001 - Wild like a River
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Man muss doch wissen, wofür man sich entscheidet, oder? Und wie kann ich es wissen, wenn ich nicht genau weiß, wogegen ich mich entscheide?
Jackson stiehlt sich in meine Gedanken. Er beugt sich weit über die Mauer, das Smartphone in den Händen, und dann sieht er mich plötzlich an. In seinen Augen liegen noch die Faszination und die Begeisterung, die durch den Wasserfall hervorgerufen worden sind. Er lächelt, Tropfen rinnen seine Wangen hinab. In dieser Sekunde war ich genauso sehr Teil seiner Welt wie er Teil von meiner. Es hat sich gut angefühlt. Ziemlich perfekt sogar.
Jackson wird wieder zurück nach Edmonton fahren, aber diese Sehnsucht in mir hat sich durch ihn noch einmal gefestigt.
Ich muss mit Dad sprechen.
Bei diesem Gedanken angekommen, drehe ich mich vom Rücken auf die Seite. Es wird ihm nicht gefallen, aber vielleicht hat er ja trotzdem ein paar Ideen. Dad mochte das Stadtleben nicht, aber er kennt es, im Gegensatz zu mir. So wie er mir den Wald gezeigt hat, so könnte er es doch wieder tun und mir zumindest bei den ersten Schritten helfen.
In Edmonton. Sollte ich den Wald verlassen, würde es Edmonton sein. Weil es einfach die Stadt ist, die am nächsten liegt, weil ich mit Mum und Dad dort gewohnt habe und weil … Jackson dort lebt. Ich hätte dort zumindest einen Freund.
Im Licht des Mondes, der am Himmel steht, zeichnet sich der Umriss des Fensters in einem hellen Grau vor der Schwärze der Wand ab, ein schwacher silbriger Schimmer liegt auf der breiten Fensterbank.
Aber ob Jackson in Edmonton überhaupt noch mein Freund wäre? Hier ist er allein, und ich bin für ihn so etwas wie ein Schlüssel zu dem, was er gern kennenlernen möchte. In Edmonton jedoch wäre ich nur noch das seltsame Mädchen, und er hat dort Cayden und andere Freunde – was, wenn er mit mir dann nichts mehr anfangen kann? Würde das etwas ändern?
Ich horche in mich hinein, lange.
Nein.
Nein, denn es geht nicht um Jackson, jedenfalls nicht nur. Es geht um mich.
JACKSON
D er Mond steht mittlerweile hoch am Himmel, sein Licht zeichnet schimmernde Reflexe in den Fluss. Ruhig fließt er dahin – kaum vorstellbar, dass er sich nur wenige Meilen weiter in einen reißenden Strom verwandeln wird.
In der Feuerstelle glimmt es noch, das leise Knacken vermischt sich mit dem sanften Rauschen des fließenden Wassers. Ich lege den Kopf in den Nacken und versuche Sterne auszumachen, die dem weißen Mondlicht trotzen.
Dieser Moment bei den Wasserfällen – als wir uns ansahen und Haven nach meiner Hand griff –, das war wie der vorläufige Höhepunkt von etwas, auf das ich gewartet habe, seit sie am Horseshoe Lake aus dem Auto stieg.
Ich könnte behaupten, es sei wie jedes Mal, wenn man auf eine Frau trifft, die man extrem gutaussehend findet und die sich dann obendrein auch noch als interessant erweist. Wenn so etwas auf Gegenseitigkeit beruht, liegt es doch nahe, sich besser kennenzulernen, um herauszufinden, was alles drin sein könnte – meinetwegen etwas Kurzes, aber Intensives, vielleicht sogar etwas, das in eine längere Sache übergeht. Nach Lynn hatte ich einige Dates, und warum auch nicht? Wir waren fast drei Jahre zusammen, bevor sich gezeigt hat, dass wir doch nicht unbedingt das Traumpaar waren, für das uns alle hielten. Längere Beziehungen hatte ich allerdings nicht mehr, abgesehen von Stella. Sie ist auch die Einzige, bei der ich es im Nachhinein bereue, mich auf etwas eingelassen zu haben, aber es war wie bei Lynn: Jeder schien der Meinung zu sein, dass wir perfekt zusammenpassen. Hätte Stella nicht auf dieser Party mit einem anderen rumgemacht, wäre ich vielleicht immer noch mit ihr zusammen.
