Charisma
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Er ignorierte mich, das tut dieser Typ immer. »Vor der Einfahrt zum Hafen von Falcombe liegt eine Sandbank«, informierte er mich, »und wenn der Wind aus dem Süden kommt, ist sie unpassierbar, wegen der Brecher. Es sind schon eine Menge Boote durch die Unkenntnis der Leute dort gekentert. Niemand wird Ihnen bei solchem Wetter ein Boot leihen.«
Susanna flüsterte grinsend: »Er nennt dich einen Ignoranten, John. Läßt du dir das bieten? Geh hin und gib ihm einen Schlag auf die Nase. Ich halte inzwischen dein Jackett. Worauf wartest du noch?«
»Wie steht es dann mit einem Wagen?« fragte ich laut, um ihre Stimme zu übertönen.
Der Kellner erschien an unserem Tisch. »Einen Wagen kann ich Ihnen besorgen.«
Der Barmann, der noch immer annahm, wir seien Touristen, die nur zufällig hier gelandet waren, sagte: »Es sind zehn Meilen bis Falcombe, aber es gibt auch eine Fähre.« Seine Augen weiteten sich, und er sah mich an wie ein guter Onkel, der mir gerade ein Spielzeug geschenkt hatte. »Ja, das wäre das beste: Sie nehmen die Fähre zum anderen Ufer. Dort ist ebenfalls ein Pub.«
Susanna zitterte vor unterdrücktem Lachen. Ich starrte den Mann mißtrauisch an. Ich wußte nicht, ob er es ernst meinte oder nicht. »Danke«, murmelte ich schließlich und gestand meine Niederlage ein.
Wir hatten Zeit für einen zweiten Drink, bevor der Kellner zurückkehrte und uns sagte, daß der Wagen vor der Tür stünde.
Ich stand auf und ging hinaus; Susanna folgte mir, doch sobald wir draußen waren, sagte sie: »Warum gehen wir? Warum bleiben wir nicht einfach hier und besaufen uns, Darling?«
Der Wagen war so, wie ich es erwartet hatte, ein Mountain Lion, und so alt, daß man unwillkürlich nach Rädern suchte. »Mir gefällt der Barmann nicht«, erklärte ich, als ich ihr die Tür
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öffnete. »Er gehört zu dem geschwätzigen Typ. Ich will dich für mich allein haben.«
Ich stieg ein und fummelte an den Knöpfen. Es war inzwischen dunkel geworden, und ich spürte sehr deutlich die Nähe Susannas neben mir. »Dann also los«, sagte ich, um meine abirrenden Gedanken zu zügeln.
Fast eine Stunde war vergangen, seit ich mit ihr allein war, und ich mußte ihr sagen, wie wunderschön diese Stunde war, und ich wollte es durch ganz Prospect Cove schreien, daß seine Einwohner eine Liebe erlebten, wie sie die ganze Welt – und bestimmt Prospect Cove – noch nie gesehen hatte. Glücklicherweise konnte ich den Knopf für die automatischen Fenster nicht finden, und so begnügte ich mich damit, auf ihre nackten Knie zu starren und alles in einen kurzen Satz zu packen: »Susanna, du wunderbares Wesen, ich würde dich am liebsten vergewaltigen.«
»Ich bin sicher, daß wir dieses Vorhaben irgendwie in die Tat umsetzen können, aber jetzt beobachtet uns der Kellner, um zu sehen, wie du mit dem Wagen seines Bruders fertig wirst.«
»Ich wußte nicht, daß es der Wagen seines Bruders ist.«
»Das ist er immer, unter solchen Umständen. Also los jetzt, John. Und reiß dich zusammen. Ich habe in dieser Welt einen Ruf zu bewahren.«
Die Turbine klang recht gut, aber das tun Turbinen fast immer.
Der Wagen hob sich schwerfällig vom Boden und glitt vom Parkplatz. Links von uns führte eine Helling ins dunkle Wasser, und ich blickte sie prüfend an.
»Tu es nicht, John«, sagte Susanna warnend. »Dieses Ding ist nicht für das Wasser gebaut. Es versaut alle Metallteile. Das Salz, weißt du.«
Also nahm ich die Inlandroute nach Falcombe, und ich war froh, daß ich es getan hatte, weil der Wind inzwischen Sturm-stärke erreicht hatte und uns selbst in den geschützten Tälern fast von der Straße wehte. Auf den Höhen mußte ich auf
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Schrittgeschwindigkeit heruntergehen und stellte wieder einmal die Vorteile von Radfahrzeugen fest.
