam ganz gut mit ihnen zurecht. Ich musste widerstrebend zugegeben, dass die neue Technik ziemlich beeindruckend war. Obwohl ich auch noch Unterarmgehhilfen benötigte, benutzte ich meine eigenen Beine, ohne dass es sich anfühlte, als liefe ich auf Stelzen. Das Treppensteigen fiel mir inzwischen auch viel leichter, und den Rollstuhl benutzte ich nur noch im Studentenwohnheim.

  Als ich endlich auf meinem Zimmer ankam, fand ich auf dem Sofa eine Nachricht.

  Ich muss dir so viel erzählen, Callahan, aber zuerst hab ich mir Stacias Auto geliehen und bin zu meiner Mutter gefahren. Das musste sein. Ich bin GANZ BESTIMMT um acht wieder da, also zieh schon mal das Kleid an.

  Ich liebe dich, H.

  Natürlich kam ich vor Spannung fast um. Doch ich musste mich in Geduld üben. Ich schrieb ihm eine SMS.

  Fahr vorsichtig. NICHT RASEN. Ich liebe dich, C.

  Ich aß mit Dana und Daniel im Speisesaal zu Abend. Die beiden waren total aus dem Häuschen, weil sie zusammen zum Beaumont-Ball gehen würden. Daniel hatte erst nach zwei Monaten den Mut gefunden, Dana um ein Date zu bitten. Da sie nun schon seit ein paar Wochen miteinander ausgingen, hoffte ich sehr, Daniel morgen früh aus Danas Zimmer schleichen zu hören. Für alle Fälle hatte ich schon mal genügend Sticheleien gehortet.

  Heute Abend jedoch war ich dermaßen abgelenkt, dass ich ihrer Unterhaltung unmöglich folgen konnte.

  »Alles in Ordnung, Corey?«, fragte Dana, nachdem ich es zum dritten Mal hintereinander nicht geschafft hatte, eine einfache Frage zu beantworten.

  »Hm? Äh, ja, alles gut.«

  »Wo steckt Hartley?«, wollte sie wissen. »Ihr habt euch doch nicht gestritten, oder?«

  Ich schüttelte den Kopf. »Er ist nur für ein paar Stunden zu seiner Mutter gefahren. Sein … Er musste sich um eine Familienangelegenheit kümmern. Aber er wollte rechtzeitig zum Ball zurück sein.«

  Dana sah auf ihre Uhr. »Dann machen wir uns besser mal fertig. Ich habe einen Nagellack, der super zur Farbe deines Kleids passen würde.«

  Ich verzog das Gesicht. »Klingt krass.«

  »Heute Abend bist du keine Sportskanone, Corey. Heute Abend bist du ein Party Girl.«

  »Wenn du es sagst.« Ich seufzte. Mich juckte ehrlicherweise weder das eine noch das andere, solange meine Sportskanone in einem Stück zu mir zurückkam.

  »Du willst mir nicht verraten, was mit Hartley nicht stimmt, oder?«, bohrte Dana nach.

  Weil ich die Augen geschlossen hatte, konnte ich sie nicht sehen. Doch ich spürte ihren Atem im Gesicht, als sie den Lidschatten auftrug.

  »Tut mir leid, das muss er dir selbst erzählen. Aber ich schwöre, es ist niemand krank oder liegt im Sterben. Es geht nur um ein mittleres Familiendrama.«

  »Gut so«, sagte Dana, und ich war mir nicht ganz im Klaren darüber, ob sie Hartley oder mein Make-up meinte. »Und jetzt mach die Augen auf und sieh dich an.«

