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Charisma

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by Michael G. Coney


  Bald, zu bald, war es Zeit, die Bar zu schließen, für die drei Nachmittagsstunden, die die nationale Trinkgewohnheiten charakterisieren. Als der letzte Gast hinausgewankt war, als Mellors, Dorinda, Pablo und Dick nach oben gegangen waren, um den Alkohol auszuschlafen, und Albert sich daran machte, Gläser und Flaschen von der Theke zu räumen, gingen Susanna und ich nach draußen und blickten auf den Fluß hinab.

  Sie war plötzlich sehr still, doch nicht aus Zurückhaltung; es war lediglich eine verzögerte Reaktion auf die Überraschung.

  Und endlich sprach sie sie aus.

  »John«, sagte sie ruhig, »was, zum Teufel, ist passiert? Wer bist du?« Eine Möwe strich tief über das Wasser, wasserte mit einem leichten Aufspritzen und faltete ihre Flügel sauber zusammen. Susanna blickte sie nachdenklich an. »Was geschieht mit uns?«

  Wenn wir nicht vorsichtig waren, wußte ich, würde unsere Konditionierung durch die steife Gesellschaft die Oberhand gewinnen und unsere Begegnung zu einem verwirrten,

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  schuldbewußten und apologetischem Geschwätz degenerieren lassen.

  »Wir lieben uns«, sagte ich.

  »Wirklich?« fragte sie verwundert und sah mich aufmerksam an. »Weißt du, ich glaube, wir lieben uns tatsächlich.«

  »Und wir haben uns immer geliebt, und werden uns immer lieben.«

  Jetzt weiteten sich ihre Augen, weil sie erkannte, daß ich nicht einfach ein Klischee wiederholte. »Du weißt das, nicht wahr?«

  Es mußte irgendwann geschehen, doch zumindest brachten wir es rasch hinter uns. Das Gespräch wechselte zu Erklärungen, zum Vergleichen von Erfahrungen, zu den Menschen, die in den verschiedenen Welten lebten. In dieser hatte die Station meinen Doppelgänger niemals eingesetzt. Es war nicht nötig gewesen.

  Susanna war in der Lage, zu den nahegelegenen Welten zu reisen. Was bedeutete, daß nicht mehr viele Susannas übriggeblieben waren…

  »Weißt du, in welcher Relation deine Welt zu der meinen steht?« fragte ich. »Habt ihr schon irgendein System erkennen können?« Ich erklärte ihr, daß Stratton mich hierher transmittiert hatte, ohne mir vorher zu sagen, wo ich landen würde.

  »Wann ist dein Rückruf?« fragte sie. Sie hatte recht. Es gab nur eines, das wichtig war: Wir.

  »Um zehn Uhr heute abend«, sagte ich.

  Sie blickte auf ihre Uhr. »Und ich habe in einer Stunde eine kurze Transmission. Das läßt uns nicht viel Zeit, nicht wahr?«

  »Wir werden sie voll ausnutzen«, sagte ich. »Und wir werden dafür sorgen, daß wir das noch sehr oft tun können.« Ich glaubte in der Lage zu sein, das bewerkstelligen zu können. Ich wußte nicht, wie fest die Umstände uns in ihrem Griff hatten.

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  Die Sonne schien noch immer, blaß, aber hartnäckig, als wir durch die Stadt gingen und den Pfad hinaufstiegen. Wir hielten uns an den Händen wie frisch Verliebte, und das waren wir ja auch. Als wir die hohen Klippen erreicht hatten, blieben wir stehen und blickten nach Süden, auf die See, die nebelighellgrau schimmerte, wie gehämmertes Zinn; wir sahen riesige, dunkle Wolken, nicht mehr weit entfernt, und versuchten die Geschwindigkeit zu kalkulieren, in der sie von dem auffrischenden Wind herangetrieben wurden.

  »Vielleicht hätten wir lieber den Wagen nehmen sollen«, sagte Susanna besorgt. Es ist eigenartig, daß ein Mensch, selbst wenn er in das sichere Gefühl der Liebe eingehüllt ist, sich noch immer über so profane Dinge aufregen kann, wie naß zu werden.

  »Dann würden wir jetzt nicht hier spazierengehen«, sagte ich, umklammerte ihre Hand fester und zog sie den Pfad entlang.