Und jetzt Haven.
Der letzte Funke in der Glut erlischt, und im selben Moment wird mir bewusst, dass es sich falsch anfühlt, Haven in eine Reihe mit meinen bisherigen Beziehungen zu stellen. Alles, was passiert ist, seit ich gestern Morgen bei ihr an die Haustür geklopft habe, hat überhaupt nichts mit dem zu tun, wie Frauengeschichten sich bei mir sonst entwickeln.
Es ist nicht mal vergleichbar mit Lynn.
Nicht ansatzweise vergleichbar.
Es ist …
Beim Klingeln des Telefons fahre ich so heftig zusammen, dass ich mir fast den Nacken verrenke. Es übertönt den Fluss, es übertönt die Nachtgeräusche des Waldes, und ich kann es gar nicht hastig genug wieder zum Schweigen bringen.
Cayden. Wer sonst sollte es auch um kurz vor zwölf sein?
«Jax! Hör dir das an!»
«Was …?»
Stimmenfetzen und Musik und dann: «Jackson! Wir vermissen dich! Komm wieder nach Hause!»
Dem aufgekratzten Gelächter, das diese Sätze begleitet, folgt erneut Caydens Stimme, der offenbar bemüht ist, sein Handy wieder an sich zu bringen. «Okay, Finger weg … wenn du mit Jax reden willst, ruf ihn selbst an.» Kurz klingt es, als schabe das Smartphone eine Mauer entlang, dann ist er wieder in der Leitung. «Wir lieben dich, Mann, komm nach Hause!»
«Cay, was …»
«Wir liiiieben dich.» Wenn Cayden voll ist, lacht er immer viel zu laut, und ich halte das Handy ein Stück vom Ohr weg. «Was machst du gerade? Hab ich dich gestört?»
«Es ist mitten in der Nacht.»
«Aber du hast noch nicht geschlafen, oder? Jedenfalls nicht allein – oder doch? Bist du gerade einsam, Jax? Stella würde dich gern trösten.»
Was Stella dazu zu sagen hat, ist trotz der Musik und des Stimmengewirrs deutlich zu verstehen – «Cay! Du Idiot!» –, und wenn ich das richtig mitbekomme, scheint Cayden Mühe zu haben, sie davon abzuhalten, ihm das Telefon zu entreißen. Sein Gelächter beginnt mir auf die Nerven zu gehen. Ausgerechnet Stella. Cayden weiß ganz genau, dass es am Schluss echt mies zwischen uns gelaufen ist, und trotz dieser Geschichte auf der Party habe ich noch immer ein schlechtes Gewissen. Sie behauptet, sie habe mit dem Typen rumgemacht, weil ich sie seit Wochen nicht mehr beachtet hätte, und damit hat sie leider recht. Einfach nur bescheuert, sie in diese alberne Aktion reinzuziehen.
«Also, alles gut bei dir? War’s schön heute? Bäume und so? Mehr Bäume? Schick mal Fotos von Bäumen!»
«Cay, halt die Klappe. Ich leg jetzt auf, wir sehen uns am Samstag.»
«Du rennst da jetzt seit zwei Tagen rum, hast du nicht schon genug Bäume gesehen? Oder gibt’s auch Ameisen?»
«Mach’s gut, Cay.»
«Hey, schick mir doch keine Fotos von Bäumen, ja? Schick mir eins von dieser Rothaarigen! Liegt die gerade neben dir?»
Cayden, du Arsch. Bevor ich die Verbindung unterbrechen und damit auch sein Lachen beenden kann, bringt er noch einen halben Satz unter: «Die nimmt bestimmt die Pille nicht, du musst –»
Sicherheitshalber schalte ich das Smartphone gleich ganz aus.
Blickt man versehentlich in die Sonne, hat man eine ganze Weile Farbreflexe vor Augen, und genauso lang scheint es jetzt zu dauern, bis der Nachhall dieses dämlichen Telefongesprächs endlich wieder verfliegt.
Cayden ist schwer zu ertragen, wenn er betrunken ist, das war schon immer so. Er ist intelligent und witzig, aber wenn er was getrunken hat, haut es ihm irgendwann die Sicherungen raus, und seine Sprüche werden einfach nur mies. Und gnadenlos. In dieser Sekunde möchte ich am liebsten die Zeit zurückdrehen. Mit Sicherheit würde ich Caydens Anruf dann einfach wegdrücken.