  Und das tat ich. Als sie beiseitetrat und ich mein Spiegelbild betrachtete, kam es mir fast so vor, als würde mich ein anderes Mädchen ansehen. Ich hatte nie sonderlich viel von Make-up gehalten, und nach dem Unfall hatte ich einige Zeit ganz darauf verzichtet. Aber das Mädchen, nein, die Frau im Spiegel besaß weit mehr Glanz und Stil als die, die ich sonst darin erblickte. Dana hatte versprochen, es nicht zu übertreiben, und sie hatte Wort gehalten. Sie hatte es geschafft, alle positiven Seiten meines Gesichts besonders zu unterstreichen. Das Goldbraun des Lidschattens schmeichelte meinen Haaren, die nach dem Friseurbesuch noch glatt und an den Spitzen gelockt waren. Was mir jedoch an dem Ensemble am besten gefiel, war das Kleid. Natürlich hatte Dana es ausgesucht, und sie hatte sich dabei selbst übertroffen. Es war rot und lang. (Dana hatte es ein Maxikleid genannt, was immer das heißen mochte.) Der Schnitt war unglaublich schlicht. Das eng anliegende Oberteil ging in einen weiten Rock über, der in seidigen Bahnen um meine Beine floss. Der Vorhang aus Stoff verbarg die Beinschienen und gab mir die schlanke Silhouette zurück, die der Spiegel mir mehr als ein Jahr vorenthalten hatte.

  »Wow«, sagte Dana. »Hartley wird in Ohnmacht fallen. Falls er überhaupt noch auftaucht.«

  Ich konnte unmöglich den Blick abwenden. Wann hatte ich das letzte Mal in den Spiegel geschaut, ohne etwas an mir auszusetzen zu haben? Trotzdem wusste ich tief in meinem Herzen, dass dieses Kleid und das Make-up keinen anderen Menschen aus mir machten. Doch sie gaben mir einen Grund innezuhalten, mich zu betrachten und all die sichtbaren Teile meiner selbst zu feiern, die unversehrt geblieben waren – den rosigen Ton meiner gesunden Haut, meine langen Haare. Der Spiegel war wirklich sehr freundlich zu mir, und das, obwohl ich ihn in letzter Zeit so sträflich vernachlässigt hatte.

  »Gefällt es dir?«, flüsterte Dana.

  Ich wusste, dass sie das Make-up meinte, dennoch hätte sie ebenso gut nach meinem ganzen Leben fragen können.

  »Ja«, antwortete ich. »Sehr gut sogar.«

  Kurz nach acht meldete mein Handy eine SMS von Hartley.

  Bin unterwegs. Tut mir so leid.

  Ich schrieb zurück: Nicht beim Fahren schreiben. Nimm dir alle Zeit der Welt. Ich geh schon mal mit D & D vor.

  Der Beaumont-Speisesaal war während der zwei Stunden unserer Abwesenheit gründlich verändert worden. Die größeren Tische waren entfernt worden, um Platz für eine fünfköpfige Band und die Tanzfläche zu schaffen. Auf den übrigen Tischen flackerten Kerzen. In der Mitte des Saals tanzten einige Paare, andere standen am Rand zusammen und unterhielten sich.

  Da ich die ganze Zeit den Eingang im Auge behielt, bekam ich nicht mit, dass Bridger sich an mich heranschlich. Ehe ich Einspruch erheben konnte, fasste er mich um die Taille, schwang mich im Kreis herum und setzte mich wieder ab.

  »Wer bist du und was hast du mit Callahan angestellt?«, fragte er und gab mir meine Gehhilfen zurück, die bei seinem Überfall auf den Boden gefallen waren.

  »Äh, danke.«

  Ich hatte in der letzten halben Stunde ein Dutzend Versionen dieses Kompliments gehört. Das war ja alles sehr schmeichelhaft, legte aber auch die Frage nahe, ob ich mir sonst nicht vielleicht auch ein bisschen mehr Mühe geben sollte.

  »Nein, echt, du siehst umwerfend aus«, bekräftigte er. »Aber wo zum Teufel steckt Hartley? Wenn er dich sitzen lässt, reiße ich ihm die Eier ab.«

  »Nicht nötig«, entgegnete ich. »Er ist unterwegs und sollte jede Minute hier sein.«
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  Bridger runzelte fragend die Stirn, aber mehr gab ich nicht preis.

