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Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)

Page 10

by Engel, Kathinka


  Ich schüttle kaum merklich den Kopf und zücke mein Handy. Die App zeigt mir an, dass mein Uber fünf Minuten entfernt ist.

  »Okay, Leute, ich hole die Kinder, dann bin ich weg. Bonnie, wenn du mit deinem Muskelkater mitfahren willst, der Wagen hat eine Ladefläche für deinen Kontrabass.« Es wäre schön, ihre Gesellschaft zu haben. Wirklich schön, fällt mir auf.

  Ohne ihre Antwort abzuwarten, gehe ich nach hinten ins Lager, wo Weston und Maya auf dem Sofa schlafen.

  »Hey, ihr Süßen«, sage ich leise und streiche Weston eine dunkelblonde Haarsträhne aus dem Gesicht, die er von seiner Mutter geerbt hat. »Das Taxi ist gleich da.«

  »Darfichvornesitzen?«, nuschelt Weston verschlafen und reibt sich die Augen.

  »Klar, weißt du doch.« Es ist schließlich das Mindeste.

  Maya streckt die Arme nach mir aus. Ihre Lider sind noch halb geschlossen. Ich nehme sie hoch, und sie schmiegt ihren Kopf in meine Halsbeuge. Bestimmt ist sie gleich wieder eingeschlafen.

  »Hey, Großer«, sagt Curtis und klatscht mit Weston ab, als wir zu den anderen zurückstoßen. »Alles klar?«

  Weston nickt.

  »Wann ersetzt du endlich Link in unserer Band?«

  Er zuckt mit den Schultern. »Kann nicht mehr lange dauern«, sagt er voller Überzeugung.

  »He!« Link spielt den Empörten. »Mach mir keine Angst, Wes! Ich brauche den Job.«

  »Ich vielleicht auch«, sagt er und grinst schief, als hätte er es sich von Link abgeschaut.

  »Wofür brauchst du denn einen Job?«, fragt Link.

  »Für eine Klassenfahrt in die Sümpfe.« Und in mir zieht sich alles zusammen.

  Während Maya meine dunklen Haare geerbt hat, kommt Weston eindeutig nach seiner Mutter. Deswegen ist die Ähnlichkeit zu Link in Momenten wie diesen frappierend.

  »Und, Bonnie? Fährst du im Taxi mit?«, frage ich, obwohl ich mir sicher bin, dass sie wieder ablehnen wird.

  17 – Bonnie

  Heute

  »Ähm«, sage ich und blicke unsicher von meinem Kontrabass zu Jasper. Mein Rücken tut mir schon beim Gedanken an das Gewicht auf meinen Schultern weh. Mein dämliches Herz allerdings beim Gedanken daran, mit Jasper auf engstem Raum zu sein. Doch dann gewinnt die Vernunft. Wir haben gerade großartige Neuigkeiten erhalten, sind Bandkollegen. Freunde.

  Ich gebe mir einen Ruck. »Ich glaube, wenn es okay wäre, würde ich das Angebot tatsächlich annehmen.« Ich räuspere mich, weil meine Stimme ein bisschen kratzig ist.

  »Aber ich darf vorne sitzen«, sagt Weston.

  »Ich wollte dir deinen Platz nicht streitig machen«, erwidere ich lachend.

  »Okay, der Fahrer ist da«, sagt Jasper mit einem Blick auf sein Handy. »Gute Nacht allerseits.«

  Weston und er gehen nach draußen, und Curtis, ganz Gentleman, trägt meinen Kontrabass und legt ihn behutsam auf die Ladefläche des großen Pick-ups.

  Jasper lässt sich mit Maya auf dem Arm hinter Weston nieder, und ich gehe einmal um den Wagen herum, um hinter dem Fahrer einzusteigen.

  »Anschnallen«, ermahnt Jasper Weston gerade.

  »Du bist ja lange wach«, sagt der Fahrer. »Ich bin Kyle. Wie heißt du?«

  »Weston«, sagt Weston. Er schnallt sich brav an und erklärt Kyle, dass sein Vater Klavier in einer Band spielt.

  Ich liebe Weston und Maya. Nicht nur, weil sie die Kinder meiner besten Freundin sind. Beide sind etwas so Besonderes. Weston mit seiner nachdenklichen, vernünftigen Art. Und dennoch ist er frech und keck. Maya ist einfach das goldigste Mädchen überhaupt. Ich habe den Verdacht, dass sie die tiefgründigsten Gedanken mit sich herumschleppt. Nur teilt sie sie niemandem mit. Es liegt mit Sicherheit daran, dass sie die Leere spüren konnte, die Blythes Tod hinterlassen hat.