Ich stochere die verkohlten Holzscheite auseinander, um ausschließen zu können, dass doch noch etwas glimmt, und mache mich dann auf den Weg zum Zelt. Es ist Caydens Schuld, dass ich mir dabei kurz vorstelle, wie Haven wohl aussähe, würde sie dort auf mich warten.
Verfluchter Cay.
Erst als ich in meinem Schlafsack liege und das gleichmäßige Rauschen des Flusses mich wieder beruhigt, gestehe ich mir ein, dass mich Caydens Bemerkungen vor allem deshalb ärgern, weil ich selbst bereits darüber nachgedacht habe, wie es wäre, Haven so nahe zu kommen.
Würde sie in diesem Moment neben mir liegen, den Kopf auf meiner Brust, sodass ich ihren Atem auf meiner Haut spüren könnte …
Nein, Caydens blöde Kommentare und das, was ich mir in diesem Zusammenhang vorstelle, haben kaum etwas miteinander zu tun. Trotzdem sollte ich aufhören, darüber nachzudenken.
&n
bsp; Haven lebt hier, ich nicht.
Sie würde diesen Wald niemals verlassen, das hat sie mehr als deutlich gemacht, diesen Wald mit seinen … Kraftorten. Und ich wüsste nicht, was ich in einem Nationalpark Sinnvolles tun könnte, abgesehen von Urlaub.
Und aus diesem Grund wird zwischen ihr und mir nicht mehr passieren, als dass unsere Hände sich berühren … Dieses Gefühl, ihre Hand in meiner, werde ich mitnehmen, wenn ich am Samstag zurück nach Edmonton fahre. Alles, was darüber hinausginge, jede Berührung mehr, wäre einfach nur eine erbärmliche Aktion von mir.
Direkt neben dem Zelt zirpt ein Insekt, ein feiner, summender Ton, so beruhigend wie das Schnurren einer Katze. Meine Gedanken beginnen zu zerfließen.
Aber was spräche dagegen, hin und wieder hierherzufahren? Vielleicht an den Wochenenden? Ein angehender Anwalt mitten im Wald – es gibt bestimmt Verrückteres auf dieser Welt.
9
HAVEN
«W as hast du heute vor?»
Mein Vater und ich stehen in der grauen Morgendämmerung gemeinsam in der Küche. Gerade hat er mir wie üblich einen knappen Kuss auf den Haaransatz verpasst, und jetzt müsste er eigentlich zur Haustür gehen.
Ich beuge mich über die Teetasse in meinen Händen, feuchte Wärme legt sich auf mein Gesicht. «Mal sehen.»
«Kommt dieser Jackson heute wieder vorbei?»
Dieser Jackson. «Ja.» Geh einfach, Dad. Geh und fang nicht wieder eine Grundsatzdiskussion an.
Doch er zögert. «Was erzählt er denn so?»
Die Frage habe ich nicht erwartet. Irritiert blinzele ich Dad an. «Wir reden eigentlich nur über das alles hier. Über Tiere und so.» Das stimmt nicht ganz. Wir reden auch darüber, warum ich keine Freunde habe.
«Und wie war es bei den Wasserfällen gestern?», erkundigt er sich.
«Schön.»
«War bestimmt ziemlich voll, oder?»
«Ja. Aber es war trotzdem schön.»
Das hätte ich vielleicht nicht noch einmal betonen sollen, denn jetzt sehe ich es in Dad arbeiten.
«Erzählt er auch ein wenig über sich?»
Diesmal bin ich es, die zögert. Klar, Dad will mehr über Jackson erfahren, aber ich könnte ihm nicht einmal besonders viel erzählen, würde ich es wollen. Alles, was ich weiß, ist, dass Jackson in Edmonton Jura studiert. Und das nicht besonders begeistert. Warum habe ich ihn eigentlich nicht mehr gefragt? Zum Beispiel was er lieber studieren würde? Wenigstens irgendeine Frage zu seinem Alltag hätte ich ihm stellen können. Welche … Filme er mag oder so. Jeder normale Mensch hätte das getan, nur ich mal wieder nicht.