  »Mußt du heute diesen Trip machen, Susanna?«

  Sie zögerte. »Ich kann jetzt nicht absagen, John. Bill Stratton geht in diesem Projekt völlig auf; es wäre nicht fair, ihn hängen zu lassen. Außerdem haben wir nicht mehr genügend Zeit, um ihn zu informieren.«

  »Wir könnten jetzt gleich zur Station gehen.«

  »Und händchenhaltend vor ihn treten und ihm sagen, es täte uns leid? Ich mag mir nicht einmal vorstellen, was er dazu sagen würde.« Sie lächelte. »Natürlich könnten wir ihm erklären, daß wir gar nicht wir wären, sondern von einer anderen Welt gekommen seien. Er wäre außer sich vor Freude, und er hätte keine Möglichkeit nachzuweisen, daß wir nicht die Wahrheit sagten.

  Nach einer Weile würden wir ihm erklären, daß wir nun gehen müßten und später wieder zurückkommen, als wir selbst.«

  Ich küßte sie leicht und schlug dann vor: »Warum machen wir den Trip nicht gemeinsam?«

  »Warum eigentlich nicht? Das wäre doch die Lösung des Problems – ich meine, ich will jetzt nicht von dir getrennt

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  werden, nicht einmal eine Stunde lang. Und Bills Gerät transmittiert nicht Menschen, sondern einen kleinen Bereich von Raum-Zeit, mit den Menschen, die sich zum Zeitpunkt der Transmission darin befinden. Also können zwei den Trip genauso gut machen wie einer.«

  »Dann ist diese Frage geregelt. Wir gehen gemeinsam. Wohin eigentlich?«

  In diesem Augenblick stolperte sie, so überraschend, daß ich ihre Hand losließ. Sie stieß einen kleinen Schrei aus, als ihr Fuß sich an einem herausragenden Stein verhakte, und sie fiel nach links, von mir fort, über den Rand der zweihundert Fuß tiefen Klippe, an die die Wellen brandeten.

  Ich warf mich so instinktiv hinter ihr her, daß ich mich bis auf den heutigen Tag nicht erinnern kann, auch nur einen Muskel gerührt zu haben; plötzlich lag ich mit meinem ganzen Gewicht auf ihren Beinen und drückte sie auf den Boden, während meine Hände verzweifelt ihre Taille umklammerten.

  So lagen wir ein paar Sekunden lang, ohne uns zu rühren; mein Kopf hing über dem Abgrund, und Susanna hing mit dem Kopf nach unten an der Klippenwand. Sie bewegte sich nicht; sie schrie nicht einmal; sie spürte, genau wie ich, daß die geringste Bewegung unseren kargen Halt an den Felsen zerstören würde.

  Ich sah die Wogen gegen die Klippen donnern, gegen schwarze, scharfkantige Steine, die wie verrottete Zähne aussahen; ich spürte Susannas weichen Körper in meinen Händen, und irgend etwas in mir beschloß, daß ich sie nicht allein abstürzen lassen würde; wenn sie auf die Klippen fallen sollte, würde auch ich dort zerschmettert werden. Dann, ein paar Sekunden später, war der erste Schock abgeklungen, und ich konnte wieder klar denken.

  Ohne meinen Griff um ihre Taille zu lösen, schob ich mich ein Stück zurück, um festeren Halt zu haben. Dabei achtete ich darauf, mit meinem Gewicht ihre Beine auf den Boden zu drücken. »Susanna«, rief ich leise. »Strecke deine Hände nach oben. Vorsichtig.«

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  Ich spürte, daß sie meine Finger berührte, und wechselte langsam meinen Griff von ihrer Taille zu den Händen.

  Dann beugte ich mich zurück und zog.

  Sie warf sich herum, als ich vornüber fiel, und ein paar Sekunden lang lagen wir aneinandergeklammert direkt am Klippenrand, dann rollten wir von ihm fort, krochen noch ein Stück weiter und lagen keuchend in einer grasbewachsenen Senke neben dem Pfad. Susannas blaue Augen blickten in die meinen; ich lag auf ihr und sah die Angst aus ihnen verschwinden, zu Erleichterung werden, und dann, erstaunlich rasch, zu leichter Belustigung. Ihr Körper bewegte sich unter mir.

