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Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)

Page 20

by Engel, Kathinka


  »Er ist eine Klasse über mir und wollte mit mir auf den Schulball gehen. Das wäre nun aber wohl nicht mehr richtig.« Sie sieht mich an und grinst breit.

  Kurz durchzuckt es mich. Das war knapp. Eine Woche später, und sie wäre mit diesem Marco ausgegangen.

  »Sein Haus liegt auf meinem Weg«, sagt Blythe und hüpft von der Mauer, ohne meine Hand loszulassen. »Begleitest du mich?«

  Ich nicke eifrig. Vielleicht etwas zu eifrig, aber in meinem Gehirn kommt gerade der Gedanke an, dass ich mit Blythe Elinor Hughes ausgehe.

  Es ist vollkommen egal, dass unsere Hände schwitzen. Nichts spielt mehr eine Rolle, während wir nebeneinander den Schulhof verlassen. Blythes Flipflops machen bei jedem Schritt ein schnalzendes Geräusch. Es klingt nach Sommer, nach Freiheit. Alles scheint mir in diesem Augenblick möglich. Es ist, als kenne das Glück keine Grenzen.

  »Jasper?« Es ist die autoritäre Stimme meines Vaters. »Wo bist du gewesen?«

  »In der Schule, Dad.«

  »Es ist halb acht!«

  Ich weiß, dass es zu spät ist. Normalerweise bin ich vorsichtiger. Estelle, die Haushälterin, ist leichter zu täuschen. Doch sie geht um sechs. Bis dahin muss ich jeden Abend zu Hause sein. Irgendwann zwischen sechs und sieben kommt meine Mom nach Hause. Womit sie ihre Tage verbringt, ist mir ein Rätsel. Meistens hat sie abends einen leichten Schwips. Dad macht nie vor sieben Uhr Feierabend. Aber heute habe ich Mist gebaut.

  »Tut mir leid«, sage ich und stelle meine Schuhe ordentlich unter die Garderobe im Eingangsbereich unseres Hauses. Unserer Villa, besser gesagt. Es ist eine Südstaatenvilla mit verschnörkelten Balkons, Fenstern vom Boden bis zur Decke und riesigem, makellos gepflegtem Garten. »Wir mussten unsere Projektarbeit in Englisch besprechen.« Ich hoffe, er kauft mir diese Lüge ab.

  Zögerlich betrete ich das Wohnzimmer. Meine Mom trinkt wie jeden Abend irgendeinen teuren Wein, mein Dad liest Zeitung.

  »Wir haben schon gegessen«, sagt er, ohne aufzublicken.

  »Ich kann dir ein Sandwich machen, Schatz«, haucht meine Mom. Ihre Augen blicken mich trübe an, huschen dann zu meinem Dad, wie um sich zu vergewissern, dass es in Ordnung ist, ihrem Sohn ein Sandwich zu machen.

  »Er kann sich sein verdammtes Sandwich selbst machen«, bellt mein Dad. »Man sollte meinen, die Schule würde den Kindern Manieren beibringen, so teuer, wie sie ist.«

  Ich gehe auf eine Privatschule, die ein halbes Vermögen kostet. Denn meine Eltern bestehen darauf, dass wir uns nicht mit dem Pöbel mischen. Mit Pöbel wie der Familie Hughes. Meine Mundwinkel zucken kaum merklich nach oben beim Gedanken an Blythes Familie. An Blythe. Heute Abend ist mir mein Dad vollkommen egal. Soll er doch wüten.

  »Ist schon in Ordnung, Mom«, sage ich. »Ich bin nicht hungrig.«

  »Du bist zu dünn!« Ihre Stimme ist nach wie vor unsicher. Das passiert, wenn man zu lange mit meinem Dad zusammenlebt. Man verschwindet einfach. Er hat sich meine Mom genau so geformt, wie er sie haben will. Ein folgsames Weibchen, das nicht aufmuckt. Blythe ist das genaue Gegenteil meiner Mom. Lebendig, bunt, laut. Fröhlich.

  »Red keinen Stuss, Anna. Er ist im Wachstum. Das ist völlig normal.« Nicht ein einziges Mal blickt er von seiner Zeitung auf.

  »Du hast wohl recht«, sagt meine Mom. »Willst du uns nicht noch etwas auf dem Klavier vorspielen?«

  »Ähm …« Ich würde viel lieber in mein Zimmer gehen, an Blythe denken. Ihr eine SMS schreiben, um ihr davon zu erzählen, dass ich an sie denke.