  Aus dem Augenwinkel betrachte ich sie, und sie tut im Schlaf einen ganz tiefen Atemzug, der beinahe einem Seufzer gleichkommt.

  »Ich hoffe, sie schläft durch«, sagt Jasper. »Ich habe die Kunst perfektioniert, sie so vorsichtig ins Bett zu legen, dass sie nicht aufwacht.«

  Als mir auf einmal bewusst wird, wie nahe ich ihm bin, zucke ich zurück und lehne mich mit dem Kopf gegen das Fenster.

  »Es kann losgehen«, sagt Jasper zu Kyle. »Wir sind vollständig.«

  »Anschnallen, Bonnie«, ermahnt mich Weston von vorne.

  »Ich bin gerade dabei!« Ich ziehe den Gurt über mich, doch irgendwie will das blöde Ding nicht einrasten.

  »Das klemmt manchmal«, meldet sich Kyle von vorne und setzt dann die Unterhaltung mit Weston über die Musikszene von New Orleans fort.

  »Lass mich mal sehen«, sagt Jasper. Er löst seinen rechten Arm von Maya und nimmt mir den Gurt aus der Hand.

  »Geht schon, danke.« Ich will seine Hand bereits vorsichtig wegschieben, da treffen sich unsere Blicke, und mein fehlgeleitetes Herz setzt einen Schlag aus. Diesen Moment nutzt Jasper und fixiert den Gurt mit einem beherzten Stoß ins Schloss.

  »Na bitte.«

  »Danke.«

  Ich blicke aus dem Fenster und sehe, wie das French Quarter an uns vorbeizieht. Die leuchtenden Schilder, der sanfte Schein der Straßenlaternen. Ab und zu müssen wir anhalten, weil angetrunkene Touristen achtlos auf die Straße laufen. Mehr als Schrittgeschwindigkeit ist nicht drin. Die Lichter der Bars, der Eckläden, die Stimmen der Menschen und die Klänge der Bands – diese bunte Mischung erfüllt mich mit einem ungeheuren Frieden.

  »War ein guter Abend, oder?«, fragt Jasper. Seine Stimme ist so warm wie die Luft draußen.

  Ich nicke und lächle. »Dass wir wieder zwei Abende haben …«

  »Ich glaube, du hast Mikey sehr glücklich gemacht.« Er gluckst leise.

  Mir steigt Hitze ins Gesicht. »Ich glaube, ich habe ihn etwas überfordert.«

  »Aber auf die gute Art.« Unter seinen Worten hört man ein Lächeln. Ein Lächeln, das macht, dass ich innerlich ein wenig schmelze. Es ist, als würde flüssiger Honig durch mich hindurchfließen. Eine fast unerträgliche Süße, gepaart mit dieser enormen Sehnsucht. Aber ich bin es gewohnt. Und ignoriere es einfach.

  Wir lassen das belebte French Quarter langsam hinter uns, erreichen den Louis Armstrong Park, den wir umfahren müssen.

  »Bonnie?«, fragt Jasper, und sein Tonfall verrät mir, dass er etwas Ernsthaftes zu sagen hat. Die friedliche Stimmung wird von einer vorsichtigen Alarmbereitschaft abgelöst.

  »Hm?«

  Er spricht nicht sofort, sondern wartet, bis Kyle und Weston vorne ihre Unterhaltung wiederaufgenommen haben.

  »Du fehlst mir.«

  Ich halte die Luft an. Erstarre.

  Du mir auch. Jede Sekunde jeder Minute jeder Stunde jedes Tages. Am liebsten würde ich es in die Welt hinausschreien, um endlich diesen Druck in mir abzulassen. Stattdessen sage ich … nichts. Ich tue nichts. Ich stelle mich tot.

  »Bonnie?«

  Langsam drehe ich den Kopf. Mein Herz rast.

  »Hast du gehört?«

  Ich nicke. »Ja«, sage ich leise.

  »Mir fehlt unsere Freundschaft. Zeit mit dir zu verbringen. Ich weiß, dass es für dich hart sein muss, weil dich alles an sie erinnert. Aber ich würde mir wünschen, dass wir das wieder hinkriegen. Trash-TV und Bier oder so.« Er nimmt meine Hand. »Denkst du, wir könnten es probieren?«

  Ich atme tief ein. Und aus. Und wieder ein. »Ich möchte das auch«, sage ich dann leise. Denn natürlich möchte ich es. Ich möchte ihn zurück in meinem Leben. Und mehr. Ich seufze. »Ich will es auch, Jasper«, sage ich, denn es ist die Wahrheit.