Wir kamen nur langsam voran, doch das störte mich nicht sehr.
Wir waren zusammen, und ich fühlte, daß wir im Lauf dieses Abends eine Möglichkeit finden würden, auch zusammen zu bleiben, entweder in dieser Welt oder in der meinen…
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FAST HÄTTE ICH ES MIR anders überlegt, als wir die Fähre erreichten. Das Wasser war schwarz und silbern und sturmgepeitscht; der Regen prasselte gegen die Windschutzscheiben und sickerte durch die schlecht schließende Tür. Wir waren die einzigen Menschen, die den Leichtsinn aufbrachten, sich bei einem solchen Wetter übersetzen lassen zu wollen. Plötzlich sah ich Tom Parkes; er hockte auf der windabgewandten Seite unseres Wagens und klopfte gegen die Scheibe, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich fand den richtigen Knopf, und die Scheibe senkte sich herab.
»Wollen Sie es sich nicht doch lieber anders überlegen?« schrie er durch das Toben der Elemente. »Es wird eine verdammt ungemütliche Überfahrt.«
»Es sind doch nur dreihundert Yards, Tom.«
»Oh, Sie sind es, Mr. Maine. Ich kann Ihnen sagen, daß ich es nicht gerne tue. Sie sind selbst Wassersportler. Würden Sie bei einem Wetter wie diesem hinausfahren?«
»Entschuldigen Sie einen Moment, Tom.« Ich wandte mich Susanna zu. »Ich wollte nach drüben, weil ich glaubte, wir sollten so viel wie möglich in diesen Abend zwängen«, sagte ich.
»Aber wir können genausogut im Waterman’s Arms trinken.«
Sie blickte zweifelnd auf den Fluß. Ich hatte den Wagen schon auf die Fähre gesetzt; die Flut wurde vom Sturm in den Fluß getrieben, und die breite Fähre tanzte auf den Wellen. Sie würde etwas ruhiger liegen, wenn die Turbinen gestartet wurden und sie sich aus dem Wasser hob, doch würden es trotzdem aufregende Minuten werden, bis wir sicher am anderen Ufer waren. »Und wie sollen wir zurückkommen?« frage sie.
Sie hatte natürlich recht. Der immer heftiger werdende Sturm würde Tom dazu zwingen, den Fährbetrieb ganz einzustellen, und wir wären gezwungen, den langen Umweg über die Brücke von Bord ton zu machen. »Lassen wir es also«, rief ich Tom zu.
»Ich setze zurück.« Die Fähre faßte nur acht Fahrzeuge, und es
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war nicht genug Platz zum Wenden. »Leuchte mit der Taschenlampe, Tom.« Er verschwand aus meinem Blickfeld, und als ich über die Schulter hinweg zurücksah, waren die rohen Bohlen des Anlegers angestrahlt. Ich startete die Turbine.
Ich werde nie wissen, was passiert ist. Ich kann nicht begreifen, wie so etwas passieren konnte, weil ich unter solchen Umständen immer besonders vorsichtig bin. Nach der Angst vor einem Fall aus großer Höhe ist mein schlimmster Alptraum die Vorstellung, einen Wagen vom Ende einer Fähre ins Wasser zu fahren. Meine einzige Entschuldigung ist, daß ich mit dem Wagen nicht vertraut war.
Ich hörte Tom brüllen, und einen leisen, erschrockenen Aufschrei von Susanna, und sah im gleichen Augenblick die beleuchteten Bohlen zurückweichen statt sich zu nähern. Ich riß den Kopf nach vorn und trat auf die Notbremse. Wie vorauszusehen zeigte sie kaum Wirkung. Dann kam ein Splittern, als wir das dünne vordere Gatter durchstießen und in das aufgewühlte Wasser stürzten.