  »Spiel«, sagt mein Dad. »Vielleicht ist wenigstens der Klavierlehrer sein Geld wert.«

  Ich setze mich auf den Klavierhocker, öffne die Tastenklappe. Meine Finger finden wie automatisch ihre Position. Ich atme tief ein und –

  Statt den Noten von Chopins Nocturne in b-Moll zu folgen, halte ich kurz inne. Ich setze noch einmal ab, grinse in mich hinein. Dann spiele ich die ersten Takte von Take the A-Train. Meine Finger hüpfen über die Tasten, tanzen, springen hin und her. Ich sehe die Gesichter meiner Eltern nicht, da sie in meinem Rücken sitzen. Aber ich meine, das Keuchen meines Dads zu hören, ein hohes Räuspern meiner Mom. Nach maximal dreißig Sekunden spüre ich einen festen Griff um meinen Arm.

  »Das reicht, Jasper.« Die Stimme meines Dads lässt keine Widerrede zu. »Geh nach oben. Und morgen suchen wir dir einen neuen Klavierlehrer.«

  Das habe ich nicht kommen sehen. »Was? Nein! Das …«

  »Was war das, Schatz?«, fragt meine Mom. »Warum spielst du so etwas?«

  »Es tut mir leid«, sage ich. »Es war ein Scherz. Ich habe es im Radio gehört und dachte … Simon hat damit nichts zu tun.«

  »Spiel was Anständiges, ja?« Meine Mom klingt flehend.

  Mein Dad lockert den Griff um meinen Arm. Ich nicke, setze mich wieder und spiele diesmal Chopin. So gut, wie ich ihn vermutlich noch nie gespielt habe. Die Angst beflügelt mich. Und am Ende weiß ich, dass ich gerade noch mal die Kurve gekriegt habe.

  31 – Bonnie

  Vor neun Jahren

  »Bonnie?«, ruft meine Mom. »Blythe ist da!«

  Ich flitze die Treppe hinunter und zur Haustür.

  »Uuuuuund?«, frage ich. Doch sobald ich in ihr Gesicht blicke, weiß ich, dass meine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden sind.

  Blythe nickt nur. Sie nickt und strahlt. Sie nickt und strahlt und glüht beinahe, während es in mir sticht. Als hätte man mir eine Stricknadel ins Herz gerammt. Natürlich wusste ich, dass aus Jasper und mir nie etwas werden würde. Wir sind Bandkollegen. Freunde. Deswegen habe ich auch niemandem von meinen Gefühlen für ihn erzählt. Vom ersten Tag an war es mein Geheimnis.

  Blythe nimmt meine Hände, und gleichzeitig beginnen wir zu kreischen und zu lachen. Wir springen auf und ab und im Kreis herum. Nichts davon muss ich spielen, obwohl es mir das Herz bricht.

  »Ich freu mich so für dich«, quietsche ich, als wir außer Atem sind. »Also für euch. Für euch beide.« Wir schließen einander in die Arme, und ich schlucke. Das hier ist hart. Es ist sogar sehr hart. Aber wenn jemand mit Jasper zusammen sein soll, dann Blythe. »Ich will alles wissen«, sage ich und ziehe sie auf die Bank, die auf unserer Veranda steht.

  Wir setzen uns beide in den Schneidersitz, die Gesichter einander zugewandt. Blythe strahlt nach wie vor. Vermutlich wird sie das für immer. Ich jedenfalls würde bis an mein Lebensende strahlen, hätte Jasper Reed Interesse an mir.

  »Also«, sagt sie. Ihre Wangen röten sich leicht, und sie schlägt die Augen nieder. Sie ist wirklich der schönste Mensch, den ich je gesehen habe. Mit ihren dicken, dunkelblonden Haaren, den Sommersprossen. »Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehen will.«

  Ich klatsche in die Hände und quietsche erneut.

  »Erst hat er sich nicht getraut. Das war so süß! Das hättest du mal sehen sollen!«

  Ich kann es mir sehr gut vorstellen. Jasper ist zwar selbstbewusst, aber Blythe um ein Date zu bitten ist wie auf einer Bühne zu stehen und ein Instrument spielen zu müssen, das man noch nie gesehen hat.

  »Er hat herumgedruckst, ob ich mal mit ihm abhängen will.« Sie lacht, faltet ihre Hände, führt sie zu ihrem Herzen.

  »Und dann? Und dann?«

  »Ich hab ihm ein bisschen geholfen. War in gnädiger Stimmung.« Wir lachen.

  »Und was ist mit Marco Santoro?« Es ist ein winziger Strohhalm, der schon knickt, ehe ich mich noch an ihn klammern kann.