  »Ich danke dir, John«, sagte sie förmlich. »Weißt du, ich glaube, daß in Fällen, wo ein unmittelbar bevorstehender Tod abgewendet werden konnte, der Instinkt den Menschen dazu treibt, sich sofort dem Fortpflanzungsprozeß zu widmen. Das hilft, den Schock zu überwinden und hat klar erkennbare psychologische Vorteile.«

  Ich starrte sie an.

  »Ich wollte dir nur die übliche Praxis erklären«, sagte sie.

  »Damit du nicht auf den Gedanken kommst, dir statt dessen eine Zigarette anzustecken.«

  Ich lachte und lachte, und folgte dann ihrem Vorschlag. Als wir danach nebeneinander auf dem Gras lagen, fragte ich mich, warum es mit Susanna immer ein solcher Spaß war, wie ein riesiger, herrlicher Witz ganz genau das Gegenteil von der ernsten, gestre
ßten Atmosphäre einer normalen Begegnung.

  Kurz darauf sprang sie erschrocken auf. »John!« rief sie. »Wir müssen laufen wie die Hasen. Es ist fast vier!«

  Die Wolken waren schon sehr nah, als wir lachend und außer Atem den steilen Hang hinabliefen, der zur Starfish Bay führt; ich spürte die ersten, feinen Regentropfen in meinem Nacken und hörte ein leises Grollen.

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  »In dieser Jahreszeit dürfte es eigentlich keine Gewitter geben«, sagte Susanna.

  Plötzlich wußte ich, warum dieses Gewitter zu dieser Zeit gekommen war. Es war die vom Schicksal festgesetzte Zeit für das Gewitter in ihrer Welt, und das Gefühl des déja-vu, das sich zum ersten Mal geregt hatte, als wir uns liebten, intensivierte sich. »Wir können nicht in den Kreis treten«, sagte ich und umfaßte ihren Arm, als wir auf die Bäume zuliefen.

  Ein anderes Mädchen hätte gefragt: ›Warum nicht?‹ und wäre aus reiner, weiblicher Dickköpfigkeit weitergelaufen und getötet worden. Aber nicht Susanna.

  Sie wandte sich um und blickte mir forschend ins Gesicht. »Es ist etwas, das schon einmal geschehen ist, nicht wahr?«

  »Ja. Du wirst dort von einem Blitz erschlagen. Und ich vielleicht auch.« Ich erschauerte, als ich die beiden Bäume ansah. Meine Hochstimmung verflog, als ich erkannte, was ich schon längst hätte wissen müssen. Es gab einen ganz gewöhnlichen Ausdruck, um Susanna und mich zu beschreiben, die wir einen Weg durch einen Irrgarten vom Umständen suchten, von der Geschichte dazu bestimmt, uns zu töten, durch unseren Tod auszugleichen, um dem Schicksal die Last zu ersparen, uns um sich zu haben.

  Wir waren unfallanfällig. Ich erinnerte mich jetzt an all die kleinen Dinge, die mir während der letzten Wochen zugestoßen waren, die winzigen Unfälle und andere, denen ich mit knapper Not entkommen war, und von denen jeder das Ende hätte bedeuten können.

  Ich fragte mich, ob dies eine Erklärung für solche Menschen wäre, die, wie man sagt, vom Unglück verfolgt werden. Für Menschen, die immer wieder kleine Unfälle haben, und manchmal auch größere. Ich fragte mich, ob die meisten ihrer Doppelgänger gestorben waren und das Schicksal ihre Glücksre-serven benagte und auf seine Chance zum endgültigen Zuschlagen wartete, zum Großen Ausgleich…

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  Ein kurzer Blitz zuckte durch die Wolken über uns und erlosch.

  Susanna zuckte zusammen, blickte hinauf und sah mich dann fragend an.

  »Er braucht nicht in die Bäume zu schlagen«, sagte ich.

  »Solange du nicht dort stehst, wäre das Verschwendung.«

  Die ohnmächtige Wut gegen das blinde, verdammte Schicksal verwandelte sich in Bitterkeit, als ich einsah, wie völlig hilflos wir waren; und ich beschloß, nicht wütend zu werden. Ein wütender Mensch kann das Schicksal reizen und sein Ende beschleunigen.