Der Hover Car torkelte und tanzte auf den Wellen; ich trat das Gaspedal durch, und die Turbine heulte auf. Die wilden Bewegungen wurden etwas ruhiger, doch das Fahrzeug, das nicht für den Gebrauch auf dem Wasser gedacht war, wurde sofort von dichten Gischtwolken eingehüllt. Ich schaltete die Scheibenwischer an, doch sie waren wirkungslos bei diesen Wassermassen. Im Dunkeln sah ich Susannas blasses Gesicht, das mir zugewandt war. »Was sollen wir tun, Darling?« fragte sie bewundernswert ruhig.
»Ich weiß nicht. Wenn ich den Vertikalschub wegnehme, versinken wir. Aber so können wir nichts sehen.«
»Es sind eine ganze Menge Felsen hier. Gib also keinen Vorwärtsschub«, riet sie.
»Wind und Strömung werden uns stromauf treiben.« Ich dachte und sprach verzweifelt schnell. »Wir bewegen uns mit einem ziemlichen Tempo vorwärts. Die Turbine wird nicht lange durchhalten. Ich schalte sie ab, wenn wir auf Höhe des Hotels
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sind. Wir werden warten, bis das Wasser im Wagen auf Schulterhöhe angestiegen ist, dann stoßen wir die Türen auf und schwimmen an Land.« Ich hatte mir diese Situation so oft vorgestellt, daß ich genau wußte, was zu tun war.
»Das gibt uns noch ein paar Minuten, John.« Susannas Stimme war sehr ruhig und leise; ich konnte sie durch das Turbinengeräusch kaum hören. »Küß mich, bitte. Es tut mir leid, daß zu mehr nicht Zeit ist.«
Ich küßte sie, hart und lange und ununterbrochen, bis ich glaubte, daß wir in der Nähe des Hotels waren, dann schaltete ich die versagende Turbine aus. Der Hover Car senkte sich auf das Wasser und begann sofort heftig zu schlingern. Sekunden später spürte ich eisige Kälte um meine Knöchel, als Wasser hereindrang und die Bewegung des Wagens zu einem trägen Rollen wurde. Bei all meinen Vorstellungen dieses Augenblicks war mir nie der Gedanke gekommen, daß das Wasser so kalt sein könnte. Ich spürte, wie Susanna erschauerte.
»Wir schaffen es, Darling«, sagte ich und versuchte, meiner Stimme einen zuversichtlichen Klang zu geben.
»Es ist so bald, John. Warum muß es schon jetzt geschehen, wo ich dich gerade getroffen habe? Es ist so ungerecht, John…
Ich weiß, warum es mir möglich ist, all die anderen Welten zu besuchen. Du brauchst es mir nicht zu verhehlen.«
»Das bedeutet nicht, daß du sterben wirst. Du bist weder auf den Klippen, noch bei den beiden Bäumen gestorben, und du wirst auch jetzt nicht sterben, und ich auch nicht. Dies ist nicht das Ende. Wir haben noch mehr Leben vor uns.«
»Dann versprich mir eins.«
»Natürlich.«
»Wenn wir hier herauskommen, wirst du mich nie wieder verlassen, ja? Nie wieder?«
Ich sagte ja, und selbst dieses Wort auszusprechen fiel mir schwer, weil die Kälte des Wassers eisig wie Frostbeulen in
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meinen Körper drang und mich schüttelte. Ich war froh, daß ich vergessen hatte, die Sicherheitsgurte anzulegen, und dann umspülte das Wasser mein Kinn.
»Jetzt, Susanna!« rief ich.
Ich riß am Türgriff. Die Tür schwang nach oben und wurde elektrisch bedient; der Drücker war nur für Notfälle wie diesen.
Die Tür bewegte sich widerwillig, doch der Druck des Wassers war noch zu groß. Ich stemmte meine Schulter gegen sie und hob mich dabei ein Stück von meinen Sitz. Der Wagen geriet ins Schwanken, und ich hörte Wasser gegen das Dach klatschen. Ich zog zum letzten Mal Luft in die Lungen. Ich spürte, daß Susanna sich neben mir bewegte und lernte zum ersten Mal die Panik der Hilflosigkeit kennen: Es gab keine Möglichkeit, ihr zu helfen; ich bekam ja nicht einmal meine Tür auf.