  »Willst du mich nicht deiner Begleiterin vorstellen?«

  Hinter Bridger stand eine mir unbekannte vollbusige Blondine. Ich hatte Hartleys Kumpel nie länger als einen Abend mit demselben Mädchen gesehen. Er schien sie zu verbrauchen wie Papiertaschentücher.

  »Aber klar doch. Das ist …« Er räusperte sich.

  »Tina«, sprang sie ein.

  »Hey Tina.« Um Bridgers peinlichen Patzer zu überspielen, reichte ich ihr schnell die Hand. »Freut mich, dich kennenzulernen.«

  »Ganz meinerseits«, gab sie steif zurück.

  »Ich will euch zwei aber nicht vom Tanzen abhalten.«

  Als Tina an seiner Hand zog, sah Bridger mich mit hochgezogenen Brauen an. Anscheinend fand er es unhöflich, tanzen zu gehen, wenn ich mich den beiden nicht anschließen konnte.

  »Geh nur«, flüsterte ich.

  Bridger gab mir einen Wangenkuss, bevor er seine Begleiterin auf die Tanzfläche führte.

  Ich sah ihnen ein paar Minuten zu. Bridger war ein guter Tänzer, was mich auf die Idee brachte, dass für Hartley sicher dasselbe galt. Jedenfalls hatte keiner der beiden irgendwelche Hemmungen.

  Ich lächelte in mich hinein, als Hartley endlich durch die Tür geschlittert kam und auf der Suche nach mir den Kopf von links nach rechts wandte. Er musste in der Zwischenzeit noch auf seinem Zimmer gewesen sein, um sich umzuziehen, hatte aber offensichtlich nicht sehr viel Zeit darauf verwendet. Er trug eine Khakihose und ein Button-Down-Hemd, doch beides hätte ein Bügeleisen oder wenigstens eine Runde Abhängen im dampfigen Badezimmer vertragen können. Auch die Krawatte hatte er sich offensichtlich in aller Eile umgebunden. Trotzdem war er der am besten aussehende Typ im ganzen Saal. Mit Abstand.

  Mein Lächeln wurde breiter, während ich ihn beobachtete. In der Erwartung, dass er mich im Gewimmel entdeckte, richtete ich mich ein Stück auf. Doch leider bemerkte Stacia ihn zuerst. Ich beobachtete, wie sie auf ihn zustolzierte.

  Hartley zog etwas aus der Hosentasche, bei dem es sich um ihren Autoschlüssel handeln musste. Dann sah ich, wie er ihr zum Dank einen flüchtigen Kuss auf die Wange hauchte. Doch die ganze Zeit ließ er auf der Suche nach mir weiter den Blick durch den Raum schweifen.

  Hier drüben, half ich ihm in Gedanken.

  Als er endlich in meine Richtung blickte, übersah er mich zuerst. Doch dann entdeckte er mich. Während sein Gesicht vom allerschönsten Lächeln erhellt wurde, schlängelte er sich an Körpern und Stühlen vorbei so schnell wie möglich auf mich zu.

  Ich rechnete damit, dass er mich in die Arme schließen würde, doch stattdessen blieb er wie angewurzelt vor mir stehen.

  »Verflucht, Callahan!«, rief er und glotze mich an. »Ich meine … Wow!« Er trat einen Schritt näher. »Die Verspätung tut mir so leid, ich …«

  »Pst«, machte ich und legte ihm einen Finger auf die Lippen. »So spät bist du gar nicht dran.« Ich strich ihm zärtlich den Kragen glatt.

  »Ja, schon, aber …« Er blickte an sich hinunter und gluckste. »Ich hab dich bequatscht hierherzukommen und wollte alles richtig machen. Ich hatte noch vorgehabt, meinen Anzug aus der Reinigung abzuholen, aber die hatte schon zu.« Er kam noch einen Schritt näher und strich mit der Hand über die Seide, die sich über meinem Brustkorb spannte. »Verdammt, bist du schön«, sagte er dann und küsste mich vor Gott und aller Welt auf die Lippen.