  Ich glaube, es war etwa um diese Zeit, als ich wieder an Stratton dachte, der jetzt in der Station saß und vielleicht die Matrize stabil hielt. Oder auch nicht. Vielleicht war es bestimmt, in dieser Welt zu bleiben, bei Susanna – doch das glaubte ich nicht. In meinem Unterbewußtsein blieb das nagende Gefühl, daß mir nicht mehr viel Zeit blieb.

  Ich beschloß in diesem Augenblick, daß ich Susanna überreden würde, mit mir in meine Welt zu kommen, wenn es auf zehn Uhr zuging. Ich hatte meine Verpflichtung gegenüber Stratton zu erfüllen, und er würde mir ein Alibi geben, und das würde mir die Polizei vom Hals halten.

  Und Susanna und ich würden herrlich und in Frieden leben.

  »Warum lächelst du, Darling?«

  »Ich träumte nur ein wenig. Einen Augenblick schien es mir, als ob alles sich von selbst regeln würde.«

  Sie lachte, ohne Bitterkeit. »Das passiert nie, weißt du. Ich habe von Anfang an das Gefühl, daß ich jede Minute mit dir voll auskosten muß, weil nicht mehr viele Minuten übrig sind.«

  »Also gut. Dann laß uns die Zeit auskosten und uns erst Gedanken über heute nacht machen, wenn es soweit ist. Fest steht, daß du heute nachmittag nichts mehr tun kannst – was alles sehr erleichtert. Fest steht auch, daß ich dich jetzt küssen werde.« Ich tat es und spürte dabei, daß wir allmählich

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  durchnäßt wurden. »Und jetzt«, fuhr ich nach einer kleinen Pause fort, »verschwinden wir von hier und kaufen uns irgendwo einen Drink.«

  »Und wo?«

  »Im Clipper Ship bei Prospect Cove. Sie öffnen um fünf, also haben wir genügend Zeit. Und der Fußmarsch macht einen schönen Durst. Später können wir einen Wagen leihen und nach Falcombe zurückfahren. Oder, noch besser, ein Boot«, setzte ich hinzu. »Es ist irgendwie faszinierend, mit einem Boot durch den Regen zu fahren.«

  »Das klingt sehr schön, Darling.«

  »Ein Mädchen darf nicht immer mit allem einverstanden sein, was ich sage. Ich liebe Opposition.«

  »Davon wirst du im Lauf der Zeit noch reichlich bekommen. Im Moment habe ich einen Drink genau so nötig wie du; und wenn ich meilenweit gehen muß, um einen zu bekommen, dann tue ich das eben.«

  Einmal wurden wir vom geraden Weg abgelenkt durch ein verfallenes Gebäude der Küstenwache, das seit Jahren verlassen auf einem steilen Felsen thronte, der aus den Klippen wuchs und nur über eine steile Steintreppe erreichbar war. Susanna stieg sie als erste hinauf, und ich folgte ihr. Der Wind hatte noch mehr aufgefrischt und klatschte ihren kurzen, durchnäßten Rock an ihre kräftigen Oberschenkel. Ich sah, wie sich ihre Beinmuskeln bewegten, als sie zum Himmel emporstieg. Sie war so lebendig, so vital; es schien mir unmöglich, daß sie sterben könnte.

  Als sie die offene Tür des Gebäudes erreicht hatte, wandte sie sich um und sah mich an, während ich die letzten Stufen hinaufstieg. »Du hast nur auf meine Beine gestarrt«, sagte sie anklagend. »Die ganze Zeit, während ich hinaufstieg, hast du sie lüstern angestarrt wie ein geiler Köter. Es ist widerlich.«

  Ich drückte sie fest an mich und küßte sie hart in dem winzigen Raum mit von Graffiti verschmierten Betonwänden. Die See rauschte tief unter uns, als ich mein Geständnis machte. »Ich

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  habe Angst vor Höhen, Darling. Im Ernst. Wenn ich mich nicht auf etwas anderes konzentrieren kann, denke ich nur daran, abzustürzen. Als ich die steilen Stufen hinaufstieg, sah ich unten ein zerschmettertes Hover Car liegen. Es ist sehr tief gefallen.«