  »Ich war gerade bei ihm. Jasper hat mich begleitet und an der Straßenecke gewartet. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht mit ihm auf den Ball gehe.«

  »Bist du glücklich?«, frage ich.

  »Ja.«

  Und mehr muss ich nicht wissen, um mich von ganzem Herzen für sie zu freuen.

  »Wir haben den gesamten Weg Händchen gehalten. Und am Ende …«

  »Habt ihr euch geküsst?«, frage ich mit großen Augen. Mein Herz schlägt schnell.

  »Liebes, willst du deine Eltern anrufen und ihnen Bescheid geben, dass du noch hier bist?« Meine Mom ist nach draußen gekommen, unser schnurloses Telefon in der Hand.

  »Oh, danke«, sagt Blythe.

  »Ich kann dich
nachher fahren, wenn du willst.«

  »Du bist die Beste, Annabella!«

  »Oder du übernachtest hier?«, schlage ich vor. Es ist zwar unter der Woche, aber normalerweise haben ihre Eltern nichts dagegen.

  Fünf Minuten später ist es abgemacht. Blythe schläft hier und leiht sich von mir frische Klamotten. Meine Mom bringt uns Sandwiches und Eistee nach draußen.

  »Jetzt sag schon!« Als wir wieder zu zweit sind, pike ich Blythe ungeduldig ins Knie.

  Wieder schlägt sie die Augen nieder, wieder bildet sich eine Röte auf ihren Wangen. »Er hat mich geküsst«, sagt sie, ihre Stimme auffällig hoch.

  »Und? Und?«, frage ich. Ich will alles wissen. Wie es ist, zu küssen. Wie es ist, Jasper zu küssen. Wie Jasper küsst. Und dann will ich die Augen schließen und mir vorstellen, dass er mich küsst. Nur einmal ganz kurz.

  »Es war … schön«, sagt Blythe leise. »Ganz sanft. Ganz sicher. Zärtlich.« Meine Eingeweide verknoten sich. »Wir haben uns verabschiedet, und dann hat er mich zu sich gezogen. Ganz vorsichtig. So ungefähr.« Blythe nimmt meine Hand, verschränkt unsere Finger und zieht mich zu sich. Ich kriege eine Gänsehaut. »Und dann hat er seine Stirn an meine gelegt, als würde er sehen wollen, ob ich bereit bin.«

  »Und das warst du!«

  »Ja.« Die Röte auf ihren Wangen wird dunkler. »Seine Lippen sind so weich.«

  »Mit Zunge?«, frage ich und fühle mich ganz hibbelig.

  »Ja.« Blythes Gesicht ist beinahe weinrot.

  »War es komisch?«

  »Erst schon«, sagt sie. »Erst war’s nass und … keine Ahnung. Da war was in meinem Mund, das ich nicht kannte.«

  »Aber dann?«

  »Dann war’s schön. Zärtlich. Als würd’s so gehören.«

  »Das tut es.«

  »Was meinst du?«, fragt sie.

  »Es gehört so. Du und Jasper. Das passt.« Es kostet mich viel weniger Überwindung, das zu sagen, als ich angenommen hatte. Natürlich tut es weh. So, wie noch nie etwas wehgetan hat. Aber ich kann es aushalten. Weil ich weiß, dass Blythe und Jasper die Richtigen füreinander sind.

  »Ich glaub«, sagt Blythe, »ich schmecke ihn noch.« Sie lächelt. Und sieht dabei so wunderschön aus, dass man neidisch werden könnte, wäre sie nicht meine beste Freundin.

  Es ist lange nach zehn Uhr, als meine Mom uns schließlich nach drinnen jagt. Nach dem Zwielicht der Straßenlaternen draußen kommt mir unsere Wohnzimmerbeleuchtung drinnen beinahe grell vor. Lula lümmelt sich auf der Couch und schaut irgendeinen Cartoon.

  »Hi, Blythe«, murmelt sie, ohne den Blick vom Fernseher zu lösen.

  »Für dich gilt das übrigens auch, junge Dame«, sagt meine Mom. »Ab ins Bett mit dir.«

  »Die Sendung noch«, bettelt Lula.