  »Okay, gut.« Aus seiner Stimme spricht so viel Erleichterung, dass es mir die Kehle zuschnürt.

  Wir fahren unter der Interstate 10 hindurch und sind nun in Tremé.

  »Wir sind doch Freunde, oder?«, fragt er.

  »Das waren wir immer«, erwidere ich und merke, wie sich die Wärme seiner Hand auf mich überträgt.

  »Aber es wird Zeit, zur Normalität zurückzukehren.«

  »Ja.« Normalität.

  »Link und ich haben an seinem neuen Song gearbeitet«, sagt Jasper dann, und ich bin froh über den Themenwechsel. Meine Atmung beruhigt sich et
was. »Er wird richtig gut.«

  »Bin gespannt.«

  »Er will, dass ich ihn singe.«

  »Das kann ich mir gut vorstellen, nach allem, was ich bislang gehört habe.« Die Melodie ist wie für Jaspers warme Stimme gemacht.

  »Das sagt Link auch. Allerdings finden wir beide, dass du die zweite Stimme singen solltest.«

  Ich spüre Jaspers Blick auf mir. Und als ich den Kopf wende, sehe ich direkt in seine Augen.

  »Bist du dabei?«, fragt er.

  Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, würde ich sagen, wenn ich meinen Verstand beisammenhätte. Doch mit Jasper auf engstem Raum zu sein, hat mir offenbar die Sinne vernebelt. Deswegen sage ich: »Okay.«

  »Cool. Das freut mich.« Und ich kann hören, dass er die Wahrheit sagt.

  Wir halten vor Jaspers Haus.

  »Danke, Mann«, sagt Jasper zu Kyle. »Meine Freundin müsste nur dreihundert Meter weiter. Meinst du, das ist noch drin?«

  »Das passt schon«, sage ich schnell. »Ich laufe den Rest.«

  »Wäre aber kein Problem. Echt nicht.«

  »Danke, aber ich glaube, der kurze Spaziergang tut mir gut.«

  Wir steigen aus, und ich hebe den Kontrabass von der Ladefläche.

  »Nacht, Weston«, sage ich und umarme ihn.

  »Nacht.« Er gähnt.

  »Nacht, Jasper.« Wieder treffen sich unsere Blicke. Und so unerträglich es ist, so sehr liebe ich es, ihn anzusehen.

  »Gute Nacht, Bonnie.« Er lächelt. Dann versucht er sich an einer Umarmung. Allerdings kann er nur einen halben Arm von Maya lösen, und ich habe meinen Kontrabass auf der Schulter, sodass sie gründlich misslingt. Wir lachen beide etwas unbeholfen.

  »Bis bald.«

  »Ja, bis bald.«

  Ich mache mich auf den Weg nach Hause. Gehe von Lichtkegel zu Lichtkegel, sehe meinem Schatten dabei zu, wie er größer wird und dann wieder verschwindet, bis ich mich der nächsten Straßenlaterne nähere. Es ist der erbärmliche Versuch, meinen Kopf abzulenken. Doch mein Verstand rattert. Während der letzten Jahre habe ich auf mich achtgegeben. Habe es mir angewöhnt, auf der Hut zu sein. Aber auf einmal bin ich mir nicht mehr sicher, ob die Distanz, die ich zwischen uns aufgebaut habe, die beste Lösung war. Denn wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, hat sie auch nichts besser gemacht. Meine Gefühle sind immer noch da. Sie sind nicht einen Deut weniger geworden.

  Nähe zu Jasper. Die Idee scheint absurd. Und doch … Ihm auszuweichen war ebenso unerträglich wie ihm nahe zu sein.

  Ich biege in meine Straße ein, atme die warme, feuchte Nachtluft. Schon von Weitem sieht man unser Haus, jetzt, da es frisch gestrichen ist. Es strahlt. Strahlt, wie Jaspers Augen. Doch im Gegensatz zu seinem Blick ist das hier nur Fassade. Denn innen herrscht das gleiche Chaos wie vorher auch. Und genauso werde ich es angehen. Ich werde für Jasper eine Freundin sein. Wie ich es auch die letzten Jahre hätte sein sollen. Während ich das Feuer, das mich von innen verbrennt, mit warmem Honig lösche.