Mit dem Mut der Verzweiflung tauchte ich unter Wasser und zwang meine Schultern in den schmalen Spalt am unteren Rand der Tür, stieß und krallte, stemmte mich gegen den Druck des hereinströmenden Wassers und gegen das widerstrebend zurückweichende Metall, und spürte endlich, wie die Tür nachgab. Als meine Lungen zu bersten drohten, schien sich alles verschworen zu haben, mich zu ersäufen: mein Schuh klemmte sich unter dem Sitz fest, und ich mußte den Fuß herausziehen; das Bremspedal hakte sich in eine Jackentasche, ich versuchte, mich loszureißen, was mir jedoch nicht gelang, und ich mußte mich zurückschieben, um mich zu befreien; dabei geriet ich jedoch mit Kopf und Oberkörper in die Sicherheitsgurte und mußte noch weiter zurück, riß und zerrte an den Gurten, bis mein Kopf sich drehte und eine hohe, dünne Stimme irgendwo in meinem Gehirn zu singen begann.
Ich glaube, dies war der Moment, wo ich einige Sekunden lang das Bewußtsein verlor, während, wie ich vermute, das Wasser weiter in den Wagen drang, bis ein Druckausgleich erreicht wurde, die Tür sich öffnete und ich hinausglitt. Anders kann ich es mir nicht erklären, daß ich keuchend und hustend an die Oberfläche kam und verzweifelt in das Dunkel blickte, um Susanna zu finden.
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Doch ich konnte nicht einmal den Wagen sehen; er war versunken. Das Wasser war schwarz und turbulent, und der Sturm blies die Wellenkämme in Gischtwolken fort, die im Licht der Häuser kalt glitzerten. Alles war kalt; das Wasser, mein Körper, meine durchnäßte Kleidung; so kalt, daß ich einen Moment ans Aufgeben dachte. Ich brauchte doch nur aufzuhö-
ren, mich zu bewegen. Sofort würde Bewußtlosigkeit eintreten, wie ich wußte. Und da mir der Tod ohnehin bald bevorstand, warum sollte ich mich ihm widersetzen?
Das sagte ich mir, während meine Augen Susanna suchten.
Irgendwo stieg eine blubbernde Luftblase aus dem dunklen Wasser, wie ein gigantisches Rülpsen, und ich wußte wieder, wo der Wagen war. Ich tauchte, blind, tastete mit kältestarren Händen umher. Ich fühlte eine harte, glatte Fläche und klammerte mich an ein hervorstehendes Metallteil; die Strömung riß mich herum, bis ich völlig desorientiert war, doch ich hielt mich an dem sinkenden Wagen fest und tastete blind weiter.
Den Kopf nach unten spürte ich etwas Weiches. Da war Bewegung unter meinen Händen, als der rote Vorhang des Erstickens hinter meinen Augen niederging und meine Ohren zu dröhnen begannen. Ich stemmte meine Füße gegen etwas Festes und drückte, drückte…
Ich war wieder an der Oberfläche, keuchend und spuckend, die Wellen schwappten in meinen Mund, und ich stieß mit den Füßen, um höher aus dem Wasser zu kommen, schaffte es aber nicht, wegen der Last, die ich trug, dem reglosen, hilflosen Körper Susannas. Es gab keine Möglichkeit, auch nur ihren Kopf aus dem Wasser zu heben, ich wußte nicht einmal, wo ihr Kopf war. Alles, was ich tun konnte, war, sie festzuhalten. Ich trat Wasser und suchte nach einem Ausweg, und plötzlich peitschte etwas in mein Gesicht. Ich griff instinktiv zu, fühlte die rauhe Oberfläche eines Seils und hielt fest.
Neben mir ragte die dunkle Silhouette eines Boots auf, und die Strömung brach sich an seinem scharfen Bug. Ich wußte nicht, was ich jetzt tun sollte; es schien mir unmöglich, an Bord zu klettern, ohne Susanna loszulassen. Ich war zu erschöpft, um
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mich zu bewegen; meine Kraft reichte nur noch dazu aus, mich an dem Seil festzuhalten. Es war ein kleines Boot, kaum größer als ein Dinghi, mit einem niedrigen Freibord. Ich starrte es dumpf an, versuchte, die Höhe der Bordwand abzuschätzen.
Der schwerste Entschluß war, das Seil loszulassen. Seine rauhe Festigkeit stellte eine Art Sicherheit dar – und wenn ich nicht einen Entschluß gefaßt hätte, wäre ich völlig damit zufrieden gewesen, dort zu hängen, bis die Kälte mir auch den letzten Rest meiner Kraft genommen haben würde und Susanna und ich lautlos versunken wären. Es war diese Vision, die mich zum Handeln zwang.