  »Verhandeln können wir, wenn deine Noten besser geworden sind. Vorher treffe ich die Entscheidungen.«

  Es steht auf der Kippe, ob Lula das Schuljahr schafft. Statt zu lernen, tanzt sie von früh bis spät. Mom hätte gern, dass sie einen Highschool-Abschluss hat, für den Fall, dass es mit dem Tanzen nicht klappt. Aber Lulas Pubertät verläuft irgendwie anders als meine. Während ich merke, wie ich mich langsam verändere, passiert bei ihr alles gleichzeitig. Es gab einen großen Knall, und sie war auf einmal anders. Seither streiten Mom und sie sich die meiste Zeit. Nicht nur übers Tanzen. Auch darüber, dass Lula nicht im Haushalt helfen will, unsere Telefonrechnung ins Unermessliche treibt, weil sie auf Handys anruft, obwohl sie weiß, dass sie das nicht darf, weil sie lieber bei unserem Dad wohnen würde, obwohl er ein unzuverlässiger Nichtsnutz ist, der nach uns noch zwei weitere Familien verlassen hat. Neulich ist sie über Nacht weggeblieben, und meine Mom ist fast gestorben vor Angst.

  »Abmarsch nach oben«, sagt meine Mom, und glücklicherweise gibt Lula sich geschlagen.

  Während Blythe im Bad ist, nehme ich ein leeres Glas von meinem Regal, schraube den Deckel ab und lege dann meinen Glückspenny, den ich von Jasper bekommen habe, und den Deckel eines Filzschreibers, auf dem er herumgekaut hat, hinein. Dann schließe ich die Augen. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich mich von Jasper verabschiedet hätte. Wenn er nicht Blythe gefragt hätte. Wie es wäre, meine Stirn an seine zu lehnen. Er müsste sich weiter herunterbeugen. Beinahe spüre ich seine Wärme. In mir bildet sich ein Knoten aus Verlangen und Sehnsucht. Ich stelle mir vor, wie er mit seinen Lippen nach meinen tastet. Wie sie sich treffen, öffnen. Wie unsere Zungen sich berühren. In meiner Vorstellung fühlt es sich gar nicht ungewohnt an, sondern wie die Erfüllung aller Träume auf der Welt zugleich. Ich kann ihn fühlen, kann ihn schmecken.

  Ein Seufzen entfährt mir, und ich schrecke auf. Schnell schraube ich den Deckel des Einweckglases fest zu. Mit einem Edding schreibe ich das Wort geheim darauf.

  »Tschüss, Jasper Reed«, flüstere ich.

  Dann stelle ich das Glas hinter zwei andere in die zweite Reihe. Die Erinnerung an den Kuss, auch wenn er nie stattgefunden hat und niemals stattfinden wird, ist nun zusammen mit den anderen Sachen fest unter Verschluss.

  Blythe legt sich wie immer auf die Wandseite meines Betts, und ich krieche neben sie. Es ist vollkommen normal, dass wir uns ein Bett und eine Decke teilen. Manchmal schlafen wir Arm in Arm. Wenn ich bei den Hughes’ übernachte, liegen wir oft zu dritt im Bett. Ich in der Mitte zwischen Blythe und Link. Das ist schon immer so. Seit wir uns kennen. Obwohl Lula und ich Zwillinge sind, fühle ich mich Blythe und Link viel verbundener. Als wären wir die Geschwister und Lula die Cousine, die keiner so richtig versteht.

  »Erzählst du mir noch was?«, frage ich wie jedes Mal, wenn Blythe hier schläft.

  »Was willst du denn hören?«

  »Mir egal.« Ich gähne.

  »Ich glaube, ich bin verliebt«, sagt sie.

  »Ich weiß.« Ab dem Moment, als sie auf der Veranda stand, wusste ich es.

  »Für mich ist es neu.«

  »Ich weiß.«

  »Wie findest du das?«

  »Ich freu mich für dich.« Ich drehe mich um, stütze mich auf die Ellbogen, sodass ich sie ansehen kann. Blythe tut es mir gleich.

  »Zwischen uns ändert sich nichts. Das verspreche ich.« Sie verhakt unsere Arme miteinander, damit wir noch enger beisammen sind.

  »Ein bisschen was kann sich schon ändern.«

  »Das will ich aber nicht. Ich will, dass wir uns genauso viel sehen wie vorher. Genauso viel Zeit miteinander verbringen.«

  »Ob Jasper das gefällt?« Ich lache.

  »Okay, vielleicht muss er ab und zu dabei sein.«

  »Meinetwegen gern«, sage ich, obwohl ich mir noch eine Strategie überlegen sollte, wie ich die beiden zusammen ertrage, ohne in Tränen auszubrechen. Aber das wird schon gehen. Ich muss nur nach außen hin die Fassade aufrechterhalten. Ein bisschen filtern. Irgendwie wird es bestimmt gehen.