  18 – Jasper

  Heute

  Aurora lebt in Lakeview gleich neben dem City Park in einem kleinen einstöckigen Backsteinhaus. Der Rasen davor ist frisch gemäht, und unter den Fenstern sind Beete angelegt.

  Ich bin es nicht gewohnt, abends irgendwo eingeladen zu sein, und meine Babysitter waren überpünktlich, sodass ich nun eine Viertelstunde zu früh dran bin. Da der Himmel heute in ein wenig einladendes Grau getunkt ist, als würde er nur darauf warten, sich endlich zu entladen, und die Temperatur schwer auf die Erde drückt, entschließe ich mich dennoch dazu, gleich zu klopfen.

  Es dauert einen Moment, bis ich von drinnen Schritte höre. Dann wird die Tür geöffnet.

  »Oh, hi, Jasper«, sagt Aurora, ein schnurloses Telefon in der Hand. »Ich, ähm …«

  »Ich bin zu früh, entschuldige«, sage ich, weil es offensichtlich ist, dass sie noch nicht mit Besuch gerechnet hat.

  »Macht gar nichts, komm rein, komm rein!« Sie kickt etwas unbeholfen gemusterte Pantoffeln von den Füßen, als wären sie ihr peinlich. »Ich muss noch eben …« Sie deutet auf das Telefon. »Aber mach es dir schon mal im Wohnzimmer …« Mit einer ausladenden Geste winkt sie mich in einen Raum, der von dem dunklen Eingangsbereich abgeht.

  Ich nicke und folge ihrer Armbewegung. Das Wohnzimmer ist gemütlich. Ein bisschen altbacken, vielleicht, aber das stört mich nicht. Zwei große Blumensofas stehen um einen gläsernen Couchtisch herum. Neben einer Schrankwand befindet sich ein Keyboard. Nicht das teuerste Modell, aber qualitativ hochwertig.

  »Sorry, Dad«, höre ich Auroras Stimme von nebenan. »Ich habe Gäste heute Abend.«

  Ich setze mich auf eines der Sofas und fühle mich etwas merkwürdig. Fehl am Platz. Die Hände lege ich auf meine Oberschenkel. Aber das wirkt steif.

  »Es tut mir leid«, sagt Aurora gerade. »Du weißt, dass das nicht stimmt. Es ist zu deinem Besten, Dad. … Nein, ich hätte mich nicht um dich kümmern können. Ich habe einen Job. Du brauchst jemanden, der rund um die Uhr da ist. … Aber es ist mein Traum, Dad.«

  Das Gespräch ist offensichtlich nicht für meine Ohren bestimmt, und ich bemühe mich, meine Konzentration auf etwas anderes zu lenken. Den Himmel, die Schrankwand.

  »Bitte, Dad«, sagt sie in flehendem Tonfall. »Natürlich hab ich dich lieb. Aber … Es ist fies, so etwas zu sagen. Ich komme dich morgen besuchen, in Ordnung?«

  Das Klirren von Geschirr ertönt.

  »Nein, morgen. Ich habe dir doch gesagt, ich habe heute Gäste. … Nein, keine Orgie, Dad. Was denkst du von mir?«

  Ich fahre mir mit den Händen übers Gesicht. Was für eine peinliche Situation.

  »Bye, Dad. Ich hab dich lieb. … Doch, das habe ich. … Doch, das habe ich. … Denk doch, was du willst.«

  Ein erneutes Klirren dringt ins Wohnzimmer. Lauter diesmal.

  »Bitte entschuldige«, sagt sie, als sie im nächsten Moment in der Tür steht. Ihre dunkelblonden Haare hat sie zu einem Dutt nach oben gebunden. Sie trägt ein weites Blumenkleid und bunte Leggins.

  »Mir tut es leid, dass ich so früh bin.«

  »Halb so wild. Mein Dad … er ist vor ein paar Monaten in ein Altenheim gekommen. Er braucht mehr Pflege, als ich ihm geben kann. Aber es ist schwierig für ihn. An manchen Tagen … ist er garstig.«

  Auroras Stimme klingt traurig und dennoch warm und voll.

  »Wie wär’s mit einem Glas Wein?«

  Ich nicke, dankbar, dass dann wenigstens eine meiner beiden Hände etwas zu halten hat.

  Sie verschwindet wieder in die Küche, und ich beschließe, ihr zu folgen. Dieses Herumsitzen ist mir zu unangenehm.

  Ich stelle mich in den Türrahmen und vergrabe meine unsicheren Hände in den Hosentaschen.