Ich ließ das Seil los, und sofort wurden wir von der Strömung gegen den Bug des Dinghis geworfen. Ich versuchte, Susanna zu schützen und stieß mit dem Kopf hart gegen den eisenbeschla-genen Bug; dann trieben wir an der Bordwand entlang. Ich stieß einen Arm nach oben und hakte ihn über das Dollbord, dann zog ich, mit den letzten Resten meiner Kraft.
Das Dinghi legte sich über unter dem Gewicht. Ich schob Susanna zur Hälfte über das Dollbord, rollte mich selbst ins Boot, und als es wieder gerade im Wasser lag, packte ich Susanna und zog sie ganz an Bord. Sie lag auf den Bodenbrettern, mit dem Gesicht nach unten, völlig reglos und wie tot.
Ich murmelte etwas; wieder und wieder sagte ich:
»Stirb nicht, mein Darling, stirb nicht«, während ich sie aufhob und mit dem Bauch auf die Ruderbank legte, so daß ihr Kopf herunterhing, und ich glaubte, Wasser aus ihrem Mund rinnen zu sehen. Ich preßte ihren Rücken in rhythmischen Stößen und wünschte, ich hätte etwas über Wiederbelebung gelernt. Ich legte meine Hand auf ihre Wange, und sie war entsetzlich kalt, doch ich machte weiter und erinnerte mich an Berichte, daß Menschen lange nachdem sie scheinbar ertrunken waren, wieder ins Leben zurückgerufen worden waren und an andere, nach denen Menschen innerhalb weniger Minuten gestorben waren.
Während ich versuchte, Susanna dem Leben wiederzugeben, sah ich, daß wir etwa zwanzig Yards von dem Ponton hinter dem
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Falcombe Hotel entfernt waren; als ich in die andere Richtung blickte, sah ich die Reihe der Hausyachten fest verankert vor dem Ufer liegen; eine von ihnen war fast zum Greifen nahe, und ich fragte mich, was das Dinghi hier zu suchen hatte, und warum es verankert war, anstatt an der Hausyacht oder am Ponton festgemacht zu sein, wie es vernünftig gewesen wäre.
Ich glaubte, Susanna seufzen zu hören, und hätte schwören können, daß ihr Körper sich unter meinen Händen bewegt hatte, doch ich wagte nicht, sie anzusehen, wagte nicht zu hoffen, während ich meine amateurhaften Wiederbelebungsversuche fortsetzte. Ich blickte die Reihe der Hausyachten entlang – und sah, wie die letzte in der Reihe aus dem Lichtkreis der Hotelbe-leuchtung getrieben wurde. Susanna regte sich; ich sank auf die Knie, zog sie in meine Arme und küßte ihr kaltes Gesicht. Ich hörte einen Atemzug, dann ein leises Husten, dann ging ein Erschauern durch ihren Körper und sie stöhnte. Ihre Haut glänzte fahl und feucht in dem matten Licht, und ihr wundervol-les Haar klebte strähnig in ihrem Gesicht; ich strich es zur Seite und drückte sie noch fester an mich, und wir zitterten beide vor Kälte und Reaktion auf die überstandenen Strapazen.
Es sagt eine Menge über die Widerstandskraft des Menschen, daß ich scharf auf sie war, als wir in gemeinsamem Elend dort auf dem Boden des Bootes hockten, und als meine Hand über ihren eiskalten Körper fuhr, umspannte sie eine ihrer Brüste.
Ihre Lider flatterten, und als sie mich, noch immer halb bewußtlos, anblickte, glitt ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht.
Sie flüsterte etwas, und ich beugte mich näher, um sie verstehen zu können.
»Mach weiter, John«, sagte sie kaum hörbar. »Es ist ein Naturinstinkt, weißt du?«
Automatisch blickte ich auf, als ob ich befürchtete, wir könnten beobachtet werden – und sah zwei weitere Hausyachten in der Nacht abtreiben. Ich versuchte, meine Gedanken zu konzentrieren, versuchte zu begreifen, daß jemand sie von ihrer Veranke-rung löste, jetzt, in diesem Augenblick – doch ich konnte es