  »Und du hast gedacht, dich vielleicht zu ihm hinabzustürzen?«

  »Ja.«

  »O mein Gott. Und ich dachte du seiest perfekt. Jetzt finde ich heraus, daß du ein bibbernder Feigling bist. Nur gut, daß mir nicht mehr viel Zeit bleibt; Gott allein mag wissen, was ich sonst noch herausfinden würde.« Ihr Gesicht war plötzlich in meiner Schulter vergraben, und sie preßte mich mit aller Kraft der Verzweiflung an sich. »Oh, Darling, ich wünschte, es bliebe uns mehr Zeit.«

  Später, noch mehr durchnäßt und noch müder, gingen wir an den wenigen, alten Häusern vorbei, aus denen Prospect Cove bestand, und traten in das Clipper Ship. In der Bar gab es einen gemauerten Kamin und einen Überfluß an Kupfer und Messing; an einer der Wände hing eine Original-Gallionsfigur eines alten Segelschiffes. Die hölzerne Dame blickte die Gäste mit einem Ausdruck rissigen und körnigen Erstaunens an und streckte ihnen die größten Brüste entgegen, die ich jemals in natura oder als Nachbildung gesehen hatte. Susanna blickte die Gallionsfigur an und betrachtete mich dann etwas nachdenklich. »Irgendwie habe ich das Gefühl, daß diese Figur dir gefällt, John. Ich weiß nicht, wie ich dazu komme, denn schließlich kenne ich dich erst seit wenigen Stunden. Doch ich bin überzeugt, falls dieses Ding einmal im Rahmen einer Modernisierung abmontiert werden sollte, wärst du der erste, der eine Petition organisieren würde, um es wieder aufzuhängen. Hast du jemals unter einem Mangel an Liebe gelitten? Als Kind, meine ich. In deinen Entwicklungs-jahren. Natürlich nicht jetzt.«

  Glücklicherweise wurden gerade in diesem Augenblick die Drinks serviert. Der Kellner bemühte sich um Susanna und bestand darauf, ihren Stuhl näher zum Feuer zu rücken, dam
it ihre Kleidung schneller trocknete. Mich ignorierte er; seinetwe-

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  gen hätte ich mir auf der Stelle eine Lungenentzündung holen können.

  Dann zog er sich zurück, und es waren nur noch das Feuer, Susanna und ich da; es war irgendwie elementar. Irgend etwas hatte seit geraumer Zeit an meinem Unterbewußtsein gezogen, und nach einer erholsamen Stille, während der Susanna in der unzureichenden Tarnung des Dampfs, der aus unserer Kleidung aufstieg, mein Knie streichelte, sprach ich es aus.

  »Darling, bist du jemals nicht in der Lage gewesen, nach dem Transfer aus dem Kreis zu treten?«

  »Müssen wir jetzt davon reden, John?«

  »Im Ernst. Hast du jemals eine Art wirbelnden Nebel um dich gesehen, so daß du nichts von der anderen Welt erkennen kannst? Und wenn du diesen Nebel berührst, geht es dir schlecht, weil dein Doppelgänger auf der anderen Seite steht und versucht, hineinzukommen.« Ich massierte meine

  Fingerspitzen; die Verpflanzungen waren gut angewachsen.

  »Das habe ich noch nie erlebt.«

  Was bedeutete, daß sie auf allen Welten um uns herum die einzige Susanna war. Ich warf einen Blick über die Schulter. Der Barmann starrte auf den winzigen Bildschirm von Newspocket; doch er spürte meinen Blick und hob den Kopf.

  »Kann ich hier ein Boot mieten?« fragte ich.

  »Ein Boot?« Er schob das kleine Gerät in die Tasche und lächelte. »Im November?«

  »Ist das so außergewöhnlich? Wir wollen eben lieber mit einem Boot nach Falcombe fahren statt mit einem Wagen.«

  »Es kommt Sturm auf. Das Barometer fällt. Ich hätte keine Lust, aufs Wasser zu gehen, wenn das Barometer fällt.«

  Seine überlegenlehrhafte Art ärgerte mich ein wenig. »Ich kenne mich auf diesen Gewässern aus«, sagte ich knapp.

 

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