  »Ein hübsches Haus hast du«, sage ich.

  »Danke. Es gehört eigentlich meinem Dad. Wir haben hier immer zusammengelebt. Jetzt bin ich allein, schätze ich.« Sie schenkt mir ein Lächeln.

  Obwohl sie nur ein paar Jahre älter ist als ich, haben sich um ihre Augen hauchdünne Fältchen gebildet, die mir noch nie aufgefallen sind, und ich frage mich, ob Aurora eine attraktive Frau ist. Es ist lange her, dass ich mir derartige Fragen gestellt habe. Doch in letzter Zeit schleichen sie sich wie automatisch in meine Gedanken. Aber bei Bonnie bin ich mir sicher. Sie ist attraktiv. Vielleicht sogar mehr als das.

  »Fehlt er dir?«, frage ich, verfluche mich jedoch im gleichen Moment dafür. Das ist eine sehr persönliche Frage.

  Doch Aurora scheint sich daran nicht zu stören. »Manchmal«, sagt sie. »Aber das Alter hat ihn nicht unbedingt freundlicher gemacht, wenn du verstehst …«

  Ich nicke und nehme das Rotweinglas entgegen.

  »Prost«, sage ich. »Danke für die Einladung.«

  »Schön, dass es geklappt hat«, erwidert Aurora und lächelt.

  Vermutlich ist sie attraktiv.

  »Was kochen wir heute Abend?«, frage ich, um die unangenehme Stille zwischen uns zu durchbrechen.

  »Rote Bohnen mit Reis«, sagt Aurora und beginnt, Zutaten aus dem Kühlschrank und einem Küchenregal zu holen. »Die anderen müssten auch bald kommen. Matt ha
t leider abgesagt. Matt, der Saxofonlehrer?«

  Ich kenne Matt. Nicht gut, aber ich weiß, von wem sie spricht. »Schade, er wirkt nett.«

  »Ja, das ist er auch. Aber deswegen sind wir wohl nur zu viert.«

  Ich bin ein wenig erleichtert, dass die Runde heute Abend überschaubar bleibt. Und zusammen mit Calisto, Westons Gitarrenlehrer, und seiner Freundin Lorena haben wir schnell Zwiebeln, Knoblauch, Karotten, Sellerie und die Andouille-Wurst geschnippelt. Aurora hat mir die ehrenvolle Aufgabe übertragen, einen Teil der roten Bohnen mit einer Gabel zu zerdrücken.

  Nach und nach erfüllt der wunderbare Duft selbst gekochten Essens die Küche. Mein Magen knurrt leise.

  »Jasper ist Westons Dad«, erklärt Calisto gerade seiner Freundin.

  »Der talentierte kleine Junge?«, fragt Lorena.

  »Genau der.«

  Stolz erfüllt mich. Stolz auf meinen Sohn, von dem Calisto offenbar zu Hause erzählt hat.

  »Aus ihm kann ein richtiger Musiker werden«, sagt Calisto.

  »Wenn es das ist, was er möchte«, sage ich, »bin ich sicher der Letzte, der sich ihm in den Weg stellt. Allerdings hätte ich auch nichts dagegen, wenn er sich für eine Karriere als Anwalt oder Arzt entscheidet.« Ich lache. »Manchmal schadet es nicht, etwas Sicheres zu haben. Mit weniger finanziellem Kampf.«

  Aurora nickt. »Amen.«

  »Was? Wie unromantisch ihr seid«, beschwert sich Calisto. »Das Musikerleben ist eins der schönsten!«

  »Natürlich ist es das«, sage ich. »Aber je mehr Menschen davon abhängig sind, dass Geld ins Haus kommt, desto schwieriger wird es.«

  »Klar, Mann, du hast ja zwei von der Sorte«, sagt Calisto.

  »Was machen deine Eltern beruflich, Jasper?«, fragt Aurora und stellt vier Schüsseln auf die Arbeitsplatte.

  »Oh. Ähm. Meine Eltern«, sage ich. »Heikles Thema.«

  »Ich wollte dir nicht …«

  »Nein, schon gut«, unterbreche ich sie. »Mein Vater ist Immobilienmakler. Und meine Mutter … war Ehefrau. Was sie jetzt tut, weiß ich nicht.«

  »Habt ihr kein gutes Verhältnis?«, fragt Lorena.

  »Wir haben, ehrlich gesagt, gar kein Verhältnis.«

  »Oh«, macht Aurora, und ich sehe, wie unangenehm es ihr ist, gefragt zu haben.

 

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