«Nicht sehr viel», gebe ich schließlich zu. «Er studiert Jura. In Edmonton.»
Dad nickt langsam, während er über diese Information nachzudenken scheint.
«Meinst du, es könnte mir dort gefallen?» Unmittelbar, nachdem mir diese Frage entschlüpft ist, umfasse ich meine Tasse fester und trinke einen Schluck. Nichts an Dads Haltung scheint sich verändert zu haben, als ich wieder aufsehe, nur sein Blick liegt nicht mehr auf meinem Gesicht, sondern geht ins Leere.
«Keine Ahnung, Haven.»
«Ich habe mir überlegt …» Die Tatsache, dass er jetzt die Augen schließt, lässt mich kurz innehalten. «Ich habe mir überlegt … ich würde es mir gern mal ansehen. Edmonton, meine ich. Einfach für eine Weile.»
Dad antwortet nicht, und das lässt mich forscher werden. «Ich könnte vielleicht sogar ein Semester dort studieren.»
«Warum?» Jetzt sieht er mich endlich an. «Was versprichst du dir davon?»
«Weiß ich noch nicht. Aber denkst du nicht, es wäre eine Erfahrung, die wichtig für mein Leben wäre?»
Mein Vater sieht so angespannt aus, wie ich ihn selten erlebt habe. Eigentlich wollte ich das Thema nicht schon heute Morgen anschneiden. Ich sah uns dabei vielmehr vor dem Kamin sitzen, entspannt und in friedlicher Stimmung. Dad hätte dann nicht so leicht die Möglichkeit gehabt, sich von mir abzuwenden und nach seiner Jacke zu greifen, so wie er es jetzt tut. «Du musst selbst wissen, was richtig für dich ist.»
«Ich dachte … ich habe mir überlegt … wenn du dir Urlaub nehmen würdest …»
«Ich werde Jasper ganz sicher nicht verlassen, um nach Edmonton zu gehen, Haven.»
«Ich meine ja nur für ein paar Tage.»
«Auch nicht für ein paar Tage. Um ehrlich zu sein, halte ich die ganze Idee für falsch», fügt er hinzu.
«Wieso? Was spricht denn dagegen? Ich bin neunzehn Jahre alt. Und ich kenne kaum mehr als das Leben hier im Wald.»
«Menschen, die in der Stadt leben, kennen kaum mehr als die Stadt.»
«Aber sie leben mit anderen Menschen zusammen.»
«Du fühlst dich also einsam.»
«Was? Nein … nein, ich fühle mich nicht einsam. Nicht oft jedenfalls», füge ich hinzu. «Ich möchte es einfach ausprobieren, verstehst du? Wäre Mum nicht gestorben …»
«Das hätte an meiner Entscheidung nichts geändert.»
«Aber wir sind nach ihrem Tod hierhergezogen, ich dachte immer …»
«Haven», unterbricht er mich. «Wir hätten Edmonton auf jeden Fall verlassen. Das war alles schon besprochen.»
«Mum wollte auch weg von Edmonton?»
Zwischen seinen Augenbrauen taucht eine Falte auf, die ich noch nie dort gesehen habe. «Wir reden heute Abend weiter, in Ordnung? Ich muss los. Nate wartet.»
«Dann wartet er halt. Dad, bitte, ich verstehe nicht …»
«Haven!» Ich zucke zusammen, weil ich es nicht gewohnt bin, dass Dad laut wird. «Wir werden darüber reden, wenn du unbedingt willst, aber nicht jetzt!»
Noch bevor ich Widerspruch einlegen kann, reißt er die Haustür auf und knallt sie dann so fest hinter sich zu, dass ich ein weiteres Mal zusammenfahre.
Was bitte sollte das denn?
Okay, ich habe ihn mit Edmonton überfallen, genau genommen habe ich mich selbst damit überfallen, aber das war jetzt trotzdem übertrieben. Und wenn er heute Abend nach Hause kommt, werde ich ihm das auch sagen.
In einer Mischung aus Frustration, Ärger und Fassungslosigkeit stelle ich meine Tasse ins Spülbecken.
Er hat mich richtig angebrüllt. Ich kenne Dad als ruhigen Menschen, der auf jede Situation mit einer Gelassenheit reagiert, die ich immer an ihm bewundert habe. Ihn so aufgebracht zu sehen schockiert mich regelrecht.