  Und ich ließ es zu.

  Die Band stimmte ein langsames Stück an, worauf Hartley lächelnd ein Stück zurückwich. »Los geht’s! Lass die Krücken hier.«

  Er legte mir die Hände auf die Hüften, und ich beugte mich vor und presste die Knie mithilfe meiner neuen Beinschienen zusammen. Ich verstaute die Gehhilfen auf einem Stuhl hinter mir, schaute nach unten und stieg zuerst auf Hartleys einen, dann auf seinen anderen Schuh.

  »Geht doch«, flüsterte er mir ins Ohr. Dann glitt er mit kleinen Schritten, meine Füße auf seinen, rückwärts zwischen die Tanzenden. Genau, wie wir es geübt hatten.

  Und dann tanzten wir, langsam und eng umschlungen. Einem zufälligen Beobachter wäre womöglich nicht mal aufgefallen, dass ich mich ohne Hartleys Unterstützung nicht auf den Beinen gehalten hätte.

  »Dafür bin ich nach Hause gerast«, sagte er und küsste mich aufs Haar.

  »Das ist toll. Aber wenn du mir nicht auf der Stelle verrätst, wie es mit deinem Vater gelaufen ist, platze ich vor Neugier.«

  Er lachte. »Klar, Ma’am, aber um dir alles zu erzählen, brauche ich Stunden.«

  »Ich hab Zeit.«

  Seine Nase kitzelte mein Ohr. »Ich schwöre, ich erzähle dir alles und in allen Einzelheiten. Aber mir schwirrt gerade noch zu sehr der Kopf, und ich wüsste überhaupt nicht, wo ich anfangen sollte.«

  »Er muss deinen Brief bekommen haben.«

  Hartley streifte meine Wange mit den Lippen. »Ja, hat er, allerdings mitten in seiner Scheidung.«

  Ich hob den Blick. »Davon habe ich gelesen. War er nicht fünfzehn Jahre verheiratet?«

  »Ja. Als ich davon erfahren habe, habe ich mich gefragt, ob er den Brief überhaupt bekommen hat.«

  »Aber das hat er.«

  Hartley nickte. »Seine Frau, Ex-Frau, meine ich, hat ihm am Telefon davon erzählt. ›Du hast einen Brief von einem Adam Hartley bekommen. Persönlich und vertraulich.‹ Und dann hat er ihr von mir erzählt.«

  Als ich den Kopf in den Nacken legte, um ihn anzuschauen, brachte uns das für einen Moment aus dem Gleichgewicht. Ich rutschte mit einem Fuß von Hartleys Schuh auf den Tanzboden.

  »Sie hatte keine Ahnung?«

  Er schüttelte den Kopf. »Aber er meinte, nachdem sie ihm von dem Umschlag erzählt hatte, hat er keinen Moment länger gezögert. Und dass er vielleicht nie geschieden worden wäre, wenn er, was das und vieles andere angeht, ehrlicher zu ihr gewesen wäre.«

  »Autsch. Hört sich an, als würde er auch ein ordentliches Päckchen mit sich herumschleppen.«

  Hartleys Hände glitten sanft über meinen Rücken. »Mir kam es heute so vor, als bräuchte er noch jemanden, der ihm tragen hilft. Andererseits scheint er sich wirklich Mühe zu geben.«

  »Worüber habt ihr geredet?«

  »Über dies und das. Ich glaube, wir haben anderthalb Stunden zusammengesessen. Und nächsten Monat treffen wir uns wieder.«

  »Wow.«

  »Ich konnte nicht aufhören, ihn anzustarren, ehrlich. Er sah genauso aus wie ich, nur älter. Es kam mir so vor, als befände ich mich in einem Spiegelkabinett.«

  »Ich bin sicher, dass er dich auch die ganze Zeit anschauen musste, Hartley. Du bist so appetitlich.«

  Er schnaubte. »Dich hat’s ja übel erwischt, Callahan.«

  Als der langsame Tanz vorbei war, begann die Band mit einem schnelleren Swing-Stück, weswegen wir die Tanzfläche verließen.