  »Warst du schon mal verliebt?«, fragt Blythe auf einmal.

  Ja, hätte ich bis heute darauf erwidert. Ja, ich war und bin verliebt. So sehr, dass ich es manchmal kaum aushalte, in seiner Nähe zu sein. So sehr, dass ich mir vorstelle, wie es wäre, ihn zu küssen, obwohl er gerade meine beste Freundin geküsst hat. Ich liebe ihn über alles. Bin rasend vor Liebe. Stattdessen schüttle ich den Kopf. »Nein, ich glaub nicht«, sage ich. Doch ich wage es nicht, Blythe dabei anzusehen. Denn es ist das erste Mal, dass ich filtere.

  »Bist ja auch ein bisschen jünger«, sagt Blythe und legt ihren Arm um mich. »Wer weiß, vielleicht wachst du eines Tages auf und bist in Link verliebt. Wie cool wäre das? Ich und Jasper und du und Link!«

  »Iiiiiih«, mache ich, denn Link ist wie ein Bruder für mich.

  Blythe lacht. »Komm schon, das wäre der Wahnsinn!«

  Ich weiß, dass Link gut aussieht. Alle Mädchen in unserer Klasse stehen auf ihn. Und selbst, wenn wir nicht wie Geschwister wären, ich fürchte, mein Herz ist einfach blind für andere. Es ist auf diesen einen Menschen fixiert und kommt nicht von ihm los. Dummes Herz. Dummes, dummes, dummes Herz.

  »Ja, es wäre der Wahnsinn«, gebe ich zu, obwohl das nie passieren wird. Aber Blythe freut sich, und deswegen freue ich mich auch.


  Kurz schweigen wir. Ich hänge Gedanken an Jasper nach – und Blythe vermutlich ebenfalls. Sie allerdings mit mehr Berechtigung.

  Dann sagt sie: »Danke, Bonnie.«

  »Wofür?«

  »Dass ich dir das alles erzählen konnte.«

  »Ist doch klar, dafür hat man schließlich eine beste Freundin.«

  »Die ganze Zeit, während wir zusammen waren, hab ich nur dran gedacht, dass ich dir das unbedingt alles erzählen muss.«

  »Du hast an mich gedacht, während du mit deinem Freund zusammen warst?«, frage ich, und das Lachen, das eigentlich aus mir herauswollte, bleibt mir im Hals stecken. Ich habe Jasper zum ersten Mal als Blythes Freund bezeichnet.

  »Na ja, okay, vielleicht nicht die ganze Zeit«, gibt sie kichernd zu, und irgendwie, vielleicht, weil es Erleichterung bedeutet, muss ich auch kichern.

  Meine Mom klopft leise an die Tür.

  »Hm?«, mache ich.

  Sie steckt ihren runden Kopf herein.

  »Ich wollte nur Gute Nacht sagen.«

  »Gute Nacht«, antworten wir im Chor.

  »Schlaft schön, und träumt was Süßes.«

  »Du auch, Annabella«, sagt Blythe.

  »Ja, du auch, Mom.«

  Im nächsten Moment hört man sie an Lulas Tür klopfen, doch von ihr erhält sie, wie inzwischen jeden Abend, keine Antwort.

  »Ich bin froh, dass ich dich habe«, sage ich zu Blythe, denn mit Lula ist wirklich nichts mehr anzufangen.

  »Und ich dich«, sagt Blythe.

  32 – Jasper

  Heute

  Con steht im Vorgarten des einfachen Shotgun-Hauses und hat uns schon von Weitem erspäht. »Da sind ja meine beiden Lieblingsenkelkinder!«, ruft er und breitet die Arme aus. Weston und Maya flitzen los.

  Das Haus, in dem Charlie und Con leben – und in dem Blythe und Link aufgewachsen sind –, befindet sich nördlich von Tremé im Seventh Ward, einem ziemlich heruntergekommenen Viertel. Früher hätte ich mich niemals auch nur in die Nähe getraut. Aber man wächst mit seinen Aufgaben.

  Die Probleme hier sind mannigfaltig, die meisten werden mit Gewalt gelöst. Doch solange man sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmert, ist man relativ sicher. Man lernt damit zu leben, sich dennoch wohlzufühlen. Man entwickelt einen Radar für diejenigen, denen man ein Lächeln schenkt, für die anderen, deren Blicken man besser ausweicht. Den Bus zu nehmen kommt für mich lediglich bei Tageslicht infrage, besonders, wenn ich mit den Kindern unterwegs bin.

 

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