Ein einziges Mal zuvor habe ich Dad bereits so außer sich erlebt. Das war damals, als ich noch häufiger auf dem Dachboden mit Mums Kleidern gespielt habe. Dad hat nie etwas dazu gesagt, mich nie davon abgehalten, aber dann habe ich den Ring gefunden.
Ich habe ihn Dad gezeigt, und sein Gesicht wurde weiß wie eine Wand, bevor er mir den Ring so heftig aus den Fingern riss, dass es sich wie ein Schlag anfühlte. Ich sehe ihn vor mir, das erste und einzige Mal, dass ich Angst vor meinem Vater hatte, der plötzlich so unberechenbar, so wild geworden war.
«Ich will nicht, dass du weiterhin Mums Sachen durchwühlst, Haven», hat er scharf gesagt, und dann ist er einfach gegangen, genauso wie heute, mit schnellen Schritten und einer hart ins Schloss fallenden Tür.
Als er zurückkam, war ich nicht da. Ich hatte mich in den Wald geflüchtet. Erst am späten Abend rief er nach mir, und alles schien wie immer zu sein. Mein Vater schien wie immer zu sein. Er hat sich dafür entschuldigt, mich so angefahren zu haben, aber er hat mir nie erklärt, wieso es dazu kam, und ich habe nicht danach gefragt.
Tage später erst wagte ich es wieder, den Dachboden zu betreten, und das tue ich auch jetzt, ein wenig wackelig und mit steifen Beinen.
Die einzelne Glühbirne, die unter den Dachbalken hängt, spendet nicht viel Licht, doch tagsüber ist es durch zwei halbblinde Fenster hell genug.
Die Truhe steht da, wo sie in meiner Erinnerung immer stand. Nach dem Vorfall mit meinem Vater habe ich sie nur noch einmal geöffnet. Damals war sie leer gewesen, Mums Kleider waren verschwunden, nichts lag mehr darin, nicht einmal ein Band oder ein einzelner Handschuh. Als hätte sie mich noch einmal verlassen. Und über dieses Gefühl habe ich mit Dad nicht reden können.
Als ich jetzt den Deckel anhebe, ist di
e Truhe jedoch wieder gefüllt. Dads Wintersachen. Schwere Mäntel, dicke Pullover, ein Paar Stiefel, sorgfältig in einer Papiertüte verpackt.
Was hat Dad damals eigentlich mit Mums Sachen gemacht? Hat er sie fortgeworfen?
Mit beiden Händen halte ich den schweren Truhendeckel auf. Warum hat mein Vater damals so reagiert?
Dad und ich haben über Mum geredet. Über den Autounfall, über die Beerdigung und auch darüber, wie lieb sie mich gehabt hat, mein ganzes Leben lang, diese kurze Zeit, die wir miteinander hatten. Er ist vor Fragen nie zurückgewichen, hat mir alles beantwortet, so ehrlich, wie er konnte, zumindest dachte ich das immer. Nur dieses eine Mal, nur bei dieser Sache mit dem Ring …
Von unten ist ein Klopfen zu hören, und mir rutscht der Deckel aus den Händen. Mit einem Krachen schlägt die Truhe zu.
Jackson. Hastig fahre ich herum und klettere die Leiter hinunter, die vom Dachboden hinabführt.
Krieg dich wieder ein , denke ich. Heute Abend redest du mit Dad darüber, und alles wird sich klären.
JACKSON
I rgendetwas hat sich grundlegend geändert. Gestern, beim Verabschieden, schien alles noch in Ordnung zu sein, jetzt jedoch läuft Haven mit gesenktem Kopf neben mir und hat noch kein einziges Mal gelächelt. Ich zermartere mir das Hirn, was passiert sein könnte. Habe ich etwas falsch gemacht? Gerade eben beim Abholen versehentlich was Blödes gesagt?
«Was ist los? Dir geht’s mies, warum?», frage ich irgendwann.
Ohne stehen zu bleiben, wendet Haven sich mir zu und schiebt dabei beide Hände in die Jackentaschen. «Wie gefällt dir dein Leben in Edmonton?»
«Wie bitte?»
«Wohnst du schon immer dort?»
«Ich bin … nein. Nein, ich bin dort hingezogen, als ich mit dem Studium begonnen habe. Warum …?»