  Hartley streckte beide Hände aus und ging rückwärts, während ich mich auf ihn stützte. Mein Gang würde mit den Beinschienen wohl nie wieder anmutig aussehen. Aber er wirkte nun schon viel, viel natürlicher als noch vor Kurzem.

  »Oh! Entschuldigung«, sagte Hartley, als er mit unserem Dekan zusammenstieß.

  Mr Darling sah irritiert auf, erkannte mich aber im nächsten Moment. »Ms Corey Callahan!«, rief er. »Mit Ihnen hatte ich auf der Tanzfläche nicht gerechnet. Ein weiterer alberner Fehler meinerseits.«

  »Ich hätte da auch nicht mit mir gerechnet«, gab ich zu. »Aber dann hat man mir gesagt, dass der Beaumont-Ball ein absolutes Muss ist.«

  »So soll es sein«, sagte Dekan Darling lächelnd. »Weiter so.«

  Hartley zog mich an seine Seite. Mit einer Hand umfasste er meine Taille, den anderen Arm legte er über meinen Bauch, sodass er mich ganz umschloss und ich mich gegen ihn lehnen konnte. Wir hatten inzwischen ein paar neue Tricks drauf. Und mit meiner persönlichen männlichen Stütze, die ich zwischendurch auch noch anknabbern konnte, hatte ich viel mehr Spaß an Partys als zuvor.

 
Bridger winkte uns von einer Tür aus zu, die ich noch nie offen stehen gesehen hatte.

  »Wo geht es da hin?«

  »Auf eine Terrasse«, sagte Hartley. »Willst du kurz raus?«

  »Klar.« Ich griff nach meinen Krücken, doch Hartley hielt mich zurück. »Geh mit mir. Ich lasse dich schon nicht im Stich.«

  Er stellte sich vor mich, beugte sich ein wenig zurück und streckte die angewinkelten Armen nach mir aus. Ich nahm seine Hände und stützte mich fest darauf. Es waren keine fünf Meter bis zu der Tür. Ich hatte ein bisschen Probleme mit der Schwelle, also packte Hartley kurzerhand meine Hüften, hob mich hoch, vollführte eine Halbdrehung und ließ mich auf der anderen Seite wieder hinunter. Dort fasste er mich um die Taille und reichte mir die andere Hand zur Sicherheit. Dann näherten wir uns Schritt für Schritt unseren im Dunkeln wartenden Freunden.

  Als ich den Blick hob, sah ich mich einem Unbekannten mit fragendem Gesichtsausdruck gegenüber.

  »Ich bin nicht betrunken«, sagte ich zu ihm. »Ich gehe immer so.«

  »Oh, sorry«, erwiderte er und sah schnell weg.

  Ich schüttelte den Kopf. »Ich nehme dich nur ein bisschen auf den Arm.«

  Dann hörte ich das verräterische Geräusch eines knallenden Korkens und erhaschte einen Blick auf Stacias blonde Locken, als sie sich mit einer Flasche in der Hand umdrehte.

  »Colin, Gläser?«

  Der Typ, der mich angestarrt hatte, hielt ihr einen Stoß kleiner durchsichtiger Plastikbecher hin, und Stacia machte sich daran, in jeden ein paar Schlucke einzugießen.

  Hartley stützte mich an seiner Seite, während ich den Aprilabend schnupperte. Der Frühling stand vor der Tür. Kaum zu glauben, aber mein erstes Jahr am Harkness College würde in sechs Wochen zu Ende gehen.

  Colin reichte die Becher herum, doch als die Reihe an uns war, lehnte Hartley ab. Es gab hier draußen keine Stühle, und wir brauchten jede freie Hand, um mich auf den Beinen zu halten.

 

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